Blogtexte2019
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Als es mit der Illustration noch lief, machten
wir einmal mit der ganzen Redaktion einen
Tagesausflug mit dem Reisebus und zwar
nach irgendwo hinter der Oste (aber vor
Bremen). Wir steuerten verschiedene Aktionspunkte
an, tranken Kaffee im Restaurant,
fuhren paarweise rudernd in kleinen Booten
über einen Binnensee und alberten in einer
Art ehemaliger Kiesgrube bei verschiedenen
Rallye-Aufgaben herum. Matze und ich
sägten mit einer Riesensäge eine Scheibe
von einem Baumstamm, und die anderen
mussten es besser machen. Als es dämmerte,
bestiegen wir endgültig wieder den Bus und
nahmen Hamburg, die Heimat, zum Ziel.
Diesmal ergab sich eine andere Sitzordnung,
und da waren Ausflugsteilnehmer, die ich
gar nicht kannte. Ich kam neben einen im
Vergleich zu mir schon älteren freien Mitarbeiter
zu sitzen. Das schien vielversprechend
zu werden, schon beim Einsteigen. Der Mann
hatte Humor. Ich glaube, er war mit einem
bereits leicht angegrauten Schnurrbart bestückt,
wie es seinerzeit nicht mehr modern
war. Der trug wohl eine kurze dunkelbraune
Lederjacke und hatte die vitale Sportlichkeit
eines gestandenen Mannes mit eigenen Ansichten
im „besten“ Alter.
Im Bus dudelte Musik, und mein neuer Nachbar
erklärte eine kategorische Ablehnung
von Country-Music zugunsten von Jazz. Ein
guter Anfang! Er war offenbar Fotograf. Damals
begann der Siegeszug der Digitalfotografie
über den Film. Ich bekam zunächst
eine fachlich qualifizierte Argumentation
für oder gegen die jeweilige Technik. Der
Computer hatte den Alltag bereits erreicht.
Aber E-Mail und mobiles Telefon kamen nur
zögerlich in der Gesellschaft an. Dateien
schickte ich mit dem „Leonardo“, und vorher
rief ich bei Helmut in der Grafik an, dass ich
die Absicht hätte, ihm jetzt zum Beispiel eine
neue Karte mit Törntipps-Mittelmeer zu schicken.
Die wäre für eine Soundso-Geschichte,
sagte ich vielleicht, von diesem oder jenem
Autoren für das aktuelle- oder nächste Heft.
Wir sprachen noch regelmäßig miteinander.
Das machte man so. Und dann schalteten wir
beide diesen grauen Kasten an, und die Datei
ging auf den Weg in die Redaktion.
Das Fotografieren, wir kauften Filme, die waren
von Kodak, Agfa oder modern bunt: Fuji
– und die hatten 36 Bilder oder auch weniger,
das waren bekannte Produkte in bekannten
Verpackungen. Auch wie diese Filme in den
jeweiligen Kameratyp einzulegen waren, was
man beim Zurückspulen vernünftigerweise
zu machen hatte, das wusste man. Das blieb
jahrelang gleich. Das war so wie Schöllerhammerkarton,
den hatte es seit Erfindung
der Erde und des Weltalls und dem ganzen
Rest gegeben und würde es bis an das Ende
aller Tage weiter geben.
Meine berufliche Laufbahn hatte nach dem
Praktikum bei Werner Harders in der Grafik
von Markenfilm ihre Fortsetzung bei Schlotfeldt
in der Hansastraße genommen, und
dort war es Peter Plasberg der mir zur OM-2
verhalf. Die habe ich noch immer. Ich fotografiere
nur nicht mehr. Diese Spiegelreflexkamera
hat gegenüber der Nikon den Vorteil,
dass sie klein und leicht ist. Ich habe nicht so
große Hände. Es ist eine Kunst, eine Kamera
so festzuhalten, dass die Bilder unverwackelt
scharf werden. Ich lernte, so abzudrücken,
dass nur das vorderste Fingerglied den
Auslöser drückt (wie man auch lernen muss,
beim Schießen mit einem Gewehr zügig aber
entspannt über den Druckpunkt durchzuziehen).
