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Daniel Wegner: Kooperationen zwischen Diakonie und Kirche (Leseprobe)

Wie können Kooperationen zwischen Diakonie und Kirche gelingen? Neben zahlreichen Gemeinsamkeiten und Verknüpfungen weisen beide sehr unterschiedliche Systemlogiken auf. Aus theologischer und sozialwissenschaftlicher Perspektive werden organisationale und interaktionale Aspekte von Diakonie und Kirche analysiert und die Gemeinwesendiakonie als kooperativer Kontext betrachtet. In zwei empirischen Studien werden anschließend die Kirchenkreissozialarbeit und ein gemeinwesendiakonisches Förderprojekt untersucht. Dabei werden unterschiedliche Typen gelingender Kooperationen herausgearbeitet. Es wird deutlich: Wo Diakonie und Kirche zusammenarbeiten, werden sie zu wichtigen Gestalterinnen in der Zivilgesellschaft.

Wie können Kooperationen zwischen Diakonie und Kirche gelingen? Neben zahlreichen Gemeinsamkeiten und Verknüpfungen weisen beide sehr unterschiedliche Systemlogiken auf. Aus theologischer und sozialwissenschaftlicher Perspektive werden organisationale und interaktionale Aspekte von Diakonie und Kirche analysiert und die Gemeinwesendiakonie als kooperativer Kontext betrachtet. In zwei empirischen Studien werden anschließend die Kirchenkreissozialarbeit und ein gemeinwesendiakonisches Förderprojekt untersucht. Dabei werden unterschiedliche Typen gelingender Kooperationen herausgearbeitet. Es wird deutlich: Wo Diakonie und Kirche zusammenarbeiten, werden sie zu wichtigen Gestalterinnen in der Zivilgesellschaft.

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<strong>Daniel</strong> <strong>Wegner</strong><br />

<strong>Kooperationen</strong><br />

<strong>zwischen</strong><br />

<strong>Diakonie</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Kirche</strong><br />

Theologische Aspekte<br />

<strong>und</strong> Praxisanalysen<br />

zur Gemeinwesendiakonie<br />

VDWI 68


Vorwort<br />

Ein Gespenst geht um in der kirchlich-diakonischen Landschaft. Seit die <strong>Diakonie</strong><br />

Deutschland von fünfzehn Jahren das Positionspapier „Handlungsoption Gemeinwesendiakonie‘‘<br />

veröffentlichte, ist dieses Thema in aller M<strong>und</strong>e. Viele <strong>Kirche</strong>nvertreterinnen<br />

<strong>und</strong> <strong>Kirche</strong>nvertreter haben erst einmal abgewartet, ob diese „neue<br />

Mode‘‘ bald von selbst wieder vorübergeht, wie so viele andere zuvor. Aber es war<br />

nicht nur eine Mode. Immer mehr Menschen in <strong>Kirche</strong> <strong>und</strong> <strong>Diakonie</strong> erkennen,<br />

dass es sich bei der Gemeinwesendiakonie um einen notwendigen Paradigmenwechsel<br />

handelt, um den mittelfristig weder <strong>Kirche</strong> noch <strong>Diakonie</strong> herumkommen<br />

--- mit dem aber auch echte Chancen verb<strong>und</strong>en sind.<br />

Den Kern gemeinwesendiakonischer Aktivitäten stellt die strategische (<strong>und</strong><br />

ganz praktische) Zusammenarbeit von verfasster <strong>Kirche</strong> <strong>und</strong> organisierter <strong>Diakonie</strong><br />

dar --- diesen ungleichen Geschwistern, deren Verhältnis schon auf so vielfältige<br />

Weise beschrieben wurde: Stiefmutter <strong>und</strong> Schneewittchen, Kain <strong>und</strong> Abel,<br />

David <strong>und</strong> Goliath, Maria <strong>und</strong> Martha, Baum <strong>und</strong> Früchte oder zwei Flügel, die ein<br />

Engel zum Fliegen braucht. „<strong>Diakonie</strong> ist <strong>Kirche</strong>‘‘, so der Titel eines wichtigen Buches<br />

von Matthias Fichtmüller von 2019, in dem er ein neues Denken innerhalb<br />

der <strong>Kirche</strong> fordert, das nicht mehr (theologisch unangemessen) <strong>zwischen</strong> <strong>Kirche</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Diakonie</strong> trennt. Aber warum fällt das vielen eigentlich so schwer? Warum<br />

kostet eine Kooperation <strong>zwischen</strong> <strong>Kirche</strong> <strong>und</strong> <strong>Diakonie</strong> viele eine so große Überwindung?<br />

Und woran scheitern manche dieser <strong>Kooperationen</strong>?<br />

Genau auf diese Fragen gibt die hier vorliegende diakoniewissenschaftliche<br />

Dissertation von <strong>Daniel</strong> <strong>Wegner</strong> differenzierte Antworten. Dass es in der Kooperation<br />

<strong>zwischen</strong> <strong>Kirche</strong> <strong>und</strong> <strong>Diakonie</strong> regelmäßig zu Spannungen kommt, ist kein<br />

Geheimnis, ebenso wenig wie die Vermutung, dass diese Spannungen etwas mit<br />

gegenseitigen Vorurteilen sowie mit unterschiedlichen Organisationsstrukturen<br />

<strong>und</strong> Selbstverständnissen zu tun haben dürften. Aber eine genaue <strong>und</strong> vor allem<br />

auch empirisch f<strong>und</strong>ierte Analyse dieses Themas stand bis jetzt --- trotz offensichtlich<br />

großer diakoniewissenschaftlicher <strong>und</strong> praktischer Relevanz --- aus. Herr <strong>Wegner</strong><br />

füllt durch die vorliegende Untersuchung diese Lücke auf überzeugende<br />

Weise.<br />

Die zugr<strong>und</strong>eliegende Forschungsfrage lautet: „Welche Aspekte sind entscheidend<br />

für das Gelingen <strong>und</strong> Scheitern der Kooperation <strong>zwischen</strong> organisierter


6<br />

Vorwort<br />

<strong>Diakonie</strong> <strong>und</strong> verfasster <strong>Kirche</strong> im Kontext von Armutsbekämpfung <strong>und</strong> Gemeinwesendiakonie?‘‘<br />

Diese Frage wird in zehn Teilfragen ausdifferenziert, im Blick<br />

u.a. auf organisationale Unterschiede, Verantwortungsebenen, Partizipation <strong>und</strong><br />

Selbstverständnisse. Herr <strong>Wegner</strong> stellt zunächst dar, welche Anknüpfungspunkte<br />

<strong>und</strong> welche spezifischen Probleme es aus theologischer sowie organisationssoziologischer<br />

Perspektive für diakonisch-kirchliche <strong>Kooperationen</strong> gibt. Er arbeitet<br />

heraus, inwiefern beide Akteure über Ressourcen verfügen, die bei<br />

gegenseitiger Nutzung zur Bewältigung der Herausforderungen der liquiden Moderne<br />

beitragen können.<br />

Sechs Aspekte, die Gelingen <strong>und</strong> Erfolg solcher <strong>Kooperationen</strong> maßgeblich beeinflussen,<br />

werden unter Berücksichtigung einschlägiger gemeinwesendiakonischer<br />

Publikationen identifiziert: kompatible Selbstverständnisse, engagierte Einzelpersonen,<br />

echte Partizipation von freiwillig Engagierten, Betroffenen sowie<br />

Bewohnern, Überwindung der Binnenzentrierung <strong>und</strong> Einlassen auf das Gemeinwesen,<br />

Realisierung eines sichtbaren Mehrwerts für alle Beteiligten <strong>und</strong> schließlich<br />

die strategische Berücksichtigung des Nachhaltigkeits-Kriteriums. Anschließend<br />

werden diese Aspekte empirisch verifiziert <strong>und</strong> vertieft. Dies geschieht mit<br />

großer methodischer Sorgfalt auf der Gr<strong>und</strong>lage umfangreichen Datenmaterials,<br />

das aus den Evaluationen eines gemeinwesendiakonischen Arbeitsfeldes (<strong>Kirche</strong>nkreissozialarbeit<br />

in Niedersachsen) sowie 28 gemeinwesendiakonischer Projekte<br />

(im Rahmen des DRIN-Förderprogramms der EKHN) stammt <strong>und</strong> von Herrn<br />

<strong>Wegner</strong> im Hinblick auf das Thema Kooperation <strong>zwischen</strong> <strong>Diakonie</strong> <strong>und</strong> <strong>Kirche</strong><br />

ausgewertet wurde. Die beiden herangezogenen Studien ergänzen sich im Blick<br />

auf die Forschungsfrage dieser Arbeit geradezu ideal <strong>und</strong> ermöglichen eine empirische<br />

Untersuchung in einer Breite <strong>und</strong> Tiefe, die es für den Bereich der Gemeinwesendiakonie<br />

bisher noch nicht gab.<br />

Hoffnungsvoll macht die Beobachtung, dass organisationale Unterschiede<br />

<strong>zwischen</strong> <strong>Diakonie</strong> <strong>und</strong> <strong>Kirche</strong> zwar die Initiierung von <strong>Kooperationen</strong> erschweren,<br />

es aber in bestehenden Partnerschaften offenbar regelmäßig gelingt, Probleme<br />

zu überwinden. Herr <strong>Wegner</strong> hat sich einer „Mammutaufgabe‘‘ gestellt <strong>und</strong><br />

ist ihr mit seiner hervorragenden Arbeit gerecht geworden. Es handelt sich um<br />

einen wichtigen Beitrag zum diakoniewissenschaftlichen Diskurs. An diesem<br />

Buch, dem ich viele neugierige <strong>und</strong> engagierte Leserinnen <strong>und</strong> Leser wünsche,<br />

wird man künftig im Blick auf die Frage nach diakonisch-kirchlicher Kooperation,<br />

aber auch allgemein im Blick auf das Thema Gemeinwesendiakonie, wohl nicht<br />

vorbeikommen.<br />

Hannover, im Dezember 2022<br />

Alexander Dietz


Danksagung<br />

Wie gelingt die Zusammenarbeit <strong>zwischen</strong> <strong>Diakonie</strong> <strong>und</strong> <strong>Kirche</strong>? Wie können sie<br />

gemeinsam mit anderen zu gutem Leben beitragen angesichts der gesellschaftlichen<br />

Realität von Armut <strong>und</strong> Ungerechtigkeit? Diese Fragen beschäftigen mich<br />

bereits seit vielen Jahren in Theorie <strong>und</strong> Praxis. Und wenngleich Wissenschaftlichkeit<br />

<strong>und</strong> intersubjektive Nachvollziehbarkeit unhintergehbare Gr<strong>und</strong>prämissen<br />

dieser Arbeit darstellen, so gibt es für mich einen nicht unwichtigen persönlichen<br />

Weg zu dieser Forschungsarbeit. Dieser ist geformt von verschiedenen<br />

Begegnungen mit einer <strong>Kirche</strong> mit Armen <strong>und</strong> für Gerechtigkeit. Besonders prägend<br />

waren dabei drei Lebensabschnitte: Zunächst mehrere Aufenthalte in Sierra<br />

Leone, einem Land das gezeichnet ist durch einen blutigen Bürgerkrieg <strong>und</strong> extreme<br />

Armut. Ein Land, in dem <strong>Kirche</strong> nicht umhinkommt, Armut in ihrer Identität<br />

zu verankern. Als zweites meine langjährige Arbeit in einer <strong>Kirche</strong>ngemeinde, in<br />

der ich mit der Initiierung, dem Aufbau <strong>und</strong> der Umsetzung eines gemeinwesendiakonischen<br />

Projektes beauftragt war. Und zuletzt die Anfertigung meiner Masterarbeit,<br />

in der ich die Partizipation freiwillig Engagierter als Mikroebene der Gemeinwesendiakonie<br />

beforscht habe. Alle diese Erfahrungen im Kontext von<br />

Gemeinwesen, Armut <strong>und</strong> Gerechtigkeit tangierten stets den kooperativen Ansatz<br />

einer <strong>Kirche</strong> mit anderen. Daher war es für mich ein Privileg, als wissenschaftlicher<br />

Mitarbeiter an der Hochschule Hannover verschiedene Evaluationsprojekte<br />

in gemeinwesendiakonischen Kontexten durchzuführen, mit einem Lehrschwerpunkt<br />

zur Gemeinwesendiakonie in den Austausch mit zukünftigen Diakon*innen<br />

<strong>und</strong> Sozialarbeiter*innen zu treten <strong>und</strong> zuletzt die Möglichkeit zur Promotion<br />

zu <strong>Kooperationen</strong> in der Gemeinwesendiakonie zu erhalten.<br />

Die vorliegende Arbeit basiert auf meiner Dissertation, die ich im Januar 2022<br />

an der Fakultät für Verhaltens- <strong>und</strong> Empirische Kulturwissenschaften an der Ruprecht-Karls-Universität<br />

in Heidelberg einreichen <strong>und</strong> im April 2022 verteidigen<br />

konnte. Mein herzlichster Dank geht dabei an meinen Erstgutachter Prof. Dr. Johannes<br />

Eurich, der mich stets unterstützt <strong>und</strong> herausgefordert hat. Besonders bedanken<br />

möchte ich mich bei meinem Zweitgutachter Prof. Dr. Alexander Dietz für<br />

die spannende, inspirierende <strong>und</strong> lehrreiche Reise in die Welt der Gemeinwesendiakonie.<br />

Er hat mir gleichzeitig die Möglichkeit gegeben, mich in der Welt von<br />

Forschung <strong>und</strong> Lehre kreativ <strong>und</strong> frei zu entfalten <strong>und</strong> zugleich neue Türen zu


8<br />

Danksagung<br />

öffnen, die mir zuvor verschlossen waren oder die ich mich nicht getraut hatte zu<br />

öffnen. Durch beide Betreuer hat diese Arbeit zu dem werden können, was Sie nun<br />

ist. Ebenso gebührt ein besonderer Dank der Evangelischen Verlagsanstalt <strong>und</strong><br />

den Herausgebenden der Reihe „VDWI --- Veröffentlichungen des <strong>Diakonie</strong>wissenschaftlichen<br />

Instituts an der Universität Heidelberg‘‘ für die Aufnahme in diese<br />

Reihe, die Beratung <strong>und</strong> gute Zusammenarbeit.<br />

Wenn man das fertige Exemplar in den Händen hält, vergisst man leicht, wie<br />

lange <strong>und</strong> teilweise steinig der Weg zur Dissertation gewesen ist. Umso glücklicher<br />

kann ich mich schätzen, dass ich viele Begleiter*innen hatte, die kleinere<br />

<strong>und</strong> größere Teile dieses Weges mit mir gegangen sind. Ich möchte mich bei Prof.<br />

Dr. Tobias Künkler <strong>und</strong> Prof. Dr. Tobias Faix bedanken, mit denen ich immer wieder<br />

in den Austausch über theologische, soziologische <strong>und</strong> empirische Aspekte<br />

gehen konnte. Ein herzlicher Dank gilt auch Ulrich Kling-Böhm. Mit ihm konnte<br />

ich vor etwas mehr als zehn Jahren gemeinsam beginnen, gemeinwesendiakonische<br />

Projekte in unserer <strong>Kirche</strong>ngemeinde zu entwickeln. Nun hat er mich in der<br />

wissenschaftlichen Beschäftigung mit dieser Thematik immer wieder mit praktischen<br />

Impulsen versorgt. Bei Sebastian Jugelt bedanke ich mich für die Unterstützung<br />

bei der Endkorrektur. Ein ganz besonderer Dank gilt meinem Begleiter <strong>und</strong><br />

Fre<strong>und</strong> Moritz Brockhaus für seine mutmachenden Worte, seine theologischen<br />

Denkanstöße <strong>und</strong> die Gastfre<strong>und</strong>schaft während intensiver Forschungsphasen.<br />

Meiner Frau Liesi danke ich von ganzem Herzen für ihre Unterstützung <strong>und</strong><br />

Liebe --- für den ein oder anderen leckeren Kuchen, ermunternde Worte <strong>und</strong> den<br />

gegenseitigen inhaltlichen Austausch. Das ist ein unfassbarer Schatz. Dass kurz<br />

vor der Abgabe der Dissertation unser Sohn Nemi geboren wurde, ist natürlich<br />

etwas ganz Besonderes. Auch bei ihm möchte ich mich bedanken für die vielen<br />

gemeinsamen Spaziergänge, in denen er mir (gefangen im Tragetuch) zugehört<br />

<strong>und</strong> mich zum Lachen gebracht hat. Meinen Eltern <strong>und</strong> Geschwistern danke ich<br />

für ihren Rückhalt <strong>und</strong> das Vertrauen, das sie mir mitgegeben haben.<br />

Dass diese Arbeit möglich wurde, verdanke ich auch der Unterstützung der<br />

Hochschule Hannover, der <strong>Diakonie</strong> Hessen, der Evangelischen <strong>Kirche</strong> in Hessen<br />

<strong>und</strong> Nassau, der <strong>Diakonie</strong> in Niedersachsen <strong>und</strong> der Evangelisch-lutherischen<br />

Landeskirche Hannovers. Sie haben mir den Zugang in diakonische wie kirchliche<br />

Praxis ermöglicht, mich in Fachfragen beraten <strong>und</strong> diese Dissertation großzügig<br />

finanziell gefördert. Ihnen gilt ein herzlicher Dank.<br />

Ich hoffe, mit dieser Arbeit den Diskurs <strong>und</strong> die Praxis gemeinwesendiakonischer<br />

Zusammenarbeit in ihren vielfältigen Formen <strong>und</strong> Farben inspirieren zu<br />

können <strong>und</strong> dass sowohl Theoretiker*innen als auch Praktiker*innen Impulse für<br />

die Gestaltung kirchlicher wie diakonischer Zukunft erhalten <strong>und</strong> diese weiterentwickeln<br />

können. In diesem Sinne wünsche ich allen Leser*innen eine aufschlussreiche<br />

Lektüre.<br />

Marburg, im Dezember 2022<br />

<strong>Daniel</strong> <strong>Wegner</strong>


Inhalt<br />

Abbildungsverzeichnis ............................................................................................ 15<br />

Tabellenverzeichnis ................................................................................................. 17<br />

Abkürzungsverzeichnis .......................................................................................... 19<br />

Einführung<br />

1 Einleitung ........................................................................................................... 25<br />

1.1 Aktualität <strong>und</strong> Relevanz der Forschung .............................................. 27<br />

1.2 Ziele, Methodologie <strong>und</strong> Aufbau der Forschung ................................ 28<br />

1.2.1 Zielsetzung der Forschung ......................................................... 28<br />

1.2.2 Forschungsfrage ........................................................................... 31<br />

1.2.3 Methodologie <strong>und</strong> Begründung der Forschung ...................... 32<br />

1.2.4 Begrifflichkeiten ........................................................................... 33<br />

1.2.5 Aufbau der Arbeit ........................................................................ 33<br />

1.2.6 Forschungsstand .......................................................................... 34<br />

1.3 Forschungskontext .................................................................................. 35<br />

Erster Teil<br />

<strong>Diakonie</strong>wissenschaftliche Gr<strong>und</strong>legung<br />

2 <strong>Kooperationen</strong> .................................................................................................... 39<br />

2.1 Gr<strong>und</strong>lagen von <strong>Kooperationen</strong> ............................................................ 39<br />

2.1.1 Begriffsdefinition ......................................................................... 40<br />

2.1.2 Unterschiedliche Formen von <strong>Kooperationen</strong> ........................ 41<br />

2.1.3 Umsetzung von <strong>Kooperationen</strong> ................................................. 44<br />

2.1.4 Bedeutsame Aspekte <strong>und</strong> Prinzipien für das Gelingen<br />

von <strong>Kooperationen</strong> ....................................................................... 50<br />

2.1.5 Fazit zu den Gr<strong>und</strong>lagen von <strong>Kooperationen</strong> .......................... 55<br />

2.2 <strong>Kooperationen</strong> in der Sozialen Arbeit .................................................. 55<br />

2.2.1 Definition von <strong>Kooperationen</strong> im Blick auf<br />

Besonderheiten Sozialer Arbeit ................................................. 56<br />

2.2.2 Kooperationsformen in der Sozialen Arbeit ............................ 57<br />

2.2.3 Umsetzung von <strong>Kooperationen</strong> in der Sozialen Arbeit ......... 58<br />

2.2.4 Bedeutsame Aspekte für diese Untersuchung ........................ 60<br />

2.2.5 Konflikte, Scheitern <strong>und</strong> Gelingen von <strong>Kooperationen</strong> ......... 62<br />

2.2.6 Fazit zu <strong>Kooperationen</strong> in der Sozialen Arbeit ....................... 63<br />

2.3 <strong>Kooperationen</strong> in der Sozialwirtschaft ................................................. 64<br />

2.3.1 Begriffsdefinition zu <strong>Kooperationen</strong> in der<br />

Sozialwirtschaft ............................................................................ 65


10<br />

Inhalt<br />

2.3.2 Kooperationsformen in der Sozialwirtschaft .......................... 66<br />

2.3.3 Umsetzung von <strong>Kooperationen</strong> in der Sozialwirtschaft........ 66<br />

2.3.4 Bedeutsame Prinzipien <strong>und</strong> Aspekte<br />

sozialwirtschaftlicher <strong>Kooperationen</strong>....................................... 67<br />

2.3.5 Soziale Innovation durch <strong>Kooperationen</strong> in der<br />

Sozialwirtschaft ............................................................................ 68<br />

2.3.6 Fazit zu <strong>Kooperationen</strong> in der Sozialwirtschaft ..................... 70<br />

2.4 <strong>Kooperationen</strong> von organisierter <strong>Diakonie</strong> <strong>und</strong> verfasster<br />

<strong>Kirche</strong> ......................................................................................................... 70<br />

2.4.1 Kirchlich-diakonische <strong>Kooperationen</strong> als Teil der<br />

Sozialwirtschaft ............................................................................ 71<br />

2.4.2 Prinzipien <strong>und</strong> Aspekte der <strong>Kooperationen</strong> von <strong>Kirche</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Diakonie</strong> ................................................................................. 72<br />

2.5 Zwischenfazit zu kirchlich-diakonischen <strong>Kooperationen</strong> ................ 78<br />

3 <strong>Kirche</strong> als Kooperationspartnerin .................................................................. 79<br />

3.1 <strong>Kirche</strong> in systematisch-theologischer Perspektive ............................ 80<br />

3.2 Gr<strong>und</strong>lagen der verfassten <strong>Kirche</strong> ........................................................ 88<br />

3.3 <strong>Kirche</strong> in praktisch-theologischer <strong>und</strong> soziologischer<br />

Perspektive ............................................................................................... 90<br />

3.3.1 <strong>Kirche</strong> als Organisation .............................................................. 92<br />

3.3.2 <strong>Kirche</strong> als Institution ................................................................. 103<br />

3.3.3 <strong>Kirche</strong> als Interaktion ............................................................... 104<br />

3.3.4 <strong>Kirche</strong> als Inszenierung ............................................................ 109<br />

3.3.5 Fünf historische Organisationstypen von <strong>Kirche</strong> ................ 110<br />

3.3.6 Fazit zu <strong>Kirche</strong> in praktisch-theologischer <strong>und</strong><br />

soziologischer Perspektive ....................................................... 118<br />

3.4 <strong>Kirche</strong> als Hybrid ................................................................................... 123<br />

3.4.1 Definition des Begriffs Hybrid ................................................. 123<br />

3.4.2 Verschiedene Verständnisse von <strong>Kirche</strong> als Hybrid ........... 124<br />

3.4.3 <strong>Kirche</strong> als zivilgesellschaftliche Akteurin ............................. 124<br />

3.4.4 Fazit: <strong>Kirche</strong> als Hybrid <strong>und</strong> die Vergleichbarkeit mit<br />

<strong>Diakonie</strong> ....................................................................................... 128<br />

3.5 Kirchliches Personal im Blick auf <strong>Kooperationen</strong> ........................... 129<br />

3.5.1 Verschiedenes Personal in <strong>Kirche</strong>ngemeinden .................... 129<br />

3.5.2 Überschneidungen, Vernetzungen, Abgrenzungen <strong>und</strong><br />

Spannungen ................................................................................ 137<br />

3.5.3 Fazit zum Personal in <strong>Kirche</strong>ngemeinden ............................ 140<br />

3.6 Fazit zu <strong>Kirche</strong> als Kooperationspartnerin ....................................... 141<br />

4 <strong>Diakonie</strong> als Kooperationspartnerin ............................................................ 143<br />

4.1 <strong>Diakonie</strong> in systematisch-theologischer Perspektive ...................... 144<br />

4.2 Gr<strong>und</strong>lagen der organisierten <strong>Diakonie</strong> ............................................ 151<br />

4.3 <strong>Diakonie</strong> in praktisch-theologischer <strong>und</strong> soziologischer<br />

Perspektive ............................................................................................. 153


Inhalt 11<br />

4.3.1 <strong>Diakonie</strong> als Organisation ........................................................ 155<br />

4.3.2 <strong>Diakonie</strong> als Institution ............................................................. 161<br />

4.3.3 <strong>Diakonie</strong> als Interaktion ........................................................... 162<br />

4.3.4 <strong>Diakonie</strong> als Inszenierung ........................................................ 164<br />

4.3.5 Besonderheiten unterschiedlicher Organisationsformen<br />

von <strong>Diakonie</strong> ............................................................................... 165<br />

4.3.6 Fazit zu <strong>Diakonie</strong> in praktisch-theologischer <strong>und</strong><br />

soziologischer Perspektive ....................................................... 173<br />

4.4 <strong>Diakonie</strong> als Hybrid ............................................................................... 177<br />

4.4.1 Verschiedene Verständnisse von <strong>Diakonie</strong> als Hybrid ....... 178<br />

4.4.2 <strong>Diakonie</strong> als hybride Akteurin ................................................ 179<br />

4.4.3 Multiple Identitäten diakonischer Einrichtungen <strong>und</strong><br />

ihres Personals ........................................................................... 182<br />

4.4.4 Fazit: <strong>Diakonie</strong> als Hybrid <strong>und</strong> die Vergleichbarkeit mit<br />

<strong>Kirche</strong> ........................................................................................... 183<br />

4.5 Diakonisches Personal im Blick auf <strong>Kooperationen</strong> ........................ 183<br />

4.5.1 Verschiedenes Personal in diakonischen Einrichtungen ... 183<br />

4.5.2 Überschneidungen, Vernetzungen, Spannungen <strong>und</strong><br />

Abgrenzungen ............................................................................ 188<br />

4.5.3 Fazit zum Personal in diakonischen Einrichtungen ............ 191<br />

4.6 Fazit zu <strong>Diakonie</strong> als Kooperationspartnerin ................................... 191<br />

5 Gemeinsamkeiten <strong>und</strong> Unterschiede von <strong>Diakonie</strong> <strong>und</strong> <strong>Kirche</strong> ............. 193<br />

5.1 Systematisch-theologische Schnittmengen <strong>zwischen</strong> <strong>Diakonie</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Kirche</strong> ............................................................................................... 193<br />

5.2 Verflechtungen <strong>und</strong> Abgrenzungen <strong>zwischen</strong> <strong>Diakonie</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Kirche</strong> ....................................................................................................... 194<br />

5.3 Vergleich in praktisch-theologischer <strong>und</strong> soziologischer<br />

Perspektive ............................................................................................. 197<br />

5.3.1 Diakonische Einrichtungen <strong>und</strong> <strong>Kirche</strong>ngemeinden als<br />

Organisationen ........................................................................... 198<br />

5.3.2 Diakonische Einrichtungen <strong>und</strong> <strong>Kirche</strong>ngemeinden als<br />

Institutionen ................................................................................ 204<br />

5.3.3 Diakonische Einrichtungen <strong>und</strong> <strong>Kirche</strong>ngemeinden als<br />

Interaktionsgeschehen .............................................................. 204<br />

5.3.4 Diakonische Einrichtungen <strong>und</strong> <strong>Kirche</strong>ngemeinden als<br />

Inszenierungen ........................................................................... 207<br />

5.3.5 Anschlussfähigkeit verschiedener Organisationstypen ..... 207<br />

5.3.6 Fazit zur praktisch-theologischen <strong>und</strong> soziologischen<br />

Perspektive .................................................................................. 210<br />

5.4 <strong>Diakonie</strong> <strong>und</strong> <strong>Kirche</strong> als hybride Partnerinnen ............................... 211<br />

5.5 Das Miteinander von diakonischem <strong>und</strong> kirchlichem Personal ... 215<br />

5.5.1 Diakonisches <strong>und</strong> kirchliches Personal ................................. 217<br />

5.5.2 Freiwillig Engagierte ................................................................. 220


12<br />

Inhalt<br />

5.5.3 Bewohner*innen <strong>und</strong> Betroffene ............................................ 223<br />

5.5.4 Sonstige Aspekte zu kirchlich-diakonischem<br />

Miteinander ................................................................................. 225<br />

5.5.5 Brückenbauende im kirchlich-diakonischen<br />

Miteinander ................................................................................. 226<br />

5.5.6 Schnittmengen <strong>und</strong> Vernetzungen <strong>zwischen</strong> beteiligtem<br />

Personal ....................................................................................... 227<br />

5.5.7 Spannungen <strong>und</strong> Abgrenzungen <strong>zwischen</strong> beteiligtem<br />

Personal ....................................................................................... 228<br />

5.5.8 Fazit zum beteiligten Personal ................................................ 230<br />

5.6 Fazit zu den Gemeinsamkeiten <strong>und</strong> Unterschieden von<br />

<strong>Diakonie</strong> <strong>und</strong> <strong>Kirche</strong> ............................................................................. 231<br />

6 Gemeinwesendiakonie ................................................................................... 233<br />

6.1 Gr<strong>und</strong>lagen der Gemeinwesendiakonie ............................................ 233<br />

6.1.1 Gemeinwesenarbeit <strong>und</strong> Sozialraumorientierung ............... 235<br />

6.1.2 Armutsbekämpfung im Kontext von<br />

Gemeinwesendiakonie .............................................................. 236<br />

6.1.3 Historische Entwicklung der Gemeinwesendiakonie ......... 238<br />

6.2 Gemeinwesendiakonisches Selbstverständnis ................................. 239<br />

6.3 Kooperation <strong>und</strong> Vernetzung in der Gemeinwesendiakonie ......... 245<br />

6.3.1 <strong>Diakonie</strong> <strong>und</strong> <strong>Kirche</strong> in der Gemeinwesendiakonie ............ 247<br />

6.3.2 Gelingen von Vernetzung <strong>und</strong> Kooperation im<br />

Gemeinwesen ............................................................................. 250<br />

6.3.3 Fazit zu Vernetzung <strong>und</strong> Kooperation in der<br />

Gemeinwesendiakonie .............................................................. 256<br />

6.3.4 Kirchlich-diakonische <strong>Kooperationen</strong> in der<br />

Gemeinwesendiakonie .............................................................. 256<br />

6.3.5 Aspekte kirchlich-diakonischer <strong>Kooperationen</strong> in der<br />

Gemeinwesendiakonie .............................................................. 258<br />

6.3.6 Fazit zu gemeinwesendiakonischen <strong>Kooperationen</strong> ........... 266<br />

6.4 Bedeutung von Entrepreneurship <strong>und</strong> beteiligten Personen ........ 267<br />

6.4.1 Entrepreneurship in der Gemeinwesendiakonie ................. 267<br />

6.4.2 Beteiligte Personen in der Gemeinwesendiakonie .............. 273<br />

6.5 Bestandsaufnahme <strong>und</strong> aktuelle Situation der<br />

Gemeinwesendiakonie .......................................................................... 278<br />

6.6 Fazit zur Gemeinwesendiakonie ......................................................... 280<br />

7 Kirchlich-diakonische <strong>Kooperationen</strong> in der liquiden Moderne ............ 283<br />

7.1 Krisen <strong>und</strong> Herausforderungen in <strong>Kirche</strong> <strong>und</strong> <strong>Diakonie</strong> ............... 283<br />

7.2 Liquide Moderne als Kontext kirchlicher <strong>und</strong> diakonischer<br />

Krisen ....................................................................................................... 284<br />

7.2.1 Liquide Moderne als Kontext kirchlicher Krisen ................. 286<br />

7.2.2 Liquide Moderne als Kontext diakonischer Krisen ............. 288


Inhalt 13<br />

7.3 Multiple Herausforderungen der kirchlichen <strong>und</strong> diakonischen<br />

Krisen ....................................................................................................... 290<br />

7.3.1 Drei Herausforderungen als Zeichen kirchlicher Krisen .... 290<br />

7.3.2 Vier Herausforderungen als Zeichen diakonischer<br />

Krisen ........................................................................................... 292<br />

7.3.3 Geteilte <strong>und</strong> unterschiedliche Herausforderungen in<br />

liquider Moderne ........................................................................ 295<br />

7.4 Krisen als Umbruch <strong>und</strong> Aufbruch .................................................... 297<br />

7.4.1 Umbrüche <strong>und</strong> Aufbrüche in <strong>Kirche</strong> ...................................... 297<br />

7.4.2 Umbrüche <strong>und</strong> Aufbrüche in <strong>Diakonie</strong> .................................. 299<br />

7.5 Potentiale <strong>und</strong> Optionen gemeinwesendiakonischer<br />

<strong>Kooperationen</strong> ........................................................................................ 302<br />

7.5.1 Potentiale <strong>und</strong> ergänzende Ressourcen von <strong>Diakonie</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Kirche</strong> ................................................................................... 302<br />

7.5.2 Gemeinwesendiakonische <strong>Kooperationen</strong> als Aufbruch<br />

in liquider Moderne ................................................................... 303<br />

7.6 Fazit zu kirchlich-diakonischen <strong>Kooperationen</strong> in liquider<br />

Moderne ................................................................................................... 305<br />

8 Fazit der diakonie-wissenschaftlichen Gr<strong>und</strong>legung ............................... 307<br />

8.1 Zusammenführung der Ergebnisse .................................................... 307<br />

8.2 Beantwortung der Forschungsfragen ................................................. 330<br />

8.3 Überleitung zur empirischen Untersuchung .................................... 337<br />

Zweiter Teil<br />

Empirische Untersuchung<br />

9 Forschungsplanung ........................................................................................ 341<br />

9.1 Methodologisches Konzept der Untersuchung ................................. 341<br />

9.1.1 Verwendung des empirisch-theologischen Praxiszyklus ... 342<br />

9.1.2 Gro<strong>und</strong>ed Theory ....................................................................... 342<br />

9.1.3 Geplantes Vorgehen .................................................................. 343<br />

9.1.4 Forschungsethische Überlegungen ........................................ 346<br />

9.2 Forschungsplanung ............................................................................... 347<br />

9.2.1 Forschungsprojekte ................................................................... 347<br />

9.2.2 Konstitution des Forschers ....................................................... 349<br />

9.3 Praxisfelder ............................................................................................. 350<br />

9.4 Konzeptualisierung ............................................................................... 353<br />

9.5 Datenerhebung ....................................................................................... 354<br />

9.5.1 Forschungsdesign ...................................................................... 354<br />

9.5.2 Empirische Datenerhebung ...................................................... 355<br />

9.5.3 Datendarstellung ........................................................................ 356<br />

9.6 Datenanalyse .......................................................................................... 356<br />

10 Auswertung des Forschungsprojekts zur <strong>Kirche</strong>nkreissozialarbeit ...... 357


14<br />

Inhalt<br />

10.1 Ergebnisse der Dokumentenanalyse .................................................. 358<br />

10.2 Ergebnisse der teilnehmenden Beobachtungen ............................... 358<br />

10.3 Ergebnisse der quantitativen Online-Befragung .............................. 360<br />

10.4 Ergebnisse der qualitativen Interviews ............................................. 373<br />

10.4.1 Ergebnisse des ersten offenen Codierens .............................. 373<br />

10.4.2 Ergebnisse des zweiten offenen Codierens ........................... 374<br />

10.4.3 Lexikalische Analyse, Code-Matrix-Browser <strong>und</strong><br />

Code-Relations-Browser ............................................................ 375<br />

10.4.4 Ergebnisse der qualitativen Analyse in der<br />

<strong>Kirche</strong>nkreissozialarbeit .......................................................... 377<br />

10.5 Ergebnisse der kommunikativen Validierung ................................. 402<br />

10.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse ............................... 403<br />

