Alnatura Magazin Juni 2022
Den Sommerabend draußen genießen // Alnatura bewegt: Zusammenarbeit mit Too Good To Go // Zu Besuch bei Sonnentor: Der Kräuter- und Gewürzexperte aus Österreich
Den Sommerabend draußen genießen // Alnatura bewegt: Zusammenarbeit mit Too Good To Go // Zu Besuch bei Sonnentor: Der Kräuter- und Gewürzexperte aus Österreich
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INTERVIEW<br />
Zu jedem Gericht gibt es<br />
Karten, die zeigen, von wem<br />
das Gemüse oder Fleisch<br />
auf dem Teller stammt.<br />
»Tim hat danach rückblickend gesagt, bei<br />
uns ›die besten Tage bei Kitchen Impossible‹<br />
gehabt zu haben. Er hat dann noch ergänzt,<br />
dass wir es geschafft hätten, dieser oft fehlkommunizierten<br />
Philosophie so etwas wie<br />
ein Herz zu geben. Und er hat gesagt, dass<br />
er nicht geläutert in Sachen Regio nalität,<br />
aber viel offener geworden sei. Die Zuneigung<br />
zwischen ihm und uns beruhte aber<br />
auf Gegenseitigkeit. Unsere Mutter hat<br />
beim Dreh gesagt: ›Ich glaube, den kann<br />
ich adoptieren.‹ Das hat sogar Tim die<br />
Sprache verschlagen.«<br />
In der Vergangenheit hat Tim Mälzer keinen<br />
Hehl daraus gemacht, dass ihn dieser<br />
»brutale Regionalismus« und die »überfrachtete<br />
Bedeutung von Essen« aufrege.<br />
»Ja, das war lustig. Ich habe Tim mit auf<br />
den Traktor genommen und er musste die<br />
Kohlrabi selbst aus der Erde ziehen. Später<br />
musste er sogar Sahne, Butter und Rapsöl<br />
selbst herstellen. Das war für ihn neu, für<br />
uns hingegen selbstverständlich. Die meisten<br />
Lebensmittel bauen wir selbst an oder stellen<br />
sie selbst her. Und wir kochen nur mit dem,<br />
was wir in einem Umfeld von 25 Kilometern<br />
finden. Beim Thema Nachhaltigkeit sind für<br />
uns die obersten Prioritäten: alles aus der<br />
unmittelbaren Region, alles zu seiner Saison,<br />
alles verwerten oder in Vorrat verwandeln.<br />
Wir besitzen ein paar Hektar Felder um<br />
unseren Ort herum und haben diese verpachtet.<br />
Was immer dort angebaut und zu<br />
uns gebracht wird, verwerten wir.«<br />
Das klingt nach Zero Waste?<br />
»Ja, absolut! Ich gebe Ihnen ein Beispiel:<br />
Wir haben für unser neues Restaurant hier<br />
in Hayingen-Ehestetten, das den Namen<br />
›1950‹ trägt, eine Hafer- Zitronengras-Milch<br />
im Menü. Das Zitronengras nehmen wir aus<br />
unserem Gewächshaus. Honig kommt von<br />
unseren Partner-Imkern.<br />
Wir lassen die Hafer- Zitronengras-Milch<br />
eine Nacht<br />
durchziehen und seihen<br />
sie durch ein Nusstuch<br />
(Anm. d. Red.: feinmaschiges<br />
Tuch, das sich zum<br />
Filtern eignet). Das, was im<br />
Tuch hängen bleibt, wird<br />
getrocknet und im Rahmen des nächsten<br />
Menüs setzen wir das Hafermilchmehl für<br />
das Backen eines Biskuits ein. Das ist Zero<br />
Waste. Und am Ende eines Wochenendes mit<br />
voll besetztem Restaurant passen die Ab fälle<br />
in eine Espressotasse. Mit dem ›1950‹ gehen<br />
wir eben noch einen Schritt weiter: Hier<br />
sind alle Zutaten Demeter-zertifiziert und<br />
wir möchten unser Konzept immer weiterentwickeln<br />
und viele Menschen in Sachen<br />
