07.05.2021 Aufrufe

Leo Mai / Juni 2021

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

POLITIK 29<br />

darstellen. Diese Argumentationsstruktur<br />

wird auf alle trans* Personen übergestülpt,<br />

insbesondere auf Trans*Weiblichkeiten.<br />

Marginalisierte Gruppen werden immer<br />

dann als Feindbilder inszeniert, wenn der<br />

gesellschaftliche Status quo verteidigt<br />

bzw. Privilegien weiter ausgebaut werden<br />

sollen. Dieser Mechanismus passiert nicht<br />

nur auf der ideologischen Ebene, sondern<br />

auch auf der materiellen: Für bestimmte<br />

Gruppen wird der gesellschaftliche Zugang<br />

eingrenzt wie zum Beispiel zum Arbeitsoder<br />

Wohnungsmarkt sowie zur Bildung.<br />

Es ist kein Wunder, dass es zuallererst und<br />

insbesondere diejenigen schwer trifft, die<br />

eine mehrfache Marginalisierung erleben:<br />

Undokumentierte Sexarbeiter*innen oder<br />

nicht-weiße Queers sind von mehreren<br />

dieser rassistischen und trans*feindlichen<br />

Argumentation gleichzeitig betroffen.<br />

Sie erleben die volle Härte einer Welt aus<br />

weißer Vorherrschaft und Cisnormativität VI .<br />

In Großbritannien und in den USA ist<br />

die Ideologie von TERFs schon sehr<br />

weit fortgeschritten. Um nicht von<br />

TERFs überrannt zu werden müssten<br />

sich cis Menschen aktiv für unsere<br />

Sicherheit einsetzen? Wie kann die<br />

cis Community uns schützen?<br />

Für ein Ally Sein gehört es immer dazu,<br />

die eigene Position mitzudenken. Ich als<br />

weiße, nicht-be_hinderte trans* Person<br />

versuche mich beispielsweise zu fragen:<br />

Wessen Perspektive kann ich versuchen<br />

zu stärken und ins Zentrum der Aufmerksamkeit<br />

zu rücken? Wie kann ich die Möglichkeiten,<br />

die ich habe, investieren, sodass<br />

mehr Menschen teilhaben können? Wie<br />

kann ich bereits bestehende Bewegungen<br />

unterstützen und Ressourcen zukommen<br />

lassen? Je weiter sich meine Identität in<br />

der gesellschaftlichen Mitte wiederfindet,<br />

desto mehr Einfluss besitze ich und kann<br />

meine Privilegien für soziale Gerechtigkeit<br />

nutzen. Wichtig dabei ist, nicht nur über<br />

Menschen zu reden, sondern Möglichkeiten<br />

schaffen, dass sich Menschen<br />

selbst am Diskurs beteiligen können. In<br />

Situationen, in denen marginalisierte Personen<br />

nicht sprechen können oder wollen,<br />

weil sie sich zum Beispiel angreifbar oder<br />

verwundbar machen, kann ich ihnen meine<br />

Stimme leihen. Wenn marginalisierte<br />

Personen aber sprechen können, bin ich<br />

dazu verpflichtet, die Bühne zu Räumen.<br />

Für den Schutz von trans* Personen<br />

reicht es nicht aus zu sagen, dass trans*<br />

Frauen Frauen sind. Damit werde ich trans<br />

Feind*innen nie überzeugen können. Wenn<br />

Menschen von einem biologistischen<br />

Geschlechterbild ausgehen, werde ich mit<br />

„Trans* Frauen sind Frauen!“ nicht dagegen<br />

vorgehen können. Das ist schlicht und<br />

ergreifend nicht hilfreich. Ich brauche eine<br />

tatsächliche Argumentation, die sich an<br />

materiellen Realitäten orientiert. Ich muss<br />

mich fragen, welcher Ideologie stehe ich<br />

gegenüber, was hat sie für Auswirkungen?<br />

Was haben Ausschlüsse aus dem<br />

Gesundheitssystem für Auswirkungen?<br />

Minderheitenstress, soziale Ausschlüsse,<br />

Probleme auf dem Arbeitsmarkt,<br />

Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt,<br />