11 Auswertung des Forschungsprojekts zum DRIN-Förderprojekt ............ 405<br />

11.1 Ergebnisse der Dokumentenanalyse .................................................. 405<br />

11.2 Ergebnisse der quantitativen Online-Befragung .............................. 410<br />

11.3 Ergebnisse der qualitativen Interviews ............................................. 423<br />

11.3.1 Ergebnisse des ersten offenen Codierens .............................. 423<br />

11.3.2 Ergebnisse des zweiten offenen Codierens ........................... 426<br />

11.3.3 Lexikalische Analyse, Code-Matrix-Browser <strong>und</strong><br />

Code-Relations-Browser ............................................................ 426<br />

11.3.4 Ergebnisse des axialen Codierens .......................................... 431<br />

11.3.5 Ergebnisse des selektiven Codierens ..................................... 465<br />

11.4 Ergebnisse der kommunikativen Validierung ................................. 475<br />

11.5 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse ............................... 478<br />

12 Vergleichende Auswertung der Forschungsprojekte ............................... 481<br />

12.1 Beantwortung der Forschungsfrage ................................................... 481<br />

12.2 Einordnung der Ergebnisse ................................................................. 494<br />

12.3 Theoriegenerierung ............................................................................... 497<br />

12.3.1 Relevante Vergleichsdimensionen ......................................... 497<br />

12.3.2 Gruppierung <strong>und</strong> Regelmäßigkeiten ...................................... 499<br />

12.3.3 Erklärung von Sinnzusammenhängen ................................... 500<br />

12.3.4 Typenbildung <strong>und</strong> Charakterisierung .................................... 500<br />

12.3.5 Theoretische Sättigung der Daten ........................................... 507<br />

12.4 Fazit der empirischen Untersuchung ................................................ 507<br />

13 Schlussteil ........................................................................................................ 509<br />

13.1 Zusammenfassung der Ergebnisse ..................................................... 509<br />

13.2 Konsequenzen <strong>und</strong> Handlungsempfehlungen ................................. 512<br />

13.3 Anschließende Forschungsperspektiven .......................................... 515<br />

13.4 Schlussbemerkungen ............................................................................ 516<br />

Literaturverzeichnis............................................................................................... 517


Einführung


1 Einleitung<br />

»Zusammen ist man weniger allein« --- so lautet der Titel eines bekannten französischen<br />

Dramas aus dem Jahr 2007. »Zusammen ist man weniger allein« könnte<br />

aber auch das Motto kirchlich-diakonischer <strong>Kooperationen</strong> lauten, wenn man die<br />

Reflexionen aus der Hamburger Initiative Q8 betrachtet: »2013 [startete] eine Q8-<br />

Intermediärin im Rahmen einer Kooperation mit der Heilands-<strong>Kirche</strong>ngemeinde.<br />

Ziel ist die <strong>Kirche</strong> mittendrin: eine <strong>Kirche</strong>ngemeinde, die einen nachhaltigen Beitrag<br />

zur Sicherung verlässlicher kultureller <strong>und</strong> sozialer Infrastrukturen leistet«<br />

(Haubenreisser & Oertel 2016: 283) --- oder wenn man die Erfahrungen aus dem<br />

DRIN-Projekt ernstnimmt: »Die Zusammenarbeit mit der <strong>Diakonie</strong> vor Ort, Quartiersmanagement<br />

ist exzellent. Von da aus --- also da spricht überhaupt nichts gegen,<br />

sondern alles dafür, möglichst viel in der Zusammenarbeit zu machen«<br />

(I_11_Pfarrer: Abs. 60). Offensichtlich ist man nicht nur weniger allein, sondern<br />

man stellt zusammen etwas auf die Beine, was allein nicht möglich gewesen ist,<br />

indem die Ressourcen der doch recht unterschiedlichen Akteurinnen <strong>Kirche</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Diakonie</strong> gebündelt werden. Denn wenngleich es vielfältige Verflechtungen <strong>zwischen</strong><br />

beiden gibt <strong>und</strong> sie in der öffentlichen Wahrnehmung gerne in einem Zug<br />

genannt werden (vgl. Dietz 2013: 9), so bewegen sich <strong>Kirche</strong> <strong>und</strong> <strong>Diakonie</strong> in weiten<br />

Teilen in unterschiedlichen Systemrationalitäten (vgl. Eurich 2018: 54f.). Und<br />

nicht zuletzt infolge zunehmender Professionalisierung ist <strong>Diakonie</strong> längst als eigenständige<br />

Akteurin <strong>und</strong> schon lange nicht mehr ohne weiteres als <strong>Diakonie</strong> der<br />

<strong>Kirche</strong> zu begreifen (vgl. Fichtmüller 2019: 153). Entsprechend können gemeinsame<br />

<strong>Kooperationen</strong> als neue Verhältnisbestimmung verstanden werden von <strong>Kirche</strong><br />

mit <strong>Diakonie</strong> bzw. <strong>Diakonie</strong> mit <strong>Kirche</strong>.<br />

Angesichts von Einsamkeit im Alter oder erhöhtem Armutsrisiko Alleinerziehender<br />

auf der einen Seite <strong>und</strong> der Entstehung von Caring Community oder der<br />

Forderung nach multiprofessionellen Teams auf der anderen Seite gilt »zusammen<br />

ist man weniger allein« auch für das Gemeinwesen <strong>und</strong> den Umgang mit verschiedenen<br />

Formen von Armut --- <strong>und</strong> damit für die unmittelbaren Bezugspunkte kirchlich-diakonischer<br />

Zusammenarbeit. Diese entsteht schließlich nicht im luftleeren<br />

Raum, sondern bezieht sich in den genannten Beispielen auf den Kontext der Gemeinwesendiakonie<br />

mit spezifischen Akzenten in der Armutsbekämpfung. Dies<br />

ist keine neue Erfindung, sondern schon immer Teil kirchlicher <strong>und</strong> diakonischer


26<br />

1 Einleitung<br />

Selbstverständnisse --- wenngleich es dazu mitunter einer Wiederentdeckung <strong>und</strong><br />

Neugestaltung bedarf. <strong>Kirche</strong> ist als Akteurin im Gemeinwesen zu verstehen, die<br />

mit anderen das gute Leben vor Ort ermöglichen möchte, wie etwa die Settlement<br />

Bewegung im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert oder Langes Ladenkirche in den 1960er Jahren veranschaulichen.<br />

<strong>Diakonie</strong> steht in der langen Tradition der Bekämpfung von Armut<br />

<strong>und</strong> Ausgrenzung --- nicht erst seit ihrer Gründung als Wohlfahrtsverband. Beide<br />

--- <strong>Diakonie</strong> <strong>und</strong> <strong>Kirche</strong> --- sind durch Nächstenliebe <strong>und</strong> Solidarität bestimmt <strong>und</strong><br />

gemeinsam können sie auf eine prägende Geschichte christlichen Engagements<br />

für <strong>und</strong> mit Menschen in Armut <strong>und</strong> im Gemeinwesen zurückblicken (vgl. Kuhn<br />

2011: 79ff.; Södling 2011: 36ff.). Und beide sind herausgefordert, in einer sich<br />

wandelnden Gesellschaft der liquiden Moderne helfendes Handeln im Gemeinwesen<br />

zu realisieren. Dazu gehört praktische Hilfe ebenso wie sozialpolitische Lobbyarbeit.<br />

Dies wird nicht zuletzt an den Erfahrungen der COVID-19-Krise deutlich,<br />

die einen harten Einschnitt mit sozialen Folgen angesichts der Verschärfung von<br />

Problemlagen von Menschen an den gesellschaftlichen Rändern einerseits <strong>und</strong><br />

der Streichung finanzieller Förderung andererseits bedeutet. Hier haben <strong>Kirche</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Diakonie</strong> mitunter unkompliziert zugepackt <strong>und</strong> ihre Stimme für diejenigen<br />

erhoben, die oft überhört werden oder die aufgehört haben, zu rufen. Entsprechend<br />

werden kirchlich-diakonische <strong>Kooperationen</strong> in der Gemeinwesendiakonie<br />

als wichtige Zukunftsoptionen begriffen (vgl. Zellfelder 2010: 71).<br />

Aber sind <strong>Kirche</strong> <strong>und</strong> <strong>Diakonie</strong> tatsächlich gerne zusammen oder handeln sie<br />

lieber allein? Ohne die dargestellten positiven Erfahrungen <strong>und</strong> Potentiale zu revidieren,<br />

stellt sich diese Frage angesichts der Herausforderungen kirchlich-diakonischer<br />

<strong>Kooperationen</strong>, die Horstmann <strong>und</strong> Neuhausen in ihrer Studie zur Gemeinwesendiakonie<br />

wie folgt zusammenfassen: <strong>Kooperationen</strong> <strong>zwischen</strong> <strong>Kirche</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Diakonie</strong> »[seien] immer gewünscht, selten praktiziert <strong>und</strong> oftmals ohne Erfolg,<br />

so könnte man die bisherige Praxis der Kooperation […] in aller Kürze bilanzieren«<br />

(Horstmann & Neuhausen 2010: 24). Dies lässt erahnen, dass kirchlichdiakonische<br />

Partnerschaften eher die Ausnahme von der Regel darstellen <strong>und</strong> mit<br />

multiplen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, bevor sie selbst Armut bekämpfen.<br />

Auf dem Hintergr<strong>und</strong> dieser Spannung <strong>zwischen</strong> Beispielen gelingender Zusammenarbeit<br />

einerseits <strong>und</strong> ernsthaften Herausforderungen andererseits werden<br />

in dieser Arbeit <strong>Kooperationen</strong> von organisierter <strong>Diakonie</strong> <strong>und</strong> verfasster <strong>Kirche</strong><br />

untersucht. Dabei soll herausgef<strong>und</strong>en werden, welche Aspekte für deren<br />

Gelingen <strong>und</strong> Scheitern im Kontext von Armut <strong>und</strong> Gemeinwesendiakonie von<br />

Bedeutung sind. Dadurch sollen Wege aufgezeigt werden, wie die Zusammenarbeit<br />

<strong>zwischen</strong> diakonischen Einrichtungen <strong>und</strong> <strong>Kirche</strong>ngemeinden sowie Dekanaten<br />

im Umgang mit Armut im Gemeinwesen ermöglicht wird. Dazu wird das<br />

Thema mithilfe von Literatur aus Theologie, <strong>Diakonie</strong>- <strong>und</strong> Sozialwissenschaft in<br />

die aktuelle wissenschaftliche Diskussion eingebettet. Auf dieser Gr<strong>und</strong>legung


1.1 Aktualität <strong>und</strong> Relevanz der Forschung 27<br />

aufbauend werden die Erfahrungen aus gemeinwesendiakonischen Projekten 1<br />

mithilfe einer empirischen Untersuchung analysiert.<br />

Die Forschungsfrage dieser Arbeit lautet entsprechend: Welche Aspekte sind<br />

entscheidend für das Gelingen <strong>und</strong> Scheitern der <strong>Kooperationen</strong> <strong>zwischen</strong> organisierter<br />

<strong>Diakonie</strong> <strong>und</strong> verfasster <strong>Kirche</strong> im Kontext von Armutsbekämpfung <strong>und</strong><br />

Gemeinwesendiakonie?<br />

Der Forschungsfrage folgend wird die Arbeit wie folgt aufgebaut: Auf die Einleitung<br />

folgt eine diakoniewissenschaftliche Gr<strong>und</strong>legung zu den Begriffen Kooperation,<br />

<strong>Kirche</strong>, <strong>Diakonie</strong> <strong>und</strong> Gemeinwesendiakonie (Teil 1). Anschließend wird<br />

die empirische Untersuchung dargelegt (Teil 2), bevor ein Fazit gezogen <strong>und</strong><br />

Handlungsoptionen für die kirchlich-diakonische Theorie <strong>und</strong> Praxis ausgeführt<br />

werden.<br />

1.1 Aktualität <strong>und</strong> Relevanz der Forschung<br />

Nach der erstmaligen Erwähnung der Begriffsneuschöpfung Gemeinwesendiakonie<br />

in der EKD-Denkschrift Handlungsoption Gemeinwesendiakonie (EKD 2007)<br />

hat sich die Gemeinwesendiakonie zu einem Modethema im Kontext der evangelischen<br />

