02.09.2020 Aufrufe

HUK 329 Juli 2020

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Stadtgespräch<br />

Früchte reifen dort nur noch, wenn<br />

Menschen die Insektenarbeit übernehmen:<br />

In Obstbaumplantagen betupfen<br />

sie mit kleinen Pinselchen bewaffnet<br />

Blüte für Blüte mit Pollen.<br />

„Wie viel nach dieser Methode in<br />

Deutschland ein Kilo Kirschen kosten<br />

würde, können Sie sich vorstellen“, sagt<br />

Konrad Ellegast. Seit 40 Jahren ist der<br />

80-Jährige Imker. Eigentlich, weil sein<br />

Sohn als kleiner Junge unbedingt Honigbienen<br />

haben wollte. „Irgendwann<br />

wurde er böse gestochen. Danach hatte<br />

er die Nase voll“, erzählt er. Ellegast<br />

selbst war dagegen so fasziniert von den<br />

Tieren, dass er dem Hobby treu geblieben<br />

ist. Der Bienenfan wurde Kuratoriumsmitglied<br />

der Deutschen Wildtier<br />

Stiftung, und er hat sowohl den Dokumentarfilm<br />

gesehen als auch die Studie<br />

gelesen. Danach war ihm gleich klar:<br />

Das Thema Insektensterben ist „so relevant<br />

wie der Klimawandel“.<br />

Ellegast ist kein Öko, entsprechend<br />

hält er nichts davon, die gesamte Landwirtschaft<br />

auf ökologischen Anbau umzustellen.<br />

Aber „fünf Prozent seiner<br />

Ackerfläche kann jeder Landwirt abzwacken“<br />

und als Bienenwiese anlegen.<br />

So könne ein Netz verteilt über ganz<br />

Deutschland entstehen, möglichst engmaschig,<br />

denn „die Biester fliegen maximal<br />

zwei, drei Kilometer. Es nützt nichts,<br />

Was die Wissenschaft sagt<br />

Für eine Langzeitstudie hat der Entomologische Verein Krefeld zwischen 1989<br />

und 2014 an 88 Standorten in Nordrhein-Westfalen Insektenfallen aufgestellt.<br />

Die darin gesammelten Fluginsekten wurden bestimmt und die Masse aller<br />

Tiere gewogen. Dabei wurde ein Rückgang des Bestandes um 75 Prozent festgestellt,<br />

allein 60 Prozent der im Großraum Krefeld einst heimischen Hummelarten<br />

gelten als ausgestorben. Weitere Infos: www.huklink.de/insektenstudie<br />

Die Studie ist bis heute die einzige wirklich wissenschaftliche Untersuchung,<br />

die das Insektensterben nachweist und die industrielle Landwirtschaft als<br />

Hauptverursacher ermittelt, sagt Dr. Andreas Kinser, stellvertretender Leiter für<br />

Natur- und Artenschutz bei der Deutschen Wildtier Stiftung. Es sei aber plausibel,<br />

dass die Ergebnisse auf das Bundesgebiet übertragbar sind. Derzeit laufen<br />

weitere Studien zum Thema. Weitere Infos: www.deutschewildtierstiftung.de<br />

Mehr zur Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union:<br />

www.huklink.de/EU-agrarfoerderung<br />

hier in Oetjendorf etwas zu machen und<br />

dann erst wieder in Niedersachsen“, sagt<br />

Ellegast. Weil der einstige Vorstandsvorsitzende<br />

der Phoenix AG ein wirtschaftlich<br />

und strategisch denkender Mann ist,<br />

erwartet er nicht, dass die Landwirte<br />

Spendierhosen tragen: „Der fehlende<br />

Ertrag muss kompensiert werden“, sagt<br />

er. „Egal ob von Privatleuten, Stiftungen<br />

oder am besten dem Staat.“ Und um zu<br />

zeigen, wie es funktionieren kann, startete<br />

Ellegast ein Projekt – zusammen mit<br />

der Deutschen Wildtier Stiftung, dem<br />

Rotary Club Ahrensburg und Marktfruchtbauer<br />

Daniel Schulz. Das ferne<br />

Ziel: Mithilfe der Rotary Clubs, die es<br />

weltweit gibt, soll das Projekt national<br />

und international bekannt werden und<br />

Nachahmer finden.<br />

Der junge Landwirt Schulz war sofort<br />

bereit, seinen Acker für zunächst<br />

sechs Jahre in eine Blühwiese umzuwandeln.<br />

Für ihn ist es aber auch eine<br />

reine Win-win-Situation, denn Rotary<br />

zahlt ihm weit mehr als es die EU täte,<br />

wenn der Landwirt eine Fläche nachhaltig<br />

und umweltschonend bewirtschaftet<br />

(zweite Säule der Gemeinsamen<br />

EU-Agrarpolitik). „Da verdiene<br />

ich mehr, wenn ich Weizen anbaue“,<br />

sagt Daniel Schulz. Rotary gleicht das<br />

aus. Zusätzlich entfällt das Risiko eines<br />

Ernteausfalls zum Beispiel durch Dürre<br />

oder Sturm. Und weniger Arbeit machen<br />

die Blumen obendrein: Düngen<br />

und Spritzen ist verboten. Nur einmal<br />

im Frühjahr wird gemäht und jedes<br />

Jahr frisch gesät: „Sonst setzen sich bestimmte<br />

Kräuter durch und dann gibt’s<br />

einen Einheitsbrei“, erklärt Konrad Ellegast.<br />

Von Mai bis Oktober muss es<br />

„Insektensterben<br />

ist so relevant<br />

wie der<br />

Klimawandel.“<br />

INITIATOR KONRAD ELLEGAST<br />

kunterbunt blühen, denn die Tiere<br />

durchlaufen zu unterschiedlichen Zeiten<br />

ihre jeweiligen Entwicklungsstadien,<br />

vom Ei über Larve und Puppe bis<br />

zum erwachsenen Insekt. Da muss der<br />

Tisch reich gedeckt sein.<br />

Die Blumenwiese gedeiht nun<br />

schon im dritten Jahr. Und es schaut gut<br />

aus für die Insektenwelt. Ein Wildbienenhotel,<br />

das der Ex-Manager am<br />

Rand des Feldes aufgestellt hat, war im<br />

ersten Jahr nur mäßig belegt. Im zweiten<br />

waren schon rund 40 Prozent der<br />

Schilfröhren und Bohrlöcher in Holzscheiben<br />

versiegelt. Konrad Ellegast,<br />

der Rotary Club und Daniel Schulz<br />

sind so ein gutes Team, dass in diesem<br />

Jahr eine zweite Blühwiese mit 34.000<br />

Quadratmetern entstehen konnte – als<br />

Sponsoren gewannen sie zusätzlich das<br />

Fahrgastunternehmen Free Now. „Was<br />

gibt es Schöneres, als so eine Bienenweide<br />

vor der Tür zu haben?“, fragt der<br />

Landwirt. Und fügt hinzu: „Es wäre<br />

doch toll, wenn sich hier Nützlinge entwickeln,<br />

die auf das Weizenfeld gehen<br />

und die Schädlinge bekämpfen. Denn<br />

am liebsten würde man auf Pflanzenschutzmittel<br />

ja ganz verzichten – wenn<br />

es was anders gäbe.“ Vielleicht klappt<br />

das ja. •<br />

Kontakt: annette.woywode@hinzundkunzt.de<br />

29

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!