Leo Mai / Juni 2021
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24 POLITIK<br />
KOLUMNE VON<br />
FELIX MÜLLER<br />
GRAFIK: GORDON JOHNSON / PIXABAY<br />
Jubiläen in<br />
seltsamen Zeiten<br />
In seiner kommunalpolitischen<br />
Kolumne schaut AZ-Lokalchef Felix<br />
Müller dieses Mal auf ein Jahr Grün-Rosa-<br />
Rot im Stadtrat und lässt Alt-OB Christian<br />
Ude ein Vierteljahrhundert zurückblicken<br />
– auf den Einzug eines gewissen Thomas<br />
Niederbühl ins Rathaus.<br />
Sie hätten es sich anders vorgestellt,<br />
die Grünen und Roten (und der rosane<br />
Thomas Niederbühl!), die vor einem Jahr<br />
das Revival der traditionsreichen Zusammenarbeit<br />
im Münchner Rathaus besiegelt<br />
hatten. Es sollte ein Aufbruch werden,<br />
sozial, ökologisch, zeitgemäß. Ein Jahr<br />
danach muss man ihnen zugestehen: Sie<br />
hatten es nicht leicht, denn natürlich hing<br />
auch in der Stadtpolitik über allem Corona.<br />
Das machte es schwerer, mit progressiven<br />
Themen und Ideen durchzukommen – und<br />
es führte zu ganz praktischen Problemen.<br />
Weil sich die Finanzlage katastrophaler<br />
entwickelt, als es sich die größten<br />
Pessimisten hätten vorstellen können.<br />
Aber natürlich auch, weil der Druck aus der<br />
Stadt fehlt, die Debatten. Demonstrationen<br />
waren nicht oder oft nur viel kleiner<br />
möglich, Bürgerversammlungen fielen<br />
aus, Initiativen durften sich nicht in ihren<br />
Räumen vernetzen.<br />
Ein wenig milde sollte man also wohl sein<br />
im Urteil, vor allem sollte man es nicht zu<br />
früh und zu endgültig fällen. In den nächsten<br />
Monaten und Jahren wird sich zeigen,<br />
wohin das Geld gegeben wird, wenn es<br />
(wie man erwarten muss) knapp bleibt, wo<br />
die Koalition Schwerpunkte setzt. Ob die<br />
SPD die Kraft hat, zu einer zeitgemäßen<br />
Großstadtpartei zu werden, ob OB Dieter<br />
Reiter noch mal eigene Schwerpunkte<br />
setzt. Wie selbstbewusst die Grünen<br />
werden – und was das für das Klima im<br />
Rathaus bedeutet. In diesem ersten Jahr<br />
hat es auf jeden Fall schon viel häufiger<br />
hörbar geknirscht als erwartet.<br />
Jene Politiker*innen, denen die Queerpolitik<br />
besonders am Herzen liegt, sind<br />
aber zufrieden mit dem Erreichten – und<br />
hier schlummert offenbar nicht allzu<br />
viel Konfliktpotenzial. Grünen-Stadtrat<br />
Dominik Krause etwa verweist<br />
darauf, dass man die Räume<br />
von Diversity erweitern<br />
konnte. Er sagt aber<br />
auch: „Man muss<br />
konstatieren, dass<br />
die Krise die Szene<br />
besonders hart trifft.<br />
Die Räume, die nicht<br />
genutzt werden, sind<br />
ja Schutzräume, zur<br />
Beratung, aber oft auch, um<br />
aus dem homophoben Umfeld<br />
rauszukommen.“ Er sorge sich außerdem,<br />
was nach der Krise noch da sein wird an<br />
Infrastruktur, etwa bei den Klubs.<br />
Thomas Niederbühl betont, dass man<br />
trotz der schwierigen Haushaltslage<br />
10.000 Euro pro Jahr an die Regenbogen-<br />
Stiftung gebe, dass das Trans*Zentrum<br />
auf den Weg gebracht werden konnte. „Wir<br />
haben eine sehr aktive und sehr diverse<br />
Trans-Szene“, sagt er. „Jetzt müssen wir<br />
klären, wer der Träger sein kann, wie es<br />
geführt werden kann.“ Dafür wolle man<br />
sich Zeit nehmen. „Ende 2023 soll das<br />
entschieden sein“, sagt Niederbühl.<br />
Der Mann schaut also in die Zukunft. In<br />
diesen Zeiten aber durchaus auch zurück.<br />
Stolze 25 Jahre ist er, und ist damit die<br />
Rosa Liste, nun schon im Stadtrat. Ein<br />
Jubiläum, das man – in normalen Zeiten<br />
– groß gefeiert hätte. „Wir haben unwahrscheinlich<br />
viel erreicht“, sagt Niederbühl,<br />
„so eine geförderte Infrastruktur hat keine<br />
andere Stadt in der Republik.“<br />
Alt-OB Christian Ude erinnert sich gerne<br />
an die Zeit, als dieser junge Thomas Niederbühl<br />
1996 ins Rathaus einzog.<br />
„Ein ausgesprochen sympathischer,<br />
fröhlicher Mann“,<br />
sagt er, „der konsequent<br />
für seine Community<br />
geworben, Unterstützung<br />
für seine Initiativen eingefordert<br />
hat.“ Ude erinnert<br />
sich, wie vieles sich in<br />
diesen 25 Jahren geändert<br />
hat. Die CSU im Rathaus, sagt<br />
er, sei Niederbühl nicht feindselig<br />
gegenübergestanden. Aber sie habe<br />
sich ferngehalten. Und er selbst habe für<br />
seine Zusammenarbeit mit Niederbühl,<br />
dafür, dass er bald den CSD anführte, viele<br />
Anfeindungen erlebt. „Strenggläubige<br />
aus dem Oberland sind Sturm gelaufen“,<br />
erinnert sich Ude, „die sprachen von Krankheit<br />
und Sünde, so einen Katholizismus<br />
kannte ich aus München überhaupt nicht.“<br />
Inzwischen läuft selbst die CSU seit Jahren<br />
beim CSD mit. Und vorne raus läuft immer<br />
noch der OB. Gemeinsam mit Thomas<br />
Niederbühl, dem unverwüstlichen Rosa-<br />
Liste-Urgestein im Rathaus.<br />
FOTO: PRIVAT