<strong>Kirche</strong> entwickelt. Neben einigen Publikationen 2 im Anschluss an die genannte<br />

Denkschrift verdeutlichen dies die Gründung des B<strong>und</strong>esnetzwerkes Gemeinwesendiakonie<br />

(2014), die zahlreichen Förderprogramme zur Gemeinwesendiakonie<br />

(z. B. Aktion diakonische Gemeinde der EKKW, FIT der ELKB oder DRIN<br />

der EKHN) sowie der Eingang gemeinwesendiakonischer Konzepte in theologische<br />

Studiengänge (vgl. Transformationsstudien der CVJM Hochschule oder Seminare<br />

der Hochschule Hannover) <strong>und</strong> zudem bestehende oder sich entwickelnde<br />

Einzelinitiativen.<br />

Dass gemeinwesendiakonisches Handeln häufig als Strategie zur Armutsbekämpfung<br />

verstanden wird, hängt im Wesentlichen mit der hohen Relevanz der<br />

Thematik Armut <strong>und</strong> soziale Ungleichheit in Deutschland <strong>und</strong> weltweit sowie einem<br />

angemessenen Umgang hiermit zusammen, wie nicht zuletzt der aktuelle<br />

Armutsbericht der B<strong>und</strong>esregierung oder entsprechende Studien deutlich machen<br />

(vgl. BMAS 2021; DIW 2017; Oxfam 2018).<br />

<br />

1<br />

Als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hochschule Hannover arbeitet der Verfasser dieser<br />

Arbeit in zwei gemeinwesendiakonischen Forschungsprojekten, dem DRIN-Projekt der <strong>Diakonie</strong><br />

Hessen <strong>und</strong> der EKHN <strong>und</strong> der <strong>Kirche</strong>nkreissozialarbeit der <strong>Diakonie</strong> Niedersachsen<br />

<strong>und</strong> der EVLKA.<br />

2<br />

An dieser Stelle sind insbesondere die Studien Mutig mittendrin (Horstmann & Neuhausen<br />

2010) <strong>und</strong> Gott im Gemeinwesen (Horstmann & Park 2014) oder das Sammelwerk Gemeinwesendiakonie<br />

als strategische Orientierung kirchlicher Träger (Rausch 2015) sowie Beiträge<br />

in unterschiedlichen Sammelbänden (Eurich u. a. 2011; Herrmann & Horstmann 2010) zu<br />

nennen.


28<br />

1 Einleitung<br />

In der Wirtschaft spielen Vernetzung <strong>und</strong> Kooperation <strong>zwischen</strong> Unternehmen<br />

seit Jahren eine große Rolle. Dies wird sich in den kommenden Jahren voraussichtlich<br />

weiter verstärken --- das betrifft vermehrt auch den sozialen Sektor<br />

durch die Einführung marktwirtschaftlicher Prinzipien auf dem Sozialmarkt (vgl.<br />

Eurich & Maaser 2013: 19ff.) <strong>und</strong> folglich die Armutsbekämpfung. Auf diesem<br />

Hintergr<strong>und</strong> nimmt auch die Relevanz kooperativen Handelns im Kontext der Gemeinwesendiakonie<br />

zur gemeinsamen Armutsbekämpfung im Quartier zu. Verstärkt<br />

wird diese These unter Berücksichtigung der spezifischen Situation von<br />

verfasster <strong>Kirche</strong> <strong>und</strong> organisierter <strong>Diakonie</strong> in Deutschland.<br />

So macht die aktuelle <strong>Kirche</strong>nmitgliedsuntersuchung der EKD die Bedeutung<br />

eines diakonischen Profils der <strong>Kirche</strong>n deutlich. Die Mitglieder wünschen sich diakonisches<br />

Handeln in den <strong>Kirche</strong>ngemeinden, was sich mit der Erwartung an<br />

<strong>Kirche</strong> seitens der Gesamtbevölkerung deckt (vgl. EKD 2014a: 92ff.). In diesem<br />

Zusammenhang machen kirchlich-diakonische <strong>Kooperationen</strong> im Gemeinwesen<br />

gesellschaftlich <strong>und</strong> organisational nicht nur Sinn, sondern entsprechen dem theologischen<br />

Verständnis von diakonischem Handeln als gr<strong>und</strong>legendem Wesensmerkmal<br />

<strong>und</strong> konstitutiver Aufgabe von <strong>Kirche</strong> (vgl. Härle 2018: 579; Rüegger &<br />

Sigrist 2011: 179). Gleichzeitig führen Sparzwang <strong>und</strong> Mitgliederverlust in der<br />

<strong>Kirche</strong> zu Zusammenlegungen <strong>und</strong> <strong>Kooperationen</strong> im kirchlichen Raum. Zugleich<br />

wird deutlich, dass <strong>Kooperationen</strong> <strong>zwischen</strong> verfasster <strong>Kirche</strong> <strong>und</strong> organisierter<br />

<strong>Diakonie</strong> nur teilweise initiiert werden oder gelingen.<br />

1.2 Ziele, Methodologie <strong>und</strong> Aufbau der Forschung<br />

Zu Beginn dieser Arbeit sollen die wissenschaftstheoretischen Gr<strong>und</strong>annahmen<br />

offengelegt <strong>und</strong> das geplante methodische Vorgehen dargestellt werden. Dazu<br />

wird zunächst die Zielsetzung erläutert, bevor die zu Beginn formulierte Forschungsfrage<br />

anhand entsprechender Teilfragen spezifiziert wird. Auf diesem<br />

Hintergr<strong>und</strong> wird die Forschungsmethodologie dargestellt, die den theoretischen<br />

Hintergr<strong>und</strong> auf dem Weg zur Beantwortung der Forschungsfrage bildet --- eine<br />

methodologische Vertiefung hinsichtlich der empirischen Untersuchung wird zu<br />

Beginn des zweiten Teils dieser Arbeit dargelegt. Bevor der hieraus folgende Aufbau<br />

der Arbeit erläutert wird, sollen gr<strong>und</strong>legende Begrifflichkeiten geklärt werden.<br />

Zuletzt wird die Arbeit inhaltlich begründet <strong>und</strong> der aktuelle Forschungsstand<br />

aufgezeigt.<br />

1.2.1 Zielsetzung der Forschung<br />

<strong>Kooperationen</strong> <strong>und</strong> insbesondere die <strong>Kooperationen</strong> <strong>zwischen</strong> organisierter <strong>Diakonie</strong><br />

<strong>und</strong> verfasster <strong>Kirche</strong> gehören zu den Kernprinzipien der Gemeinwesendiakonie<br />

<strong>und</strong> haben somit einen großen Einfluss auf das Gelingen gemeinwesendiakonischen<br />

Handelns im Allgemeinen. Von daher besteht ein großes Interesse


1.2 Ziele, Methodologie <strong>und</strong> Aufbau der Forschung 29<br />

daran, die Ergebnisse dieser Arbeit für die Praxis fruchtbar zu machen. Gleichzeitig<br />

soll mit dieser Forschungsarbeit ein Beitrag zur wissenschaftlichen Diskussion<br />

innerhalb der <strong>Diakonie</strong>wissenschaft geleistet werden, wie aus den Forschungszielen<br />

deutlich werden wird. Zu deren Darstellung erweist sich das »Modell der drei<br />

Welten« von Johann Mouton als hilfreich, bei dem die unterschiedlichen Ebenen<br />

der Forschung deutlich werden. Mouton fächert dabei die Forschungsziele in die<br />

Ebene der Alltagswelt (»Welt 1«), der Wissenschaft (»Welt 2«) <strong>und</strong> der Meta-Wissenschaft<br />

(»Welt 3«) auf. Gleichzeitig ist zu beachten, dass die drei Ebenen voneinander<br />

abhängig sind <strong>und</strong> sich gegenseitig beeinflussen (vgl. Mouton 2001: 149).<br />

Auf der Ebene der gemeinwesendiakonischen Praxis (»Welt 1«)<br />

Die Forschungsarbeit beschäftigt sich in großem Maße mit der Praxis gemeinwesendiakonischen<br />

Handelns <strong>und</strong> reflektiert das Handlungsprinzip kirchlich-diakonischer<br />

<strong>Kooperationen</strong> anhand der Erfahrungen aus gemeinwesendiakonischer<br />

Praxis wissenschaftlich. Diese Ergebnisse sollen letztlich für die weitere Praxis<br />

nutzbar gemacht werden können. Dabei ist es Ziel dieser Arbeit, Wege aufzuzeigen,<br />

durch die das Gelingen von <strong>Kooperationen</strong> gefördert <strong>und</strong> das Scheitern von<br />

<strong>Kooperationen</strong> verhindert werden kann. Diese Wege sollen auf den unterschiedlichen<br />

Ebenen der Kooperation (Leitungsebene verfasster <strong>Kirche</strong> <strong>und</strong> organisierter<br />

<strong>Diakonie</strong>, Projektleitung sowie konkrete Handlungsebene) ansetzen <strong>und</strong> die unterschiedlichen<br />

Phasen gemeinwesendiakonischer Projekte in den Blick nehmen.<br />

Konkret bedeutet das, dass die Ergebnisse zur Förderung <strong>und</strong> Umsetzung von Projekten<br />

in der Gemeinwesendiakonie beitragen sollen, indem sie für Planung <strong>und</strong><br />

Konzeption auf wichtige Aspekte für das Gelingen von <strong>Kooperationen</strong> hinweisen.<br />

Des Weiteren sollen die Ergebnisse bei Schwierigkeiten innerhalb von gemeinwesendiakonischem<br />

Handeln Lösungsmöglichkeiten aufzeigen <strong>und</strong> bei der Evaluation<br />

abgeschlossener Projekte auf Gründe für das Scheitern hinweisen, sodass die<br />

Akteure Fehlentwicklungen nachvollziehen können <strong>und</strong> zu zukünftigem gemeinwesendiakonischen<br />

Handeln ermutigt werden (vgl. Eidt & Eurich 2016: 347).<br />

Letztlich leistet die Arbeit somit einen Beitrag zum Diskurs einer Stadtteilentwicklung<br />

insbesondere im Sinne von Armut betroffener Menschen im Quartier, indem<br />

organisierte <strong>Diakonie</strong> <strong>und</strong> verfasste <strong>Kirche</strong> als Kooperationspartnerinnen Verantwortung<br />

im Gemeinwesen übernehmen.<br />

Auf der Ebene der diakoniewissenschaftlichen Forschung (»Welt 2«)<br />

Über die konkrete Praxis hinaus soll die Forschungsarbeit einen Beitrag zum gesellschaftsrelevanten<br />

<strong>und</strong> zukunftsweisenden Themenkomplex der <strong>Kooperationen</strong><br />

von organisierter <strong>Diakonie</strong> <strong>und</strong> verfasster <strong>Kirche</strong> auf diakoniewissenschaftlicher<br />

Ebene leisten, indem mithilfe verlässlicher Methoden <strong>und</strong> Datenerhebung<br />

durch gründliche Forschung verlässliche Ergebnisse erzielt werden <strong>und</strong> somit<br />

eine Weiterentwicklung innerhalb der <strong>Diakonie</strong>wissenschaften ermöglicht wird<br />

(vgl. Eidt & Eurich 2016: 347). Vier Aspekte der <strong>Diakonie</strong>wissenschaft werden dabei<br />

in dieser Untersuchung fokussiert:


30<br />

1 Einleitung<br />

(1) Zum einen ist es Ziel dieser Arbeit, Wege aufzuzeigen, wie sich organisierte<br />

<strong>Diakonie</strong> in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche durch ein gemeinwesendiakonisches<br />

Profil zukünftig ausrichten kann.<br />

(2) Verfasste <strong>Kirche</strong>, insbesondere in ihrer Form als Parochialgemeinde, hat<br />

den Auftrag, Verantwortung für ihr Umfeld <strong>und</strong> die Gesellschaft zu übernehmen.<br />

Daran schließt diese Arbeit unmittelbar an. Sie kann somit einen Beitrag zu Diskussion<br />

über das diakonische Profil <strong>und</strong> den Gemeinwesenbezug von verfasster<br />

<strong>Kirche</strong> <strong>und</strong> <strong>Kirche</strong>ngemeinden.<br />

(3) In Bezug auf kirchlich-diakonische <strong>Kooperationen</strong> sollen vorliegende wissenschaftliche<br />

