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Charlie haden<br />
Sängerinnen als<br />
Aufputschmittel<br />
Charlie Hadens Quartet West feiert 25. Geburtstag.<br />
Zum Jubiläum gibt sich die Crème des weiblichen<br />
Jazzgesangs das Mikrofon in die Hand. Rundum zufrieden<br />
ist der legendäre Bassist trotzdem nicht,<br />
wie er Josef Engels in Berlin verraten hat.<br />
It’s jet lag time im Berliner Hotel Adlon.<br />
Charlie Haden macht einen leicht zerknitterten<br />
Eindruck und lässt sich ächzend in<br />
einen Sessel fallen. Er brauche jetzt dringend<br />
einen starken Espresso, murmelt der 73jährige<br />
Bassist. Dabei befindet sich das beste<br />
Aufputschmittel schon längst im Raum, ihm<br />
direkt gegenüber: seine Frau Ruth Cameron.<br />
In der folgenden Stunde hilft sie dem Gatten<br />
bei Bedarf auf die Sprünge, hat kein Problem<br />
damit, sich in der Rolle der bewundernden<br />
Zuhörerin zu üben, verlangt aber auch schon<br />
mal nach einem bestimmten Bassistenwitz (so<br />
viel sei verraten: Darin kommen ein Paar, das<br />
seit Jahren nicht mehr miteinander spricht,<br />
ein Therapeut und ein Kontrabass-Solo vor).<br />
Es gibt einige gute Gründe, dass Ruth Cameron<br />
beim Interview anwesend ist. Nicht<br />
nur dass sie Produzentin der CD „Sophisticated<br />
Ladies“ ist und sich in die illustre Schar<br />
der an der Aufnahme beteiligten Sängerinnen<br />
einreiht – ohne sie gäbe es das berühmte<br />
Quartet West, das mit dem Album seinen<br />
25. Geburtstag feiert, gar nicht. Ruth Cameron<br />
war es nämlich, die Haden darauf brachte,<br />
eine Working Band im Raum Kalifornien<br />
zu gründen. Ein Quartett, dessen Spezialität<br />
es ist, die Magie alter Hollywood-Filme ohne<br />
falsche Nostalgie zum seelenwärmenden<br />
Klangereignis werden zu lassen.<br />
Die Besetzung der neuen Quartet-West-<br />
Produktion liest sich denn auch wie ein<br />
Blockbuster-Cast des derzeitigen populären<br />
Jazzgesangs: Melody Gardot, Norah<br />
Jones, Cassandra Wilson, Diana Krall und<br />
– als überzeugender Überraschungsgast<br />
aus dem klassischen Fach – Renée Fleming.<br />
„Die Sängerinnen auf dieser Platte haben<br />
alle unterschiedliche Stimmen, Stile und Arten,<br />
die Songs zu interpretieren“, sagt Haden<br />
und nimmt die heutigen Vokalistinnen<br />
bei Vergleichen mit der älteren Generation<br />
in Schutz: „Damals wie heute fand man<br />
diese Unterschiede interessant – wenn<br />
man anspruchsvoll ist.“<br />
Mit der letzten Liberation-<br />
Music-Orchestra-Einspielung<br />
„Not In Our Name“ wandte<br />
sich Haden bekanntermaßen<br />
gegen die Bush-Regierung.<br />
Soll man „Sophisticated<br />
La dies“ jetzt als<br />
ver söhnlichen<br />
Soundtrack für<br />
die Obama-<br />
Ära verstehen?<br />
„Nein“,<br />
schnaubt der<br />
plötzlich sehr wache Bassist,<br />
„ich fürchte, ich muss<br />
demnächst eine Platte darüber<br />
machen, was Obama<br />
nicht tut. Er ist umringt<br />
von diesen Wall-Street-<br />
Typen, die diesen ganzen<br />
Schlamassel ver-<br />
Modernist, Nostalgiker,<br />
Schöngeist, politischer<br />
Kämpfer – Charlie Haden ist<br />
ein Mann mit vielen Facetten<br />
ursacht haben. Das sind Kriminelle, die mit<br />
Raub durchkommen!“ Die Gattin nickt und<br />
ist der Meinung, dass die neue CD ihres<br />
Mannes eine politische Aussage beinhaltet:<br />
„Diese Platte ist voller Schönheit. Ich bin der<br />
Meinung: Gerade in dieser Zeit ist Schönheit<br />
ein politisches Statement. Langsamkeit ist ein<br />
politisches Statement. Stille ist ein politisches<br />
Statement. Man muss nicht so expressiv wie<br />
Bertolt Brecht sein, um politisch zu sein.“<br />
„Obama ist umringt<br />
von diesen Wall-Street-<br />
Typen, die diesen<br />
ganzen Schlamassel<br />
verursacht haben“