Leo Mai / Juni 2021
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POLITIK 29<br />
darstellen. Diese Argumentationsstruktur<br />
wird auf alle trans* Personen übergestülpt,<br />
insbesondere auf Trans*Weiblichkeiten.<br />
Marginalisierte Gruppen werden immer<br />
dann als Feindbilder inszeniert, wenn der<br />
gesellschaftliche Status quo verteidigt<br />
bzw. Privilegien weiter ausgebaut werden<br />
sollen. Dieser Mechanismus passiert nicht<br />
nur auf der ideologischen Ebene, sondern<br />
auch auf der materiellen: Für bestimmte<br />
Gruppen wird der gesellschaftliche Zugang<br />
eingrenzt wie zum Beispiel zum Arbeitsoder<br />
Wohnungsmarkt sowie zur Bildung.<br />
Es ist kein Wunder, dass es zuallererst und<br />
insbesondere diejenigen schwer trifft, die<br />
eine mehrfache Marginalisierung erleben:<br />
Undokumentierte Sexarbeiter*innen oder<br />
nicht-weiße Queers sind von mehreren<br />
dieser rassistischen und trans*feindlichen<br />
Argumentation gleichzeitig betroffen.<br />
Sie erleben die volle Härte einer Welt aus<br />
weißer Vorherrschaft und Cisnormativität VI .<br />
In Großbritannien und in den USA ist<br />
die Ideologie von TERFs schon sehr<br />
weit fortgeschritten. Um nicht von<br />
TERFs überrannt zu werden müssten<br />
sich cis Menschen aktiv für unsere<br />
Sicherheit einsetzen? Wie kann die<br />
cis Community uns schützen?<br />
Für ein Ally Sein gehört es immer dazu,<br />
die eigene Position mitzudenken. Ich als<br />
weiße, nicht-be_hinderte trans* Person<br />
versuche mich beispielsweise zu fragen:<br />
Wessen Perspektive kann ich versuchen<br />
zu stärken und ins Zentrum der Aufmerksamkeit<br />
zu rücken? Wie kann ich die Möglichkeiten,<br />
die ich habe, investieren, sodass<br />
mehr Menschen teilhaben können? Wie<br />
kann ich bereits bestehende Bewegungen<br />
unterstützen und Ressourcen zukommen<br />
lassen? Je weiter sich meine Identität in<br />
der gesellschaftlichen Mitte wiederfindet,<br />
desto mehr Einfluss besitze ich und kann<br />
meine Privilegien für soziale Gerechtigkeit<br />
nutzen. Wichtig dabei ist, nicht nur über<br />
Menschen zu reden, sondern Möglichkeiten<br />
schaffen, dass sich Menschen<br />
selbst am Diskurs beteiligen können. In<br />
Situationen, in denen marginalisierte Personen<br />
nicht sprechen können oder wollen,<br />
weil sie sich zum Beispiel angreifbar oder<br />
verwundbar machen, kann ich ihnen meine<br />
Stimme leihen. Wenn marginalisierte<br />
Personen aber sprechen können, bin ich<br />
dazu verpflichtet, die Bühne zu Räumen.<br />
Für den Schutz von trans* Personen<br />
reicht es nicht aus zu sagen, dass trans*<br />
Frauen Frauen sind. Damit werde ich trans<br />
Feind*innen nie überzeugen können. Wenn<br />
Menschen von einem biologistischen<br />
Geschlechterbild ausgehen, werde ich mit<br />
„Trans* Frauen sind Frauen!“ nicht dagegen<br />
vorgehen können. Das ist schlicht und<br />
ergreifend nicht hilfreich. Ich brauche eine<br />
tatsächliche Argumentation, die sich an<br />
materiellen Realitäten orientiert. Ich muss<br />
mich fragen, welcher Ideologie stehe ich<br />
gegenüber, was hat sie für Auswirkungen?<br />
Was haben Ausschlüsse aus dem<br />
Gesundheitssystem für Auswirkungen?<br />
Minderheitenstress, soziale Ausschlüsse,<br />
Probleme auf dem Arbeitsmarkt,<br />
Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt,<br />
reproduktive Ungerechtigkeit sind nur<br />
einige Beispiele. Ich kann im globalen<br />
Zusammenhang schauen: Wer sind die<br />
Personen, die die Reproduktionsarbeit für<br />
weiße Kapitalist*innen leisten? Es sind<br />
häufig osteuropäische oder nicht-weiße<br />
Arbeiter*innen, die undokumentiert in den<br />
Haushalten arbeiten und aufgrund ihrer<br />
prekären Lage Schwierigkeiten haben, aus<br />
diesen missbräuchlichen Verhältnissen<br />
auszubrechen. Ich kann dann analysieren,<br />
wie materielle Ungleichbehandlung sich<br />
auf diese Communities auswirkt. Ich<br />
muss als privilegierte Person anfangen zu<br />
sehen, wie Diskriminierungsphänomene<br />
Hand in Hand gehen. Wenn wir über TERFs<br />
sprechen, sprechen wir häufig auch über<br />
diejenigen, die sich gegen die Inklusion<br />
von Sexarbeiter*innen aussprechen. Dann<br />
sprechen wir häufig über diejenigen, die<br />
mit anti-muslimischem Rassismus in die<br />
Argumentation gehen und versuchen,<br />
weiße Deutungshoheit und white<br />
saviorism in Form von „Wir retten euch!“<br />
durchzusetzen. Der Schutz von trans* Personen<br />
ist somit untrennbar mit anderen<br />
Diskriminierungsformen verbunden. Für<br />
eine soziale Bewegung muss ich materielle<br />
Realitäten analysieren: Wem und wie<br />
werden Ressourcen in dieser Gesellschaft<br />
verwehrt und wer profitiert davon?<br />
Vielen Dank! Möchtest du noch<br />
einen eigenen Punkt reinbringen, der<br />
dir bisher noch gefehlt hat?<br />
So viele Dinge, von denen ich spreche,<br />
sind keine Sachen, die ich mir selbst<br />
ausgedacht habe. Ich lerne viel von<br />
anderen Geschwistern, die diese Arbeit<br />
schon viel länger als ich machen. Gerade<br />
was antirassistische und anti-ableistische VII<br />
Diskurse angeht. Feminismus ist eine<br />
Bewegung, die aus mehreren Perspektiven<br />
besteht. Es ist wichtig, sich selbst immer<br />
wieder einzuladen, dazuzulernen und<br />
denjenigen zuzuhören, die einen anderen<br />
Erfahrungsschatz haben als mensch selbst.<br />
*Interview: Victoria Forkel<br />
https://www.instagram.com/<br />
mine_undclaudia/<br />
I Endo(geschlechtlich) ist das Gegenstück zu inter*<br />
(geschlechtlich). Das heißt, Menschen sind endo, wenn<br />
ihre Körper nach dem westlichen medizinischen Modell<br />
in die Kategorien von Mann und Frau passen und daher<br />
keine Inter*Feindlichkeit erleben.<br />
II Weiß wird klein und kursiv geschrieben, um zu markieren,<br />
dass es sich nicht um eine Beschreibung von einer<br />
Hautfarbe, sondern um die Markierung der von Rassismus<br />
privilegierten Position handelt.<br />
III People of Color ist eine politische Selbstbezeichnung<br />
nicht-Schwarzer, negativ von Rassismus betroffener<br />
Personen. Dabei handelt es sich nicht um eine<br />
Hautfarbenbeschreibung, sondern um eine bewusste<br />
Positionierung in einer auf Rassismus aufbauenden<br />
Gesellschaft.<br />
IV Ein Zine ist eine Publikation in sehr kleiner Auflage.<br />
V Der Unterstrich in „Be_hinderung“ soll verdeutlichen,<br />
dass betroffene Menschen durch die Gesellschaft<br />
be_hindert werden und nicht nur durch die Be_hinderung<br />
selbst.<br />
VI Cisnormativität ist die Vorstellung, dass cis Menschen<br />
normal und natürlich sind, während jede Abweichung<br />
FOTO: GGAADD / CC0