SOCIETY 377
Die neue Ausgabe des exklusiven Magazins zur modernen Diplomatie mit zusätzlichen Themen wie Events, Lifestyle, Gesundheit und Immobilien.
Die neue Ausgabe des exklusiven Magazins zur modernen Diplomatie mit zusätzlichen Themen wie Events, Lifestyle, Gesundheit und Immobilien.
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
SOCIETY
Diplomatie nach
der Pandemie
In der Diplomatie geht es um die Überwindung
von Distanz. Was wird die COVID19-Krise für
die Zukunft der internationalen Beziehungen
bedeuten?
Wenn die erfolgreichste Strategie zur
Bewältigung der Pandemie im „social
distancing“ liegt und die internationale
Staatengemeinschaft gerade feststellt,
dass alle ihre Mitglieder in der Gesundheits-
und Wirtschaftspolitik vorwiegend
nationale Lösungen suchen, was
bedeutet dies für die Weltpolitik?
Es ist unwahrscheinlich, dass sich alles
ändern wird. Aber viele der bereits
bestehenden Trends werden noch
deutlicher werden. Auch die Diplomatie
wird Wege finden müssen, wie
die global verordnete neue „Distanz“
ganz praktisch bei Verhandlungen
nicht dazu führt, dass es schwieriger
wird, Kompromisse zu schließen und
Gemeinsamkeiten zu finden. Natürlich
können Videokonferenzen den persönlichen
Kontakt nicht ersetzen. Aber es
gibt in der Geschichte der internationalen
Beziehungen viele Beispiele dafür,
wie kreativ die Diplomatie auf sich
ändernde Bedingungen reagiert hat.
Die sogenannten „Sanktionen“ von 14
EU-Mitgliedsstaaten gegen Österreich
im Februar 2000 wegen der Bildung
einer österreichischen Regierung
unter Einbeziehung der als rechtspopulistisch
eingestuften FPÖ führten
für Monate zu einer besonderen Form
des „social distancing“ gegenüber
österreichischen Regierungsvertretern
seitens der anderen EU-Staaten. Man
gab ihnen nicht mehr die Hand, sie
sollten „isoliert“ werden. Diese Form
der Distanzierung wurde nach mehr als
einem halben Jahr nicht dadurch aufgehoben,
dass sich Regierungsspitzen
oder Diplomaten möglichst persönlich
vertrauensvoll in die Augen gesehen
haben, sondern von einem sogenannten
„Bericht der Weisen“. Eine Gruppe
von drei international renommierten
Persönlichkeiten bestätigte in einem
schriftlichen Bericht, dass die damalige
österreichische Regierungspolitik die
europäischen Werte nicht verletzt. Die
Diplomatie wird Wege und Methoden
finden, um auch in der heute aus gesundheitlichen
Gründen notwendigen
„Distanz“ erfolgreich zu handeln. Die
Überwindung von „Distanz“ war und ist
eine Kernaufgabe von Diplomaten.
Die politischen und wirtschaftlichen
Konsequenzen der COVID19-Pandemie
werden bereits vorhandene
geopolitische Entwicklungen verstärken.
Aktuelle Analysen der weltweiten
außenpolitischen Think Tanks zeigen
ein ziemlich eindeutiges Bild pessimistischer
Prognosen:
Die Staatengemeinschaft wird effektivere
multilaterale Verhandlungsmöglichkeiten
brauchen, weil die Rivalität
der Weltmächte zunimmt, ohne dass
ein neues stabiles Gleichgewicht
erkennbar ist. Dies gilt bezüglich der
Währungssysteme, der Organisation
der weltweiten Handelsströme, und
auch bezüglich der internationalen
Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
Der wirtschaftliche Aufstieg Chinas
wird sich fortsetzen. Die Macht der Vereinigten
Staaten nimmt weiter ab.
Das europäische Projekt wird seine
schwierige Suche nach der eigenen
geopolitischen Position fortsetzen.
Russland wird weiterhin auf Rohstoffe
und militärische Stärke vertrauen.
Die Zunahme der Flüchtlingsströme
wird Solidarität in den „reichen“
Ländern noch schwieriger machen. Die
internationale Politik wird noch mehr
„re-nationalisiert“, weil das trügerische
Vertrauen in den Nationalstaat als
Problemlöser gerade wieder fröhliche
Urstände feiert. Liberale Demokratien
geraten weiter unter Druck, weil sie ihre
Versprechungen bezüglich Wohlstand
und Gerechtigkeit nur teilweise erfüllen
können. Die Herausforderungen für
eine Diplomatie, die sich der Sicherung
einer gerechten und möglichst stabilen
Weltordnung verpflichtet fühlt, werden
durch die Pandemie um vieles deutlicher.
Wir leben nicht in einer Endzeit,
einem „end of history“. Vielleicht
enthält diese Erkenntnis, trotz aller
Gefahren, ein Stück Hoffnung.
Text von Emil Brix
Foto: Diplomatische Akademie Wien/Peter Lechner
KOLUMNE
130