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Blogtexte2019

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Motivation, von Oelke bis Teufel

Nov 9, 2019

Er könne nur infizieren – seit sich das Wort

„Motivation“ als wichtige Komponente im

Unterricht etabliert habe, sei die Vorstellung

präsent, es ließe sich auch Lust lehren

– meinte Siegfried Oelke in einem kleinen

Aufsatz. Oelke war damals Professor für Illustration

an der Armgartstraße, der Fachhochschule

für Gestaltung in Hamburg. Er selbst

hatte seinerzeit bei Alfred Mahlau studiert.

Einige, die später bekannt wurden, Horst

Janssen oder Loriot (Vicco von Bülow), waren

bei Mahlau gewesen.

Ich kam nicht dazu, bei Oelke Illustration zu

studieren. Er starb, bevor ich den ersten Studienabschnitt

beendet hatte. Er unterrichtete

ausschließlich im zweiten Teil des Studiums.

Dafür musste man die Zwischenprüfung bestanden

haben und ungefähr vier Semester

dort gewesen sein. Dazu kam, ich wusste gar

nicht, wer das ist. Siegfried Oelke war ein geschätzter

Lehrer und Kollege, der zu meiner

Zeit an der Armgartstraße bereits viele Jahre

lang unterrichtet hatte. Mit Gero Flurschütz

und Otto Ruths, dem langjährigem Sprecher

der Schule und ihrem gemeinsamen Freund

Martin Andersch, gaben diese Dozenten der

Fachhochschule maßgeblich die Form, die sie

hatte, als ich dort studierte. Flurschütz war

auch Student bei Mahlau gewesen, zeitlich

etwas nach Horst Janssen, und ich erinnere

Anekdoten. Gero hat gern von früher erzählt,

wir haben viel Zeit miteinander verbracht.

(Bei Gero Flurschütz habe ich schließlich Informative

Illustration studiert).

Bei Mahlau war es besonders, der war nicht

irgendwer. Janssen, der fertige Student und

beeindruckende Zeichner, kam noch gelegentlich

zum Unterricht, besuchte seinen

alten Lehrer und verbliebene Kommilitonen

– kam möglicherweise auch, um eine Freundin

zu treffen oder eine neue dort an der

Hochschule zu finden, in der nachwachsenden

Generation – und ich habe auch eine Beschreibung

davon, wie Mahlau unterrichtete.

Die Studenten kamen einmal in der Woche

zusammen. Die neu angefertigten Arbeiten

wurden an die Wand gepinnt, so dass alle sie

sehen konnten. Mahlau sagte nichts dazu. Er

zeigte nur wortlos auf einige Bilder, hängte

diese möglicherweise um, an eine exponierte

Position abseits der anderen, und die Schüler

mussten sich selbst einen Reim drauf machen,

was das zu bedeuten hatte. Waren diese

Entwürfe gut? Sie mussten sich an Hand der

sparsamen (Belehrung kann man ja eigentlich

gar nicht sagen) selbst ein Urteil bilden.

Ich kann nicht beschreiben, wie der Unterricht

bei Oelke, dem inzwischen selbst bekannten

Mahlau-Zögling, ablief. Ich habe ihn nur ein

einziges Mal getroffen, und ich wusste nicht,

dass er ein von vielen bewunderter Professor

war. Von Mahlau und den erwähnten Geschichten

wusste ich anfangs genauso wenig,

woher auch. Ich war neu bei Martin Andersch

angefangen. Das muss zu einer Zeit gewesen

sein, wo ich „Sie“ und „Herr Andersch“ oder

„Professor“ zu ihm sagte, das war eine Respektsperson

(und alt); der Bruder von Alfred

Andersch, dem Schriftsteller. Martin ist schon

viele Jahre tot, starb gleich nach der Pensionierung

und ich denke noch oft an gemeinsame

Momente dieser Zeit zurück. Er wurde ein

Freund; und das kam, weil ich seinen Sohn

schon vorher vom Segeln kannte, aber nicht

wusste, dass der Vater Professor für Schrift

und Buch war.

Bei Martin Andersch lernten wir „Humanistische

Kursive“ mit Feder und Tinte schreiben.

Wir nahmen auch Aquarellfarbe aus der Tube,

die wir mit Wasser entsprechend verdünnten.

Wir mischten die Farbe, bis sie eine gute

Fließkraft hatte: satte Farbtiefe, aber leichte

Gleitfähigkeit der Feder auf dem Papier. Martin:

„Scriptol ist Schlamm, und mit Schlamm

kann man nicht schreiben.“ Die Federn schliffen

wir auf einem Arkansa-Splitter, brannten

sie ab vor der ersten Benutzung und lernten

so einiges. Wir schnitten Schilf zu Rohrfedern.

