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Anwaltsblatt 2008/01 - Österreichischer Rechtsanwaltskammertag

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dung der sog „Unklarheitenregel“ nicht mehr in Betracht<br />

kommen. 3)<br />

3. Unklarheitenregel und Meinungsäußerungsfreiheit<br />

Bemerkenswert ist weiters, dass der OGH auch bei Anwendung<br />

der Unklarheitenregel zu einen abweisenden<br />

Ergebnis kommt und dies damit begründet, dass deren<br />

konkrete Anwendung im Wettbewerbsrecht nicht dazu<br />

führen darf, dass das Grundrecht auf Meinungsäußerungsfreiheit<br />

in unzulässigerweise beeinträchtigt wird.<br />

Zu diesem Zweck zieht der OGH die E Hertl v Switzerland<br />

4) des EGMR heran: Demnach sei der Beurteilungsspielraum<br />

in Wettbewerbssachen geringer, wenn<br />

es sich nicht um rein „kommerzielle“ Aussagen einer<br />

bestimmten Person handle, sondern um eine Teilnahme<br />

einer Debatte, die allgemeine Interessen berührt,<br />

etwa über Fragen der Volksgesundheit.<br />

Ein wesentlicher Unterschied zu der vorgenannten<br />

Entscheidung des EGMR besteht darin, dass hier der<br />

Beschwerdeführer nicht Mitbewerber des klagenden<br />

Unternehmers war, sondern ein Pensionist, der im<br />

Rahmen seiner gemeinsamen Forschungen mit einem<br />

Universitätsprofessor zu dem Ergebnis gelangte, dass<br />

eine Gesundheitsgefährdung von Speisen besteht, die<br />

in Mikrowellengeräten zubereitet wurden (das schweizerische<br />

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb<br />

setzt hier nicht das Vorliegen eines Wettbewerbverhältnisses<br />

voraus). 5) In diesem Fall tritt die Intention des Erklärenden,<br />

einen Beitrag zu einer öffentlichen Debatte<br />

zu leisten ungleich stärker in den Vordergrund, als bei<br />

einem Mitbewerber der naturgemäß vor allem in Wettbewerbsabsicht<br />

handelt. Dass durchaus auf die dem Erklärenden<br />

zukommende (berufliche) Funktion bzw<br />

Stellung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung<br />

bei Grundrechtseingriffen abzustellen ist, ergibt sich<br />

bereits aus mehreren Entscheidungen des EGMR: So<br />

genießen zB Politiker 6) oder Journalisten gegenüber<br />

Politikern 7) insoweit eine Sonderstellung, als hier<br />

Art 10 Abs 2 EMRK kaum Platz für Beschränkungen<br />

der Freiheit im Bereich des politischen Diskurses und<br />

in Fragen von Allgemeininteresse lässt; hingegen ist<br />

etwa bei Anwälten wegen ihrer Funktion im Rechtsstaat<br />

die Grenze zulässiger Kritik an der Justiz deutlich<br />

enger zu ziehen. 8)<br />

Die Unklarheitenregel schränkt auch das Recht der<br />

freien Meinungsäußerung nicht ein, geht es doch nicht<br />

darum, Kritik im Zuge einer öffentlichen Debatte zu<br />

unterbinden, sondern vielmehr, zu Lasten eines Mitbe-<br />

Österreichisches <strong>Anwaltsblatt</strong> <strong>2008</strong>/<strong>01</strong><br />

werbers verschleiert formulierte Kritik für unzulässig<br />

zu erklären. Dementsprechend weist der OGH in seiner<br />

stRsp darauf hin, dass ein Systemvergleich wahr,<br />

sachlich und informativ sein muss. 9)<br />

Gerade bei dem gegenständlich gewählten Medium<br />

der wettbewerblichen Äußerung und Kritik (Presseaussendung)<br />

besteht die Möglichkeit, die Wortwahl zu<br />

überdenken und deutliche Formulierungen zu finden<br />

(anders etwa in einer zB im Zuge einer Pressekonferenz<br />

getätigten Äußerungen). Auch angesichts der gewollten<br />

(und tatsächlichen) Verbreitung einer Presseaussendung<br />

werden höhere Anforderungen an die Präzisierung<br />

einer Kritik iS des Sachlichkeitserfordernisses zu<br />

stellen sein.<br />

4. Ergebnis<br />

Auch bei an sich zulässiger Kritik darf im Zuge der Verhältnismäßigkeitsprüfung<br />

Art 10 Abs 2 EMRK nicht so<br />

angewendet werden, dass faktisch kein Anwendungsbereich<br />

für die Unklarheitenregel verbleibt.<br />

Die Rsp des OGH trägt dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit<br />

bei Kritik am Mitbewerber insoweit<br />

Rechnung, als Systemvergleiche wahr, sachlich und informativ<br />

sein müssen. Insb werden undeutliche Aussagen<br />

in den Fällen strenger zu beurteilen sein, bei denen<br />

der Erklärende zunächst in Wettbewerbsabsicht handelt<br />

und erst als untergeordnetes Motiv einen Beitrag<br />

zu einer öffentlichen Debatte leisten will, was regelmäßig<br />

bei Vorliegen eines Wettbewerbsverhältnisses zwischen<br />

dem Erklärenden und dem kritisierten Marktteilnehmer<br />

anzunehmen sein wird.<br />

RA Dr. Peter Baumann *) ,Linz<br />

Dr. Dieter Duursma, LL.M. **) ,Linz<br />

3) OGH ÖBl-LS 2006/86; 9. 8. 2006, 4 Ob 116/06 x; 7. 8. 2007, 4 Ob<br />

133/07 y.<br />

4) EGMR 25. 8. 1998, No 59/1997/843/1049, ÖJZ 1999, 614.<br />

5) Siehe hierzu Walter, Das Wettbewerbsverhältnis im neuen UWG,<br />

SMI 1992, 169; EGMR 25. 8. 1998, No 59/1997/843/1049, Rz 22.<br />

6) EGMR 25. 11. 1996, 19/1995/525/611, Wingrove, ÖJZ 1997, 714;<br />

Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention (2005)<br />

Rz 25 ff, 27.<br />

7) EGMR 1. 7. 1997, 47/1996/666/852, Oberschlick, ÖJZ 1997, 956 =<br />

NJW 1999, 1321; 8. 7. 1986, 12/1984/84/131, Lingens, EuGRZ<br />

1986, 424.<br />

8) EGMR 20. 5. 1998, 56/1997/840/1046, Schöpfer, ÖJZ 1999, 237;<br />

Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention (2005)<br />

Rz 25 ff, 31.<br />

9) OGH ecolex 2002, 269 (Anm Reitböck); ÖBl-LS 2003/90.<br />

*) Rechtsanwalt und Partner bei SCWP Rechtsanwälte GmbH, Linz, am<br />

Verfahren beteiligt.<br />

**) Jurist bei SCWP Rechtsanwälte GmbH, Linz.<br />

Rechtsprechung<br />

35

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