Peter brachte mir zudem bei, den Film
behutsam einzulegen. Man muss darauf achten,
dass beim späteren Weitertransport nach
jedem Bild alles klar geht, da man ja nicht
mal eben aufmachen kann und nachsehen.
War der Film voll, spulten wir mit einer kleinen
Kurbel zurück, und da fand Plasberg es
gut, wenn ich mir angewöhnen würde, den
Film exakt so weit in seine Dose zurückzuschrauben,
dass noch einige Zentimeter
rausschauten. Dafür musste man Gefühl entwickeln.
Er war der Auffassung, dass man auf
diese Art dem Labor eine Freude machte, da
die Leute dort einen Anfasser fänden, um den
Film in der Dunkelheit wieder zur Entwicklung
herauszuziehen. Nur „Lieschen Müller“
würde stumpf „bis Ende“ in die Dose spulen,
der professionelle Fotograf müsse immer
mitdenken. Ich habe aber von anderer Seite
gehört: „Die schlachten die Dose sowieso,
das ist ganz egal.“ Ich kannte mich allmählich
aus. Nicht nur in der Fotografie. Eine Zeitlang
änderte sich kaum etwas, so ist es mir immer
vorgekommen.
Dann kam eine unerwartete Dynamik in die
Welt. Alle machten Airbrush. Einen Kompressor,
wie mein späterer Arbeitgeber, Lehrer und
Freund Uwe Jarchow sich seinen aus Lkwund
ähnlichem Zubehör selbst zusammengebastelt
hatte, mit eigens dafür zusammen gelöteten
Geschläuch, für teilweise im Ausland
langwierig zu bestellende Spezialpistolen,
gab es nun an jeder Ecke serienmäßig. Farbkopierer
wurden Standard. Man konnte die
Kopien locker bezahlen, und überall gab es
neuerdings entsprechende „Copy“-Shops. Die
englische Sprache mussten wir können. Man
sagte: „shit“ statt: „So’n Schiet!“ (oder Chance
statt Schanx und mehr davon). Fotoläden
schossen wie Pilze aus dem Boden. Es wurde
direkt im Laden entwickelt, und du konntest
deine Bilder nach nur einer Stunde schon bekommen!
Filmentwicklung hatte so etwa eine Woche
mindestens gedauert, Agfa und Kodak waren
allein zuständig, bis Porst „mit der runden
Ecke“ auftauchte, und die Sofortbildkamera
gab es bald auch. Viele lernten schwarz-weiß
Bilder selbst zu entwickeln, einige hatten ein
kleines Farblabor im Keller, ich konnte das!
Dann kam der Boom, wie oben beschrieben
– der Siegeszug der Compact Disk und vieles
mehr – und bald darauf verschwand der ganze
Zauber schneller, als er aufgetaucht war.
Dann wurde noch einmal alles ganz anders.
Es wurde so, wie es jetzt immer ist.
Im Bus: Mein Sitznachbar erzählte von seiner
Arbeit als Fotograf, und nun kam Leben
in unser Gespräch. Ich wollte auch was zum
Besten geben, fing an, eine Porträtfotografie
zu loben. Ich erinnerte mich: vor kurzem
wäre doch Erdmann auf Doppelseite im Heft
gewesen. Ich war einigermaßen im Thema,
hatte eine Karte beigesteuert. Wilfried
Erdmann stand kurz vor seiner „Gegen-den-
Wind-Reise“, wollte ganz allein an Bord um
die Welt segeln. Das Schiff ohne Hilfs-Motor
(da bin ich mir nicht sicher), der Trip geplant,
ohne je wo anzulegen. Alles, auch das Essen
für die lange Weltreise, musste von Beginn an
Bord komplett dabei sein. Um es noch extremer
auszugestalten, war die Reise „verkehrt
herum“ geplant. Statt so zu segeln, dass wie
üblich gute Winde mitschieben, Schlechtwetterzonen
und Jahreszeiten mit bekannten
Unwettern vermieden würden, den Kurs etwa
durch den Panama-Kanal abzukürzen, statt
um Kap Horn zu gehen (wie die Kochs es gemacht
hatten), wollte Erdmann alle Schikane
(und sich selbst) auf einmal bezwingen.
