(193-256) (2,0 MB) - Anwaltsblatt - Deutscher Anwaltverein
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AnwBl 4/2004 247<br />
Haftpflichtfragen MN<br />
9 Urteile zwischen Mietvertragsparteien über Wohnraummietverhältnisse<br />
(Ziff. 7),<br />
9 Unterhaltsurteile (Ziff. 8) und<br />
9 Urteile der Oberlandesgerichte in vermögensrechtlichen<br />
Streitigkeiten (Ziff. 10).<br />
In diesen Fällen gibt das Gesetz den Interessen des obsiegenden<br />
Gläubigers den Vorzug, weil der Schuldner den<br />
Verfahrensausgang entweder selbst zu verantworten hat<br />
(z. B. Versäumnisurteil), weil der Gläubiger dringendst auf<br />
die Leistung angewiesen ist (z. B. Unterhaltstitel) oder weil<br />
das Urteil eine gesteigerte Vermutung der materiellen Richtigkeit<br />
in sich trägt (z. B. OLG-Urteil).<br />
c) Abwendungsbefugnis des Schuldners<br />
Das Gesetz bevorzugt hier schematisch den Gläubiger,<br />
aber bekanntlich gibt es keine Regel ohne Ausnahme. Unter<br />
bestimmten Umständen hat der Schuldner die Möglichkeit,<br />
eine Vollstreckung des Gläubigers ohne Sicherheitsleistung<br />
abzuwenden. Dies aber wiederum nur in bestimmten Fällen<br />
und nur unter besonderen Voraussetzungen. So gibt es bei<br />
den Urteilen nach § 708 Ziff. 1–3 ZPO keine Abwendungsbefugnis,<br />
also z. B. beim Versäumnisurteil und beim<br />
Anerkenntnisurteil. Die Abwendungsbefugnis kommt also<br />
nur bei den Urteilen nach Ziff. 4–11 in Betracht. Die Abwendungsbefugnis<br />
ist von Amts wegen im Tenor auszusprechen.<br />
Im Detail richtet sich die Abwendungsbefugnis<br />
des Schuldners dann nach § 711 ZPO: Der Schuldner kann<br />
durch eigene Sicherheitsleistung (oder Hinterlegung) verhindern,<br />
dass der Gläubiger gegen ihn ohne Sicherheitsleistung<br />
vollstreckt. Es findet dann also keine Vollstreckung<br />
durch den Gläubiger statt, das Leistungsinteresse des Gläubigers<br />
wird bereits durch die Sicherheitsleistung des<br />
Schuldners hinreichend befriedigt. Dies kann allerdings der<br />
Gläubiger wieder dadurch unterlaufen, dass er nun entgegen<br />
dem Grundprinzip des § 708 ZPO doch eine Sicherheit<br />
erbringt, dann darf er nämlich gegen den Schuldner<br />
vollstrecken. Kann der Gläubiger die Sicherheit nicht aufbringen,<br />
will er aber unbedingt vollstrecken, kann ihm die<br />
Verweisung auf § 710 ZPO helfen, danach kann er nämlich<br />
unter bestimmten Voraussetzungen dann doch wieder ohne<br />
Sicherheitsleistung vollstrecken. Hier ist jeweils ein entsprechender<br />
Antrag erforderlich, § 714 ZPO, und zwar vor<br />
dem Schluss der mündlichen Verhandlung.<br />
Besteht ein übergeordnetes Interesse des Schuldners dahingehend,<br />
dass gegen ihn nicht vollstreckt wird (egal, ob<br />
der Gläubiger ohnehin Sicherheit leisten müsste oder nicht),<br />
so kommt § 712 ZPO in Betracht. Der Schuldner müsste<br />
hier allerdings darlegen können, dass ihm ansonsten ein<br />
nicht zu ersetzender Nachteil entstünde. Der Schuldner hat<br />
hierfür die volle Beweislast. Und was vielleicht für den<br />
Schuldner persönlich noch viel schlimmer ist: er muss seine<br />
Vermögensverhältnisse vollständig offen legen. Der praktische<br />
Anwendungsbereich dieser Ausnahmeregelung ist<br />
eher gering. Jedenfalls wäre auch hier ein Antrag gemäß<br />
§ 714 ZPO vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung<br />
erforderlich.<br />
d) Beratungsbedarf<br />
Dieses kompliziert verschachtelte System kann selbst<br />
der Jurist nur schwer verinnerlichen, dem Mandanten ist es<br />
sicher kaum nahe zu bringen. Dennoch muss der Anwalt<br />
auch hierbei die Interessen des Mandanten wahren. Will der<br />
Mandant schon vollstrecken oder vorerst noch nicht? Ist er<br />