reproduktive Ungerechtigkeit sind nur<br />

einige Beispiele. Ich kann im globalen<br />

Zusammenhang schauen: Wer sind die<br />

Personen, die die Reproduktionsarbeit für<br />

weiße Kapitalist*innen leisten? Es sind<br />

häufig osteuropäische oder nicht-weiße<br />

Arbeiter*innen, die undokumentiert in den<br />

Haushalten arbeiten und aufgrund ihrer<br />

prekären Lage Schwierigkeiten haben, aus<br />

diesen missbräuchlichen Verhältnissen<br />

auszubrechen. Ich kann dann analysieren,<br />

wie materielle Ungleichbehandlung sich<br />

auf diese Communities auswirkt. Ich<br />

muss als privilegierte Person anfangen zu<br />

sehen, wie Diskriminierungsphänomene<br />

Hand in Hand gehen. Wenn wir über TERFs<br />

sprechen, sprechen wir häufig auch über<br />

diejenigen, die sich gegen die Inklusion<br />

von Sexarbeiter*innen aussprechen. Dann<br />

sprechen wir häufig über diejenigen, die<br />

mit anti-muslimischem Rassismus in die<br />

Argumentation gehen und versuchen,<br />

weiße Deutungshoheit und white<br />

saviorism in Form von „Wir retten euch!“<br />

durchzusetzen. Der Schutz von trans* Personen<br />

ist somit untrennbar mit anderen<br />

Diskriminierungsformen verbunden. Für<br />

eine soziale Bewegung muss ich materielle<br />

Realitäten analysieren: Wem und wie<br />

werden Ressourcen in dieser Gesellschaft<br />

verwehrt und wer profitiert davon?<br />

Vielen Dank! Möchtest du noch<br />

einen eigenen Punkt reinbringen, der<br />

dir bisher noch gefehlt hat?<br />

So viele Dinge, von denen ich spreche,<br />

sind keine Sachen, die ich mir selbst<br />

ausgedacht habe. Ich lerne viel von<br />

anderen Geschwistern, die diese Arbeit<br />

schon viel länger als ich machen. Gerade<br />

was antirassistische und anti-ableistische VII<br />

Diskurse angeht. Feminismus ist eine<br />

Bewegung, die aus mehreren Perspektiven<br />

besteht. Es ist wichtig, sich selbst immer<br />

wieder einzuladen, dazuzulernen und<br />

denjenigen zuzuhören, die einen anderen<br />

Erfahrungsschatz haben als mensch selbst.<br />

*Interview: Victoria Forkel<br />

https://www.instagram.com/<br />

mine_undclaudia/<br />

I Endo(geschlechtlich) ist das Gegenstück zu inter*<br />

(geschlechtlich). Das heißt, Menschen sind endo, wenn<br />

ihre Körper nach dem westlichen medizinischen Modell<br />

in die Kategorien von Mann und Frau passen und daher<br />

keine Inter*Feindlichkeit erleben.<br />

II Weiß wird klein und kursiv geschrieben, um zu markieren,<br />

dass es sich nicht um eine Beschreibung von einer<br />

Hautfarbe, sondern um die Markierung der von Rassismus<br />

privilegierten Position handelt.<br />

III People of Color ist eine politische Selbstbezeichnung<br />

nicht-Schwarzer, negativ von Rassismus betroffener<br />

Personen. Dabei handelt es sich nicht um eine<br />

Hautfarbenbeschreibung, sondern um eine bewusste<br />

Positionierung in einer auf Rassismus aufbauenden<br />

Gesellschaft.<br />

IV Ein Zine ist eine Publikation in sehr kleiner Auflage.<br />

V Der Unterstrich in „Be_hinderung“ soll verdeutlichen,<br />

dass betroffene Menschen durch die Gesellschaft<br />

be_hindert werden und nicht nur durch die Be_hinderung<br />

selbst.<br />

VI Cisnormativität ist die Vorstellung, dass cis Menschen<br />

normal und natürlich sind, während jede Abweichung<br />

FOTO: GGAADD / CC0

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!