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(193-256) (2,0 MB) - Anwaltsblatt - Deutscher Anwaltverein

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AnwBl 4/2004 255<br />

Rechtsprechung MN<br />

2. Die Berufung ist begründet.<br />

Dem in zweiter Instanz modifizierten Untersagungsbegehren<br />

des ASt kann nicht stattgegeben werden, weil das von ihm gerügte<br />

Verhalten der AGg kein Abhalten auswärtiger Sprechtage i. S. v.<br />

§ 28 BRAO darstellt und unter diesem Gesichtspunkt nicht gegen<br />

die guten Sitten im Wettbewerb verstößt.<br />

Prüfungsgegenstand des vorliegenden einstweiligen Verfügungsverfahrens<br />

ist allein ein etwaiger Verstoß der AGg gegen das<br />

in § 28 BRAO normierte Verbot des Abhaltens auswärtiger Sprechtage<br />

durch einen Rechtsanwalt. Dies ergibt der in erster und zweiter<br />

Instanz formulierte Unterlassungsantrag des ASt, für den er<br />

ausschließlich die Vorschrift des § 1 UWG i. V. m. § 28 BRAO heranzieht.<br />

Weiterführender bloßer Sachvortrag dehnt den Prüfungsgegenstand<br />

nicht aus.<br />

Im Rahmen des im gewerblichen Rechtsschutz vom 1. Zivilsenat<br />

des BGH vertretenen engen Streitgegenstandbegriffs (BGH<br />

GRUR 2001, 755 – Telefonkarte –; BGH GRUR 2001, 181 – dental<br />

ästhetika –; BGH GRUR 1999, 272 – Die Luxusklasse zum<br />

Nulltarif –; BGH NJW 2003, 2317) obliegt es dem Unterlassungskläger<br />

klarzustellen, was Gegenstand seines prozessualen Begehrens<br />

sein soll und auf welche Verbotsnorm oder Verbotsnormen er<br />

seinen Antrag (ggf. kumulativ oder alternativ) stützen will (vgl. Teplitzky,<br />

Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 8. Aufl.,<br />

Kap. 46 Rdnr. 5). Dies hat der ASt durch die Formulierung seines<br />

Antrags und dessen Begründung in der Weise getan, dass er nur<br />

auf das Sprechtagsverbot abgestellt hat und nicht etwa § 3 UWG<br />

und den Gesichtspunkt der Irreführung durch die praktizierte Anbahnung<br />

der Mandantengespräche ins Feld geführt hat. Demgemäß<br />

erstrebt der ASt keine Überprüfung des beanstandeten Verhaltens<br />

im Hinblick auf eine mögliche Irreführung, auch wenn dieser<br />

Aspekt hier nach dem geschilderten Sachverhalt durchaus nahe gelegen<br />

hätte. Der neue Streitgegenstand hätte im Berufungsverfahren<br />

im Übrigen auch nicht mehr mit Aussicht auf Erfolg in das Verfahren<br />

eingeführt werden können, weil es jedenfalls insofern<br />

offensichtlich an der Dringlichkeit fehlt.<br />

Die nunmehr in der mündlichen Verhandlung v. 2.9.2003 konkretisierten<br />

Verletzungsformen, dass durch eine Nachfrage von<br />

Rechtssuchenden nach einer anwaltlichen Vertretung in der Sozietät<br />

der Streithelfer eine Besprechung für die AGg in den Räumen<br />

dieser Sozietät in K vereinbart und durchgeführt wird (a), sowie<br />

auf Grund des Angebots in der Broschüre der Streithelfer zu 2. bis<br />

4. Besprechungen der AGg mit Rechtssuchenden in den Räumen<br />

der Sozietät der Streithelfer zu 2. bis 4. vereinbart und durchgeführt<br />

werden (b), erfüllen die Merkmale eines auswärtigen<br />

Sprechtages i. S. v. § 28 BRAO nicht.<br />

In der Kommentarliteratur zur Bundesrechtsanwaltsordnung<br />

werden „Sprechtage“ von Hensler/Prütting (§ 28 BRAO Rdnr. 7)<br />

als bestimmte Tage, an denen der Rechtsanwalt außerhalb der<br />

Kanzlei Rechtsrat erteilt, definiert, wobei gefordert wird, dass die<br />

Tätigkeit ein gewisses Gewicht und eine gewisse Regelmäßigkeit<br />

habe. Feurich/Braun (5. Aufl., § 28 BRAO Rdnr. 4) spricht von einer<br />

von der Kanzlei räumlich getrennten Einrichtung, die nur zu<br />

bestimmten Zeiten geöffnet ist. In der Kommentarliteratur zur<br />

1. AVO zu § 1 RBerG finden sich ebenfalls Definitionen des auswärtigen<br />

Sprechtages. Nach Rennen/Caliebe (3. Aufl., § 1 RBerG<br />

1. AVO Rdnr. 21) liegt ein solcher vor, wenn sich der Rechtsberater<br />

zu bestimmten festgelegten Zelten oder jeweils bekannt gegebenen<br />

Zeiten an einem bestimmten Ort außerhalb der Kanzlei aufhält, um<br />

dort Mandanten zu beraten oder neue Mandate entgegenzunehmen.<br />

Bei Chemnitz/Jahnigk (11. Aufl., § 1 RBerG 1. AVO Rdnr. 900) findet<br />

sich eine nahezu gleich lautende Definition.<br />

Dass das wesentliche Merkmal für einen auswärtigen Sprechtag<br />

i. S. v. § 28 BRAO nach den vorgenannten Definitionen darin liegt,<br />

dass er vorher vom Rechtsanwalt festgelegt und bestimmt und<br />

möglicherweise zusätzlich noch so beworben wird, ist vor dem<br />

Hintergrund zu sehen, welchem Zweck die Vorschrift des § 28<br />

BRAO (heute noch) dienen soll. Der Gesetzeszweck des § 28<br />

BRAO besteht darin, dass der Rechtsanwalt grundsätzlich seine Berufstätigkeit<br />

nur von einer Stelle aus betreiben soll, die den Mittelpunkt<br />

seiner Tätigkeit bildet (BGH NJW 1993, 196–199, 1998,<br />

2533). Der Rechtsanwalt soll nur ein Kommunikationszentrum haben<br />

(Feurich/Braun, 5. Aufl., § 28 BRAO Rdnr. 4) und sich nicht<br />

mehreren Kanzleiorganisationen widmen (Schumann, NJW 1990,<br />

2089, 2094). Dahingegen passt der teilweise als Gesetzeszweck er-<br />

wähnte Umstand, dass § 28 BRAO gewährleisten solle, den zugelassenen<br />

Anwalt in der Regel an seinem Kanzleisitz erreichen zu<br />

können (so LG Bonn NJW-RR 2001, 916; OLG Karlsruhe NJW<br />

1992, 1114), nicht mehr in das heutige Berufsbild eines Rechtsanwaltes,<br />

das sich von der Vorstellung, dass der Anwalt ständig in<br />

seiner Kanzlei residieren würde und nur dort erreicht werden<br />

könne, entfernt hat. Insofern stellt Schumann (NJW 1990, 289,<br />

292, 293; vgl. auch in anderem Zusammenhang BGH NJW 2003,<br />

1527) zu Recht darauf ab, dass das Kanzleigebot nicht dahin missverstanden<br />

werden darf, dass es als Pflicht des Rechtsanwaltes aufgefasst<br />

würde, grundsätzlich in der Kanzlei anwesend zu sein.<br />

Trotz der Verpflichtung zur Institution „Kanzlei“ sei die Person<br />

„Rechtsanwalt“ ortsungebunden. Im Gegenteil würde von ihm sogar<br />

von Seiten der Mandantschaft Beweglichkeit erwartet. Insofern<br />

versteht es sich von selbst, dass der Rechtsanwalt im Rahmen seiner<br />

in Art. 12 GG garantierten Freiheit der Berufsausübung Gespräche<br />

mit Mandanten nicht zwingend in seinen Kanzleiräumen<br />

führen muss, sondern an beliebigen Orten führen kann. In Bezug<br />

auf das gerügte Verhalten der AGg gilt es somit eine zulässige Vereinbarung<br />