eventuell auf die Vollstreckung dringend angewiesen?<br />
Könnte er im Bedarfsfall eine Sicherheit in der konkreten<br />
Höhe überhaupt stellen? Ist eventuell zu befürchten, dass<br />
bei längerem Zuwarten beim Schuldner nichts mehr zu erlangen<br />
ist? Alle diese Fragen müssen letztlich geklärt werden.<br />
Der Mandant von sich aus wird das Thema vermutlich<br />
kaum ansprechen. Der Anwalt wird nicht einfach abwarten<br />
können, ob der Mandant bezüglich der Vollstreckung auf<br />
ihn zukommt. Er muss ihn beraten und ihm seine Möglichkeiten<br />
aufzeigen, genauso aber auf die Möglichkeiten des<br />
Gegners hinweisen. Der Anwalt muss auch erläutern, wie<br />
die Sicherheitsleistung funktioniert. Schließlich kann die<br />
Sicherheit nicht nur durch eine Bürgschaft erbracht werden<br />
– was sicherlich die bekannteste Variante ist –, es kommt<br />
zum Beispiel auch die Hinterlegung bestimmter Wertgegenstände<br />
in Betracht. Der Mandant wird die Art und Weise<br />
der Sicherheitsleistung in der Regel nach seinen persönlichen<br />
Verhältnissen und Möglichkeiten einrichten wollen.<br />
Das wird aber nur zufriedenstellend gelingen, wenn dies<br />
ohne Zeitdruck möglich ist. Es müssen zielgerichtete Anträge<br />
rechtzeitig gestellt werden. Die zeitliche Grenze ist<br />
hierbei immer der Schluss der mündlichen Verhandlung.<br />
Der Anwalt muss also vorausschauend arbeiten.<br />
e) Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung<br />
Zur Anordnung einer Sicherheitsleistung kann es also<br />
auf verschiedenen Wegen kommen. Das Gericht muss die<br />
Höhe und die Art und Weise der Sicherheitsleistung bereits<br />
im Tenor angeben. Der Betrag der Sicherheitsleistung ist im<br />
Vollstreckungsverfahren (innerhalb der Instanz) nicht abänderbar.<br />
Da durch die Sicherheit der Schuldner vor einem<br />
Vollstreckungsschaden geschützt werden soll, muss sie<br />
möglichst sein vollständiges Interesse abdecken und im<br />
Zweifel eher etwas zu hoch als zu gering bemessen sein. In<br />
der Gerichtspraxis ist immer häufiger zu beobachten, dass<br />
nicht ein absoluter Betrag genannt wird, sondern beispielsweise<br />
wird formuliert „in Höhe von 120 % des beizutreibenden<br />
Betrages“. Hier müsste der Anwalt also rechnen.<br />
Über das Sicherungsmittel können im Bedarfsfall Schuldner<br />
und Gläubiger eine abweichende Vereinbarung treffen.<br />
f) Versehen des Gerichts<br />
Fehlt im Urteil ein Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit,<br />
obwohl ein solcher eigentlich erforderlich<br />
wäre, so kann nach § 321 ZPO die Ergänzung des Urteils<br />
innerhalb der 2-Wochen-Frist nach Absatz 2 beantragt werden,<br />
vgl. § 716 ZPO.<br />
g) Besondere prozessuale Situationen<br />
Ist die Berufungsfrist abgelaufen, ohne dass Berufung<br />
eingelegt wurde, so ist da Urteil formal betrachtet rechtskräftig,<br />
vgl. § 705 ZPO. Allerdings kann es sein, dass Wiedereinsetzung<br />
beantragt wird. Theoretisch wäre das Urteil<br />
erster Instanz uneingeschränkt vollstreckbar, der Schuldner<br />
jedoch, der mit seinem Wiedereinsetzungsantrag durchdringt,<br />
hätte das Nachsehen. Hier gibt § 707 ZPO dem<br />
Schuldner die Möglichkeit, einen Antrag auf Einstellung<br />
der Zwangsvollstreckung zu stellen. Sinnvollerweise sollte<br />
der Antrag zusammen mit dem Wiedereinsetzungsantrag<br />
gestellt werden. Wohlgemerkt: Der Antrag nach § 707 ZPO<br />
erfolgt – unter bestimmtem Voraussetzungen – erst, wenn<br />
ein Urteil schon vorliegt. Dagegen sind Maßnahmen nach<br />
§§ 710,711,712 ZPO nur vor Ergehen eines Urteils zu beantragen,<br />
da der Ausspruch der entsprechenden Anordnung ja<br />
bereits in dem Urteil erfolgt.