07.05.2021 Aufrufe

Leo Mai / Juni 2021

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

GESELLSCHAFT<br />

KAROL<br />

„Hier in Polen scheinen die Kirche und die LGBTIQ*-<br />

Community das Gegenteil voneinander zu sein<br />

und klar getrennt. Wir als queere Christ*innen wollen<br />

zeigen, dass es möglich ist, diese beiden Identitäten<br />

miteinander zu verbinden.“<br />

Westens dar, die bekämpft werden müsse.<br />

Was der Erzbischof sagt, hat Gewicht:<br />

Etwa neunzig Prozent der polnischen<br />

Bevölkerung sind katholisch.<br />

„Meine Kirche hasst mich.“ So fasst Karol<br />

Szymonik die aktuelle Situation zusammen.<br />

Der 26-Jährige ist gläubiger Christ<br />

– und schwul. „Ich habe zu Gott gebetet,<br />

dass er das von mir nimmt“, sagt er, wenn<br />

er an seine Schulzeit zurückdenkt. Karol<br />

stammt aus der kleinen Stadt Oświęcim.<br />

Dort kannte er keinen anderen schwulen<br />

Mann. Sich zuzugestehen, homosexuell<br />

zu sein, fiel ihm schwer. „Erst als ich für<br />

mein Studium nach Krakau kam, habe<br />

ich mich freier gefühlt.“ Dort hörte er das<br />

erste Mal von anderen schwulen Männern<br />

und vertraute sich seinen engsten<br />

Freund*innen an. Nach und nach erzählte<br />

er es mehr Kommiliton*innen, ehe er sich<br />

schließlich outete. Am schwersten war<br />

es für Karol, gegenüber seinen streng<br />

katholischen Eltern offen zu sein: „Sie<br />

waren sehr überrascht, sie haben nicht<br />

einmal in Erwägung gezogen, dass so<br />

etwas möglich ist.“ An das Gespräch<br />

mit seiner Mutter kann er sich noch gut<br />

erinnern, obwohl es inzwischen vier Jahre<br />

her ist: „Als ich mich geoutet habe, hat<br />

meine Mutter heftig geweint. Das war<br />

eine schwierige Unterhaltung zwischen<br />

uns. Danach wusste ich nicht, ob das für<br />

sie in Ordnung ist oder nicht.“ Seit dem<br />

Gespräch wird über Karols Sexualität in<br />

der Familie geschwiegen.<br />

Karol arbeitet inzwischen in Krakau als<br />

Tierarzt. „Während meines Studiums<br />

habe ich darüber nachgedacht, aufs<br />

Land zu ziehen und Kühe zu behandeln.<br />

Aber dann habe ich mir gedacht: Ich<br />

bin schwul – so kann ich nicht leben.<br />

Auf dem Land ist es viel gefährlicher für<br />

mich.“ In Krakau fühlt sich Karol wohl,<br />

zumindest bis zu einem gewissen Grad:<br />

„Es gibt Orte, an denen wir uns gemeinsam<br />

treffen können, es gibt Kirchen, in<br />

die wir gehen können, wo wir akzeptiert<br />

sind – es ist sehr viel angenehmer als<br />

in den Dörfern. Aber trotzdem gibt es<br />

überall Zeichen von Homophobie.“ Es<br />

fällt Karol schwer, diese Ambivalenz in<br />

Worte zu fassen. Auf der einen Seite eine<br />

Freiheit, von der er in seinem Heimatdorf<br />

nicht einmal träumen konnte, auf der<br />

anderen Seite die ständige Angst, doch<br />

auf die falschen Leute zu treffen. „Wenn<br />

ich nachts mit meinen Freunden unterwegs<br />

bin, habe ich diesen Gedanken im<br />

Kopf, dass die Leute erkennen, dass wir<br />

schwul sind, und uns deswegen zusammenschlagen<br />

werden.“ Vieles könnte<br />

besser sein in Krakau, „aber es ist gerade<br />

nun einmal, was es ist“, sagt Karol..<br />

ABLENKEN VOM MISS-<br />

BRAUCHSSKANDAL<br />

Karol redet ruhig und konzentriert, nur<br />

wenn er über die Ungerechtigkeiten in<br />

seinem Land spricht, wird er merklich<br />

aufgebrachter, seine Stimme wird<br />

schneller, er fängt an zu gestikulieren.<br />

„Hier in Polen scheinen die Kirche und<br />

die LGBTIQ*-Community das Gegenteil<br />

voneinander zu sein und klar getrennt.“<br />

Um das zu ändern, engagiert sich Karol in<br />

der Initiative „Glaube und Regenbogen“.<br />

„Wir als queere Christ*innen wollen<br />

zeigen, dass es möglich ist, diese beiden<br />

Identitäten miteinander zu verbinden.“<br />

Mit der aktuellen Kirchenführung fällt das<br />

nicht immer leicht, aber Karol hat einen<br />

Weg für sich gefunden: „Die Bischöfe in<br />

Polen sind die eine Sache, mein Glaube ist<br />

etwas anderes. Ich höre nicht so genau hin,<br />

worüber die Priester in ihrer Predigt reden<br />

– denn das tut mir manchmal weh.“<br />

Dass sich die Rhetorik der katholischen<br />

Kirche in den vergangenen Monaten noch<br />

einmal verschärft hat, ist für Karol kein<br />

Zufall. Ähnlich wie in Deutschland erschütterte<br />

auch in Polen ein Missbrauchsskandal

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!