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Paolo Conte<br />
Im falschen Zeitalter<br />
Keiner vertont seine Melancholie eigenwilliger als der<br />
Ex-Anwalt aus dem Piemont. Nach Jahren der Stille<br />
meldet sich Paolo Conte endlich wieder. Von Jonathan Fischer<br />
Allein mit mir, der nichts von dir<br />
weiß/“, hebt der 73-jährige Sänger<br />
auf „Masseuse“, einem Stück seines<br />
aktuellen Albums „Nelson“ an, „nur deine<br />
Finger spielen mit mir/ während ich an dich<br />
denke/ Rosenwasser und Melancholie …“ Paolo<br />
Conte liefert keine linearen Geschichten,<br />
sondern transportiert Seelenzustände, erinnert<br />
an flüchtige Glücksmomente. Ein Anachronismus<br />
des Pop. So wie der ganze Mann<br />
aus der Zeit gefallen zu sein scheint: Er benutzt<br />
keine E-Mail, verschmäht das Mobilte-<br />
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lefon, fertigt Interviewer gerne kurz und bündig<br />
ab. Seine Musik komponiert er in der Abgeschiedenheit<br />
seines Landhauses. Nachts.<br />
Wenn alles ruhig ist. Sich „die Schwingungen<br />
der Welt ändern“, wie Conte sagt. Dabei<br />
wirkt die überlegte Lyrik des Cantautore wie<br />
ein Gegenentwurf zur SMS-Geschwätzigkeit<br />
des modernen Alltags. Spendet sie beiläufigen<br />
Trost. Und lässt – bei allem Unwirschen,<br />
das Contes knarzender Stimme innewohnt–<br />
bisweilen die Lust am Tanz aufblitzen: „Er<br />
ein Roboter, sie allein entzündet den Mambo/<br />
Kein marktgängiges Lärvchen, statt dessen<br />
ein Gesicht wie eine Kraterlandschaft –<br />
Melancholie war schon immer fotogen<br />
Er aus Altmetall/ seine Gedanken gelten nicht<br />
ihr/ nur seiner alten Idee: den Boden/ zu verlassen<br />
und hoch zu fliegen …“ Gut möglich,<br />
dass Conte auf „Los Amantes Del Mambo“<br />
– einem Song, den er der musikalischen Anmutung<br />
wegen auf Spanisch singt – von sich<br />
spricht. Möglich aber auch, dass er seine Hörer<br />
nur auf eine imaginierte Reise schickt.<br />
Tatsächlich studierte der 1937 im Piomonteser<br />
Städtchen Asti geborene Sänger<br />
zunächst Jura und übernahm für einige Jahre<br />
die Kanzlei seines Vaters. Doch hatten seine<br />
Eltern schon früh eine andere Leidenschaft in<br />
ihm entfacht: „Wir hörten daheim Jazz – obwohl<br />
das unter Mussolini verboten war. Diese<br />
Musik widersprach dem Faschismus: Viele<br />
Menschen, die gemeinsam swingen, aber jeder<br />
behält seine Stimme“.<br />
Lieder für den sprachlosen Mann<br />
der Nachkriegszeit<br />
Conte spielt nach dem Krieg Vibraphon in lokalen<br />
Bands. Später verlegt er sich darauf, für<br />
andere zu schreiben: „Azurro“ etwa für Adriano<br />
Celentano. Seine eigene Stimme dagegen<br />
erscheint ihm „zu hässlich für eine Sängerkarriere“.<br />
Zudem passt Contes Verschlossenheit,<br />
sein linkisches Bühnengebaren so gar nicht<br />
zu dem damals Markt-gängigen Klischee des<br />
feurigen, extrovertierten Italo-Liebhabers.<br />
1974 wagt er es dann doch: „Paolo Conte“<br />
heißt das Album – und enthält schon viele<br />
der Zutaten seiner späteren Hits: Die mal lässig,<br />
mal müde wirkende Stimme, die aus Cabaret,<br />
Chanson, Zigeuner-Jazz und Musette<br />
zusammengeklaubten Melodien. Und nicht<br />
zuletzt der rückwärts gewandte Blick: Sein<br />
Leben lang, hat Paolo Conte einmal gesagt,<br />
habe er für den sprachlosen, einsamen und<br />
von Entbehrungen geprägten italienischen<br />
Mann der Nachkriegszeit gesungen.<br />
„Manchmal scheint es mir, als sei ich in<br />
ein falsches Zeitalter geboren. Als würde ich<br />
nochmal die Anfangstage des Kinos und die<br />
frühe Kunst-Avantagarde nacherleben wollen.“<br />
Zum Glück weiß Conte die eigene Sehnsuchtsseligkeit<br />
immer wieder zu brechen:<br />
Perilloux<br />
Etwa, wenn er im neuen Song „L’Orchestrina“<br />
Steven<br />
von einem „Furz im Dunklen“ singt.<br />
Cicardini,<br />
Neu erschienen: Paolo Conte „nelson“<br />
(emarcy/Universal) Fotos: