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konnte, wenn man das Radio anstellte, als es<br />
im Studio noch darum ging, einen Song möglichst<br />
lebendig klingen zu lassen.“ Worauf die<br />
Amerikanerin anspielt: In der Popmusik hat<br />
es in den letzten anderthalb Jahrzehnten eine<br />
Art klangtechnischen Kulturkampf gegeben –<br />
zwischen mit allerlei Computertechnologie<br />
aufgemotztem Chartsbombast von Figuren<br />
wie Madonna, Lady Gaga oder Justin Timberlake<br />
einerseits und als Gegenreaktion vor allem<br />
in der Indieszene einer radikalen Negation<br />
aufnahmetechnischer Standards andererseits.<br />
Beide Haltungen gehen nicht selten zu<br />
Lasten der emotionalen Wirkung der Musik.<br />
„Es gab bei uns groß-<br />
artige Sender – und<br />
sie spielten damals<br />
noch all das weiße und<br />
schwarze Zeugs durcheinander“<br />
Sheryl Crow<br />
Während Crows schönes Album auch<br />
wegen der mangelnden medialen Präsenz<br />
der Künstlerin in Europa verkaufstechnisch<br />
bislang unter Wert geschlagen wurde, gehört<br />
„The Union“, das überraschende Gemeinschaftswerk<br />
von Elton John und Südstaaten-Studiolegende<br />
Leon Russell zu den ganz<br />
großen Erfolgen dieses Musikherbsts. Wenn<br />
sich Elton John an die frühen 70er erinnert,<br />
dann muss er nicht nur an die Musik anderer<br />
Künstler denken, sondern auch an das<br />
eigene Frühwerk – schließlich schaffte der<br />
Brite damals mit Meisterwerken wie „Honky<br />
Chateau“ und „Tumbleweed Connection“, deren<br />
Songs mit uramerikanischen Traditionen<br />
spielten, den Durchbruch in den USA – lange<br />
vor MTV oder YouTube, als nicht nur in den<br />
Vereinigten Staaten das Radio noch Hits und<br />
Karrieren machte. An diese frühen Tage seiner<br />
Karriere knüpft Elton John mit „The Union“<br />
wieder an. In Stücken wie „Hey Ahab“<br />
und „Hearts Have Turned To Stone“ verarbeitet<br />
er Honky-Tonk-Melodien und Gospelelemente,<br />
während die Soulballade „The<br />
Best Part Of The Day“ deutlich macht, wie<br />
prägend der Memphis-Sound und das Label<br />
Motown für ihn waren. „Ich musste erst einen<br />
Nostalgiker: Sheryl Crow, Leon Russell,<br />
Elton John, Neil Diamond und Marc Cohn<br />
huldigen auf ihren Alben dem naturbelasseneren<br />
Pop des Mainstream-Radios von einst<br />
Schritt zurückgehen, um vorwärts zu kommen<br />
und den Tracks dieses Livefeeling verpassen<br />
zu können. Ich will keine glatten Popsingles<br />
mehr aufnehmen. Ich liebe es zwar, Songs für<br />
die Scissor Sisters zu schreiben oder auf einem<br />
Tupac-Album als Gast aufzutreten, doch davon<br />
abgesehen bin ich nur noch daran interessiert,<br />
wirklich gute Alben aufzunehmen, die<br />
meinem Alter entsprechen und zu dem Punkt<br />
passen, an dem ich in meinem Leben stehe.“<br />
Und so sollte sein Gemeinschaftswerk mit<br />
Leon Russell „zeitgenössisch und zugleich alt<br />
und einfach nur klassisch klingen – ein Rezept<br />
übrigens, das mir Neil Young schon seit Ewigkeiten<br />
ans Herz gelegt hat.“<br />
Diamond stöbert im Soulfundus<br />
Crow und John sind nur zwei aus der Schar<br />
der Hochkaräter, die in diesem Jahr den Blick<br />
zurück in die Sixties und Seventies richteten:<br />
Auch Neil Diamond pflegt auf seiner neuen CD<br />
„Dreams“ Retroqualitäten. Und ähnlich wie<br />
Crow und Elton John greift der 69jährige dabei<br />
nicht nur auf Klassiker weißer Stars (wie etwa<br />
die Beatles-Songs „Yesterday“ und „Blackbird“,<br />
Leonard Cohens „Hallelujah“ und die Eagles-<br />
Hymne „Desperado“) zurück, sondern stöbert<br />
auch im Soul- und Rythm’n’Blues-Fundus –<br />
mit Coverversionen von Bill Withers’ „Ain’t No<br />
Sunshine“ und dem Gladys-Knight-Klassiker<br />
„Midnight Train To Georgia“. Vielleicht kein<br />
Zufall, dass auch eine Komposition des oben<br />
erwähnten Leon Russell mit auf dem Album<br />
ist: „A Song For You“ , mit dem die Carpenters<br />
in den Mittsiebzigern einen großen Radiohit<br />
hatten. Im eigenen Repertoire ist der große<br />
Songwriter Diamond dabei ebenfalls fündig<br />
geworden – mit Recht hat er seine Komposition<br />
„I’m A Believer“, einen absoluten Superklassiker<br />
des FM-Radios, mit in die Liste der<br />
Songs auf „Dreams“ genommen.<br />
Noch enger als seine Kollegen hat der in<br />
den 90er Jahren durch den Hit „Walking In<br />
Memphis“ bekanntgewordene Singer-Songwriter<br />
Marc Cohn die Ära eingegrenzt, aus<br />
der er sich für sein aktuelles Album „Listening<br />
Booth 1970“ bediente: Der Titel sagt es<br />
schon – Cohn interpretiert hier ausschließlich<br />
Songs aus dem großen Popjahr 1970, in<br />
einem Sound, der die Direktheit damaliger<br />
Arrangements mit der Klangtechnik von<br />
heute verbindet.<br />
Neu erschienen: elton John & Leon russell<br />
„the Union“ (Mercury/Universal), neil diamond<br />
„dreams“ (Sony Music)<br />
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