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HUK 329 Juli 2020

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Stadtgespräch<br />

Sonja, 59, wohnt in der Kollaustraße,<br />

ganz in der Nähe von Lidl, ihrem Verkaufsplatz.<br />

„Ich hatte so sehr den Drang, zu Lidl zu gehen, aber ich hatte Angst. Ich<br />

habe Asthma und ein Emphysem, da bin ich natürlich sehr gefährdet. Mir<br />

ging es psychisch ziemlich schlecht. Ich habe dann angefangen, das Fami-<br />

liengrab zu pflegen. Nein, das hat mich nicht noch mehr runtergezogen.<br />

Im Gegenteil: Ich habe das für meinen verstorbenen Vater gemacht. Das<br />

bin ich ihm schuldig. Er hatte immer Angst, dass sich niemand drum küm-<br />

mert. Und für mich ist das wie ein Garten. Jetzt bin ich aber wahnsinnig<br />

froh, dass wir wieder Zeitungen verkaufen können. Ich bin richtig aufge-<br />

blüht. Die Kunden haben sich auch so gefreut. ‚Du bist ja wieder da!‘, ha-<br />

ben einige gesagt. Und ein paar Kinder haben sich auch gefreut und ge-<br />

fragt: ‚Hast du uns auch Bonbons mitgebracht?‘ Weil: Samstags bring ich<br />

immer Bonbons mit. Und ein Lkw-Fahrer hat gehupt, als er mich gesehen<br />

hat. Von dem habe ich auch die Maske, den kenn ich, weil ich öfter was<br />

aus dem Weg räume, wenn er kommt.“ •<br />

Frank, 47, schläft hier und da und auf der<br />

Straße, er verkauft meist auf der Reeperbahn.<br />

„Dass es endlich wieder losgeht! Das war ein total<br />

komisches Gefühl, als alles geschlossen war. So<br />

leer habe ich die Reeperbahn noch nie gesehen.<br />

Und dann ohne Geld. Aber ich lasse mich nicht<br />

unterkriegen, das sieht man ja an der Maske: Ich<br />

zeige dem Leben die Zähne. Eigentlich versuche<br />

ich ja immer, einen Scherz zu machen, hab meine<br />

Kapitänsmütze auf und erzähle Seemannsgeschichten.<br />

Aber auf einmal war da niemand<br />

mehr. Keine Kneipe, wo man auch mal ein<br />

Wasser kriegen konnte. Das war mir früher gar<br />

nie aufgefallen: Es gibt nirgendwo einfach mal<br />

einen Brunnen, wo du dir die Flasche auffüllen<br />

kannst. Das geht doch nicht, da müsste man<br />

mal was tun. Es könnte doch auch mal eine Extremsituation<br />

geben, wo man Wasser braucht.<br />

Und dann steht man vor dem Nichts.“ •<br />

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