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Blogtexte2019

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Du musst es wirklich wollen?

Mai 14, 2019

Es ist nicht verkehrt, sich nach einem Grund

auf die Suche zu machen, wenn man etwas

nicht versteht. Nach „dem“ Grund, sollte hier

eventuell stehen, um genau zu sein. Ein Leben

voller Ausflüchte, ein Leben auf der

zwanghaften Suche nach Lob und Anerkennung

ist die normale Alternative. Die Suche

nach dem, was uns bedrückt, irritiert oder

verstört, kann von einer Flut von Eindrücken

verdrängt werden. Sie verstellen wie dichtes

Urwaldblattwerk den Blick auf ein hartnäckiges,

kleines Problem: Ein schwarzes Loch im

All, ein weißer Fleck auf unserer Karte, die

eigene Macke! Schwer erkennbar, weil sie so

vertraut und gewohnt ist.

Aus dem Malen heraus habe ich gelernt, meinen

Alltag angenehmer zu machen. Angenehm

bedeutet nicht entspanntes Glück die

ganze Zeit. Es bedeutet, im Zulassen von Zorn

und Angst in der Bandbreite möglicher Gefühle

Unterschiede zu bemerken, und das ist

(in dieser Summe) mehr als angenehm. Vielen

bleibt das Glück vollkommener Emotion

verbaut, durch den Rahmen von Gewohnheit,

Erziehung und gesellschaftlichen Zwängen.

Unangenehme Dinge ereignen sich nun mal.

Menschen gefällt es nicht, unglücklich zu

sein oder ärgerlich. Man kann lernen, sich

für Kummer nicht niederzumachen. Peinliche

Dinge möchten viele gern vermeiden, und

Gewalt ist verpönt. Auf der anderen Seite

kommen wir tagtäglich in Situationen, die

nicht einfach sind. Umgebung und die notwendigerweise

anzusteuernden Stationen

auf unserem Lebensweg, weil einiges unserer

Vergangenheit uns festlegt, bestimmen den

Lebensweg mit und beschränken unseren

Willen und unser Geschick zum Glück.

Manchem reicht banaler Zwang, um in der

Behörde durchzuknallen: Ich benötige vielleicht

einen neuen Personalausweis, weil

der abgelaufen ist? Schließlich ist der Ausweis

in der Ausgabestelle der städtischen

Behörde eingetroffen. Ich gehe (am Folgetag

nachdem ich darüber informiert wurde) auf

das Amt und hole den neuen Personalausweis

ab. Es gibt genug Beispiele dieser Art,

bei denen wir verpflichtet sind, etwas zu tun.

„Ohne Krankenversicherungskarte ist man

kein Mensch“, sagte mir einmal der vertraute

Arzt, das war ironisch gemeint? Unser Wille

wird gern beschworen, aber die anderen um

uns herum wollen auch einiges. Oft können

wir uns dem nicht entziehen. So ist es wenig

verwunderlich, dass sich Situationen

zuspitzen, weil eine beteiligte Person von

einer dumpfen Umgebung unbemerkt an ihre

Grenze und darüber hinaus verschoben wird.

Die allgemeine Gesellschaft: Sie möchte gar

nichts dafür können, wenn jemand aus der

Haut fährt?

Auch sonst (in der Medizin und anderswo)

gern getan, der pseudodetektivisch kluge,

aber isolierte Blick: Zwei Bandscheiben verkeilen,

und doch ist die ganze Wirbelsäule

schlecht gehalten, warum sehen wir nur die

schadhafte Stelle an? Ein einzelner Mensch

wird zum Fehler vom Dorf schlechthin hin

vorverurteilt. Jeder kennt ihn, und jedes Dorf

hat einen Apfelfestbomber oder Reichsbürger.

Niemand der integrierten anderen will

irgendwie dran mitschuld sein, sagt mit

Überzeugung, das ist er: der Spinner. Was

tun? Zu lernen ist, sich das Ausrasten selbst

nicht so übel zu nehmen. Eine gewaltfreie

Welt ist nicht erreichbar, war nie da und wird

nie sein. Sie ist weniger als eine Utopie, sie

ist schlichtweg eine dumme Ideologie, mit

der man kleine Mädchen in die Klapse treiben

kann. Verurteilen ist leicht, verstehen

ist schwieriger. Die Gefängnisse sind stets

gut gefüllt, und fragen Sie mal rum, die

meisten finden das gut. So viele Gute leben

Seite an Seite mit mir, die würden nie in die

Lage kommen, gerichtlich verurteilt und gar

weggesperrt zu werden. Sie sind sich scheinbar

sicher: „Das hat sie (die!) auch verdient“,

meinen viele, wenn das Gespräch auf einen

bekannten Fall kommt. Bei näherer Bekanntschaft

fallen Verurteilungen wackliger aus.

