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Blogtexte2019

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Ein riskanter Irrtum bis zu dem Moment,

wo du, gesellschaftlich gesehen, komplett

versagst. Das ist schon vorgekommen. Viele

können sich gar nicht vorstellen, was ihnen

mit ihrer aggressiven Hände und Füße Kraft

möglich ist wie jedermann, und das bedeutet,

wie mit einer Tüte über dem Kopf, Vogel

Strauß zu spielen. Die Leute gehen in ein

Kino, schauen James Bond mit der Lizenz zum

Töten an, der weiß was er tut, der darf das?

Dann ist der Film aus, und die „Tagesschau“

ist ihnen der gleiche Film? Man schaut nicht

länger fern, wir sind stattdessen modern im

Netz unterwegs? Wir wissen Bescheid? Das

Leben ist kein Film. Nicht im Kino, nicht in

der Zeitung, nicht im Fernsehen und nicht im

modernen Internet sind wir.

Wir sind noch selbst die Natur.

Nicht zuzuschlagen und trotzdem frei zu

sein, ist schwierig. In einer Gesellschaft von

gruppenweise verkleisterten Opportunisten,

bedeutet Gewaltlosigkeit nur zu oft eine Art

„kalten“ Krieg gegen jedermann zu führen.

Wer nicht politisch korrekt durchhält und

ausrastet, verliert. Kein Wunder, dass Empathie

und Hilfsbereitschaft zum Marktwert

verkommen. Alle sind nur Prostituierte, wenn

gut zu sein wie ein Wappen ist, mit dem wir

uns maskieren.

Warum treten Menschen aus der Kirche aus?

Wohl kaum, weil sie eingesehen haben, dass

sie selbst jeden Tag ungerecht sind, zu ihrem

Nächsten und nun aufgeben, nach dem Motto,

diese Kirche, sie ist zu anspruchsvoll für mich.

Denken die: Das sind hier alles Gut-Profis neben

mir in der Bankreihe, ich habe unter der

Woche einfach nicht die Zeit dafür, weiter zu

üben, um dieses Level noch neben den Profi-

Gläubigen am Sonntag halten zu können, die

werden bald merken, wie verdorben schwach

und schlecht ich in Wirklichkeit bin, besser,

ich trete schnell aus? Die Menschen wissen

gar nicht was und wie sie etwas tun, sie machen

das, was andere machen.

Möglicherweise ist es eine Anspruchshaltung:

die Kirche, die Vereinsleitung, die Politik,

mein Chef, der Arzt, sie geben mir nicht

genug? Das Ergebnis unserer Konsum gesteuerten

Welt? Ich bezahle euch, also gebt

mir die Befriedigung die der Herr Jesus uns

einst versprochen hat? Das ist nirgends verkehrt

außer in der Kirche. Du gibst dich hin

und bekommst dafür, Glaube ist (wir erinnern

uns) andersherum. Was geben Menschen an,

gefragt warum sie ausgetreten sind? Meinen

Eltern war unter anderem die Kirchensteuer

ein Grund. Sie hatten ein Geschäftshaus gebaut,

waren Kinder des Wirtschaftswunders,

dieser Erfolg zeigte sich so in den achtziger

Jahren, als meine Schwester und ich erwachsen

wurden. Bei kraftvoll anwachsenden

Verdiensten, gleichzeitig den an jeder Ecke

flott steigenden Abgaben zündete ihr Argument:

„Das auch noch zahlen?“ durchaus im

Bekanntenkreis. Wir traten alle vier in kurzem

Abstand aus. Wir fanden das zeitgemäß.

Die verschiedenen Konfirmationen hatten

noch traditionell die Qualität unserer Familie

als gut integriert illustriert. Sie lagen

aber einige Jahre zurück, die Oster- und Weihnachtsfeste

waren bereits kirchenbesuchsfreie

Konsumtage geworden, da gingen wir

leichthin fort. Hat sich das ausgezahlt? Mein

Vater begann zu schimpfen, das machen ja

viele, wenn sie älter werden und es kommt

nicht so sehr darauf an, worauf. Heuchelei

warf er „den Pfaffen“ vor, parallel vermutete

er, die Katholische Kirche wüsste etwas vom

Sinn und Zweck der Welt, ein großes Geheimnis

etwa, wäre im Vatikan gespeichert. So wie

der seinerzeit populäre Erich von Däniken

sich einigermaßen sicher ist, dass wir von

Ausserirdischen besucht wurden.

