Blogtexte2019
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Bei Depression geht es nicht um Traurigkeit,
sondern darum, eine ganze Familie unter
Dampf und in vermeintlicher Schuld zu halten;
das ist aggressiv. Wenn eine junge Frau
sich die Arme ritzt, sucht sie ihre Grenze
wahrzunehmen und ist aggressiv, zunächst
gegen sich selbst. Das übt aber auch Druck
auf Eltern und Freunde aus, man fühlt sich
zum Mitleid gezwungen. In jedem Fall wird
Angst und die Unfähigkeit, sie aktiv gesund
einzuordnen, der Grund sein. Statt kanalisierter
Risikobereitschaft mit einem taktischen
Ziel, das uns gerade deswegen voranbringt,
bahnt sich unklare Aggression den Weg.
Was mich zum Nachdenken brachte, war
seinerzeit der Fehler in der Argumentation
des behandelnden Arztes, ich wäre außerhalb
meiner Krankheitsschübe gesund. Es
ist anzunehmen, dass damit mein Selbstbewusstsein
gestärkt werden sollte. Diese Zeit
könne genutzt werden, neue Erkrankungen
zu verhindern. Das ist uns aber regelmäßig
misslungen. Krank macht, was eindringt wie
ein Virus. Auch verbalisierte oder fantasierte
Risiken. Es geht uns im Kopf rum, Angst fährt
in die Glieder, und einige merken nicht einmal,
wie Angst sich anfühlt. Und zwar, weil
die das Selbst verletzende Angriffe anderer
durch unbewusste und individuell verdrehte
Denkweise geradezu in die eigene Psyche
hineingebeten werden. Abgrenzung heißt
also Abwehr. Dass im Versuch nicht krank zu
werden, Aggression das letzte, aber letztlich
nachvollziehbare Mittel wird, ist für mich nur
zu verständlich. Wem also das Vermeiden
jeder heftigen Reaktion wie in das Gehirn
geschrieben wurde, ein Gebunden sein im
Grundsatz des Ichs, dem wird sich diese Kraft,
wie das Leben selbst, einen Weg bahnen,
ohne nach Verletzlichkeit zu fragen.
Es gibt den ganzen Tag über Handlungen
sich im Lebensweg überkreuzender Personen.
Aus großer Entfernung betrachtet, wären das
nur wuselnde, rempelnde Teilchen. Dass wir
in diesem Prozess noch denken, fühlen und
etwas erwarten, wäre aus der Distanz ganz
unwesentlich. So betrachtet ist hier nur eine
einzige Kraft aktiv. Wie beim Blick auf die
Strudel und Schäume im Schraubenwasser
eines ablegenden Fährschiffs, würden wir
keinem Tropfen im Wasser das Selbst zusprechen.
Jeder einzelne Schluck Wasser müsste
sich allein darum kümmern, seine Individualität
(buchstäblich) nicht zu verwässern. Die eigene
Grenze zu definieren, ist unumgänglich
und ein individueller Lernprozess, wenn wir
nicht die Identität an das Allgemeine verlieren
wollen. Ohne eine eindeutige Definition
des Selbst, kann sich unser Organismus nicht
gesund entwickeln und wird verkümmern.
Ich begann riskanter und mutiger zu werden,
wollte bewusst angreifbar werden, mich dabei
beobachten, wie ich mich individuell in
Schwierigkeiten brachte! Provokation wurde
Methode – das fing schon damit an, die Erkrankung
zuzugeben. Wer nur freundlich tat,
musste ins eigene Messer seines inszenierten
Rufmordes laufen, wenn ich zuverlässig blieb
und die Spekulationen, was ich in Wahrheit
für einer sei, nicht eintrafen. Falsche Freunde
raus! Was habe ich dabei gelernt? Zunächst
den jeweils eigenen Anteil meiner Angst,
also die vielen möglichen Schwierigkeiten,
die sich aus einer Aktivität von mir und dem
gewünschten Ergebnis ergeben können,
wenn etwas nicht klappt. Ich musste mich
mit meinen Erwartungen auseinandersetzen.