Erkenntnisse durch ihre Überprüfung im Kontext der Gemeinwesendiakonie<br />

für den wissenschaftlichen Diskurs der Kooperationsforschung aktualisiert,<br />

gegebenenfalls revidiert <strong>und</strong> so fruchtbar gemacht werden. Ziel ist es die<br />

wissenschaftliche Diskussion der Gemeinwesendiakonie an einer relevanten<br />

Stelle --- dem Prinzip der Kooperation --- zu vertiefen.<br />

(4) Zuletzt wird mit der Arbeit ein Beitrag zum wissenschaftlichen Diskurs<br />

der Armutsforschung geleistet, indem die Verantwortung von organisierter <strong>Diakonie</strong><br />

<strong>und</strong> verfasster <strong>Kirche</strong> als wichtige Stakeholder sozialpolitischen Handelns<br />

in der Gemeinwesendiakonie für die Lage von Armutsbetroffenen <strong>und</strong> den Umgang<br />

mit Armut in Deutschland in den Blick genommen wird.<br />

Somit werden die Akteur*innen gemeinwesendiakonischer Praxis (»Welt 1«)<br />

zu Forschungsobjekten der wissenschaftlichen Untersuchung (»Welt 2«).<br />

Auf der Ebene der Meta-Wissenschaft (»Welt 3«)<br />

Auf dieser Ebene fragt die Forschung danach, inwieweit das Vorgehen einer wissenschaftlichen<br />

Untersuchung sinnvoll ist, um in anderen Kontexten eine vergleichbare<br />

Untersuchung durchzuführen, die ebenfalls zu verlässlichen Ergebnissen<br />

kommt, ob also die Intersubjektivität der Ergebnisse gewährleistet ist. Es geht<br />

somit um die Reflexion über die genutzten wissenschaftlichen Methoden<br />

(»Welt 2«). Das Ziel ist es, festzustellen, ob die qualitative Forschung sinnvoll ist,<br />

um verlässliche Ergebnisse zu erhalten, die letztlich für die konkrete Praxis<br />

(»Welt 1«) fruchtbar gemacht werden sollen. Was muss am wissenschaftlichen<br />

Vorgehen der Untersuchung bedacht <strong>und</strong> geändert werden <strong>und</strong> welche Faktoren<br />

<strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>annahmen werden gewählt bzw. sind schlussendlich haltbar oder zu<br />

verwerfen, um verlässliche Ergebnisse zu erhalten? Zusammenfassend lässt sich<br />

für die »Welt 3« hinsichtlich der Absichten für die »Welt 2« das Ziel formulieren,<br />

inwieweit es sinnvoll ist, das Erfahrungswissen der Akteure aus der Praxis der<br />

Gemeinwesendiakonie als Forschungsobjekte in Bezug auf Forschungsziel, Forschungsfragen<br />

<strong>und</strong> Relevanz des Themas zu untersuchen <strong>und</strong> auf Gr<strong>und</strong>lage welchen<br />

wissenschaftlichen Ansatzes Methoden <strong>und</strong> Datenanalyse gewählt werden<br />

sollten. Die Arbeit möchte auf der Meta-Ebene einen Beitrag zu der Frage leisten,<br />

inwieweit die Instrumente der qualitativen Sozialforschung im Rahmen der <strong>Diakonie</strong>wissenschaft<br />

sich sowohl als hilfreich als auch als berechtigt erweisen, um<br />

das oben beschriebene Phänomen zu erforschen (vgl. Eidt & Eurich 2016: 359).


Erster Teil<br />

<strong>Diakonie</strong>wissenschaftliche Gr<strong>und</strong>legung


2 <strong>Kooperationen</strong><br />

Wenn in dieser Arbeit gemeinwesendiakonische <strong>Kooperationen</strong> <strong>zwischen</strong> organisierter<br />

<strong>Diakonie</strong> <strong>und</strong> verfasster <strong>Kirche</strong> untersucht werden, bedarf es zunächst einer<br />

näheren Betrachtung der einzelnen Aspekte, also der Begriffe Kooperation,<br />

<strong>Diakonie</strong>, <strong>Kirche</strong> <strong>und</strong> Gemeinwesendiakonie, bevor diese miteinander verb<strong>und</strong>en<br />

<strong>und</strong> gemeinsam betrachtet werden können. Beginnend wird in diesem Kapitel der<br />

Begriff Kooperation betrachtet, weil herausgearbeitet werden soll, was unter dem<br />

Begriff im Allgemeinen <strong>und</strong> im spezifischeren Kontext dieser Arbeit zu verstehen<br />

ist. Damit soll ein Rahmen gesteckt werden, innerhalb dessen kirchlich-diakonische<br />

<strong>Kooperationen</strong> gelingen können. Dazu werden nach einer gr<strong>und</strong>legenden<br />

Darstellung in organisationssoziologischer Perspektive, <strong>Kooperationen</strong> im aktuellen<br />

Diskurs der Sozialen Arbeit, hinsichtlich sozialunternehmerischer Merkmale<br />

<strong>und</strong> zuletzt im Blick auf verfasste <strong>Kirche</strong> <strong>und</strong> organisierte <strong>Diakonie</strong> fokussiert.<br />

2.1 Gr<strong>und</strong>lagen von <strong>Kooperationen</strong><br />

Wenn in aktueller Literatur zur Managementlehre von Zukunftsoptionen für Organisationen<br />

gesprochen wird, fällt regelmäßig der Begriff der Kooperation. Durch<br />

die Zusammenarbeit mit anderen ergeben sich für Unternehmen <strong>und</strong> andere Akteurinnen<br />

neue Chancen <strong>und</strong> Innovation, insbesondere dort, wo Unternehmen mit<br />

ihren eigenen Kapazitäten, Ressourcen <strong>und</strong> Kompetenzen an Grenzen stoßen.<br />

Wenngleich von <strong>Kooperationen</strong> als einem unternehmerischen wie gesellschaftlichen<br />

Trend gesprochen werden kann (vgl. Becker 2011: 3f.; Junker 2016: 11),<br />

muss kritisch angemerkt werden, dass <strong>Kooperationen</strong> weder als die sprichwörtliche<br />

»Eierlegende-Woll-Milch-Sau« betrachtet werden können noch gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

die bessere Option etwa gegenüber loser Vernetzung oder gar eigenständigem<br />

Handeln darstellen. 8 Entsprechend werden in diesem ersten Abschnitt der Begriff<br />

<br />

8<br />

Entsprechende Studien zeigen auf, dass vor allem in größeren Unternehmen kooperiert<br />

wird --- 69 % der größeren Unternehmen ---, während in kleineren <strong>und</strong> mittleren Unter-


40<br />

2 <strong>Kooperationen</strong><br />

Kooperation definiert, unterschiedliche Schattierungen diskutiert <strong>und</strong> diese von<br />

verwandten Begriffen abgegrenzt. Anschließend werden unterschiedliche Formen<br />

<strong>und</strong> bedeutsame Aspekte dargelegt, auf die nachfolgend aufgebaut wird.<br />

2.1.1 Begriffsdefinition<br />

So stellt sich zunächst die Frage, was unter dem Begriff der Kooperation zu verstehen<br />

<strong>und</strong> wie er von ähnlichen Begriffen zu unterscheiden ist --- etwa dem Netzwerk<br />

oder der Fusion. Wenn man Kooperation im kleinsten gemeinsamen Nenner<br />

als verbindliche Zusammenarbeit zweier (oder mehrerer) Akteurinnen versteht,<br />

so ist sie zum einen von den Begriffen der Vernetzung, Netzwerk <strong>und</strong> Koordination<br />

als weniger verbindlichen Zusammenschlüssen rechtlich selbstständiger Akteurinnen<br />

(vgl. Merten u. a. 2019: 18) 9 <strong>und</strong> andererseits von Fusion zu unterscheiden,<br />

bei der die Partnerinnen zumindest einen Teil oder gar ihre ganze<br />

Selbstständigkeit aufgeben <strong>und</strong> eine gemeinsame, mitunter neue Organisation bilden<br />

(vgl. Schick 2017a: 13). So behalten die Akteurinnen in <strong>Kooperationen</strong> sowohl<br />

ihre rechtliche als auch wirtschaftliche Eigenständigkeit (anders als bei der Fusion),<br />

gehen jedoch eine stärkere Verbindlichkeit ein (anders als bei Vernetzungen,<br />

Netzwerken oder Koordinationen). Nichtsdestotrotz können sich auch <strong>Kooperationen</strong><br />

in ihrem Grad der Verbindlichkeit voneinander unterscheiden, sodass<br />

Übergänge zur Koordination einerseits <strong>und</strong> zur Fusion andererseits in der Praxis<br />

teils weniger trennscharf sein können (vgl. Schick 2017a: 15).<br />

Um jedoch Aussagen zur kirchlich-diakonischen Zusammenarbeit treffen zu<br />

können, bedarf es für diese Arbeit einer klaren Bedeutungsschärfe des Begriffs<br />

der <strong>Kooperationen</strong>, der freilich im gewählten Plural bereits eine gewisse Bandbreite<br />

offenhält <strong>und</strong> somit die Vielfalt verbindlicher Zusammenarbeit der Akteurinnen<br />

abbilden soll. Da es sich beim Begriff der <strong>Kooperationen</strong> um einen mehrdeutigen<br />

Begriff handelt, sollen zunächst unterschiedliche Akzentuierungen<br />

dargestellt werden. So definiert Schubert <strong>Kooperationen</strong> entgegengesetzt der Konkurrenz<br />

als Zusammenarbeit, bei der Kompetenzen <strong>und</strong> Ressourcen gegenseitig<br />

ausgetauscht werden, um gemeinsamen Output zu generieren. Dabei seien <strong>Kooperationen</strong><br />

so angelegt, dass langfristig gemeinsame formale Strukturen entstehen<br />

(vgl. Schubert 2017: 531). Diesem an der reziproken Ergänzung von Ressourcen<br />

orientierten Verständnis kann die Definition von Merten, Kaegi <strong>und</strong> Zängl entgegengestellt<br />

werden. Sie unterscheiden zunächst <strong>zwischen</strong> zwei Hauptbedeu-<br />

<br />

nehmen branchenabhängig nur zu 25–60 % <strong>Kooperationen</strong> eingegangen werden (vgl. Junker<br />

2016: 11).<br />

9<br />

So sind auch die Begriffe Vernetzung, Netzwerk <strong>und</strong> Koordination zu unterscheiden. Von<br />

Kardorff versteht Vernetzung als weiteste Verknüpfung <strong>zwischen</strong> Organisationen (vgl. Kardorff<br />

1998: 210), während bei einem Netzwerk ergänzend die Komponente gemeinsamer<br />

Zielsetzung hinzukommt (vgl. Brocke & Grob 2003: 14) <strong>und</strong> bei Koordination zum Erreichen<br />

gemeinsamer Ziele Zuständigkeiten <strong>zwischen</strong> den eigenständigen Akteurinnen aufgeteilt<br />

werden, also weniger zusammen als neben- oder füreinander gearbeitet wird (vgl.<br />

Kardorff 1998: 210).


