Blogtexte2019
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
diszipliniert geschrieben. Der Autor setzt
sich einem selbstgeschaffenen Zeitplan aus,
schreibt ein immer gleiches Pensum am Tag.
Würde er sich hinreißen lassen und mehr fabrizieren,
könne er am darauffolgenden Tag
nichts zu Papier bringen, meint er. Das kennt
er schon aus Erfahrung mit sich selbst. Setzt
er hingegen einen Tag lang mit dem Schreiben
aus, empfindet er gleich belastenden
Zeitdruck, da sein Verleger vorab in Kenntnis
gesetzt ist, was Forester thematisch und wie
viele Seiten stark zu einem bekannten Termin
ungefähr abliefern wird.
Von John Irving wird erzählt, dass er typischerweise
einige Sätze oder eine Seite vom
Schluss der Geschichte zu Beginn notiert.
Auch dieser Schriftsteller entwickelt sein
Thema im Kopf, fängt nicht mal so an, was
aufzuschreiben. Zu wissen, wo man hin will,
ist von Vorteil. Genauso Edward Hopper, der
sagt: „Wenn ich mich an die Staffelei setze,
ist schon alles erledigt.“ Das sind Künstler, die
innere Disziplin zu schätzen wissen. Es gibt
andere Wege zu einem Ergebnis zu kommen:
Der „Herr der Ringe“ hat sich als Trilogie von
Weltrang während der Schreibarbeit verselbstständigt,
wie auch der Film „Casablanca“,
wo die Macher nicht recht wussten, wie
die Sache enden sollte. Das erfolgreiche Duo
aus Hans Albers und Heinz Rühmann behakte
sich in der Umsetzung der Szenen, die Albers
gern frei heraus anging und Rühmann auf
den Schritt genau plante. Charlie Chaplin im
Film und Artie Shaw in der Musik, sie waren
Perfektionisten und kein studierter Psychologe
würde ihr Arbeitsverhalten empfehlen.
Ich war ja nicht dabei, aber Anekdoten haben
mich immer interessiert. Meiner Auffassung
nach ist Kunst absolut persönlich, also gerade
nicht sozial; auch in einer Band muss
der einzelne seinen Teil für sich beherrschen.
Sich kennen lernen: Was mag gerade ich, was
kann ich – wo kann ich drauf aufbauen, dabei
bleiben und besser werden?
Ich kann aus eigener Erfahrung nachempfinden,
in welche Panik und Wut man über sich
selbst gerät, wenn in weit vorangeschrittener
Arbeit ein unerwartetes Problem auftaucht.
Das Bild steht auf der Staffelei. Angetan von
der täglichen Arbeit, bist du gut voran gekommen
und voll motiviert, weil du dich auf
den Tag freust, an dem die Sache irgendwann
fertig ist. Und dann kommt ein Moment, wo
eine bislang unbemerkte kompositorische
oder thematische Schwäche der gesamten
Konstruktion den Boden unter den Füßen
wegzuziehen scheint. Das kann einige Tage
Panik bedeuten, ob das Bild überhaupt zu
retten ist.
Forester beschreibt so eine Situation: „Ich
hatte mir einfach gesagt, hier entfliehen sie“,
gibt er zu, als ein entscheidender Moment
ihn beim Schreiben kalt erwischt hat und
der professionelle Schriftsteller nun grundsätzlich
an seiner Befähigung zweifelt, ob
er überhaupt zu diesem Beruf geeignet ist.
Er spürt womöglich die gleiche Angst seiner
im feindlichen Frankreich gefangenen
Freunde am eigenen Leibe: Wie komme ich
da raus? Jedes Projekt wird zu einer Art Reise,
niemand möchte vor dem Ziel abbrechen. Ich
glaube, es war Menzel, der ein monumentales
Gemälde halbfertig (ein Leben lang) im Atelier
ausgehalten hat.
Von Beethoven ist bekannt, dass er lange
Kompositionen im Kopf entwickelte, bevor er
Noten zu Papier gebracht hat. Wissenschaftler
und erfolgreiche Geschäftsleute betonen, wie
kreativ sie denken (müssen). Von Einstein ist
überliefert, wie es sich mit der Relativitätstheorie
im Ursprung zugetragen haben soll:
„Mir ist etwas ganz Wunderbares eingefallen,
nun muss ich es (aber) noch aufschreiben“,
soll er zu seiner Frau gesagt haben – und anschließend
grummelnd lang daran gesessen
haben, genau festzuhalten,
was er
eigentlich bereits
fertig erdacht hatte.
Worte für etwas
zu finden, ist extra
Arbeit, kreatives
Denken ist anders.
Ich habe einen
Mann gesehen, der
konnte anspruchsvolle
Rechenaufgaben
schneller
als eine Maschine oder doch zumindest genauso
exakt lösen. Das war Teil einer Show.
Dem Mathe-Genie wurde eine große Schultafel
hingestellt, und er bekam seine Aufgabe.
Die Lösung bestand in einer vielstelligen
Zahl, so lang, dass die Ziffernkombination die
volle Breite der Tafel benötigte. Der Mann
rechnete aufeinanderfolgende Kommastellen
für die Zuschauer in Echtzeit vor, schrieb
mit Kreide in lockerem Tempo Zahlen hintereinander
weg, dass man nur staunte; dabei
redete er die ganze Zeit. Er sagte nicht etwa:
„Jetzt kommt eine Drei, dann eine Sieben“,
er brabbelte: „Nun kommt das Ding hier,
jetzt kommt da sowas … und nun machen
wir eine von diesen.“ Dabei schrieb er (bzw.
seine Hand schrieb, sollte ich wohl genauer
sagen) in etwa: vier, acht und zwei – (nur als
Beispiel).
