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Indsutrieanzeiger 03.2021

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Wir sollten hohe Umwelt- und Sozialstandards<br />

nicht als Bedrohung sehen, sondern als Chance“,<br />

meint Prof. Christoph Herrmann. „Natürlich<br />

müssen sich Produkte und Fertigungsprozesse am<br />

Ende rechnen, aber ausschließlich ökonomisch motiviertes<br />

Handeln wird künftig weder Innovationen<br />

hervorbringen noch zur Standortsicherung bei -<br />

tragen“, ist der Leiter des Fraunhofer-IST und des<br />

Instituts für Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnik<br />

(IWF) an der TU Braunschweig überzeugt.<br />

Das zeige auch der Erfolg vieler Unternehmen, die<br />

sich in den letzten Jahren als Innovationsführer<br />

etabliert haben – oft gerade, weil sie ihren ökologischen<br />

Fußabdruck im Blick hatten.<br />

„Um das große Ziel der ökologischen Nachhaltigkeit<br />

zu erreichen, müssen die resultierenden Anforderungen<br />

in den Vordergrund rücken“, sagt Herrmann.<br />

„Das setzt allerdings<br />

voraus, dass wir lernen, die<br />

Wechselwirkungen zwischen<br />

technisch-wirtschaftlichen<br />

Maßnahmen und deren Auswirkungen<br />

auf die Umwelt zu<br />

verstehen.“ Das sei nicht nur<br />

angesichts politischer Vorgaben wie dem European<br />

Green Deal zwingend notwendig. Der Wissenschaftler<br />

sieht das Ziel, bis Mitte des Jahrhunderts klimaneutral<br />

zu produzieren, zwar als ambitioniert, aber<br />

durchaus realisierbar. Allerdings erfordere dieser Weg<br />

in vielen Köpfen ein Umdenken, denn die bislang übliche<br />

Strategie, derartige Herausforderungen möglichst<br />

stark zu vereinfachen, habe in der Vergangenheit<br />

selten zum bestmöglichen Ergebnis geführt.<br />

Dass dieses Umdenken in der Industrie längst begonnen<br />

hat, zeigt eine Reihe von Beispielen. So produzieren<br />

der Werkzeugmaschinenbauer DMG Mori<br />

oder der Technologiekonzern Bosch nach eigenen<br />

Angaben bereits heute CO 2<br />

-neutral. Bis 2050 sollen<br />

selbst jene Wertschöpfungsstufen, die Bosch nicht<br />

alleine verantwortet, klimaneutral sein. Vorstandschef<br />

Dr. Volkmar Denner sagt: „Es reicht nicht, auf<br />

den Klimaschutz zu hoffen. Unternehmen sollten<br />

kurzfristig die CO 2<br />

-Neutralität wagen.“<br />

Die Methoden und Modelle<br />

existieren, was oft fehlt,<br />

sind die nötigen Daten<br />

Alle Produkt-Lebensphasen zählen<br />

Auch Autobauer Daimler hat angekündigt, bis 2039<br />

solle die Pkw-Neufahrzeugflotte CO 2<br />

-neutral sein –<br />

von der Entwicklung über die Rohstoffgewinnung<br />

und die Produktion bis hin zur Nutzung und zum Recycling.<br />

Schon bei der elektrischen Luxuslimousine<br />

EQS, die noch in diesem Jahr auf den Markt kommen<br />

soll, wollen die Stuttgarter wichtige Meilensteine<br />

setzen – etwa durch den Bezug CO 2<br />

-neutral hergestellter<br />

Batterien. Fast die Hälfte der rund 2000 Lieferanten<br />

von Mercedes-Benz Cars soll sich bereits<br />

verpflichtet haben, nur noch CO -neutrale Teile zu<br />

2<br />

liefern. Das zeigt: Zulieferer und Fertigungsunternehmen,<br />

die dieses neue Qualitätsmerkmal<br />

nicht ernst nehmen, werden<br />

es schwer haben.<br />

IM BLICK<br />

Doch wenn Politiker und Industrie Nachhaltigkeit umfasst viel<br />

immer öfter von CO – oder gar<br />

2 mehr als das Schonen von<br />

klimaneutraler Produktion reden, Ressourcen und Umwelt.<br />

dann geht das Herrmann nicht weit Soziale und Wirtschaftliche<br />

genug: „Wenn wir Umweltprobleme Aspekte sind ebenso<br />

nicht von einer Lebensphase eines Produkts<br />

in eine andere verschieben wollen,<br />

wichtig.<br />

dann lässt sich die Produktion nicht vom gesamten<br />

Lebenszyklus trennen.“ Notwendig sei daher<br />

ein wissenschaftlich fundierter, objektiver Rahmen,<br />

der für neue Produkte eine quantitative Umweltbewertung<br />

ermöglicht und Alternativen<br />

vergleichbar macht –<br />

von der Entwicklung über die<br />

Rohstoffgewinnung und die<br />

Produktion bis hin zur Nutzung<br />

und dem Recycling.<br />

Die Umweltwirkung von<br />

Produkten lässt sich laut dem Braunschweiger Forscher<br />

mit Ökobilanzen bereits heute in vielen Fällen<br />

gut abschätzen. „Von der Methodenseite her sind wir<br />

schon gut aufgestellt. Was uns allerdings noch vor<br />

echte Herausforderungen stellt, ist die Verfügbarkeit<br />

von Daten.“ Deshalb seien zuverlässige Ökobilanzen<br />

heute zwar bereits möglich, in der Regel aber – wenn<br />

die verfügbaren Informationen über Produkte, Prozesse<br />

oder Materialien lückenhaft oder zu wenig<br />

aussagekräftig sind – mit einem großen Aufwand<br />

Bild: Tom Oettle<br />

Nachhaltig handeln<br />

Nachhaltiges und umweltschonendes Handeln ist in unser<br />

aller Interesse. Allerdings erfordert es ganzheitliche Ansätze,<br />

um die tatsächlichen Ursachen für Umweltwirkungen zu<br />

finden. Mitunter zeigt sich dann, dass vermeintlich umweltfreundliche<br />

Technologien und Lösungen manchmal gar<br />

nicht so sauber sind. Ideologiegetriebene<br />

Forderungen sind jedenfalls<br />

wenig hilfreich. Vielmehr brauchen<br />

wir neutrale Untersuchungen, um<br />

jene Stellschrauben zu finden, die<br />

den größten Nutzen versprechen.<br />

Mona Willrett<br />

Redakteurin Industrieanzeiger<br />

Industrieanzeiger » 03|2021 31

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