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Die Angst ist ein Tiger
Dez 23, 2019
Als ich Kind war, Jugendlicher und junger Erwachsener,
spielten Dinge in meinem Leben
keine Rolle, die heute Themen für alle (und
damals nicht weniger wichtig für die Gesellschaft
gewesen) sind; an mir ging ganz viel
vorbei. Mir selbst und meiner Umgebung gelang
auszublenden, was heute unübersehbar
ist. Gefühle, Zwischenmenschliches, Sex: Es
wird beklagt, dass junge Menschen zu früh
mit Sexualität konfrontiert würden, und dass
im Internet ein Zerrbild der Realität vermittelt
würde. Ich glaube das nicht.
Der Spiegel schreibt, Zitat: Die
„Umpolung“ von Homosexuellen
soll künftig verboten werden. (…).
Jens Spahn (CDU), Bundesgesundheitsminister:
„Homosexualität ist
keine Krankheit“ (…) „Wir haben
das Verbot noch schärfer gefasst“,
sagte Spahn (…) „Vorher gab es Ausnahmen
für Heranwachsende. Das
wurde gestrichen, denn gerade in
dieser Altersphase finden die meisten
Therapieversuche statt. Daher
wird auch bei 16- bis 18-Jährigen
die Konversionstherapie künftig
verboten.“ (…) Mit Konversionstherapien
sind Methoden gemeint, die
das Ziel haben, Homosexualität zu
„heilen“. Gesundheitsminister Spahn sagte,
mit dem Gesetzesentwurf werde ein gesellschaftliches
Zeichen an alle gesetzt, die mit
ihrer sexuellen Orientierung haderten: „Außerdem
(…) ist (…) Konversionstherapie eine
Gefahr für die Betroffenen. Dadurch entsteht
oft schweres körperliches und seelisches
Leid.“ Jeder Arzt, jede Ärztin, der oder die diese
Therapie anbiete, müsse sich den Vorwurf
der Körperverletzung gefallen lassen.
DPA/Fabian Sommer/Jens Spahn (CDU), Bundesgesundheitsminister:
„Homosexualität ist
keine Krankheit“/Dienstag, 17.12.2019 SPIE-
GEL ONLINE, Politik –
Zitat Ende.
Diese Nachricht hat mich gefreut. (Mir könnte
man die Liebe zum Jazz nicht nehmen. Wenn
ich gezwungen wäre, die Musik von „Heino“
ausschließlich zu hören, weil es die richtige
sei? Ich glaube kaum, dass eine Therapie das
schaffen könnte). Hier spricht sich ein handlungsfähiger
Minister gegen pseudo-wissenschaftlichen
Unfug aus. Das gefällt mir.
Zu meiner Jugend waren Krankenhäuser
staatliche Einrichtungen, und das Telefon
bekamen wir von der Post. Es gab die drei
Schulwege: Hauptschule, Mittel- oder Realschule
und das Gymnasium – es wurde noch
oft Oberschule genannt. Und einige sagten:
„Doofenschule“, wenn von der Hauptschule
die Rede war. Wir kannten drei Fernsehsender,
anfangs ohne Farbe. Dann wurde die Welt
bunter, nicht allen hat es gepasst. Auch in der
Medizin hat das Leistungsprinzip Einzug gehalten.
Es gibt Krankenhäuser, die nur Mainstream-Medizin
anbieten. Mit einer untypischen
Erkrankung ist man nicht willkommen.
Die Ausrichtung am wirtschaftlichen Aspekt
wird auch kritisch gesehen. Wenn Konkurrenz
die Basis ist, gewinnt das stärkere Interesse.
Der Wettbewerb schuf eine umfangreiche
Kommunikationswelt; wer möchte zurück
zur guten alten Post? Es gibt kein Zurück.
Fernsehen wird in vielen Formaten gesendet,
zusätzlich die Streaming-Angebote im
Netz. Info, Unterhaltung, Buchung und Kauf,
Porno und Wissenschaft, Musik – immer neue
Geschäftsideen probieren sich aus. Internet:
rund um die Uhr, weltweit verfügbar. Das moderne
Leben. Wir folgen Stars oder lehnen sie
ab und schreiben Kommentare. Jemand verdient
daran, dass wir die Ströme nutzen.
Die Grünen kritisieren, wie kurzlebig die moderne
Technik ist? Ein wirtschaftlicher Schaden
wird von ihren Ökonomen errechnet,
weil die Waschmaschine von heute kurz nach
der Garantiezeit kaputt geht. Aber unser unverwüstliches
Telefon von damals, wollen sie
nicht smart dabeihaben. Zu unhandlich, das
mit dem Kabel. Niemand möchte einen Funkmast
auf dem Dach. Unser Denken ist nicht
logisch – aber was der Mensch nicht gebrauchen
kann, wird er durch etwas ersetzen, das
besser in die Zeit passt. Wir sind dekadent
aber effizient. Niemand kann ein Geschäft
mit etwas machen das nicht in die Welt passt
oder an falscher Stelle umständlich produziert
und angeboten wird.
Das Bessere kann gewinnen. Wir können
schlechtes Denken durch kluges ersetzen.
Mit dem Verbot unsinniger und menschenverachtender
Pseudomedizin, ist das gerade
getan worden. Wir können dumme Denkweisen
wie Unkraut mit der Wurzel ziehen.