Der Professor: „Das Rohr schneidet man von

November bis März.“ Wir schrieben mit Material

das wir uns selbst erst dafür suchen

mussten: Glasscherben, Steinsplitter, Äste

aus dem Garten der Wartenau oder steife

Pappschnipsel: „Schriftzeichen ohne Bedeutungsinhalt“;

und das sah aus wie chinesisch.

Ein ganzes Buch habe ich layoutet und einen

Dummy davon gebastelt. Ich beschrieb ein

riesiges Blatt edles Papier mit einem Kapitel

aus „Spiegel der See“ von Conrad. Martin: „Eines

der schönsten Bücher, die es gibt“, und so

haben wir uns näher kennen gelernt.

Er holte ein Foto von einer Jolle aus seiner

Tasche. Das Boot kannte ich, es war der alte

Holzpirat von einem Freund, der war gerade

verkauft, und ich wusste an wen, aber nur den

Vornamen. Das war Martins Sohn, nur wenig

jünger als ich selbst. Als ich das große Papier,

meine Semesterarbeit beschrieben hatte,

wollte ich das ganz besonders gut machen.

Ich konnte nicht ahnen, dass der Professor

Ahnung von Schiffen hatte, aber es sollte

ein schöner Text sein. In der Mitte vom Blatt

sparte ich die Worte aus und zeichnete einen

Dreimaster hinein. Ich schrieb exakt Wort für

Wort nach Conrad über das Ankern und den

Unsinn, den die Journalisten mit der Seemannssprache

machen. „Fallen Anker!“ oder

englisch einfach: „Let go!“ heißt es. (Da wird

nicht geworfen). Danach tat mir ein ganzes

Jahr lang der Handwurzelbereich

meiner guten rechten Mal- und

Zeichenhand weh. (Dreimal habe

ich das Papier beschrieben, und

erst mit der dritten Fassung war

ich leidlich zufrieden, so dass ich

mich traute, diese dem Prof. zu präsentieren).

Einmal war Siegfried Oelke zu Besuch

beim Kollegen Andersch und

beklagte sich bitterlich über irgendwelche

Idioten, die etwas nicht

begriffen hatten, was er im Auftrag

gezeichnet hatte. Dazu zeigte er

seinem Freund einen Druck und

wies auf Stellen hin, an denen er

Konturen mit der Umgebung hatte

verschmelzen lassen, und jemand

hatte etwas in der Art: „Was soll das

sein?“ dazu gesagt. Das war mein

einziges Treffen mit Oelke, und ich

habe erst später begriffen, dass er

das war. Ich dachte naseweis: ich

kann’s auch nicht erkennen; sagte

aber nichts. Später habe ich alles

verschlungen, was ich von Oelke

bekommen konnte, Publikationen

und Drucke, Illustrationen. Ich habe

mich stets von seinem Stil, mit dem Bleistift

zu zeichnen, leiten lassen. Natürlich habe ich

die ganze Zeit bei Otto Ruths gehört, wie es

zu machen sei, aber der optische Selbstunterricht,

wie ich gern wollte, dass es bei mir

werden sollte ist von Oelkes Zeichnungen

geprägt.

Busch. Das war auch einer, den alle kannten,

aber der war zu meiner Zeit bereits nicht

mehr an der Armgartstraße. Er starb, kurz

nach dem ich zu studieren begonnen hatte.

Den habe ich auch nur einmal gesehen.

Er kam, alt und angeschlagen, auf Krücken

vorbei, am Flurende oben zum Raum dreihundertirgendwas,

wo wir immer zeichneten,

seinen Freund Otto zu besuchen. Später

begriff ich, dass ich den bekannten Grafiker

Wilhelm Busch „in echt“ gesehen hatte. Der

zeichnete mit Kugelschreiber als sein liebstes

Werkzeug. Das ist nicht jedermanns Ding.

(Ich habe jetzt mehrere Skizzenbücher damit

gemacht, als Herausforderung nicht korrigierbar

klarzukommen; Busch illustrierte

aus der Vorstellung mit Kugelschreiber, wo

es eigentlich weniger nutzt und ein Bleistift

gute Möglichkeiten bietet, sich einer Idee an-

Nov 9, 2019 - Motivation, von Oelke bis Teufel 35 [Seite 35 bis 39]

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