„Wi lev nich op de erste Welt“, habe „der Alte“

(der bereits verstorbene Vater von meinem

Vater) immer gesagt, und das sollte wohl

noch unterstreichen, dass Papa Willy Bassiner

(genauso wie die Pfaffen in Rom) Dinge gewusst

hatte, die man „uns“ nicht sagte. Bassi’s

Vater war im Krieg nach Spanien strafweise

abkommandiert, nach Internierung. Sein Vergehen:

er hatte lautstark öffentlich gegen

Hitler gewettert: „Dat gift Kriech, de Mann

hat n’ Schaden. In der Mittelmeerfahrt hatte

er (angeblich) einige Heldentaten vollbracht,

als Kapitän des (großen) „Fortiedtje“, einem

(behauptete mein Vater) landesweit bekannten

Hochseeschleppers. Inzwischen überlege

ich, war es vielleicht: „Four Tides“ oder etwas

in der Art?

Maritime Meisterleistungen und Zivilcourage.

Denken wir an Käpt’n Blaubär, der Döntjes

erzählt. Nachts: Im Feuersturm der englischen

Flugzeuge, steht La Spezia in Flammen!

„Kaptein“ Bassiner, „de veerantwortliche

Schipper“ im Geleitzug, löppt mit de

ihm anne Siet gestellten Tankschiffen nich’

ein! Befehlsverweigerung: Kriechsgericht!

Dor kümmt noch bi, he hätt’ de Flak eigenmächtich

wedder afbaut, de se em an denn

Vorsteeven geschruuft harn. Willy har’ dütt

finstre Kriechsgerät e-nfach över Boord

’kippt! He wullt partut nix to doon hebben,

mit denn unmenschlichen Kriech. (Er verhinderte

die sichere Zerstörung vom Geleitzug,

da er erkannte, dass es im Dunkel der Nacht

leicht war, den Angriff auf See unbemerkt abzuwarten,

ging mit ihm anvertrauten Tankern

erst im Morgengrauen in das völlig zerstörte

La Spezia).

Held der zivilen Fahrensleute im Hitler-

Krieg! Er konnte den auf Schiet gelaufenen

Frachter von der Sandbank holen, nachdem

drei spanische Marineschlepper es nicht

schafften. So wurde er im ganzen Land berühmt

(behauptete mein Vater). Der Alte, auch

an Land unerschütterlich, damals: Er hatte,

unten in Spanien, einmal einen Riesenberg

mit goldigem Bargeld, angehäuft auf einem

Tisch, ausgeschlagen. Vorschuss für ein dubioses,

mafiöses und mit der ortsansässigen

Kirche verstricktes Geschäft. In einer Machtund

Wutdemonstration seiner Ehrbarkeit und

Nichtkäuflichkeit, gleich einem betrunken

tobenden Kapitän Haddock, wenn er den Säbel

gegen einen imaginären, roten Rackham

schlägt, hatte er den gesamten Tisch umgestoßen.

Das ganze viele Gold: es kullerte

durch den Raum über den Fußboden. Mit einem

Krachen stürzte der schwere Tisch den

erschrockenen Mafia- und Kirchenpaten vor

die Füße! Das erzählte uns mein Vater gern.

Er war ja nicht dabei. Es blieb dieser Eindruck,

manche wissen mehr, und man sagt es uns

nicht. Vertrauensverlust, vielleicht war das

ein Grund auszutreten? Glaube ist wohl über

das Selbstvertrauen hinaus auch das grundsätzliche

Vertrauen in das Dasein überhaupt.

Die Welt muss einen festen Boden bieten, damit

ich meinem Selbst Dinge zutrauen kann.

