HUK 329 Juli 2020
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Stadtgespräch<br />
„Das Monster passt<br />
nicht hierher!“<br />
Nachdem unser Kollege Benjamin Laufer in der Juni-Ausgabe über<br />
die Pläne zum Abriss und Neubau der Sternbrücke geschrieben hatte,<br />
erreichte uns dieser Brief von unserer Leserin Erika Hahn.<br />
FOTOS: DMITRIJ LELTSC<strong>HUK</strong>,<br />
DB NETZ AG/VÖSSING INGENIEUR-GESELLSCHAFT MBH,<br />
HAMBURG BILDARCHIV<br />
Erika Hahn<br />
hatte schon als<br />
Kind eine enge<br />
Beziehung zur<br />
Sternbrücke.<br />
G<br />
estern war ich seit längerer<br />
Zeit mal wieder in der<br />
Stadt, ich wollte zu Y. Rocher,<br />
aber der Laden ist<br />
leer, wird wohl umgebaut. Gleich daneben<br />
ein netter junger H&K-Verkäufer,<br />
mit dem ich ins Gespräch komme. Mich<br />
interessiert, wieso er auf die Straße gekommen<br />
ist. Er erzählt mir seine Geschichte,<br />
er sucht eine Bleibe, hat aber<br />
evtl. Aussicht, etwas Passendes zu finden.<br />
Ich sehe ihn an und denke, er wird<br />
es schaffen, wieder ein „normales“<br />
Leben zu führen. Hätte ich ihm eigentlich<br />
auch sagen sollen. Ich kaufe mir die<br />
Zeitung. Zu Hause lese ich von der<br />
Sternbrücke und bin platt, dass sie<br />
abgerissen werden soll. Nun ja, es kann<br />
ja sein, dass sie nicht mehr sicher ist.<br />
Aber wer denkt sich eigentlich diese<br />
überdimensionale Ersatzbrücke aus?<br />
Das können nur Leute sein, die keine<br />
Ahnung von Altona haben, von der<br />
Bedeutung dieser Brücke!<br />
Ich habe von 1943 bis 1964 in der<br />
Wohlersallee gelebt. Meine Eltern und<br />
ich waren, nachdem wir im <strong>Juli</strong> 1943<br />
ausgebombt wurden (in Eimsbüttel,<br />
direkt neben Beiersdorf) zur Mutter<br />
meines Vaters in die Wohlersallee gezogen.<br />
Wir waren froh, ein 12 qm<br />
großes Zimmer zu bekommen. Das war<br />
eine karge, aber schöne Zeit für mich<br />
als Kind und als Teenie.<br />
Über die Sternbrücke fuhren viele<br />
Züge und nach dem Krieg oftmals die<br />
sogenannten „Kohlenzüge“. Wir waren<br />
alle sehr arm, hatten wenig zu essen<br />
und nichts zum Heizen. Manche Leute<br />
haben die Treppengeländer verfeuert.<br />
Aber zwei- bis drei-mal pro Woche hörte<br />
man den lauten Ruf „Kohlenzug“ in<br />
der Wohlersallee. Sofort Sack oder<br />
Eimer gepackt und zur Sternbrücke<br />
gerannt. Hinauf am Anfang und Ende<br />
der Brücke, die großen Jungs sprangen<br />
auf die Waggons und warfen Kohlen,<br />
Koks, Briketts herunter. Der Zug musste<br />
hier nämlich wegen einer Steigung<br />
die Geschwindigkeit verringern und<br />
schnaufte langsam über die Brücke. Wir<br />
Kleinen sammelten auf, so viel wir<br />
konnten, und rannten nach Hause mit<br />
unserer kostbaren Last. Oft ertönte ein<br />
Pfiff, „Polizei“, sodass man evtl. alles<br />
stehen und liegen lassen musste.<br />
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