2.1 Gr<strong>und</strong>lagen von <strong>Kooperationen</strong> 41<br />

tungen von <strong>Kooperationen</strong>, zum einen ähnlich dem Verständnis von Schubert als<br />

Arbeitsteilung <strong>und</strong> zum anderen als Haltung professionellen Handelns, auf dessen<br />

Gr<strong>und</strong>lage gegenseitig bestimmte Zielvorstellungen entwickelt werden. Kooperation<br />

ist demnach zuvorderst als strategische <strong>und</strong> zielorientierte Zusammenarbeit<br />

zu verstehen (vgl. Merten u. a. 2019: 15; 19). Balz <strong>und</strong> Spieß nennen eine Vielzahl<br />

an Merkmalen von <strong>Kooperationen</strong>, auf deren Gr<strong>und</strong>lage eine Begriffsdefinition<br />

vorgenommen werden kann --- wenngleich es später einer Darstellung unterschiedlicher<br />

Formen von <strong>Kooperationen</strong> bedarf (vgl. Balz & Spieß 2009):<br />

»Merkmale von Kooperation sind mindestens zwei Kooperationspartner, eine bewusst<br />

gewählte, beabsichtigte <strong>und</strong> fachlich begründete Zusammenarbeit, Abstimmungs- <strong>und</strong><br />

Aushandlungsprozesse, Erkennen von Zielinterdependenzen, Gewinnorientierung<br />

<strong>und</strong> Wirkungsabsicht sowie das Zusammenlegen von Ressourcen <strong>und</strong> Kompetenzen,<br />

die als notwendig erachtet werden, um die Ganzheitlichkeit der Hilfen zu gewährleisten,<br />

um so der Komplexität der Problemlagen Rechnung zu tragen <strong>und</strong> der Zunahme<br />

der Querschnitts- <strong>und</strong> Vernetzungsaufgaben <strong>und</strong> den strukturellen Anforderungen<br />

nachzukommen« (Balz & Spieß 2009: 15f.).<br />

In der Zusammenschau sind <strong>Kooperationen</strong> also als verbindliche <strong>und</strong> strukturierte,<br />

ressourcen-ergänzende <strong>und</strong> strategische, zielorientierte Zusammenarbeit<br />

<strong>zwischen</strong> zumindest zwei selbstständigen Akteurinnen zu verstehen.<br />

Während hinsichtlich der Ressourcen recht offensichtlich ist, dass es sich abhängig<br />

vom Bereich <strong>und</strong> den Akteurinnen um eine Vielzahl unterschiedlicher<br />

Kompetenzen, Wissen, Erfahrungen oder Mittel handelt, die sich gegenseitig so<br />

ergänzen oder erweitern, dass für die Partnerinnen Leistungen möglich werden,<br />

zu denen sie allein weniger oder nicht in der Lage wären, bedarf es hinsichtlich<br />

des Aspekts der Zielorientierung als Gr<strong>und</strong>dimension von <strong>Kooperationen</strong> eines<br />

weiteren Blicks. Zum einen können sich durch <strong>Kooperationen</strong> neue, gemeinsame<br />

Ziele ergeben. Weil es sich jedoch weiterhin um selbstständige Akteurinnen handelt<br />

<strong>und</strong> die Zusammenarbeit trotz möglicher positiver Effekte hohe Anforderungen<br />

<strong>und</strong> den Einsatz der Beteiligten erfordert, spielen die jeweiligen Ziele der einzelnen<br />

Akteurinnen eine bedeutsame Rolle für <strong>Kooperationen</strong>. Da die Ziele beider<br />

Akteurinnen selten (vollständig) miteinander übereinstimmen, müssen <strong>Kooperationen</strong><br />

gewährleisten, dass die Ziele aller Beteiligten realisiert werden (vgl. Becker<br />

u. a. 2011a: 4). Kooperation als zielorientierte Zusammenarbeit orientiert sich<br />

folglich an beidem: gemeinsamen Zielen <strong>und</strong> den jeweiligen Zielen der Akteurinnen.<br />

2.1.2 Unterschiedliche Formen von <strong>Kooperationen</strong><br />

Wie angedeutet wurde, gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Kooperationsformen,<br />

die zunächst kurz dargestellt werden sollen. Dazu werden im weiteren Verlauf<br />

unterschiedliche Merkmale angeführt, aufgr<strong>und</strong> deren Ausprägung sich Kooperationsformen<br />

unterscheiden lassen, um eine Zuordnung der hier unter-


42<br />

2 <strong>Kooperationen</strong><br />

suchten <strong>Kooperationen</strong> vornehmen zu können. Gr<strong>und</strong>sätzlich lassen sich <strong>Kooperationen</strong><br />

in vier primäre Richtungen unterscheiden, die (Un)Ähnlichkeit der Partnerinnen<br />

<strong>und</strong> deren (in)direkte Verb<strong>und</strong>enheit (vgl. Junker 2016: 7). Für diese<br />

Arbeit sind dabei <strong>Kooperationen</strong> direkt miteinander verb<strong>und</strong>ener Partnerinnen<br />

von Interesse <strong>und</strong> zwar auf dem Hintergr<strong>und</strong> der Ähnlichkeit von organisierter<br />

<strong>Diakonie</strong> <strong>und</strong> verfasster <strong>Kirche</strong> als Teil von <strong>Kirche</strong> (Confederate Collective) wie<br />

auf dem Hintergr<strong>und</strong> ihrer Unähnlichkeit als verschiedene Organisationen (Conjugate<br />

Collective; vgl. 5.3).<br />

Im Kontext der Unternehmenskooperation, die sich durch direkte Konnektivität<br />

charakterisiert, wird darüber hinaus <strong>zwischen</strong> (1) innerbetrieblicher, (2)<br />

überbetrieblicher (mehr als zwei Partnerinnen) sowie (3) <strong>zwischen</strong>betrieblicher<br />

Kooperation (zwei Partnerinnen) unterschieden (vgl. Junker 2016: 11). Wenngleich<br />

organisierte <strong>Diakonie</strong> <strong>und</strong> verfasste <strong>Kirche</strong> in einem gewissen Sinne beide<br />

als Teil von <strong>Kirche</strong> verstanden werden können <strong>und</strong> entsprechend von innerbetrieblicher<br />

Kooperation gesprochen werden könnte, wird in dieser Arbeit bei aller Ähnlichkeit<br />

beider Akteurinnen <strong>zwischen</strong> zwei Organisationen unterschieden (vgl. 3.3<br />

<strong>und</strong> 4.3). Auch die Vorstellung überbetrieblicher Zusammenarbeit bietet Schnittmengen<br />

mit dem Forschungsgegenstand, da <strong>Kooperationen</strong> in der Gemeinwesendiakonie<br />

stets offen für weitere Partnerinnen sind. Allerdings liegt die Fokussierung<br />

dieser Arbeit auf den <strong>Kooperationen</strong> <strong>zwischen</strong> organisierter <strong>Diakonie</strong> <strong>und</strong><br />

verfasster <strong>Kirche</strong>, sodass von <strong>zwischen</strong>betrieblicher Kooperation ausgegangen<br />

wird. Die ökonomische Akzentuierung des Begriffs <strong>zwischen</strong>betrieblich ist dabei<br />

nur begrenzt angemessen, wie gezeigt werden wird (vgl. 2.2.3).<br />

Auch diese Klassifizierung lässt sich nochmals spezifizieren in unterschiedliche<br />

Kooperationsformen 10 (vgl. Junker 2016: 12; Killich 2011: 13ff.). Hinsichtlich<br />

kirchlich-diakonischen <strong>Kooperationen</strong> in der Gemeinwesendiakonie kann dabei<br />

einerseits von Arbeitsgemeinschaft gesprochen werden, wenn es sich in erster<br />

Linie um projektspezifische Zusammenarbeit handelt, wie es der Rahmen des Forschungsprojekts<br />

DRIN vorsieht (vgl. Killich 2011: 14). Andererseits kann von strategischen<br />

Allianzen gesprochen werden, wenn die Zusammenarbeit mittel- oder<br />

langfristig ausgelegt <strong>und</strong> zielorientiert geplant <strong>und</strong> gestaltet wird (vgl. Hagenhoff<br />

2007: 35; Killich 2011: 16), wie es in kirchlichen Strategiepapieren gefordert <strong>und</strong><br />

hinsichtlich der Nachhaltigkeitsstrategie bei DRIN angedacht ist. In diesem Zusammenhang<br />

sollen auch die Formen des Supply-Chain-Managements sowie des<br />

Joint Ventures als mögliche, aus projektspezifischen oder mittelfristigen Partnerschaften<br />

resultierende Formate der Kooperation, etwa als gemeinsame Unternehmensgründung<br />

in einem bestimmten Geschäftsfeld, erwähnt werden.<br />

<br />

10<br />

Es lässt sich <strong>zwischen</strong> einem größeren Spektrum spezifischer Kooperationsformen unterscheiden.<br />

Killich führt dazu die Formen (1) Interessengemeinschaft, (2) Franchising, (3)<br />

Arbeitsgemeinschaft bzw. Konsortium, (4) virtueller Unternehmen / Organisationen, (5)<br />

Supply Chain Management, (6) Strategischer Allianzen <strong>und</strong> (7) Joint Venture bzw. Gemeinschaftsunternehmen<br />

aus (vgl. Killich 2011: 12ff.). An dieser Stelle beschränkt sich die Arbeit<br />

auf die für den Forschungsgegenstand relevanten Formen von Kooperation.


2.1 Gr<strong>und</strong>lagen von <strong>Kooperationen</strong> 43<br />

Eine letzte Spezifizierung erhalten die Kooperationsformen im Blick auf die<br />

Ausprägung verschiedener Merkmale: ihrer räumlichen Ausdehnung, der Bindungsintensität,<br />

der Verbindlichkeit, der Dauer, der Zielidentität <strong>und</strong> der organisationalen<br />

Einbindung (vgl. Killich 2011: 18ff.).<br />

Räumliche<br />

Ausdehnung<br />

Bindungsintensität<br />

Verbindlichkeit<br />

Zeitliche Dauer<br />

Zielidentität<br />

Organisationale<br />

Einbindung<br />

lokal begrenzt<br />

regional<br />

national<br />

international<br />

Gering (Informations- <strong>und</strong> Erfahrungsaustausch)<br />

Moderat (teilweise Abstimmung)<br />

Hoch (Abstimmung aller kooperationsrelevanter Aktivitäten)<br />

Gering (mündliche Absprache)<br />

Mittel (vertragliche Vereinbarung) 11<br />

Hoch (Kapitalbeteiligung)<br />

Temporär (kurz, mittel- oder langfristig)<br />

Unbegrenzt<br />

Redistributiv (gleiche Ziele <strong>und</strong> gleiche Schwächen)<br />

Reziprok (unterschiedliche Ziele <strong>und</strong> Stärken)<br />

Kooperierende Mitarbeitende<br />

Kooperierende Abteilung(en)<br />

Einbindung der gesamten Organisation(en)<br />

Tabelle 1: Merkmale <strong>und</strong> Ausprägungen von <strong>Kooperationen</strong> 12<br />

Werden diese Merkmale auf den Forschungsgegenstand bezogen, 13 wird deutlich,<br />

dass kirchlich-diakonische <strong>Kooperationen</strong> in der Gemeinwesendiakonie in der Regel<br />

lokal auf ein bestimmtes Quartier realisiert werden, wenngleich sie insbesondere<br />

im ländlichen Raum etwa als Kooperation von Dekanat <strong>und</strong> regionalem Diakonischen<br />

Werk regional ausgeprägt sein können (vgl. kirchliche Strategie der<br />

Regionalisierung). In der Bindungsintensität gibt es große Unterschiede. Während<br />

die DRIN Projekte gr<strong>und</strong>sätzlich durch einen Kooperationsvertrag verbindlich<br />

<br />

11<br />

Im Blick auf Verträge hält Staib fest, dass diese eine formale Reduzierung der Unsicherheit<br />

bedeuten <strong>und</strong> gleichzeitig --- je nach Verbindlichkeit --- Vertrauen als implizites Vertragselement<br />

bedürften (vgl. Staib 2013: 134ff.).<br />

12<br />

Die Ausprägungen in kirchlich-diakonischen <strong>Kooperationen</strong> sind hervorgehoben.<br />

13<br />

Sicherlich gibt es eine Vielzahl kirchlich-diakonischer <strong>Kooperationen</strong>, die durch eine<br />

ganz andere Ausprägung dieser Merkmale zu beschreiben sind, etwa die Zusammenarbeit<br />

von ÖRK <strong>und</strong> Evangelischem Werk für <strong>Diakonie</strong> <strong>und</strong> Entwicklung als internationale <strong>und</strong><br />

zeitlich unbegrenzte Kooperation oder der Zusammenarbeit von <strong>Diakonie</strong> Hessen <strong>und</strong> der<br />

EKHN in der Planung <strong>und</strong> Umsetzung des DRIN Projekts <strong>und</strong> somit als Rahmen der hier<br />

untersuchten Projekte als regionale Kooperation mit sehr hoher Bindungsintensität. Diese<br />

Arbeit fokussiert allerdings die Zusammenarbeit beider Akteurinnen im speziellen Kontext<br />

der Gemeinwesendiakonie.


