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(193-256) (2,0 MB) - Anwaltsblatt - Deutscher Anwaltverein

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238<br />

MN EUROPA<br />

Montis Bericht über den Wettbewerb<br />

bei freiberuflichen Dienstleistungen<br />

Die Kommission der Europäischen<br />

Gemeinschaft hat am 9. Februar 2004<br />

den Bericht über den Wettbewerb bei<br />

freiberuflichen Dienstleistungen vorgelegt.<br />

Und was steht nun in dem sogenannten<br />

Monti-Bericht? Zunächst<br />

einmal nichts Überraschendes. Dass<br />

ein Spannungsverhältnis zwischen Reglementierungen<br />

der Freien Berufe<br />

und den Wettbewerbsregelungen des<br />

EU-Vertrages besteht, ist nicht neu.<br />

Für Monti ist aber weiter klar, dass aus<br />

wettbewerbspolitischer Sicht Handlungsbedarf<br />

im Bereich der Freien Berufe<br />

besteht, das heißt für konkrete<br />

Deregulierung bei den Anwälten.<br />

Hintergrund<br />

Der Bericht ist Teil eines wirtschaftspolitischen<br />

Reformprogramms,<br />

mit dem die Union bis zum Jahr 2010<br />

zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten<br />

wissensbasierten Wirtschaftsraum<br />

der Welt werden soll. So<br />

hatte es der Europäische Rat im März<br />

2000 in Lissabon beschlossen. Die Generaldirektion<br />

Wettbewerb unter EU-<br />

Kommissar Mario Monti prüft seitdem<br />

die Berufsrechte in den EU-Staaten<br />

und legte im vergangenen Jahr bereits<br />

die sogenannte IHS-Studie vor (siehe<br />

dazu Lühn, AnwBl 2003, 688, und in<br />

diesem Heft Hellwig, Seite 213).<br />

Grundsätzlich Neues?<br />

Im Monti-Bericht identifiziert die<br />

Kommission vor allen fünf Gruppen<br />

von restriktiven Regeln für die Freien<br />

Berufe: 1. verbindliche Festpreise, 2.<br />

Preisempfehlungen, 3. Regeln für die<br />

Werbung, 4. Zugangsvoraussetzungen<br />

und ausschließliche Rechte und 5. Vorschriften<br />

für die zulässige Unternehmensform<br />

und die berufsübergreifende<br />

Zusammenarbeit. Sie hält erneut fest,<br />

dass Regelungen von Berufsverbänden<br />

und staatliche Reglementierungen gegen<br />

EU-Wettbewerbsrecht verstoßen<br />

können. Dabei ist nach Auffassung der<br />

Kommission bei der Überprüfung aller<br />

Regelungen nach dem Grundsatz der<br />

Verhältnismäßigkeit zu verfahren. Sie<br />

fordert, gemeinsame Anstrengungen<br />

zu unternehmen, um nicht gerechtfertigte<br />

Regeln zu reformieren und aufzuheben.<br />

Dabei wendet sie sich an die<br />

nationalen Regulierungsbehörden und<br />

an die Berufsverbände. Sie wird weiter<br />

im Jahre 2005 über die Beseitigung<br />

restriktiver und nicht gerechtfertigter<br />

Regeln berichten. Was bedeutet das für<br />

die Anwaltschaft in Einzelnen?<br />

Neuregulierungen im Berufsrecht?<br />

Der Bericht enthält für die deutsche<br />

Anwaltschaft in vielerlei Hinsicht Brisantes.<br />

Mindestpreise, und damit Gebührenordnungen,<br />

seien regulatorische<br />

Instrumente, die dem Wettbewerb am<br />

meisten schaden könnten und die Vorteile<br />

wettbewerbsfähiger Märkte für<br />

Verbraucher ausschalteten und nachhaltig<br />

beeinträchtigten (s. Ziffer 31 des Berichts).<br />

Vom DAV zur Rechtfertigung<br />

vorgetragenen Argumente, Gebührenordnungen<br />

würden die Qualität der<br />

Dienstleistungen schützen, überzeugen<br />

die Kommission nicht. Festpreise<br />

könnten skrupellose Berufsangehörige<br />

nicht davon abhalten, qualitativ minderwertige<br />

Dienstleistungen zu erbringen<br />

(siehe Ziffer 33). Sie böten keinen finanziellen<br />

Anreiz für Berufsangehörige,<br />

Qualität und Kosten zu verringern.<br />

