Blogtexte2019
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andere abhängig machen und manipulieren
können. Wenn es kein Milliardär mit Macht
und Einfluss ist, sondern ein Lehrer, der sich
an seinen Schülern vergeht oder ein Pfarrer
an den anvertrauten Kindern, nehmen wir an,
diese Männer seien krank: Weil sie ein „normales“
Einkommen haben, sind sie krank? So
fragt man nicht. Wie kommen wir überhaupt
darauf, dass sexuelle Unterdrückung krank
ist? Für die misshandelten jungen Menschen
spielt das keine Rolle. Für so jemand ist es
nur scheiße.
Therapie, die das Sexualverhalten ändern
möchte, ist immer fragwürdig: Funktioniert
das überhaupt? Wenn wir ehrlich wären,
die Porno-Flut zeigt es doch, jede Milf-Oma
möchte optisch mit kleinen Mädchen mithalten
und ist unten shaved, weil das irgendwie
besser ankommt. Männer wollen junge
Frauen, das ist nicht krank. Nicht neu. Frauen
müssen auf sich aufpassen. Wer vergewaltigt,
ist ein Verbrecher im Sinne des Bösen, nicht
krank.
Beziehungen von älteren Männern zu jungen
Frauen werden von der Gesellschaft nicht
deswegen angefeindet, weil diese Männer
krank sind, sondern weil Neid eine Rolle
spielt. Die Häme, mit der das Scheitern solcher
Beziehungen einhergeht, spricht Bände.
Und dass diese Beziehungen scheitern, ist
nicht unwahrscheinlich. Ganz viele Beziehungen
halten ja nicht, auch dann, wenn
die Partner gleich alt sind. Die Beziehungen
scheitern gar nicht primär am auseinanderliegenden
Alter. Wir wollen das so sehen, um
lästern zu können und uns über die anderen
erheben. Wenn Minderjährige ausgenutzt
werden, in dem Moment, wo viel Geld im
Spiel ist, reden wir von Machtmissbrauch und
sind noch neidisch auf die Millionen obendrein.
Wenn es der böse Onkel im asozialen
Wohnwagencamp war, nennen wir den krank.
Ich halte das für Quatsch. Auf einen unauffälligen
Nachbarn schauen wir herab, den
Milliardär beneiden wir insgeheim, so kommt
das. Genau so wenig, wie wir Homosexualität
heilen werden, versagen wir beim Therapieren
der anderen sexuellen Abnormitäten.
Oft zahlen wir drauf, wenn der vermeintliche
Therapie-Erfolg ein Trick des „Kranken“ war,
alles von Neuem beginnt.
Psychische Krankheit ist nicht fassbar wie die
Masern. Wir hofieren einen Berufsstand, der
nur zu oft gar nicht weiß, was er tut. Das psychiatrische
Gutachten an sich, ist eine äusserst
fragwürdige Expertise. Wir arbeiten nur
damit, weil es uns wie den alten Seefahrern
mit ihren schlechten Karten geht, den unterentwickelten
Navigationsinstrumenten. Zeit,
besser zu werden!
Ich habe nie damit hinter den Berg gehalten,
dass ich nach meiner Ausbildung an der
Fachhochschule nicht klar gekommen bin
und viel Zeit mit Therapeuten verbrachte,
weil es nicht anders ging. Für mich war Therapie
keine Laune, sondern die Hoffnung auf
Besserung. Heute: Ohne Arzt, ohne Therapie
und ohne Medikamente, ist mein Leben befriedigend,
dass ich überzeugt sage: Ich bin
gesund.
Von einer psychischen Erkrankung wird
niemand geheilt. Das kann man umgangssprachlich
machen, aber fachtheoretisch von
Heilung zu reden, finde ich bedenklich. Bei
einem Knochenbruch mag es noch angehen,
bei einer Grippe ist es nachvollziehbar, weil
die Krankheit so greifbar ist. Die Definition
der psychischen Erkrankungen ist diffus und
der dynamische Prozess der Besserung wird
mit dem Wort Heilung auf eine Art fixiert,
die eine Entwicklung der Betroffenen nicht
darstellt. Wir bemühen dafür das Wort „Heilungsprozess“,
und das geht in die richtige
Richtung.
