Anwaltsblatt 2008/01 - Österreichischer Rechtsanwaltskammertag

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Abhandlung 14 III. Der Europäische Haftbefehl Der Europäische Haftbefehl (Rahmenbeschluss 2002/ 584/JI) wurde erlassen, bevor eine Einigung über die Verfahrensrechte für die Beschuldigten erzielt werden konnte. Zunächst sei dazu aber festgehalten, dass die innerstaatliche Umsetzung des Europäischen Haftbefehls mit dem Bundesgesetz über die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (BGBl 2004/36) an sich vorbildhaft war, womit sich Österreich Schwierigkeiten in Zusammenhang mit der Umsetzung, wie sie zB in Deutschland eingetreten sind – dort hat der BGH das deutsche Umsetzungsgesetz als nicht verfassungskonform aufgehoben –, erspart hat. Höchst problematisch ist allerdings, dass weder materielles Strafrecht noch Strafverfahren der Staaten vom Anerkennungsrundsatz ausgehen, was einerseits bedeutet, dass eine Auslieferung gegen das derzeitige Prinzip der beiderseitigen Strafbarkeit erfolgen kann und die Wahrung der Grundrechte den jeweiligen nationalen Verfahrensordnungen überlassen bleibt und die einzelnen Rechtsschutzsysteme nicht hinreichend kompatibel sind. Damit bleiben die Verteidigungsrechte dem nationalen Recht jenes Staates verhaftet, an den ausgeliefert wird, sodass es durchaus möglich ist, dass der Staatsbürger eines Staates, in dem die Verteidigungsrechte besser ausgestattet sind, an einen Staat ausgeliefert wird, in dem das Rechtsschutzsystem einen niedrigeren Standard aufweist und ihm damit auch weniger Verteidigungsrechte zustehen. Um zu verhindern, dass die Auslieferung im Rahmen eines Europäischen Haftbefehls dazu führt, dass der Verhaftete in ein Land mit geringerem Rechtsschutz ausgeliefert wird, wäre es daher notwendig, entweder den Vorschlag für einen Rahmenbeschluss über bestimmte Verfahrensrechte im Strafverfahren weiterzuführen oder zumindest eine Angleichung in den Verfahrensrechten auf hohem Niveau so zu finden, dass jedenfalls die Grundrechte des Einzelnen im Verfahren, wie faires Verfahren, rechtliches Gehör, Anspruch auf Verteidigung, Rechtsmittel und ähnliches, angeglichen werden. Auch das ist eine Frage, die daher im Spannungsverhältnis zwischen Kriminalitätsbekämpfung und Bürgerrechten steht. IV. Die Vorratsdatenspeicherung Zuletzt war auch die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung Anlass für lebhafte Diskussionen. Es bestand die Sorge, dass diese Richtlinie in das in Österreich verfassungsrechtlich geschützte Recht auf Schutz personenbezogener Daten eingreift. Bisher war hier die Speicherung von Telefondaten und IT-Daten nur zum Zwecke der Entgelterhebung und bis zur Bezahlung des Entgelts zulässig. Die Vorschrift der Richtlinie, diese Datenspeicherung auf nicht weniger als sechs Monate und nicht mehr als zwei Jahre zu speichern, kann wohl als Kompromiss zwischen jenen Staaten, denen Datenschutz ein besonderes Anliegen ist, und jenen, in denen der Datenschutz eher entspannt gesehen wird, verstanden werden und ist als Verbesserung gegenüber dem ursprünglichen Entwurf zu verstehen. Dies gilt auch für die Speicherung erfolgloser Anrufversuche, die nur dann gespeichert werden dürfen, wenn solche Daten überhaupt zur Speicherung erzeugt werden. Ein Kompromiss, der deshalb eingegangen wurde, weil alles andere weitreichende und teure Ergänzungen der Software der Telefonbetreiber erfordert hätte, die letztlich niemand tragen wollte. Ausdrücklich nicht gespeichert werden Anrufe, mit welchen keine Verbindung erzielt wurde. Überlegungen, auch den Ort, von dem der Anruf erfolgt, zu