(193-256) (2,0 MB) - Anwaltsblatt - Deutscher Anwaltverein
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MN<br />
Ähnlich wie bei der Wiedereinsetzung ist die Interessenlage<br />
auch beim Einspruch gegen ein Versäumnisurteil.<br />
§ 719 Abs. 1 ZPO verweist auf § 707 ZPO. § 719 Abs. 1 S.<br />
2 ZPO stellt hier eigene Voraussetzungen für einen Vollstreckungsschutz<br />
zugunsten des Schuldners auf: entweder<br />
ist das Versäumnisurteil nicht in gesetzlicher Weise ergangen<br />
oder der Schuldner macht glaubhaft, dass seine Säumnis<br />
unverschuldet war. Diese Voraussetzungen sind eine<br />
wesentlich niedrigere Hürde als die des § 707 ZPO. Deshalb<br />
ist strittig, ob die Tatbestandsmerkmale des § 707<br />
ZPO in diesem Fall kumulativ gegeben sein müssen (vgl.<br />
dazu Karst MDR 03, 1391). Das OLG Stuttgart hat mit Beschluss<br />
vom 21.10.2002 entschieden, dass die Voraussetzungen<br />
des § 707 ZPO nicht zusätzlich vorliegen müssen<br />
(NJW-RR 03, 713).<br />
Die Frage der vorläufigen Vollstreckbarkeit stellt sich<br />
am häufigsten in der ersten Instanz. In rund der Hälfte aller<br />
Verfahren wird Berufung eingelegt. Es liegt also absehbar<br />
kein rechtskräftiges Urteil vor.<br />
Auch in der zweiten Instanz kann sich wiederum die<br />
Frage der vorläufigen Vollstreckbarkeit neu stellen, falls<br />
noch nicht aufgrund des erstinstanzlichen Urteils vollstreckt<br />
wurde. Es wird leicht übersehen, dass es hier keinen Automatismus<br />
gibt. Auf die Vollstreckung gerichtete Anträge<br />
sind in der zweiten Instanz erneut zu stellen. Wurde das<br />
übersehen, könnte man meinen, sich nach Ergehen des zweitinstanzlichen<br />
Urteils in der Revisionsinstanz noch über<br />
§ 719 Abs. 2 ZPO (einstweilige Einstellung der Vollstreckung<br />
bei nicht zu ersetzendem Nachteil) retten zu können.<br />
Hier geht die Rechtsprechung jedoch davon aus, dass sich<br />
der Schuldner auf einen nicht zu ersetzenden Nachteil nur<br />
berufen darf, wenn er Vollstreckungsschutz schon in der Berufungsinstanz<br />
beantragt hatte (BGH NJW-RR 02, 1650;<br />
BGH NJW-RR 02, 573). Ähnlich ergeht es dem Gläubiger.<br />
Auch er darf Versäumnisse aus der Vorinstanz nicht heilen,<br />
da schließlich § 714 ZPO mit der zeitlichen Grenze keine<br />
unzumutbare Hürde darstellt (so OLG Karlsruhe NJW-RR<br />
89, 1470). Fazit: Da es bei derartigen Versäumnissen keine<br />
Heilung gibt, trifft der Vorwurf letztlich den Anwalt.<br />
4.Vollstreckungsschäden<br />
Ein vorläufig vollstreckbares Urteil ist eben gerade deshalb<br />
nur vorläufig vollstreckbar, weil es nicht rechtskräftig<br />
ist und potentiell aufgrund eines Rechtsmittels geändert<br />
werden könnte. Daraus resultiert das Schutzbedürfnis des<br />
Schuldners vor irreversiblen Maßnahmen. Andererseits<br />
muss sich der Gläubiger darüber im Klaren sein, dass er die<br />
vorläufige Vollstreckung letztlich auf eigene Gefahr betreibt<br />
und dass sich aus diesem zeitlich vorgezogenen Dürfen<br />
auch nachteilige Konsequenzen für ihn ergeben können. So<br />
nämlich die Schadenersatzpflicht gemäß § 717 Abs. 2<br />
ZPO. Diese ergibt sich zugunsten des vormaligen Schuldners<br />
(der vielleicht aufgrund des abändernden Urteils gar<br />
kein Schuldner mehr ist) für den Gläubiger dann, wenn aus<br />
der betriebenen vorläufigen Vollstreckung dem Schuldner<br />
ein Schaden erwachsen ist oder er zur Abwendung der Vollstreckung<br />
Aufwendungen getätigt hat, die er gern ersetzt haben<br />
möchte. Diese Schadenersatzpflicht trifft den Gläubiger,<br />
der eigentlich nur von einem ihm gesetzlich bzw.<br />
gerichtlich zugestandenen Recht Gebrauch gemacht hat,<br />
vollkommen verschuldensunabhängig. Letztlich muss er<br />
für sein Vertrauen in die Richtigkeit der ursprünglichen gerichtlichen<br />
Entscheidung büßen. Eine Konsequenz, die den<br />
juristischen Laien sicher überrascht. Umso wichtiger er-<br />
