UKJ-Klinikmagazin 2/2021
Ganz intensiv - Was moderne Intensivmedizin ausmacht.
Ganz intensiv - Was moderne Intensivmedizin ausmacht.
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TITELTHEMA<br />
Gespräche zu führen und zu ermöglich:<br />
Beides sind wichtige Bestandteile<br />
der Arbeit von Psychologin Dr. Teresa<br />
Deffner. Per Videotelefonie können<br />
Angehörige mit den Patienten auf der<br />
Intensivstation im Kontakt sein.<br />
Foto: Rodigast<br />
„Wichtig ist, da<br />
zu sein und den<br />
Angehörigen zu<br />
vermitteln, dass<br />
ihre Lieben nicht<br />
alleine sind...“<br />
nicht alleine sind und sich das Team<br />
der Intensivstation um sie kümmert“,<br />
berichtet Deffner. „Wir wollen damit ein<br />
Stück weit das Hilflosigkeitsgefühl der<br />
Angehörigen mildern. Und Anteilnahme<br />
schaffen – für die Angehörigen und die<br />
Patienten.“<br />
Eine Berührung als<br />
menschliche Zuwendung<br />
Deffner ist es wichtig, nicht nur mit<br />
den Patienten zu sprechen, sondern<br />
ihnen die Hand zu halten. „Ich finde,<br />
Berührung sollte nicht nur medizinisch<br />
bedingt sein, sondern auch ganz bedingungslos<br />
als menschliche Zuwendung<br />
geschehen“, so die Psychologin. Nicht<br />
selten hängen Briefe oder Bilder um<br />
die Betten, die Angehörige der Psychologin<br />
geschickt haben und die sie sorgfältig<br />
ausdruckt und laminiert. Bilder<br />
des Hochzeitstags beispielsweise. Bei<br />
Bewusstsein oder nicht, für den Ehemann<br />
war es wichtig, diesen besonderen<br />
Tag zu würdigen und seiner Frau<br />
zu zeigen, dass er an sie denkt. „Das<br />
ist wichtig für die Angehörigen, weil sie<br />
etwas für den Patienten tun können,<br />
auch wenn sie nicht an seiner Seite<br />
sein dürfen“, erklärt Deffner.<br />
Die Psychologin ist fast den ganzen<br />
Tag auf der COVID-19-Intensivstation<br />
unterwegs. Sie geht von Zimmer zu<br />
Zimmer, zieht jedes Mal aufs Neue die<br />
Schutzkleidung an und aus. Desinfiziert<br />
sich. Und obwohl sie sich um unglaublich<br />
viele Patienten kümmert, wirkt es,<br />
als liegen da alte Bekannte, als kenne<br />
sie jeden einzelnen schon Ewigkeiten –<br />
bei vielen ist es auch schon so etwas<br />
wie eine kleine Ewigkeit, denn die meisten<br />
Corona-Patienten verbringen viele<br />
Tage und Wochen auf der Intensivstation.<br />
Deffner kann auf den Punkt genau<br />
berichten, was die Frau, der Mann oder<br />
der Sohn gestern erzählt haben und<br />
was sie heute vorhaben. Was sie verabredet<br />
hat und welche Untersuchungen<br />
heute anstehen. Dafür tauscht sie<br />
sich engmaschig mit den Ärzten und<br />
Pflegenden aus. „Jede Information ist<br />
wichtig, die medizinischen und pflegerischen<br />
genauso wie die psychologischen.<br />
Das ergänzt sich gegenseitig<br />
und deswegen ist es auch so wichtig,<br />
hier zu sein und ein vollständiges Bild<br />
zu bekommen“, sagt sie.<br />
Überhaupt: Psychologische Betreuung<br />
ist ein ganz wesentlicher Versorgungsaspekt,<br />
das hat die Pandemie nochmal<br />
verdeutlicht. „Menschen, die auf der<br />
Intensivstation liegen, befinden sich<br />
meist in einer Krisensituation. Viele der<br />
COVID-19-Patienten müssen beatmet<br />
werden. Hier geht es um existentielle<br />
Fragen und Ängste: Wache ich wieder<br />
auf? Überlebe ich das? Was, wenn die<br />
Ärzte und Pflegekräfte die letzten Menschen<br />
sein werden, die ich sehe? Darüber<br />
müssen die Patienten sprechen<br />
können.“ Gerade in einer Pandemie<br />
müssten hier Ressourcen pragmatisch<br />
gebündelt werden, um allen Patienten<br />
und Angehörigen psychologische<br />
Unterstützung bieten zu können, findet<br />
Deffner. Sie und ihre Kolleginnen sind<br />
jedenfalls allseits gefordert in dieser<br />
noch nie dagewesenen, besonderen<br />
Situation. So viele Patienten liegen<br />
hier beatmet, einige wachen nie mehr<br />
auf. „Um Abschied zu nehmen, können<br />
Dr. Theresa Deffner<br />
d i e<br />
Angehörigen<br />
persönlich<br />
vorbeikommen.<br />
Wir als Ärzte, Pflegekräfte<br />
und Psychologen begleiten sie<br />
dann bei der Abschiednahme und<br />
haben auch versucht, neue Rituale<br />
für Angehörige zu finden, die selbst in<br />
Quarantäne sind. Sie können per Video<br />
oder Telefon letzte Worte an den Patienten<br />
richten und ihn auf diese Weise<br />
begleiten. Wir fertigen Bilder und Fingerabdrücke<br />
von den Verstorbenen an,<br />
die wir den Angehörigen auf Wunsch<br />
zukommen lassen. Außerdem führen<br />
wir bei allen Angehörigen verstorbener<br />
Patienten Nachsorgeanrufe durch,<br />
wenn sie es wünschen. Viele Angehörige<br />
erleben das als Wertschätzung<br />
ihrer Situation und sind sehr dankbar<br />
für die kleinen Erinnerungsstücke und<br />
die Möglichkeit, ein Bild des Verstorbenen<br />
zu erhalten“, sagt Deffner.<br />
Und neben all diesen Schicksalen gibt<br />
es auch die schönen Momente. Wenn<br />
nach langer, langer Zeit ein Patient<br />
wieder da ist, selbst sprechen und<br />
ganz wach zuhören kann. Auch wenn<br />
jeder Ton noch anstrengend und kräftezehrend<br />
ist. Für die Angehörigen ist<br />
es ein erlösender Moment, die Stimme<br />
ihres Mannes, Vaters, Opas zu hören.<br />
Teresa Deffners Stimme wird sie aber<br />
auch dann noch eine Weile begleiten.<br />
Denn aufgewacht heißt noch nicht<br />
genesen. Aber es ist ein Anfang.<br />
Katrin Bogner<br />
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