speichern, enthält die Richtlinie nicht, was wohl heißt, dass es den Staaten frei steht, eine solche Speicherung vorzunehmen oder nicht. Die Richtlinie überlässt es den Staaten das Verfahren zu bestimmen, unter welchem diese Daten verwendet werden dürfen, was bedeutet, dass zumindest hier in Österreich ein richterlicher Befehl zur Eröffnung der Daten notwendig ist. Das ist nicht überall in Europa so. Ausdrücklich festgehalten wird, dass die gespeicherten Daten Gegenstand desselben Schutzes sein sollen, wie jene im jeweiligen Netzwerk und dass angemessene technische und organisatorische Maßnahmen zu treffen sind, um zufällige oder gesetzwidrige Änderungen oder Verluste ohne Zerstörung zu verhindern. Wenn daher auch eine relativ offene Regelung gefunden wurde, die es den Mitgliedstaaten ermöglicht, in Übereinstimmung mit ihrer jeweiligen Strafrechtsordnung vorzugehen, so ist diese Richtlinie doch auch ein weiterer Schritt in Richtung Gefahrenabwehr und die Speicherung zumindest tendenziell geeignet, erforderlichenfalls alle Daten zur Hand zu haben, die auch einen Eingriff in die geschützte Privatsphäre des Einzelnen zulassen. V. Fazit Gemeinsame Kriminalitäts- und Terrorbekämpfung im Spannungsverhältnis zu den europäischen Bürgerrechten Autor: RA Dr. Gerhard Benn-Ibler Sowohl in Österreich aber auch in der Europäischen Union ist eine Verlagerung zu abstrakten Gefährdungsdelikten zu beobachten, zu deren Abwehr die Staaten Maßnahmen ergreifen, die entweder tatsächlich in Grundrechte der Bürger eingreifen oder die zumindest tendenziell geeignet sind, in deren Grundrechte einzugreifen. Ob die vorhandenen Sicherungsmittel, wie richterlicher Befehl oder der in Österreich eingeführte Datenschutzbeauftragte, in der Lage sind, Österreichisches Anwaltsblatt 2008/01
die Bedenken, die sich aufgrund der erfolgten Grundrechtseingriffe stellen, auszuräumen, bleibt abzuwarten. Der nächste größere terroristische Anschlag könnte im Rahmen einer möglicherweise sogar von den Bürgern selbst verlangten Anlassgesetzgebung trotz der grundsätzlichen Übereinstimmung zur Aufrechterhaltung der Grundrechte zu deren Einschränkung führen. Österreichisches Anwaltsblatt 2008/01 Eine Lösung wird nicht im Generellen, sondern nur in der verantwortungsbewussten, grundrechtsorientierten Behandlung der Detailfragen zu suchen sein, wobei nach dem Grundsatz „soviel Freiheit wie möglich, soviel Sicherheit wie notwendig“ vorzugehen sein wird. Es wird in jedem Fall zu fragen sein, ob eine Maßnahme unbedingt notwendig, zur Erreichung des Zieles geeignet und ob sie tatsächlich angemessen ist. Mit aktueller Rechtsprechung! MANZ 2007. Loseblattwerk in 6 Mappen inkl. 100.-Erg.-Lfg. EUR 298,– ISBN 978-3-214-14098-4 Im Abonnement zur Fortsetzung vorgemerkt. Teschner/Widlar/Pöltner Allgemeines Sozialversicherungsrecht inkl. 100. EL Die Große Ausgabe des ASVG mit Nebengesetzen inkl 100. EL Das ASVG (Erster und Zweiter Teil) auf dem Stand des Sozialrechts- Änderungsgesetzes 2007 – SRÄG 2007 und der Reisekosten-Novelle 2007 – RK-Novelle 2007 Rascheres Auffinden durch fette Hervorhebung der Anmerkungsziffern im Gesetzestext sowie im Kommentarteil. www.manz.at Besuchen Sie unsere Fachbuchhandlung für Recht, Steuer, Wirtschaft! E-Mail: bestellen@MANZ.at • Tel.: 01/531 61-100 • Fax: 01/531 61-455 MANZ’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung GmbH, Kohlmarkt 16, 1014 Wien FN 124 181w • HG Wien Abhandlung Gemeinsame Kriminalitäts- und Terrorbekämpfung im Spannungsverhältnis zu den europäischen Bürgerrechten Autor: RA Dr. Gerhard Benn-Ibler 15
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