von Terminen, die außerhalb der Kanzlei durchgeführt<br />

werden, und eine Einrichtung und Praktizierung auswärtiger<br />

Sprechtage voneinander abzugrenzen.<br />

Mit der im Antrag unter a) genannten Verletzungsform sind die<br />

zuvor dargestellten Merkmale eines auswärtigen Sprechtages nicht<br />

erfasst. Der Umstand, dass die AGg Besprechungen mit Mandanten<br />

in den Räumen der Kanzlei der Streithelfer zu 2. bis 4. auf<br />

Grund vorheriger Vereinbarungen zwischen dem Büro der letztgenannten<br />

und dem Mandanten abhalten, erfüllt im Rahmen des<br />

§ 28 BRAO nur das Merkmal der Auswärtigkeit, nicht jedoch das<br />

des Sprechtages. Dass sich ein Rechtsanwalt aus seinen Kanzleiräumen<br />

herausbegeben darf und woanders, auch in den Räumen<br />

von Kollegen, Besprechungen abhalten darf, versteht sich von<br />

selbst und will der ASt wohl auch nicht in Zweifel ziehen. Die<br />

Frage, durch wen solche auswärtigen Termine vereinbart werden,<br />

hat mit der Frage, ob sie sich zu einem Sprechtag verfestigt haben,<br />

nichts zu tun und betrifft eher Irreführungsgerichtspunkte, die hier<br />

jedoch nicht zu behandeln sind. Insbesondere fehlt dem viel zu<br />

weit gefassten Antrag bei der unter a) genannten Verletzungsform<br />

das Abstellen auf die Bestimmung eines oder mehrerer konkreter<br />

Tage, an denen die AGg auswärts zu sprechen wären. Der ASt verweist<br />

in seiner Berufungserwiderung (Seite 7, Bl. 326) darauf, dass<br />

die Mandantengespräche der AGg in den Räumen der Streithelfer<br />

zu 2. bis 4. nach der eidesstattlichen Versicherung der Zeugin S.<br />

stets Mittwochs stattfänden. Dies wäre z. B. ein Anknüpfungspunkt,<br />

der auf einen Sprechtag hindeuten könnte. Wie sehr sich ein<br />

solcher bestimmter Tag, an dem ein Anwalt außerhalb seiner Kanzlei<br />

zu sprechen ist, institutionalisiert haben und beim angesprochenen<br />

Publikum bekannt sein muss, braucht hier jedoch nicht vertieft<br />

zu werden, da der ASt mit seinem Antrag die Untersagung jedweder<br />

Termine, gleichgültig ob sie an bestimmten Tagen stattfinden<br />

oder nicht, ausgesprochen haben will und damit gerade nicht auf<br />

die Bestimmung eines oder mehrerer konkreter Tage abstellt.<br />

Auch die unter b) konkretisierte Verletzungsform vermag für die<br />

Annahme der Durchführung auswärtiger Sprechtage nichts herzugeben,<br />

weil sie ebenfalls im Wesentlichen nur auf die Auswärtigkeit<br />

der Besprechungen abstellt. Soweit diese Besprechungen mit durch<br />

die Praxisbroschüre (der Nebeninterventienten zu 2. bis 4,) informierten<br />

Mandanten stattfinden, kann dieser Werbung nicht entnommen<br />

werden, dass dort bestimmte Tage als Möglichkeit, die AGg<br />

auswärts zu sprechen, angeboten werden. In der Broschüre heißt es,<br />

dass die AGg nach Terminvereinbarung in den Räumen der Streithelfer<br />

zu 2. bis 4. zur Verfügung ständen. Allein die Inanspruchnahme<br />

der Räumlichkeiten der Nebenintervenienten zu 2. bis 4.<br />

durch die AGg führt aber nicht zur Abhaltung von Sprechtagen.<br />

Da die vom ASt gerügten Verletzungshandlungen schon nicht<br />

den Tatbestand des § 28 BRAO erfassen, kann dahingestellt bleiben,<br />

ob diese Vorschrift mit Art. 12 GG vereinbar und verfassungsgemäß<br />

ist, was in der Literatur teilweise (vgl. Kleine/Cosack,<br />

4. Aufl., § 28 BRAO Rdnr. 9) verneint wird.<br />

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Dr. Klaus Hölzle, Kevelaer<br />

Anmerkung der Redaktion: Es handelt sich um ein rechtskräftiges<br />

Urteil im Verfügungsverfahren. Der ASt aus dem Verfügungsverfahren<br />

hat inzwischen Hauptsacheklage erhoben.

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