Sollte ich vorab sagen, dass ich John Steinbeck,

Conrad, Irving, Böll, Frisch, Watzlawick,

Popper – wirklich alles, was Rang und Namen

hat, rauf und runter gelesen habe, wenn ich

behaupte: Erich von Däniken ist nie blöd

gewesen, der kann schon in der Tradition

von Thor Heyerdahl verstanden werden, das

sind Forscher mit dem Mut, eigene Wege zu

gehen? Sie konnten sich auch selbst damit

finanzieren, weil ihre Ideen plakativ sind.

Was ist schlecht daran? Die Wissenschaft tut

gern wichtig, wenn angestammte langjährige

Fakten hinterfragt werden. (Däniken hat das

Niveau eines Boulevard-Journalisten). Raumfahrt,

wo ist Gott – Verschwörungen? Als zum

Jubiläum der Mondlandung noch einmal der

Start einer Saturn V im Fernsehen lief, habe

ich geweint und mitgefiebert wie damals.

Es wurde auch klar, dass man das nicht faken

kann. Thor Heyerdahl hat sich ernsthaft

forschend und mutig auf seine Fahrten begeben.

Däniken hat mich zumindest mit der

Grabplatte vom Kukumatz nachdenklich machen

können.

Was auch immer war – aus der Kirche trat ich

nicht aus, weil ich nicht glaubte. Mein Grund

war der persönliche Zorn, alleingelassen zu

sein. Weniger von Gott als von meinem Pastor:

Knuth ging nach Afrika, fand die Not dort

größer als in Wedel und kam zurück, um Jutetaschen

auf unserem Marktplatz feilzubieten.

„Jute statt Plastik“, war sein Motto. Wenn

man bedenkt, wie lange das her ist, modern.

Es gab also keinen geregelten Konfirmandenunterricht.

Am Ende einer vollkommen

unstrukturierten Zeit, wurden wir konfirmiert.

Der Pastor hatte sich anfangs der Konfirmandenzeit

einmal vorgestellt, skizziert, was das

Evangelium eigentlich wäre und jedem von

uns eine „Gute Nachricht“, das ist eine halbe

Bibel, in die Hand gedrückt. Er trat erst wieder

an uns heran, als der Tag der Feierlichkeiten

kam: „Meine Hilfe kommt vom Herrn, der

Himmel und Erde gemacht hat.“ Das wurde

mein Konfirmationsspruch. Heute würde ich

sagen, der Herr war weit hinter dem Pluto

in anderen Welten ernsthaft verhindert, und

Pastor Knuth tat wichtige Dinge in Afrika.

Kaum betreut vom jungen Diakon Werner, las

ich einmal in der Woche irgendein Buch der

kircheneigenen Bibliothek weiter, während

der Vertretungspastor in einem Nebenraum

auch irgendwas machte. Es gab dort jede

Menge primitive Sexual-Anleitungs-Bücher!

Wenn ich wieder in der Schule war, musste

ich meinen Freunden Jens und Lenzus neue

Wörter, die ich nun kannte und ihre Bedeutung

(petting), erklären.

„Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“, das war damals

neu. Es ist ziemlich dick. Ich habe es

ganz gelesen, das war mein Konfirmanden-

Unterricht. Vielleicht habe ich deswegen nie

Drogen genommen, war nie für Geld bei einem

Mädchen; als ich im vergangenen Jahr

nun gelegentlich geschäftlich in St. Georg

unterwegs war, ständig angesprochen, ist mir

das wieder richtig bewusst geworden: „Na,

hast du Lust …?“

Mein lieber alter Vater wurde später stark depressiv.

Sein Traum durch „ranklotzen“ recht

bald arbeitsfrei Rentner zu sein, renommierend

herumzulaufen damit, in der Bahnhofstraße

oder am Yachthafen, ganz frühzeitig

die Arbeit generell aufgeben zu können und

nun nur noch segeln zu gehen, kam nicht

leicht in Gang. Erst allmählich wurde das

besser. Mit dem Auto, mit Bus und Freunden

Jul 24, 2019 - Wir sind noch selbst die Natur 15 [Seite 13 bis 16]

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