regionaler, saisonaler und vegetarischer Ernährung<br />
inspirieren.«<br />
Und zu jedem Gericht gibt es Memoryähnliche<br />
Karten, auf denen die Bäuerin<br />
oder der Bauer abgebildet ist, der etwas<br />
zum Gericht beiträgt. Auf der Rückseite<br />
finden die Gäste Angaben zum CO 2-Verbrauch<br />
der Zutat. Sie machen alles<br />
transparent?<br />
»Absolut! Uns interessiert immer: Was kann<br />
ich beispielsweise aus einer Karotte machen?<br />
Wie kann ich sie so zubereiten, dass ich das<br />
maximale Geschmackserlebnis daraus kreiere?<br />
Mit dem ›1950‹ sind wir im Fine- Dining-<br />
Sektor ankommen, aber eben im Bio-Fine-<br />
Dining. Wir bringen jeder Zutat maximalen<br />
Respekt entgegen. Wobei Fine Dining bei<br />
uns immer in einem Casual- Dining-Rahmen<br />
stattfindet. Der Gast soll sich wie zu Hause<br />
fühlen. Daher gibt es im ›1950‹ auch keine<br />
Tischdecken; stattdessen Holztische und<br />
eine offene Küche. Jeder Gast kann uns<br />
beobachten und mit uns auf Augenhöhe<br />
kommunizieren.«<br />
Betrifft Zero Waste auch das Tier?<br />
»Ja, so weit wie möglich betrifft das natürlich<br />
auch das Tier. Wir haben auf der Karte<br />
ge schmorten Ochsenschwanz mit Rinderzungencreme.<br />
Und aus der Zunge machen<br />
wir einen Salat mit selbst angesetztem<br />
Apfel essig. Wenn wir Fleisch anbieten, gehört<br />
es für uns auch dazu, die Teile, die<br />
normalerweise nicht auf dem Teller landen,<br />
delikat zu machen.«<br />
Das Menü im »1950« kommt mit Fleisch<br />
oder Fisch?<br />
»Zunächst besteht das Menü aus fünf vegetarischen<br />
Gängen plus Pre-Dessert, Apéro<br />
und Käse. Aber man kann Fleisch als Beilage<br />
bestellen. Das können Gäste alleine genießen<br />
oder sich teilen. Fleisch als Beilage gibt<br />
es in unseren Bio-Restaurants bereits seit<br />
20 Jahren. Wir waren das erste Restaurant<br />
in Deutschland, das das gemacht hat. Auch<br />
wenn wir Vegetarismus nach vorne bringen<br />
wollen, möchten wir gleichzeitig niemanden<br />
bevormunden und es dem Gast überlassen,<br />
ob er Fleisch oder eben keins möchte. Und<br />
wir finden, Fleisch gehört auch dazu. Das<br />
ist ja auch für den biodynamischen Kreislauf<br />
wichtig. Wir haben ja nicht nur Gäste<br />
aus der Stadt, die dem Vegetarismus anhängen<br />
oder ihn ausprobieren wollen und<br />
einen bestimmten Lebens- oder Ernährungsstil<br />
leben. Wir haben auch viel Landbevölkerung<br />
mit ihren tradierten Essgewohnheiten<br />
zu Gast, und die zu überzeugen, ist sehr<br />
anspruchsvoll. Und daran bemisst sich das<br />
eigentlich Erreichte von uns vier Brüdern:<br />
dass Gemüse zum vollwertigen Essen geworden<br />
ist und der Gast da womöglich<br />
sagt, dass er dabei gar kein Fleisch vermisse.«<br />
Das Interview führte Matthias Fuchs.<br />
Kochen wie<br />
Simon Tress<br />
Schmackhafte Grünkern-<br />
Taler und -Bällchen mit<br />
gedünstetem Gemüse,<br />
umspielt von einer vegetarischen<br />
Jus.<br />
Das Rezept finden Sie im<br />
<strong>Alnatura</strong> <strong>Magazin</strong> Online.<br />
alnatura.de/simontress<br />
56 <strong>Alnatura</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>Juni</strong> <strong>2022</strong>