Anwaltsblatt 2008/01 - Österreichischer Rechtsanwaltskammertag
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Chronik<br />
22<br />
Wahrnehmungsbericht 2006/2007<br />
Der 34. Wahrnehmungsbericht wurde am 29. November<br />
2007 in den Räumlichkeiten des ÖRAK<br />
im Rahmen einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit<br />
präsentiert. Der Wahrnehmungsbericht wird jährlich<br />
gemäß § 36 RAO erstattet und dient dazu, Mängel in<br />
der Rechtspflege und Verwaltung aufzuzeigen und Verbesserungsvorschläge<br />
zu erstatten.<br />
Präsident Dr. Gerhard Benn-Ibler thematisierte die<br />
bedenkliche Informationsbeschaffung durch die Europäische<br />
Kommission. Die Europäische Kommission<br />
spielt durch ihr Vorschlagsrecht und die Überwachung<br />
der Ausführung der europäischen Politik eine zentrale<br />
Rolle im institutionellen Gefüge der Europäischen<br />
Union. Um schwierige politische Entscheidungen zu<br />
treffen, aber auch zur Evaluierung möglicher Auswirkungen<br />
ihrer Vorhaben oder zur Aufbereitung und<br />
Darstellung komplexer Sachverhalte greift die Kommission<br />
vermehrt auf wissenschaftliche Bewertungen<br />
von außerhalb zurück.<br />
Experten, welche die Studien im Auftrag der Kommission<br />
erstellen, stützen sich oft auf unbekannt bleibende<br />
Informantennetzwerke und einen unbekannten<br />
Adressatenkreis. Deswegen sind fragwürdige Ergebnisse<br />
einer fertiggestellten Studie basierend auf Fragebögen<br />
schwer zu beseitigen, da nicht zu entnehmen ist,<br />
woher die Informationen stammen und auf welcher<br />
Grundlage ihre Bewertung vorgenommen wurde. Dr.<br />
Benn-Ibler fordert den Erlass transparenter und öffentlich<br />
zugänglicher Vorgaben für die Informationsbeschaffung<br />
und -bewertung durch externe Spezialisten<br />
(siehe Wahrnehmungsbericht Seite 8).<br />
Dr. Waltraute Steger, Vizepräsidentin des ÖRAK,<br />
nahm zu dem aktuellen Vorschlag eines Asylgerichtshofs<br />
Stellung. Bedenklich ist va, dass die Mitglieder<br />
des Asylgerichtshofs zwar mit richterlichen Garantien<br />
ausgestattet werden, aber eine richterliche Ausbildung<br />
keine Ernennungsvoraussetzung ist. Der Asylgerichts-<br />
hof soll Berufungsinstanz in Asylangelegenheiten sein,<br />
gegen dessen Entscheidungen ist allerdings kein ordentliches<br />
Rechtsmittel vorgesehen, wodurch der<br />
Rechtsschutz der Asylwerber wesentlich beschränkt<br />
wird. Im Falle einer Rechtsfrage von grundsätzlicher<br />
Bedeutung steht dem Asylwerber kein Rechtsmittel<br />
zur Verfügung, um eine Überprüfung durch den<br />
VwGH zu beantragen. Der Asylgerichtshof ist zwar<br />
verpflichtet, solche Grundsatzentscheidungen dem<br />
VwGH vorzulegen, falls dieser jedoch nicht binnen<br />
sechs Monaten entscheidet, gilt die Grundsatzentscheidung<br />
als bestätigt. Einmal getroffene Grundsatzentscheidungen<br />
sind nicht mehr beseitigbar und die gelöste<br />
Rechtsfrage ist für alle zukünftigen Fälle verbindlich.<br />
Dr. Steger kritisierte, dass keinerlei Begutachtungsverfahren<br />
stattfand und dass die sich erhebenden mahnenden<br />
Stimmen bisher nicht gehört worden sind.<br />
Dr. Gerhard Horak, Vizepräsident des ÖRAK, berichtete<br />
über ein zentrales Thema des Wahrnehmungsberichts,<br />
dass nämlich der Ablauf gerichtlicher Verfahren<br />
für den Bürger oft schwer nachzuvollziehen ist. Zur<br />
Untermauerung brachte er Beispiele aus dem Wahrnehmungsbericht.<br />
Nicht verständlich ist beispielsweise,<br />
dass Gerichte verärgert reagieren, wenn über vergleichsweise<br />
geringe Geldbeträge verhandelt werden<br />
soll. Den Parteien wird angeboten, sofort einen Vergleich<br />
zu schließen, ansonsten würde das Verfahren in<br />
die Länge gezogen werden (siehe Wahrnehmungsbericht<br />
Seite 22). In einem anderen Fall wurde eine Zeugin<br />
aus Wien nach Graz geladen und dann nicht einmal<br />
vernommen (siehe Wahrnehmungsbericht Seite 30).<br />
Beschwerde wurde über den Verhandlungsstil eines<br />
Richters geführt, der bei der Einvernahme von Opfern<br />
jegliches Einfühlungsvermögen vermissen lässt und den<br />
Eindruck vermittelt, diese seien Beschuldige und nicht<br />
Zeugen (siehe Wahrnehmungsbericht Seite 14).<br />
Vizepräsident Dr. Rupert Wolff berichtete abschließend<br />
über den mangelnden Grundrechtsschutz in der<br />
Europäischen Union. Der ÖRAK begrüßt das Vorhaben<br />
der Europäischen Union, der Europäischen Konvention<br />
zum Schutz der Menschenrechte (EMRK) beizutreten.<br />
Dr. Wolff gibt jedoch zu bedenken, dass die<br />
genannte Verankerung des Grundrechtsschutzes im<br />
Vertrag über die Europäische Union durch Art 1 Z 8<br />
des in Lissabon beschlossenen Reformvertrags erfolgen<br />
soll. Sie steht und fällt daher mit der Ratifizierung bzw<br />
Nichtratifizierung des Reformvertrags durch die Mitgliedstaaten.<br />
Bedenklich ist ferner, dass unter dem<br />
Deckmantel der Verbrechens- und Terrorismusbekämpfung<br />
grundrechtseingreifende EU-Zwangsmaßnahmen<br />
vermehrt durchgesetzt werden. Der EuGH<br />
hat erst kürzlich im Zusammenhang mit der Umset-<br />
Österreichisches <strong>Anwaltsblatt</strong> <strong>2008</strong>/<strong>01</strong>