Außerdem gebe es eine Vielfalt weniger<br />

restriktiver Maßnahmen, um die<br />

Qualität zu sichern und die Verbraucher<br />

zu schützen. Dazu zählten beispielsweise<br />

mehr und bessere Informationen<br />

über freiberufliche Dienstleistungen.<br />

Gerade im gerichtlichen Bereich wird<br />

es aber wohl möglich sein, Gebührenordnungen<br />

zu rechtfertigen.<br />

Ein weiterer Punkt ist, dass die<br />

Kommission ankündigt, das Rechtsberatungsmonopol<br />

auf den Prüfstand<br />

zu stellen. In Ziffer 50 heißt es, dass<br />

eine übermäßige Reglementierung der<br />

Zulassung das Angebot an Dienstleistern<br />

verringere mit negativen Folgen<br />

für den Wettbewerb und die Qualität<br />

der Dienstleistung. In einigen Ländern,<br />

und hier wird Australien zitiert, habe<br />

die Lockerung der Beschränkungen für<br />

bestimmte Berufe zu einem Preisrückgang<br />

ohne offensichtlichen Qualitätsverlust<br />

geführt. Der Bericht nennt einen<br />

Rückgang von 12 % der gesamten<br />

Rechtskosten. Diese Argumentation ist<br />

für die Anwaltschaft gefährlich.<br />

In der Schusslinie der Kommission<br />

steht das Werberecht (siehe Ziffer 42<br />

ff.). Der Bericht weist positiv darauf<br />

hin, dass in Deutschland in den vergangenen<br />

Jahren das Werbeverbot für<br />

Freie Berufe gelockert worden ist. Daher<br />

wohl Entwarnung.<br />

Einem Verbot von bestimmten<br />

Rechtsformen, insbesondere Kapitalgesellschaften,<br />

steht die Kommission<br />

sehr kritisch gegenüber. Zugleich setzt<br />

sie sich für einen one-stop-shop zur<br />

Versorgung des Verbrauchers ein. Auch<br />

hier eher Entwarnung, da bestimmte<br />

Rechtsformen und interprofessionelle<br />

Sozietäten in Deutschland erlaubt sind.<br />

Im Gesamtüberblick? Zumindest<br />

nicht Neu ist die Erkenntnis im Monti-<br />

Bericht, dass wettbewerbsbeschränkende<br />

Regelungen gerechtfertigt werden<br />

können, hier greift die<br />

EuGH-Entscheidung “Wouters“, wenn<br />

sie notwendig für die Verfolgung bestimmter<br />

Ziele sind. Nach dem Grundsatz<br />

der Verhältnismäßigkeit dürfen<br />

allerdings die wettbewerbsbeschränkenden<br />

Wirkungen nicht darüber hinausgehen,<br />

was erforderlich ist, um<br />

eine ordnungsgemäße Berufsausübung<br />

sicher zu stellen. Also doch eine<br />

Chance, das gesamte anwaltliche Berufsrecht<br />

in Deutschland zu erhalten?<br />

Das wäre vielleicht zu früh gegriffen.<br />

Allerdings ist die Anwaltschaft im<br />

Rechtfertigungszwang. Und das nicht<br />

nur gegenüber der EU, sondern auch<br />

gegenüber den nationalen Wettbewerbsbehörden.<br />

Ab Mai 2004 wird<br />

die Durchsetzung der EU-Wettbewerbsregelungen<br />

in den Freien Berufen<br />

hauptsächlich Aufgabe der nationalen<br />

Wettbewerbsbehörden sein.<br />

Fazit<br />

AnwBl 4/2004<br />

Also nur Bedenkliches für das deutsche<br />

anwaltliche Berufsrecht? Wichtig<br />

ist, dass die Anwaltschaft aktiv wird.<br />

Sie muss sich darauf einstellen, dass<br />

die Vereinbarkeit des Berufsrechts mit<br />

den Grundsätzen des Wettbewerbsrechts<br />

zukünftig gründlich analysiert<br />

wird. Wenn Brüssel überzeugt wird,<br />

dass die geltenden Beschränkungen<br />

ein legitimes Ziel des Allgemeininteresses<br />

verfolgen, dass sie notwendig<br />

sind, um dieses Ziel zu erreichen, und<br />

dass es nicht weniger einschneidende<br />

Mittel gibt, ist “grünes Licht“ in Sicht.<br />

Diesen Ansatz kennen wir übrigens<br />

bereits vom Bundesverfassungsgericht.<br />

Rechtsanwältin Dr. Malaika Ahlers,<br />

LL. M., Berlin

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