Nicht jeder hat gleich einen Mörder oder eine

Hochstaplerin Anna im Bekanntenkreis. Aber

eine depressive Mutter, den manischen Onkel,

der im Zwang auch mal ernsthaft Geld verbrennt

oder ein anderes irgendwie inkorrektes

Mitglied, das gibt es in jeder Familie. Ein

auffälliges Kind, das kommt vor. Ich möchte

in Erinnerung rufen, dass wir alle Menschen

kennen, die Anlass dazu geben, nachzufragen

warum etwas so ist: bei mir oder uns. „Warum

ich, warum bekomme gerade ich so ein

Kind“, sagt eine Freundin, „in ganz Hamburg

ist niemand mit diesem Gendefekt. Deutschlandweit

ein paar nur, so selten ist es. Und ich

wusste nicht einmal, dass ich das habe, warum?“

Das sagt sie mit normaler Stimme, aber

für mich klingt es wie ein Schrei. Du darfst

schreien, denke ich.

Anderen scheint weniger wichtig, warum irgendetwas

ist, sie leben einfach. Wenn wir

uns jedoch fragen „wie“ wir etwas machen,

bedeutet es genau zu beobachten und dem

Sachverhalt nachzuspüren. Wer zu fragen

beginnt: Wie kommt das? macht die überraschende

Erfahrung, näher an die Antwort auf

die Frage zu gelangen: Wie kann das sein?

und das ist beinahe ein: Warum nur? Wie

male ich ein großes Bild? Es mag wie Haarspalterei

scheinen, wie und warum auseinanderzuhalten.

Warum lebe ich, warum wurde

ich in Wedel geboren, warum regnet es, so

etwas lässt sich nicht gut beantworten. Wie

ich beim Malen vorgehe, ich kann mich das

fragen und eine einigermaßen treffende Antwort

finden. Wenn ich darauf achte, wie ich

etwas mache, komme ich dem eigentlichen

Grund warum ich’s tue näher. Ich weiß, wer

ich bin, was ich kann und was nicht. Kenne

meine Position, meine aktuelle Richtung und

erinnere, wo ich hergekommen bin. Es gibt in

einem Buch von Max Frisch diesen (wiederkehrenden)

Satz: Ein Mann (oder jemand, das

erinnere ich nicht so genau) hat eine Erfahrung

gemacht, wo ist die Geschichte dazu?

Das habe ich gelesen als ich jung war. Das

ist doch ein Widerspruch, hat da jemand sein

Gehirn zuhause liegen lassen? Wenn ich eine

Erfahrung mache, weiß ich was ich erlebte.

Nur wer sein Erleben reflektiert kann das in

Erfahrung verwandeln, und die anderen bleiben

eben doof, sie erleben bloß. Das ist doch

gerade, was den reifen Menschen vom Idioten

unterscheidet. Ich muss wissen, wie es

war – und dann erst erfahre ich mich selbst.

Frisch will uns hinters Licht führen, so sind

Schriftsteller. Er behält seinen Scheiß für sich

und möchte trotzdem petzen, das ist es.

Heute verwende ich Leinwände, die ich fertig

bespannt und weiß grundiert im Fachhandel

kaufe. Ich habe mehrere Bilder im

Format 100 x 120 cm gemalt, sind das große

Bilder? Klar, man kann größere Formate

bemalen, und einige kommen über 30 x 40

cm zeitlebens nicht hinaus. Größe ist relativ.

Als ich das Bild „Schenefeld Dorf“ malte, in

tatsächlich 70 x 120 cm, war ich schon stolz,

das geschafft zu haben. „Wer soll denn so

ein großes Bild kaufen“, meinte meine Mutter

dazu. (Das Bild wurde verkauft). Ich habe

schon im Text „Warum malen?“ zu begründen

versucht, wie sich mein Antrieb, überhaupt

zum Malen gekommen zu sein, herleiten lässt

und ein wenig befriedigendes Textfragment

fabriziert. Klar, ich war seit meiner Kindheit

talentiert, bin dabei geblieben, meiner Neigung

treu geblieben, malend schließlich dort

angekommen, wo ich nun bin.

Kommen wir zum wie, und da kann ich erzählen,

dass ich im Studium an einem Bild

in ungefähr dieser Größe, mehr als einen

Meter breit und hoch, gescheitert bin. Dieser

„Schinken“ (so nannte meine Oma ein großes

schwer gemaltes Ölbild, wie es vielleicht bei

irgendeinem Onkel im Wohnzimmer hängt)

steht umgedreht im Keller des Hauses meiner

Eltern und wird möglicherweise bald

einer Entrümpelung zum Opfer fallen. Inzwischen

scheitere ich nicht mehr am Format,

alle späteren großen Bilder wurden fertig.

Man muss es wirklich wollen. Diese nicht

wirklich zu erforschenden Gedanken warum

ich male, mischen sich hartnäckig in solche

hinein, die pragmatisch beschreiben, wie ich

das mache, warum? Insofern, ich habe das

schon angedeutet, halten wir einen Schlüssel

zu unserem Herzen, zu unserem Selbst in der

Hand, wenn wir dieses Denken als nützliches

Instrument besserer Orientierung begreifen.

Die Bewusstheit meines Tuns ist mein individuelles

Navi.

Ich könnte einfach behaupten, na ja, links

oben fange ich an zu malen und rechts unten

in der Ecke bin ich nach drei Wochen fertig,

Mai 14, 2019 - Du musst es wirklich wollen? 9 [Seite 9 bis 12]

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