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Als ich klein war
Okt 19, 2019
Als ich klein war, wohnten
wir im alten Haus. 1976
ließen meine Eltern es
abreißen, bauten dort ein
modernes Geschäftshaus. So groß bauten sie
(und die Bank), dass sie es sich gerade noch
trauten. Sie haben sich viel Geld geliehen,
und mehr Geld noch haben sie zurückgezahlt,
wegen der Zinsen. Unser Haus ist Teil einer
belebten Straße mit Geschäften. Natürlich
haben sich Straße und Städtchen seit damals
verändert.
Als mein Vater klein war, war Krieg. Das alte
Haus wurde von einer Brandbombe getroffen.
Aber mein Papa war nicht in Gefahr. Es war
ja damals das Haus von einem Opa. Er war
als Kind Schafe hüten in Friedrichskoog, auf
dem Bauernhof eines Onkels. Sein
Wohnhaus stand in Hamburg, direkt
am Michel. Es wurde total weggebommt,
und weil man das schon
kommen sah, war Erich rechtzeitig
an die Nordsee verfrachtet worden.
Unser altes Haus war also das
Haus von Opa Werner. Damit ist ein
Großvater von meinem Vater gemeint,
und der war im Keller, als die
Ölfabrik angegriffen wurde.
Eine englische Brandbombe
traf nicht die Mobil-Oil,
sondern die Badewanne von
Opa Werner. Dort ist sie ertrunken!
So kam es nicht zur
Zündung. Werner kam aus
dem Keller, räumte auf und
flickte nach dem Krieg das
Dach. Dieses reparierte Dach, wie ich
es als kleiner Junge im Hintergrund
unsrer Spiele im Garten noch immer in
Erinnerungen vor mir sehe, war rot, fast
orange. Es leuchtet wie damals in der
Sonne für mich, wenn ich nur kurz die
Augen schließe. Ja, es geht mit offenen
Augen, dann aber weine ich.
Ein Drittel vom Dach war schwarz. Dort
schlug damals die böse Bombe hin. Eingeschlagen
hat 1976 auch die große Betonkugel,
die an eine Kette des noch größeren
Menck-Bagger-Kranauslegers angetakelt war.
Die hat gleich das Ganze umgehauen:
Unser Küchenfenster,
den Dachüberstand darüber,
mit den Nestern der vielen
kleinen Schwalben, deren Wiederkommen
ich im Frühjahr
stets so sehnlich erwartet hatte.
Die weiß gekalkten Mauern
mit ihrem kleinstädtischen
Charme, alles weg, ab, runter.
Immer wieder ließ der unbarmherzige
Baggerführer das
Ding, diese riesengroße Kugel,
wie ein Mörderpendel in die
Wände schlagen, bis nur noch
ein großer Haufen Schutt lag. Er hat sicher
Geld dafür bekommen. Baggerfahrer ist ein
Beruf.
Nachbar Frank, nur zwei Jahre älter, hat alles
mit Kamera festgehalten, auf Super-8-Film.
Ich war sechs Wochen in Berchtesgaden.
Angeblich wog ich zu leicht. Sie haben dort
einen Berg mit zwei Spitzen, Watzmann heißt
er, und einen Königssee mit einer kleinen
Kirche. In Sicht unsres Barmer-Ersatzkasse-
Kinderheims war der Unterberg, er ist lang
dahin gestreckt, eckig. Ich stehe wohl immer
noch an der Schaukel im Garten des Kinderheims
und schaue hinauf zum Berg: Weiße
Wolken ziehen langsam und ganz weit oben
entlang seiner
grauen Kanten,
Vorsprünge –
und der Himmel
darüber ist tief
dunkelblau.
Ich sollte, um
vor den anderen
Kindern in
einer Mutprobe
zu bestehen,
ein Mädchen
küssen. Da ich bis zu diesem Tag noch keine
Freundin gefunden hatte, an diesem Ort für
verschickte Kinder (elf Jahre war ich alt), überredete
ich just vor diesem Abend (eindringlich,
beschwörend, wie nötig es sei, dabei zu
sein) ein noch etwas jüngeres, schüchternes
und sehr blondes Mädchen, der das Ganze
recht suspekt war. Sie hat aber mitgemacht,
und dafür bin ich ihr bis heute dankbar.
Ich überstand das Heim, aber als ich nach
Haus kam, war dort kein Haus mehr. Auch
kein Garten. Der Birnbaum, der große Birnenbaum,
der mir immer
der Baum vom Kalle
Blomquist gewesen war,
war weg. Ich lag nicht
detektivisch kombinierend
drunter, wie Kalle
– aber unter seinen
Zweigen stand doch
immer der hellgrüne
Kadett von Herrn von
Holt. Seine Frau war
bei uns Verkäuferin. Wo
würde der nun parken?
Wo der Garten gewesen
war, lag Sand aus dem Loch der Baugrube. Ein
großer Berg, gelber Sand, Lehm und Schutt.
Und ein zweiter Berg dahinter, schwarzer
Mutterboden – zusammen unser eigener
kleiner Watzmann? Drum herum glotzend wir
vier: Meine Eltern freuten sich wie närrisch,
so Großes taten sie doch wohl gerade!
# Als ich klein war, zweiter Teil
Als ich ungefähr drei Jahre alt war, trugen
von meinen Eltern beauftragte Tischler zwei
große weiß lackierte Holztüren durch unser
gewundenes Treppenhaus nach oben in die
Wohnung. Wie diese Männer, die Türen tragend,
den Bogen der Treppe aufwärts neh-
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