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Blogtexte2019

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diszipliniert geschrieben. Der Autor setzt

sich einem selbstgeschaffenen Zeitplan aus,

schreibt ein immer gleiches Pensum am Tag.

Würde er sich hinreißen lassen und mehr fabrizieren,

könne er am darauffolgenden Tag

nichts zu Papier bringen, meint er. Das kennt

er schon aus Erfahrung mit sich selbst. Setzt

er hingegen einen Tag lang mit dem Schreiben

aus, empfindet er gleich belastenden

Zeitdruck, da sein Verleger vorab in Kenntnis

gesetzt ist, was Forester thematisch und wie

viele Seiten stark zu einem bekannten Termin

ungefähr abliefern wird.

Von John Irving wird erzählt, dass er typischerweise

einige Sätze oder eine Seite vom

Schluss der Geschichte zu Beginn notiert.

Auch dieser Schriftsteller entwickelt sein

Thema im Kopf, fängt nicht mal so an, was

aufzuschreiben. Zu wissen, wo man hin will,

ist von Vorteil. Genauso Edward Hopper, der

sagt: „Wenn ich mich an die Staffelei setze,

ist schon alles erledigt.“ Das sind Künstler, die

innere Disziplin zu schätzen wissen. Es gibt

andere Wege zu einem Ergebnis zu kommen:

Der „Herr der Ringe“ hat sich als Trilogie von

Weltrang während der Schreibarbeit verselbstständigt,

wie auch der Film „Casablanca“,

wo die Macher nicht recht wussten, wie

die Sache enden sollte. Das erfolgreiche Duo

aus Hans Albers und Heinz Rühmann behakte

sich in der Umsetzung der Szenen, die Albers

gern frei heraus anging und Rühmann auf

den Schritt genau plante. Charlie Chaplin im

Film und Artie Shaw in der Musik, sie waren

Perfektionisten und kein studierter Psychologe

würde ihr Arbeitsverhalten empfehlen.

Ich war ja nicht dabei, aber Anekdoten haben

mich immer interessiert. Meiner Auffassung

nach ist Kunst absolut persönlich, also gerade

nicht sozial; auch in einer Band muss

der einzelne seinen Teil für sich beherrschen.

Sich kennen lernen: Was mag gerade ich, was

kann ich – wo kann ich drauf aufbauen, dabei

bleiben und besser werden?

Ich kann aus eigener Erfahrung nachempfinden,

in welche Panik und Wut man über sich

selbst gerät, wenn in weit vorangeschrittener

Arbeit ein unerwartetes Problem auftaucht.

Das Bild steht auf der Staffelei. Angetan von

der täglichen Arbeit, bist du gut voran gekommen

und voll motiviert, weil du dich auf

den Tag freust, an dem die Sache irgendwann

fertig ist. Und dann kommt ein Moment, wo

eine bislang unbemerkte kompositorische

oder thematische Schwäche der gesamten

Konstruktion den Boden unter den Füßen

wegzuziehen scheint. Das kann einige Tage

Panik bedeuten, ob das Bild überhaupt zu

retten ist.

Forester beschreibt so eine Situation: „Ich

hatte mir einfach gesagt, hier entfliehen sie“,

gibt er zu, als ein entscheidender Moment

ihn beim Schreiben kalt erwischt hat und

der professionelle Schriftsteller nun grundsätzlich

an seiner Befähigung zweifelt, ob

er überhaupt zu diesem Beruf geeignet ist.

Er spürt womöglich die gleiche Angst seiner

im feindlichen Frankreich gefangenen

Freunde am eigenen Leibe: Wie komme ich

da raus? Jedes Projekt wird zu einer Art Reise,

niemand möchte vor dem Ziel abbrechen. Ich

glaube, es war Menzel, der ein monumentales

Gemälde halbfertig (ein Leben lang) im Atelier

ausgehalten hat.

Von Beethoven ist bekannt, dass er lange

Kompositionen im Kopf entwickelte, bevor er

Noten zu Papier gebracht hat. Wissenschaftler

und erfolgreiche Geschäftsleute betonen, wie

kreativ sie denken (müssen). Von Einstein ist

überliefert, wie es sich mit der Relativitätstheorie

im Ursprung zugetragen haben soll:

„Mir ist etwas ganz Wunderbares eingefallen,

nun muss ich es (aber) noch aufschreiben“,

soll er zu seiner Frau gesagt haben – und anschließend

grummelnd lang daran gesessen

haben, genau festzuhalten,

was er

eigentlich bereits

fertig erdacht hatte.

Worte für etwas

zu finden, ist extra

Arbeit, kreatives

Denken ist anders.

Ich habe einen

Mann gesehen, der

konnte anspruchsvolle

Rechenaufgaben

schneller

als eine Maschine oder doch zumindest genauso

exakt lösen. Das war Teil einer Show.

Dem Mathe-Genie wurde eine große Schultafel

hingestellt, und er bekam seine Aufgabe.

Die Lösung bestand in einer vielstelligen

Zahl, so lang, dass die Ziffernkombination die

volle Breite der Tafel benötigte. Der Mann

rechnete aufeinanderfolgende Kommastellen

für die Zuschauer in Echtzeit vor, schrieb

mit Kreide in lockerem Tempo Zahlen hintereinander

weg, dass man nur staunte; dabei

redete er die ganze Zeit. Er sagte nicht etwa:

„Jetzt kommt eine Drei, dann eine Sieben“,

er brabbelte: „Nun kommt das Ding hier,

jetzt kommt da sowas … und nun machen

wir eine von diesen.“ Dabei schrieb er (bzw.

seine Hand schrieb, sollte ich wohl genauer

sagen) in etwa: vier, acht und zwei – (nur als

Beispiel).