„Hornblower“ (Der Kapitän) wurde während
einer Schiffsreise in Gesellschaft mit einigen
Passagieren erdacht. Spiele an Deck, gemeinsamer
Landgang, Essen mit den anderen, Forester
war damals leicht beschäftigt und gut
unterhalten unterwegs. Er hat seinen neuen
Helden in die Küstenformationen und Meere
hinein erfunden, in denen er selbst gerade
Kreuzfahrt machte. In der Heimat angekommen,
konnte er aufschreiben, was er jeden
Tag an Bord im Geiste durchgespielt hatte.
Als ihm die neue Figur gut vertraut vor dem
inneren Auge stand, nach dem veröffentlichten
ersten Roman „Der Kapitän“, entwickelte
er weitere Episoden mit dem eigenwilligen
Helden. (Es ist mit Gregory Peck verfilmt).
Sein Thema ist der auf sich gestellte Mann.
Im Kapitän auf stürmischen Meer, bedroht
von unvorhersehbaren Feindaktionen, kommunikativ
abgeschnitten und entfernt von
der Admiralität, die ihn mit einer Aufgabe
betraut hat, findet der Schriftsteller das Modell
dieser Idee, die er in immer neuen Geschichten
erzählt. Sein Horatio Hornblower,
der den eigenen Namen als sperrig hasst, ist
in Ausnahmesituationen extrem mutig, empfindet
jedoch würgende Angst dabei. Selbst
hält er sich für feig, nimmt an, dass andere
bedenkenloser durchs Leben gehen. Das ist
ein schöner Mann, der sich steif und linkisch
bewegt. Hornblower ist unfähig, Musik zu begreifen,
ein Ton ist ihm wie der andere, aber er
ist mathematisch brillant und ein guter Kartenspieler.
Es gibt albtraumhafte Beschreibungen
des mörderischen Krieges und große
Liebe! Hornblower findet sich in persönlicher
Gegnerschaft zu Napoleon, dem er zeitlebens
als britischer Kommandant bekämpfen muss
aber nie persönlich trifft. Er hat einen Freund
in Bush, mit dem er viele Reisen zusammen
segelt der aber schlichten Gemüts ist (und
nie seekrank wird). Bush habe einen gusseisernen
Magen, heißt es, und der von der
Mannschaft bewunderte Kapitän Hornblower
verkriecht sich zu jedem Reisebeginn in seine
Kajüte, weil niemand bemerken soll, wie er
sich übergibt. Er möchte zudem
als „der große Schweiger“ gelten
und beißt sich geradezu auf die
Zunge, wenn es um taktische
Kommunikation geht, damit er
intellektuell Sieger bleibt.
Hornblowers Freund (und untergebener
Offizier) Bush beschreibt
Lady Barbara, der von
Forester erfundenen Schwester
von Lord Wellington (den es
wirklich gab) seinen Kapitän,
der es bevorzugt, zum Nachdenken
auf der Luvseite des Achterdecks auf und
ab zu gehen und dabei keinesfalls gestört
werden darf: „Er denkt in einem fort.“ Dann
unterbricht er, seine Offenheit korrigierend:
„Verzeihung Mylady, bei Ihnen ist es natürlich
genauso.“ Hornblower hat eine Angewohnheit,
er macht im Gespräch: „Ha – Hm“, räuspert
sich ohne Not.
Das machte mein Großvater ganz genauso.
Manchmal denke ich dran, wie vertraut es
war.
Forester beschreibt auch eine Marotte, die
einiges über seine eigene Denkweise verrät.
Der Autor erzählt in „Meine Bücher und ich“
davon, in Gesellschaft mit anderen zu essen.
Typischerweise bekommt man eine Suppe,
und es gehört sich, gepflegte Unterhaltung
mit Tischnachbarn zu führen, während
gemeinsam gegessen wird. Der bekannte
Schriftsteller gibt hier zu, dass er, während
die Suppe serviert wird, die Angewohnheit
entwickelt habe, vor Beginn des Essens abzuschätzen,
wie viele Löffel er zum Mund führen
muss bis der Teller leer ist. Alles heimlich,
versteht sich. Der höfliche Engländer lässt
kein Sterbenswörtchen davon verlauten, derweil
halblauter Smalltalk untereinander gepflegt
wird, alle Suppe essen und er im Geiste
mitzählt, wie nahe seine Schätzung dem tatsächlich
ausgelöffelten entspricht.
Forester berichtet, wie eine Erkrankung sein
Leben verändert und er jedes Buch in der
Vorstellung schreibt, das könne sein letztes
sein. Er machte, wenn möglich, keine Aufzeichnungen:
„Das Geschreibsel das dabei
heraus kommen könnte, wenn ein anderer
die Geschichte zu ende bringt“, für den Fall er
während der Arbeit stirbt, ist ihm unerträglich.
Natürlich ist meine Motivation, ein neues
Bild zu beginnen heute anders, als zu Beginn
meiner Arbeit. Das liegt in der Entwicklung
meiner kreativen Persönlichkeit, die unausweichlich
voranschreitet, je länger man dabei
ist. Auf jeden Fall ist ein Künstler immer auch
davon bedroht, seine Motivation generell zu
verlieren. Dazu kann ich nichts sagen, weil es
mir bislang nicht passierte, und zur aktuellen
Motivlage habe ich schon publiziert. An
dieser Stelle fällt mir vor allem ein Moment
ein, der mein Leben grundsätzlich veränderte,
und das möchte ich noch erzählen.
Nov 9, 2019 - Motivation, von Oelke bis Teufel 37 [Seite 35 bis 39]