uchrezensionen www.barbara-brunner.at Die aktuellen Lesetipps von Dr. Barbara Brunner Liebe Leute, nach dem Welttag der Frauen kommt der Welttag des Buches, daher empfehle ich Ihnen heute vier Bücher von und über bemerkenswerte Frauen: Als ich vor ein paar Wochen das Buch von Bojana Meandžija gelesen habe, konnte ich nicht ahnen, wie aktuell diese Geschichte bald wieder werden würde: Bojana ist 13 und verbringt wie immer einen idyllischen Sommerurlaub bei ihrer Großmutter auf dem Land. Bis sie ihre Eltern eines Tages überstürzt in die Stadt zurückholen, in die Wohnung in einem Hochhaus in Karlovac. Und dann beginnt das Unvorstellbare: In der Nacht wird geschossen, völlig kopflos rennen die Eltern mit Bojana und ihrer Schwester in den Keller des Hauses, bis vorerst wieder Ruhe herrscht. Trügerische Ruhe, wie sich herausstellt, denn Bojana und ihre Freundin werden am nächsten Tag auf dem Schulweg beschossen, und von da an verbringt sie mit ihrer Familie und vielen anderen Menschen viele Tage und Nächte im Luftschutzkeller und vor allem – sie versteht nicht, was und warum das alles passiert und was das mit ihr zu tun hat, einem jungen Mädchen, das niemandem etwas zuleide getan hat und das eigentlich nur mit ihren Freundinnen lachen möchte. Lauf! Warte nicht auf mich ... ist der Titel der Geschichte, die Bojana Meandžija im Alter von 16 Jahren noch im Luftschutzkeller aufgeschrieben hat, so geschehen und erlebt im Jugoslawienkrieg in den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Klang bis vor Kurzem noch so weit weg und ist doch wieder erschreckend aktuell. Bojana hat seither mehr als 400 Lesungen in Kroatien, Slowenien, Bosnien und Herzegowina vor etwa 80.000 Kindern gehalten und ihnen von ihren Erlebnissen im Krieg erzählt, das Buch ist bereits in 16 Auflagen erschienen. Ein ganz anderes Schicksal erzählt uns Goliarda Sapienza in ihrem monumentalen Werk Die Kunst der Freude: Modesta, der Name, die Bescheidene, ist nur scheinbar Programm, stammt aus ärmlichen Verhältnissen in Catania und wird noch als Kind in ein Kloster gebracht, in dem sich die Mutter Oberin besonders um das junge Mädchen kümmert. Mit der Zielstrebigkeit einer streunenden Katze weiß Modesta bald, wie sie sich bei den Schwestern oder beim Gärtner verhalten muss, um möglichst viele Vorteile zu bekommen – und in der Tat ist ihr das Glück scheinbar hold: Mutter Oberin verfügt bei ihrem Ableben, dass Modesta einige Zeit bei ihrer Familie, vermögenden Adeligen auf Sizilien, verbringen soll, bis sie entscheidet, ob sie als Novizin ins Kloster eintreten will. Was für eine Lebensgeschichte – Modesta findet auch bei der alten Principessa und deren Enkelin nicht nur die Familiengeheimnisse heraus, sondern auch dort Mittel und Wege, um bald als vollwertiges Mitglied in die Familie aufgenommen zu werden und fortan als Fürstin Brandiforti in der Gesellschaft Siziliens eine Rolle zu spielen. Adieu Kloster, willkommen in der Welt der Adeligen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Es ist die abenteuerliche Geschichte einer ebenso intelligenten wie zielstrebigen Frau im 20. Jahrhundert auf Sizilien, die auch nicht davor zurückschreckt, anderen beim Sterben ein wenig nachzuhelfen, um schneller ans Ziel zu kommen, die aber auch leidenschaftlich für ihre Unabhängigkeit kämpft. Obwohl das nicht die Biografie von Goliarda Sapienza ist, dürfte sich doch vieles von ihr in Modesta wiederfinden, denn, um ihren Jahrhundertroman Die Kunst der Freude schreiben zu können, gibt Goliarda Sapienza alles auf: ihre Karriere als Schauspielerin in Film und Theater und alle anderen Schreibaufträge. Bis sie so verarmt, dass sie, um überleben zu können, einen Diebstahl begeht und im römischen Frauengefängnis Rebibbia landet. Auch diese Zeit beschreibt Goliarda Sapienza in ihrem Tagebuch Tage in Rebibbia in der ihr eigenen unsentimentalen Art, sie erzählt von Freundschaften unter den Frauen, von Rivalitäten und Eigenbröteleien, vom Gefühl der Geborgenheit in einer Gemeinschaft und von vielen Frauen, die das Schicksal nicht brechen konnte. Vor einiger Zeit habe ich Ihnen von Michael Jeans Kukum berichtet, der Geschichte seiner Urgroßmutter, die als irisches Waisenkind nach Kanada kommt, von einer kinderlosen Familie aufgenommen wird und mit 15 Jahren Thomas, einen Innu, heiratet und mit ihm fortan als Nomadin in den Wäldern lebt. Ihre älteste Tochter Jeannette führt mit Eltern und Geschwistern ein zwar schweres, aber sehr behütetes und glückliches Leben in der Wildnis, aber den Zeichen der Zeit folgend schickt sie ihr Vater mit 15 Jahren ins Reservat, damit sie ein Jahr lang die Schule besuchen kann. Es kommt, wie es kommen muss – sie verliebt sich in einen Weißen, und nach dem Stammesbrauch ist sie fortan keine Innu mehr, ja vielmehr, auch der Vater wendet sich von ihr ab. Michael Jean erzählt in seinem neuen Buch Atuk die Geschichte seiner Großmutter und spiegelt sie mit seiner eigenen, da er – als erfolgreicher kanadischer Journalist und Schriftsteller – immer noch auf der Suche nach seinen Wurzeln ist und diese in der ergreifenden Geschichte seiner Großmutter zu finden hofft. Diese zarte und respektvolle Spurensuche gerät zu einer tiefen Verneigung vor den bewunderten starken Frauen der Familie, Urgroßmutter Almanda und Großmutter Jeannette. Vier Bücher, vier Schicksale, vier lesenswerte Geschichten! Barbara Brunner 82 <strong>sortimenterbrief</strong> 4/22
»Alles in mir fiebert nach einer schrankenlosen Hingabe, nach einem Untertauchen in dem Taumel besinnungsloser Liebe, den ich nur ahne.« Betty Kurth Das neue Buch von Susanne Nadolny Jetzt lieferbar! © Angie Lingnau - stock.adobe.com ISBN 978-3-7374-1184-4 // € 22,00 (D) / € 22,70 (A) www.verlagshaus-roemerweg.de Mit Texten von: Lily Brett Lydia Davis Hedwig Dohm Marguerite Duras Elena Ferrante Olga Grjasnowa Benoïte Groult Ulla Hahn Radclyffe Hall Ricarda Huch Catherine Millet Sylvia Plath Sally Rooney George Sand Vita Sackville-West Marguerite Yourcenar