Die Psychiater, Psychologen und die Pharma
haben seit Freud Fortschritte gemacht. Wer
vor allem dazulernen muss, ist der normale
Mensch: unser direkter Nachbar. Die Gesellschaft
muss sich ihrer stigmatisierenden
Doofheit bewusst werden. Warum? Weil jeder
so krank werden kann, dass es ihn selbst
betrifft oder ein nahes Familienmitglied und
wir uns Unwissen schlicht nicht leisten können.
Soziale Probleme beherrschen uns mehr.
Wir können nicht wegschauen. Psychische
Erkrankungen bedrohen die Gesellschaft wie
die Klimakatastrophe. Der Grund ist derselbe.
Ein Freund sagt lapidar: „Das ist ja auch viel
zu voll hier.“ Die Erde, er meint das Ganze.
Eine Therapie für das Gehirn? Es ist so abwegig,
an eine Heilung psychisch kranker
Menschen zu glauben, wie anzunehmen,
ein bestimmter Arzt könne gut Siamesische
Zwillinge trennen, weil es ihm mal bei zweien
gelungen ist, deren Füße verbunden waren.
Das kommt wohl darauf an, wo genau
die beiden zusammenhängen. Eine Therapie
operiert nicht das Gehirn. Es wird geredet,
was heißt das schon? Der Psychologe macht
nichts heil. Er möchte auf das Verhalten des
Menschen einwirken, den er Patient nennt.
Therapie betrifft den Menschen, nicht nur
das Gehirn. Wenn wir das Gehirn umprogrammieren
möchten, müssen wir auch prüfen, ob
es gelingt. Bevor inflationär mit dem Begriff
Krankheit in unterschiedlichster Form argumentiert
wird, die Zuständigkeit eines passenden
Arztes vernünftig erscheint, darf nie
vergessen werden, wie unscharf jede psychologische
Behandlung (gemessen am Erfolg)
bleibt. Wenn es gelänge, den direkten Nachweis
vom Hilfeansatz im Verhältnis zur erfolgten
Leistung zu belegen, wären wir auf dem
richtigen Weg. Eine gute Behandlung spricht
sich rum. Jeder kennt einen guten Urologen,
Augenarzt oder Chirurg. Solange die Rolle
des Psychiaters im Film treffend mit einem
Sonderling, der selbst seine Probleme nicht
in den Griff bekommt, besetzt wird, hat die
Welt kaum einen Fortschritt gemacht. Einen
„Heiler“, der wirklich etwas wieder gut macht,
würden wir liken. Den würden alle kennen.
Spätestens bei der Diagnose, dem Namen der
psychischen Erkrankung, muss man aufhorchen.
Das ist der Moment, wo etwas wie ein
greifbares Ding erscheint das abgetrennt gar
nicht existiert. Es gibt keine „Depression“. Was
ist ein Minderwertigkeitskomplex? Das kann
eine kleine Titte links oder ein unbedeutender
Penis sein; ein Mann oder eine Frau ist
unglücklich und das diagnostizierte Problem
nicht austauschbar. Es gibt viele Menschen,
die mit ähnlichen Problemen kommen und
behandelt werden, als hätten sie dieselbe
Jacke gekauft. Es werden Menschen behandelt,
nicht Begriffe. Eine Jacke kann ich in die
Hand nehmen, heil machen oder mir eine
neue mit einer anderen Farbe kaufen. Es ist
möglich, dass der Psychologe das weiß und
qualifiziert denkt; der Patient kann das in der
Regel nicht verstehen.
„Die Angst ist ein Tiger, und den musst du
reiten.“ Die Probleme sind altbekannt, auch
wenn die Palette der Diagnosen immer vielfältiger
wird. Ich habe viel gemalt, das hilft.
Ich bekomme mein Leben nicht zurück. Wie
das Mädchen ohne Beine im Rollstuhl, das ich
wirklich gesehen habe, bei „Junge“ in Wedel.
Darum habe ich das gemalt. Einige Sekunden
nur, ein kurzer Film für mich, unauslöschlich.
Ein Stich in mein Herz und eine Träne
in meinem Auge, als ich begriff; dann waren
sie vorbei. Was ist geblieben? Eine Person in
meinem Bild. Wer Beine hat, der nutze sie.
Lauft weg! Ich reite den Tiger – und er frisst
mich nicht.
Weihnachten, die Erinnerung an einen Geburtstag
–
Dez 23, 2019 - Die Angst ist ein Tiger 44 [Seite 43 bis 44]