Die Erfahrungen waren ernüchternd. Erst allmählich
fand ich einen persönlichen Stil, damit
umzugehen, dass ein von mir erwartetes
Verhalten anderer sich oft nicht erfüllte. Mir
war also nie klar gewesen, wie unzuverlässig
nicht nur das Wetter, sondern eigentlich jede
Wirklichkeitsvorstellung ist. (Malen hilft).
Ausländer kennen Probleme bei der Wohnungssuche
und in anderen Lebensbereichen.
Weniger angesehene Mitglieder der
Gesellschaft werden ebenfalls ausgegrenzt.
Ausgegrenzt sein kränkt, es braucht keine
bessere Erklärung, keine Diagnose oder den
Spezialisten, um zu begreifen, dass einzig die
Fähigkeit innerer Stärke gegen diese Mechanismen
hilft. Die Alternative wäre, die krank
machende Umgebung zu wechseln, aber wohin?
Oder eine Art Schutz zwischen mich und
die angreifenden Belastungen durch andere:
Medikament, Beichtvater, die individuelle
Rüstung? Gut möglich, dass die Pharma so
denkt. Psychische Krankheiten sind traumatisch.
Wenn Selbstbewusstsein zunächst aus
dem Meistern von Schwierigkeiten hergeleitet
werden kann – ich spüre meine Körperlichkeit,
weiß um meinen Verstand, kenne
meine Fähigkeiten, Schwächen, und meistens
gelingt es mir, ein Ziel zu erreichen – dann
wird schnell klar, wie sehr ein unvermeidbarer
Aufenthalt in der Klinik runterzieht.
Ein Teufelskreis, den ich letztendlich nur
ohne die Hilfe der Ärzte durchbrechen kann.
Mit jedem weiteren Tag der Unterstützung
akzeptiere ich eine abhängige Lebenssituation,
und die Krankheit ist die Folge von Unselbstständigkeit.
Innere Stärke kann durch
nichts als den eigenen Lernprozess erworben
werden. Das kann natürlich durch eine Art
coaching unterstützt werden, und selbstverständlich
können Medikamente zeitweise
sinnvoll unterstützen. Gefühle und Sensibilität
medikamentös zu dämpfen, verhindert jedoch
Risiken wahrzunehmen und verlängert
den Weg in die Unabhängigkeit. Wie lange
und wie bindend soll das sein? Aus diesen
Angeboten und Überlegungen ein eigenes
Konzept zu formen, ist der nötige Anteil auf
dem Weg zum gesunden Selbst.
Jede ausgegrenzte Gruppe kann sich untereinander
solidarisieren und daraus Stärke
für den einzelnen formen. Das funktioniert
aber nur, wenn diese Gruppe sich untereinander
sozial verhalten und erkennen kann.
Es liegt auf der Hand, dass Menschen mit
psychischen Krankheiten kaum so effizient
zusammenhalten, wie etwa die afrikanischen
Sklaven, die in Amerika noch heute diesen
Prozess ihrer Befreiung weiter und weiter gehen.
Die Schuld liegt in der Hautfarbe? Da ist
klar, dass die Farbe der Schuldigen weiß ist.
Es wird schwieriger, wenn der Unterschied
nur ein wenig größer ist als die Farbe der
Haut, das liegt auf der Hand.
Wenn Männer mit Männern Liebe machen,
Männer mit Kindern Liebe machen; die Gesellschaft
mobbt nicht grundlos. Es geht um
den Zusammenhalt der Gesellschaft insgesamt.
Inzucht wurde als Problem erkannt
und verboten. Gleichgeschlechtliche Liebe
haben Generationen als krank empfunden,
und das sehen wir heute anders! Wir konnten
uns dazu durchringen, ein drittes Geschlecht:
„Divers“ mit einem Wort zu benennen, diese
Menschen gibt es in großer Zahl, überfällig.
Wir können Sex mit Kindern weiter nicht zulassen
– und in der Skizze dieser Aufzählung,
sollte ein flexibel denkender Mensch die
wahren Errungenschaften unserer Zivilisation
begreifen. Es ist nicht einfach, tolerant zu
sein. Unterscheidungsfähigkeit muss gelehrt
und diskutiert werden: Wir geben dem Bettler,
aber wir verschließen unsere Haustür.