scheint es, dass der Anwalt den Mandanten, bevor dieser<br />
eine vorläufige Vollstreckung betreibt, auf diese mögliche<br />
Gefahr deutlich hinweist. Dass beispielsweise die erstinstanzliche<br />
Entscheidung für richtig befunden wird bzw.<br />
die Erfolgsaussichten des Schuldners in der Berufungsinstanz<br />
gering eingeschätzt werden, gibt nur eine trügerische<br />
Sicherheit. Grundsätzlich immer sollte die Möglichkeit<br />
in Betracht gezogen werden, dass die zweite Instanz doch<br />
entgegen der eigenen Auffassung des Anwalts entscheidet,<br />
egal wie gut die Beweislage ist oder wie simpel die rechtliche<br />
Problematik.<br />
Ob ein Schadenersatzanspruch nach § 717 Abs. 2 ZPO<br />
gegeben ist, weiß man erst, wenn das Verfahren rechtskräftig<br />
abgeschlossen ist. Dennoch empfiehlt es sich, einen Vollstreckungsschaden<br />
möglichst frühzeitig geltend zu machen,<br />
nämlich noch in dem laufenden Verfahren. Dies aus dem<br />
Grund, dass nach gesetzlicher Fiktion bei diesem Vorgehen<br />
der Schadenersatzanspruch rückwirkend zum Zeitpunkt der<br />
Leistung rechtshängig wird mit der Folge, dass auch Zinsen<br />
schon ab dem zurückliegenden Zeitpunkt laufen. Theoretisch<br />
ist hinsichtlich des Schadenersatzanspruchs auch eine separate<br />
Klage nach Abschluss des ursprünglichen Verfahrens<br />
möglich, hier gibt es allerdings den Vorteil der Rückwirkung<br />
nicht, was sich bei größeren Beträgen bezüglich der Zinsen<br />
für den Mandanten durchaus spürbar auswirken kann. Ausgeschlossen<br />
ist der Schadenersatzanspruch in dieser Form jedoch<br />
bei der vorläufigen Vollstreckung eines OLG-Urteils in<br />
einer vermögensrechtlichen Streitigkeit im Sinne von § 708<br />
Ziff. 10 ZPO, vgl. § 717 Abs. 3 ZPO. In die Richtigkeit eines<br />
OLG-Urteils soll der vollstreckende Gläubiger nun denn<br />
doch vertrauen können. Hier hat der Schuldner nur einen Bereicherungsanspruch.<br />
5. Exkurs: Anwaltshaftung beim Versäumnisurteil<br />
AnwBl 4/2004<br />
Haftpflichtfragen<br />
Das Versäumnisurteil ist – wie oben dargestellt – immer<br />
ohne Sicherheit des Gläubigers vollstreckbar, § 708 Ziff. 2<br />
ZPO Eine Abwendungsbefugnis des Schuldners nach § 711<br />
ZPO gibt es hier nicht. Der Schuldner kann sich aber nach<br />
§ 712 ZPO wehren, hier muss er eine eigene Sicherheit erbringen.<br />
Versetzt man sich nun in die Lage des anwaltlich<br />
vertretenen Schuldners, dessen Anwalt durch einen Fehler<br />
ein Versäumnisurteil ergehen lässt, so trifft den Schuldner-<br />
Mandanten dieses – für den Gläubiger vorläufig vollstreckbare<br />
– Urteil wie ein Keulenschlag. Darauf, plötzlich eine<br />
Sicherheit leisten zu müssen, war er natürlich nicht vorbereitet.<br />
Vielfach wird in dieser Situation verlangt, der Anwalt,<br />
ggf. seine Berufshaftpflichtversicherung, müsse die<br />
Sicherheit – in der Regel eine Bürgschaft – stellen. Dem ist<br />
allerdings im Ergebnis nicht so. Die Sicherheit hat lediglich<br />
eine vorübergehende Sicherungsfunktion. Wird das Versäumnisurteil<br />
aufgehoben, entspricht das genau der Argumentation<br />
des Schuldner-Mandanten, der Anspruch gegen<br />
ihn bestehe gar nicht. Die Sicherheit ist bei dieser Konstellation<br />
vom Gläubiger an den Schuldner zurück zu gewähren,<br />
dieser steht sich dann wirtschaftlich kaum schlechter,<br />
als wenn ein Versäumnisurteil nie ergangen wäre. Ein<br />
Schaden des Mandanten bleibt nur in der Höhe der Kosten<br />
für die Beschaffung der Sicherheit. Diese, aber nur diese<br />
fallen in der Tat unter das Stichwort Anwaltshaftung. Wird<br />
das Versäumnisurteil dagegen durch streitiges Urteil bestätigt,<br />
so hat der Mandant gar keinen Schaden im rechtlichen<br />
Sinne das Versäumnisurteil entsprach sowieso der materiellen<br />
Rechtslage. Wo aber kein Schaden ist, da besteht natürlich<br />
auch kein Schadenersatzanspruch gegen den Anwalt.