Allein.
In der Redaktion hatte er eine Weltkarte mit
der geplanten Route hinterlassen, das war
die Vorlage für mich. Meine Aufgabe bestand
darin, sie einzuscannen und eine Infografik
daraus zu kreieren. Mit grünem Filzstift hatte
er vorgemalt, wo es längs gehen sollte.
Und es ist möglich, dass diese Fotokopie mit
der von seiner Hand eingemalten Linie hier
noch irgendwo bei mir in einer Mappe mit
alten Arbeiten liegt. Ein Erdmann im Keller
ist eventuell mehr wert als ein Bassiner an
der Wand? Vielleicht sollte ich danach suchen,
ein Bankschließfach anmieten, besser
ist das.
Der kommende Held war vor Abfahrt an Bord
fotografiert worden. Er saß in seiner Kajüte,
dem zukünftigen Zuhause für lange, gefährliche
und einsame Zeit. Er entwickelte die
Reise in der Vorstellung, exklusiv für die staunenden
Reporter vom allergrößten Segelmagazin
Europas. Den Blick hatte der Extreme
vergeistigt in die Ferne gerichtet, die nur er
schon so sehen konnte, im Halbdunkel seiner
Erdmannhöhle. Mann in der Tonne. (Kathena
ist aus Alu).
Und das hatte einer fotografiert. So gut, dass
es eine Doppelseite mitten im Heft wurde.
Das Gesicht des Abenteurers in Lebensgröße,
der Blick männlich klug und ernst. Er schaut
besser, als von jedem nur denkbaren Schauspieler
darstellbar, sinniger als jeder Cameloder
Marlboromann; und du konntest jeden
Bartstoppel oder Sonnenfleck gestochen
scharf sehen, ein feiner Reflex im glänzenden
Auge. Das war eine fotografische Meisterleistung
der Porträtkunst. Der Fotograf hatte
keinen Blitz verwendet, um sich gegen das
tückische Halbdunkel zu helfen. Hier hatte
einer auf das unmöglichste Filmmaterial mit
dem feinsten Korn und der besten schwarzweiß
Zeichnung vertraut. Hatte in Kauf genommen,
deswegen extra lang belichten zu
müssen – und ganz ruhig hin gehalten und
dann abgedrückt. Dieser Moment! Das hatte
ich gesehen, und wollte erzählen, wie geil
dieses Foto war, wollte mich als Kenner der
Materie beim älteren Nachbarn beliebt machen;
und da sitzt ein echter Heinz Teufel neben
mir! Der war das nämlich, und ich kannte
den gar nicht.
Ein wirklicher Künstler.
Nun redeten und redeten wir, es wurde dunkel,
und der Bus fuhr in Richtung Hamburg.
Und wir hörten Country dabei. Das war dann
egal. Schließlich kam es zu einer Sonderrunde
durch den Freihafen. Wir überquerten
den Köhlbrand auf der schönen Brücke, keine
Ahnung, warum es nötig war. Die Fahrt sollte
wohl in der Nähe vom Hauptbahnhof enden,
und dem Busfahrer gefiel die Route. Es war
inzwischen Nacht geworden, später Abend,
und alle Lichter des emsigen Hafenbetriebs
funkelten, wie extra für uns zum Abschluss
des Ausflugs angeschaltet. Ein alltägliches
Feuerwerk der Ästhetik krönte unsern lustig
kollektiven Kurzurlaub für einen Tag. Die fleißigen
Krane rotierten in unermüdlicher Ladearbeit,
beleuchtete Schubverbände waren
ruhelos im Kanal unter uns unterwegs. Aus
der Höhe gesehen kleine Lastwagen (wie Wi-
Nov 9, 2019 - Motivation, von Oelke bis Teufel 38 [Seite 35 bis 39]