Das Problem der psychisch Kranken ist, dass
sie durchaus zu Recht ausgegrenzt werden
und zudem nicht fähig sind, sich zu solidarisieren,
Gefahr ist im Verzug. Helfen bedeutet
in jedem Fall sich einzulassen, bestimmt
mehr als auf eine andere Hautfarbe. Missbrauch
der Helfer kann problematisch sein:
Ärztepfusch wird in Zahlen belegt. Soundso
viele wurden falsch operiert, am Darm, am
Rücken, am Auge – wer wurde falsch therapiert?
Wer sich nicht wehrt, wird unter den
Tisch gekehrt. Darüber steht nichts in den
Statistiken am Jahresende. Die besten Chancen
hat ein psychisch Kranker, wenn er nicht
mehr krank wird. Dann bleibt weiter die nicht
änderbare Vergangenheit, die unter Umständen
unvermeidlich bekannt ist, und das ist
eine Herausforderung! (Ich nehme sie täglich
an).
Heute gibt es nicht selten als Antwort auf die
Frage, die Jungs früher mit: „Lokomotivführer“
und Mädchen mit: „Verkäuferin“ beantwortet
haben: „Erst ein soziales Jahr und dann studieren.“
Seitdem wir einen Job suchen, mit
dem Partner zusammen und ein Arbeitsplatz
für uns geschaffen wird, gibt es die Welt von
gestern nicht mehr. Ein Buchtitel von Stefan
Zweig, ich habe das gelesen: Berufen und
verheiratet war man.
Meine Mutter verwendete noch die Anrede
„Fräulein“ selbstverständlich, wie die Engländer
„Miss“ sagen. Niemand möchte zurück
in eine Zeit, die nur von Menschen verklärt
wird, die darüber den verbalen Beschiss, den
jede Epoche auf ihre Art hatte, ausblenden.
Immer wieder werden junge Menschen von
Erwachsenen getäuscht, auch wenn es gar
nicht beabsichtigt ist. Erwachsene verstehen
die Realität genau so wenig. Gerade ältere
Leute können oft nicht nachvollziehen, dass
Jugendliche sich Fragen stellen, ob sie überhaupt
eine Zukunft haben. Eine Wirklichkeitsauffassung
ist ein Instrument zur Navigation.
Sie ist nur so gut wie die Seekarte, nach der
das Schiff gesteuert wird. Das Unglück, ein
psychisch krankes Wesen heranzubilden beginnt,
wenn das Kind die Dinge genau wissen
möchte, die seine Umgebung mit einer
Erklärung befriedigt, die nur dem nützt der
sie verbalisiert. Die Eltern reiten ein Pferd
durch die bekannten Wiesen, schenken ihrem
Kind gleich ein Flugzeug, drücken ihm die
Flurkarte vom Gelände neben dem Hof in die
Hand – und der Lütte hebt ab – fliegt, allein
im Cockpit, hinter dem Wald über das offene
Meer in die Nacht; so etwa.
Manche finden sich zurecht, andere weniger.
Opa wird noch stutzig, wenn die Enkeltochter
antwortet: „Ich möchte studieren.“ Er hakt
nach: „Was denn?“ Eltern, Freunde und das
Mädchen selbst, sie schieben den Zeitpunkt
selbstverantwortlicher Existenz gern auf. Die
Welt lebt davon, Schulden zu machen. Die
Absichtserklärung ist salonfähig geworden.
Die Wahrheit wird durch „Fake-News“ ersetzt,
wir haben ein neues Wort dafür – und müssen
deswegen nichts mehr tun? Das macht
die künstliche Intelligenz für uns, und Elon
Musk fliegt zum Mars. Senkrechtstarter wie
er, ziehen an der Masse typischer Schulabgänger
vorbei, das ist nicht neu, und wir können
annehmen, dass der entspannte Weg in
das Leben seine guten Seiten hat. Aus gutem
Okt 16, 2019 - Nachgeschenkt 23 [Seite 21 bis 26]