Ein umerzogenes Gehirn von dieser Gehirnwäsche
und der belastenden Orientierungsfindung
zu reinigen, ist viel schwieriger. Unnützes
wird nicht mehr gebraucht, und das
ist auch gut so! Schwierig zu verstehen: Die
Wirtschaft lebt vom Wachstum und dafür
muss einiges zeitnah zu Schrott werden, sogar
das Kriegsgerät. Wir beginnen den Kampf,
um neue Waffen herzustellen, das ist unser
Geschäft. Wenn eine Kaserne mangels Bedarf
geschlossen wird, stöhnt die ganze Region
auf. Die Soldaten waren auch Kunden in der
Nachbarschaft. Was ist wichtig? Natürlich
sind wir mit dem Schulsystem unzufrieden,
aber dass der Apparat bewertet werden kann,
ist ein Vorteil. Die Kontrolle, die Wahlmöglichkeit,
wir können das Bessere nehmen. Das
ist unser Fortschritt.
„Ärztepfusch“ ist ein Schlagwort. Wir haben
Angst davor. Auch deswegen wollen wir uns
vergewissern, ob wir eine gute Behandlung
bekommen. Schon damals, meine Eltern erzählten:
Ein Bekannter, mit dramatischer
Blinddarmentzündung auf dem Weg in den
OP, bemerkt, dass der Arzt im Begriff ist,
sein Bein zu amputieren. Eine Verwechslung.
„Nicht das Bein!“, soll er gerufen haben –
dann ist es gut ausgegangen. Eine Geschichte
meiner Jugend. Wir haben gelernt: Wir wissen
heute, dass Ärzte bezahlt werden und nicht
vom lieben Gott an den OP-Tisch gestellt
wurden oder von Kaiser Wilhelm.
Der Lehrerberuf ist kein Fluchtort für welche
die meinen, mit Kindern zu arbeiten sei
einfacher, weil sie klein sind und gehorchen
müssen. Die Unterhaltungsbranche kämpft
um Kunden, sendet ununterbrochen. Die gute
Versorgung mit Nachrichten muss gewährleistet
sein, damit eine Demokratie funktioniert,
und Nachrichten sind auch eine Ware.
Die Qualität der Leistung zu prüfen, ist eine
Verbesserung zur Wahrheit. Darum ist es so
gekommen. Der Kommunismus in der Sowjetunion
kam zu Fall, weil die „bessere“ Demokratie
die Planwirtschaft besiegte. Die
Freiheit der einzelnen, erbrachte die Gesamtleistung
der westlichen Staaten und zwang
das schlechtere System, sich zu ändern. Die
Welt ist nicht stehen geblieben. Etwas zu
schaffen, nach Verbesserung zu streben und
sich anschließend zu erholen, ist Leben.
Die kraftvollen Jahre der jungen Bundesrepublik,
die Begeisterung meiner Eltern für das
Wirtschaftswunder und die engagierten Lehrer
meiner Jugend, machten mich zum überzeugten
Demokraten. Heute bin ich frustriert,
in der Entzauberung meiner Werte, habe den
Glauben an die Politik verloren! Eine bedenkliche
Entwicklung: Die Sehnsucht nach Führung.
Altersgemäßer Pessimismus? Es war
früher nicht besser. Keine Institution hält,
was sie verspricht. Eine Partei mit sozialem
Anspruch muss Gutes bewirken. Es ist offensichtlich,
dass sie ohne Anführer gut gemeinte
Ideen nicht umsetzen kann.
Eine Regierung, die einzelnen Härten abverlangt,
hat das Ganze im Blick. Wer sozial umverteilen
möchte wird unehrlich, wenn wir
später bezahlen müssen, was als Geschenk
deklariert wird. Die gute neue Zeit: Insofern
eine Verbesserung, dass sich Lehrer, Politiker
und Ärzte an ihrer Leistung messen lassen.
Einige aktuelle Behandlungsfehler in der
Medizin statistisch: (MDK) – 31 Prozent aller
Vorwürfe beziehen sich auf Orthopädie und
Unfallchirurgie, 13 Prozent auf Innere und
Allgemeinmedizin und jeweils 9 Prozent auf
die allgemeine Chirurgie und die Frauenheilkunde
– Zahlen aus der nahen Vergangenheit
illustrieren: kritisiert wird, was kritisiert werden
kann.
Die Psychologen und psychiatrischen Krankenhäuser
kann man nur im Ganzen kritisieren.
Den einzelnen Arzt stellt höchstens die
Presse zur Rede, wenn eine Sexualstraftat im
Nachhinein als vorhersehbar eingestuft wird.
Das Problem der Therapie ist grundsätzlich:
Ihre Wirksamkeit kann nicht gemessen werden.
In der Liste der Behandlungsfehler klagt
kein Geisteskranker, dass ihm nicht geholfen
wurde.
Im Verbot der speziellen Konversionstherapie,
kann der erforderliche Schritt über die
Qualität therapeutischer Arbeit allgemein
neu nachzudenken, einen Anfang finden.
Ein erfolgreicher Manager mit sattem Einkommen
bricht im Burn-Out unerwartet zusammen
und muss pausieren? Natürlich ist
so jemand krank, und man kann ihm helfen.
Ein noch mehr erfolgreicher und vermögender
Mann, der seinen Freunden Sexpartys
mit Minderjährigen anbietet, ist nicht krank.
Kein psychisch kranker Mann steigt in der
Gesellschaft auf, diese Menschen nutzen
ihre Machtposition. Sie sind Menschen, die
Dez 23, 2019 - Die Angst ist ein Tiger 43 [Seite 43 bis 44]