„Hornblower“ (Der Kapitän) wurde während

einer Schiffsreise in Gesellschaft mit einigen

Passagieren erdacht. Spiele an Deck, gemeinsamer

Landgang, Essen mit den anderen, Forester

war damals leicht beschäftigt und gut

unterhalten unterwegs. Er hat seinen neuen

Helden in die Küstenformationen und Meere

hinein erfunden, in denen er selbst gerade

Kreuzfahrt machte. In der Heimat angekommen,

konnte er aufschreiben, was er jeden

Tag an Bord im Geiste durchgespielt hatte.

Als ihm die neue Figur gut vertraut vor dem

inneren Auge stand, nach dem veröffentlichten

ersten Roman „Der Kapitän“, entwickelte

er weitere Episoden mit dem eigenwilligen

Helden. (Es ist mit Gregory Peck verfilmt).

Sein Thema ist der auf sich gestellte Mann.

Im Kapitän auf stürmischen Meer, bedroht

von unvorhersehbaren Feindaktionen, kommunikativ

abgeschnitten und entfernt von

der Admiralität, die ihn mit einer Aufgabe

betraut hat, findet der Schriftsteller das Modell

dieser Idee, die er in immer neuen Geschichten

erzählt. Sein Horatio Hornblower,

der den eigenen Namen als sperrig hasst, ist

in Ausnahmesituationen extrem mutig, empfindet

jedoch würgende Angst dabei. Selbst

hält er sich für feig, nimmt an, dass andere

bedenkenloser durchs Leben gehen. Das ist

ein schöner Mann, der sich steif und linkisch

bewegt. Hornblower ist unfähig, Musik zu begreifen,

ein Ton ist ihm wie der andere, aber er

ist mathematisch brillant und ein guter Kartenspieler.

Es gibt albtraumhafte Beschreibungen

des mörderischen Krieges und große

Liebe! Hornblower findet sich in persönlicher

Gegnerschaft zu Napoleon, dem er zeitlebens

als britischer Kommandant bekämpfen muss

aber nie persönlich trifft. Er hat einen Freund

in Bush, mit dem er viele Reisen zusammen

segelt der aber schlichten Gemüts ist (und

nie seekrank wird). Bush habe einen gusseisernen

Magen, heißt es, und der von der

Mannschaft bewunderte Kapitän Hornblower

verkriecht sich zu jedem Reisebeginn in seine

Kajüte, weil niemand bemerken soll, wie er

sich übergibt. Er möchte zudem

als „der große Schweiger“ gelten

und beißt sich geradezu auf die

Zunge, wenn es um taktische

Kommunikation geht, damit er

intellektuell Sieger bleibt.

Hornblowers Freund (und untergebener

Offizier) Bush beschreibt

Lady Barbara, der von

Forester erfundenen Schwester

von Lord Wellington (den es

wirklich gab) seinen Kapitän,

der es bevorzugt, zum Nachdenken

auf der Luvseite des Achterdecks auf und

ab zu gehen und dabei keinesfalls gestört

werden darf: „Er denkt in einem fort.“ Dann

unterbricht er, seine Offenheit korrigierend:

„Verzeihung Mylady, bei Ihnen ist es natürlich

genauso.“ Hornblower hat eine Angewohnheit,

er macht im Gespräch: „Ha – Hm“, räuspert

sich ohne Not.

Das machte mein Großvater ganz genauso.

Manchmal denke ich dran, wie vertraut es

war.

Forester beschreibt auch eine Marotte, die

einiges über seine eigene Denkweise verrät.

Der Autor erzählt in „Meine Bücher und ich“

davon, in Gesellschaft mit anderen zu essen.

Typischerweise bekommt man eine Suppe,

und es gehört sich, gepflegte Unterhaltung

mit Tischnachbarn zu führen, während

gemeinsam gegessen wird. Der bekannte

Schriftsteller gibt hier zu, dass er, während

die Suppe serviert wird, die Angewohnheit

entwickelt habe, vor Beginn des Essens abzuschätzen,

wie viele Löffel er zum Mund führen

muss bis der Teller leer ist. Alles heimlich,

versteht sich. Der höfliche Engländer lässt

kein Sterbenswörtchen davon verlauten, derweil

halblauter Smalltalk untereinander gepflegt

wird, alle Suppe essen und er im Geiste

mitzählt, wie nahe seine Schätzung dem tatsächlich

ausgelöffelten entspricht.

Forester berichtet, wie eine Erkrankung sein

Leben verändert und er jedes Buch in der

Vorstellung schreibt, das könne sein letztes

sein. Er machte, wenn möglich, keine Aufzeichnungen:

„Das Geschreibsel das dabei

heraus kommen könnte, wenn ein anderer

die Geschichte zu ende bringt“, für den Fall er

während der Arbeit stirbt, ist ihm unerträglich.

Natürlich ist meine Motivation, ein neues

Bild zu beginnen heute anders, als zu Beginn

meiner Arbeit. Das liegt in der Entwicklung

meiner kreativen Persönlichkeit, die unausweichlich

voranschreitet, je länger man dabei

ist. Auf jeden Fall ist ein Künstler immer auch

davon bedroht, seine Motivation generell zu

verlieren. Dazu kann ich nichts sagen, weil es

mir bislang nicht passierte, und zur aktuellen

Motivlage habe ich schon publiziert. An

dieser Stelle fällt mir vor allem ein Moment

ein, der mein Leben grundsätzlich veränderte,

und das möchte ich noch erzählen.

Nov 9, 2019 - Motivation, von Oelke bis Teufel 37 [Seite 35 bis 39]

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