44<br />

2 <strong>Kooperationen</strong><br />

geregelt sind, nimmt bei anderen die mündliche Absprache eine wichtige Rolle<br />

ein --- von Kapitalbeteiligungen ist nicht auszugehen. Zunächst sind die <strong>Kooperationen</strong><br />

als temporär zu begreifen, wobei sie sich freilich in ihrer Dauer von kurzbis<br />

langfristig unterscheiden (vgl. Form der Arbeitsgemeinschaft <strong>und</strong> der strategischen<br />

Partnerschaft). Dieses Merkmal sollte insbesondere hinsichtlich der<br />

Nachhaltigkeit vertieft werden. In ihrer Zielidentität sind die <strong>Kooperationen</strong> zugleich<br />

als redistributiv <strong>und</strong> als reziprok zu verstehen, schließlich bestehen gemeinsame<br />

<strong>und</strong> akteurspezifische Ziele, die sowohl angesichts ähnlicher Schwächen<br />

als auch unterschiedlicher Stärken von organisierter <strong>Diakonie</strong> <strong>und</strong> verfasster<br />

<strong>Kirche</strong> verfolgt werden. Es ist davon auszugehen, dass in einigen Fällen lediglich<br />

einzelne Mitarbeitende beteiligt sind, während in anderen Konstellationen einzelne<br />

oder mehrere Abteilungen zum Teil oder insgesamt eingeb<strong>und</strong>en sind. Dies<br />

grenzt die Formen ihrer <strong>Kooperationen</strong> ein, zeigt jedoch weiterhin eine gewisse<br />

Bandbreite der Partnerschaften auf, die entsprechend stärker formal oder informell<br />

sind <strong>und</strong> für die Organisationen unterschiedliche Risiken darstellen (vgl. Junker<br />

2016: 16).<br />

2.1.3 Umsetzung von <strong>Kooperationen</strong><br />

Nachdem der Rahmen dessen abgesteckt worden ist, was unter <strong>Kooperationen</strong> zu<br />

verstehen ist, ist zu fragen, wie <strong>Kooperationen</strong> gestaltet werden können (vgl.<br />

Schick 2017a: 13). 14 Dazu werden kooperative Basistheorien, die Zielsetzung <strong>und</strong><br />

der Ablauf von <strong>Kooperationen</strong> analysiert.<br />

Basistheorien von <strong>Kooperationen</strong><br />

Die Frage nach der Gestaltung von <strong>Kooperationen</strong> ist Inhalt von Managementtheorien.<br />

Die Neue Institutionenökonomik (vgl. Williamson 1985) bietet sich diesbezüglich<br />

als sinnvoller Rahmen an. 15<br />

Sie befasst sich mit Organisationen <strong>und</strong><br />

<br />

14<br />

Unweigerlich stellt sich im Zusammenhang mit dem Management von <strong>Kooperationen</strong><br />

auch die Frage nach deren rechtlicher Ausgestaltung. Aufgr<strong>und</strong> der Fokussierung auf das<br />

Entstehen, Managen <strong>und</strong> Gelingen --- also insbesondere organisationssoziologische Fragen<br />

--- sei an dieser Stelle an den ausführlichen rechtlichen Diskurs zu <strong>Kooperationen</strong> im Allgemeinen<br />

<strong>und</strong> unter Berücksichtigung kirchenrechtlicher Besonderheiten im Kontext von organisierter<br />

<strong>Diakonie</strong> <strong>und</strong> verfasster <strong>Kirche</strong> verwiesen (vgl. Beckers & Uhl 2016: 30f.; Ennuschat<br />

2016: 245ff.; Müller 2017: 107ff.; Rabe 2014: 69ff.; Schaudt 2017: 54ff.).<br />

15<br />

Die Neue Institutionenökonomik ist als wirtschaftstheoretischer Ansatz im Umgang mit<br />

Herausforderungen von Komplexität <strong>und</strong> Unsicherheit in interaktionalem, wirtschaftlichem<br />

Handeln zu verstehen (vgl. Staib 2013: 129f.). Angesichts beschränkt-rationalem<br />

Handeln der Akteur*innen sind Institutionen als steuerndes System zu begreifen (vgl. Göbel<br />

2021: 15ff.). Auf diesem Hintergr<strong>und</strong> stellt Ripperger im Blick auf <strong>Kooperationen</strong> fest,<br />

dass diese nicht unbedingt realisiert werden, obwohl sie sich häufig als vorteilhaft für beide<br />

Partner*innen darstellen (vgl. Ripperger 1998: 23). Folglich ist die Neue Institutionenökonomik<br />

als sinnvolle Perspektive auf kirchlich-diakonische <strong>Kooperationen</strong> zu verstehen,


3 <strong>Kirche</strong> als Kooperationspartnerin<br />

Nachdem der Begriff der Kooperation umrissen <strong>und</strong> die wichtigen Aspekte dieses<br />

Begriffs herausgearbeitet wurden, sollen nun die kooperierenden Akteurinnen<br />

verfasste <strong>Kirche</strong> <strong>und</strong> organisierte <strong>Diakonie</strong> fokussiert werden. Dabei stehen die<br />

für ihre gemeinsamen <strong>Kooperationen</strong> relevanten organisationalen <strong>und</strong> interaktionalen<br />

Aspekte im Vordergr<strong>und</strong>. Nachdem beide Akteurinnen zunächst für sich<br />

behandelt werden, wird eine Gegenüberstellung von beiden vorgenommen<br />

(Kap. 5). Später wird die Gemeinwesendiakonie als Kontext der <strong>Kooperationen</strong> in<br />

den Blick genommen (Kap. 6). Allerdings wird diese als spezifischer Kontext bereits<br />

an dieser Stelle mitgedacht, schließlich bestimmt sie die spezifische Form<br />

von organisierter <strong>Diakonie</strong> <strong>und</strong> verfasster <strong>Kirche</strong>, die in lokalen Gemeinwesen<br />

miteinander kooperieren. Die Reihenfolge der Kapitel zu beiden Akteurinnen ---<br />

zunächst die Auseinandersetzung mit <strong>Kirche</strong> <strong>und</strong> anschließend mit <strong>Diakonie</strong> ---<br />

ergibt sich aus methodischen Gründen, da zur Vergleichbarkeit die kirchentheoretischen<br />

Überlegungen bei Hermelink als heuristisch-analytisches Konzept genutzt<br />

werden (vgl. Hermelink 2011: 89ff.). Sie sind einerseits anschlussfähig an<br />

gr<strong>und</strong>legende Dynamiken kooperativen Handelns <strong>und</strong> fokussieren andererseits<br />

wesentliche Dimensionen kirchlicher wie diakonischer Akteurinnen. Daher ist die<br />

Reihenfolge nicht als Ausdruck eines Abhängigkeitsverhältnisses oder gar kirchlicher<br />

Besitzansprüche auf »ihre« <strong>Diakonie</strong> zu verstehen, wie es an anderen Stellen<br />

geschehen ist (vgl. Degen 1985: 84; Fichtmüller 2019: 122ff.; 154ff.).<br />

Entsprechend dieser Voraussetzungen <strong>und</strong> des formulierten Ziels ist dieses<br />

Kapitel zu <strong>Kirche</strong> --- <strong>und</strong> parallel auch die beiden anschließenden Kapitel zu <strong>Diakonie</strong><br />

<strong>und</strong> der Zusammenschau beider Akteurinnen --- wie folgt aufgebaut. Zunächst<br />

wird <strong>Kirche</strong> in systematisch-theologischer Perspektive betrachtet. Anschließend<br />

wird verfasster <strong>Kirche</strong> als Akteurin umrissen <strong>und</strong> als in gemeinwesendiakonischen<br />

<strong>Kooperationen</strong> auftretende <strong>Kirche</strong>ngemeinden sowie im Hinblick<br />

auf kirchliche Orte fokussiert. Daraufhin wird diese Akteurin in praktisch-theologischer<br />

<strong>und</strong> soziologischer Perspektive untersucht, wobei der Fokus auf den für<br />

<strong>Kooperationen</strong> bedeutsamen organisationalen <strong>und</strong> interaktionalen Aspekten liegt.<br />

Dieser kirchentheoretische Blickwinkel wird ergänzt durch die Auseinandersetzung<br />

mit verschiedenen Organisationstypen von <strong>Kirche</strong> <strong>und</strong> deren Besonderheiten<br />

hinsichtlich der Kooperation mit organisierter <strong>Diakonie</strong>. Danach wird der


80<br />

3 <strong>Kirche</strong> als Kooperationspartnerin<br />

Begriff des Hybrid in Bezug auf verfasste <strong>Kirche</strong> diskutiert. Im Anschluss wird<br />

aufgr<strong>und</strong> seiner kooperativen Bedeutung das kirchliche Personal untersucht, bevor<br />

die Ergebnisse in einem Fazit gebündelt werden.<br />

3.1 <strong>Kirche</strong> in systematisch-theologischer Perspektive<br />

Zunächst bedarf es einer theologischen Bestimmung dessen, was <strong>Kirche</strong> meint.<br />

Hierbei ist zu unterscheiden <strong>zwischen</strong> einer ekklesiologischen Betrachtungsweise,<br />

das heißt der dogmatischen Lehre von <strong>Kirche</strong> bezüglich ihres Wesens <strong>und</strong><br />

ihrer Bestimmung, <strong>und</strong> einer kirchentheoretischen Perspektive zu den Strukturen,<br />

in denen sich <strong>Kirche</strong> in einem bestimmten Kontext realisiert, in diesem Fall<br />

als verfasste evangelische <strong>Kirche</strong> innerhalb der Gemeinwesendiakonie in<br />

Deutschland im 21. Jahrh<strong>und</strong>ert. Folglich beginnt dieses Kapitel in der systematisch-theologischen<br />

Perspektive der Ekklesiologie, indem zunächst gr<strong>und</strong>legend<br />

der Begriff der <strong>Kirche</strong> definiert wird. Anschließend wird in der Auseinandersetzung<br />

mit Härles Verständnis von <strong>Kirche</strong> in der Tradition der Confessio Augustana<br />

<strong>und</strong> der neueren praktisch-theologischen Formel der Kommunikation des Evangeliums<br />

eine Fokussierung vorgenommen, die entsprechend dem Forschungsziel<br />

den Blick auf die diakonische Dimension von <strong>Kirche</strong> lenkt.<br />

In diesem Zusammenhang wird bereits deutlich, dass der ekklesiologische Begriff<br />

<strong>Kirche</strong> in verschiedenen Spannungen stehen kann zum soziologischen Begriff<br />

von <strong>Kirche</strong> als Organisation, der im Kontext der Untersuchung der Gemeinwesendiakonie<br />

eine Rolle spielt. Entsprechend bedarf es zunächst einer<br />

sinnvollen Unterscheidung bzw. Klärung der Relationen verschiedener Verständnisse,<br />

die mit dem Begriff <strong>Kirche</strong> bezeichnet werden. In der Bezugnahme auf<br />

Ritschl differenziert Reuter diesbezüglich im Blick auf dogmatische, ethische <strong>und</strong><br />

juristisch-soziologische Perspektiven <strong>zwischen</strong> <strong>Kirche</strong> als Glaubens- <strong>und</strong> Handlungsgemeinschaft<br />

sowie sozialer Organisation (vgl. Reuter 1997: 23; 48; Ritschl<br />

1859: 217). Gr<strong>und</strong>sätzlich besteht in der evangelischen systematischen Theologie<br />

weitgehender Konsens in Bezug auf die Selbstoffenbarung Gottes als Gr<strong>und</strong> der<br />

<strong>Kirche</strong> <strong>und</strong> auf die Definition der <strong>Kirche</strong> als Gemeinschaft der Glaubenden. Auf<br />

Basis dieser f<strong>und</strong>amentaltheologischen Prinzipien wird in dieser Arbeit ein solches<br />

evangelisches Verständnis von <strong>Kirche</strong> zugr<strong>und</strong>e gelegt. Entsprechend ist<br />

wegweisend Bezug zur CA VII zu nehmen, um <strong>Kirche</strong> in reformatorischer Tradition<br />

zu begreifen (vgl. Wenz 2001: 1018). <strong>Kirche</strong> als Glaubensgemeinschaft bezieht<br />

sich auf das Verständnis der creatura verbi als Gemeinschaft im Glauben an<br />

den dreieinen Gott <strong>und</strong> in ihrer Bestimmung zur Teilhabe an der Versöhnung Gottes<br />

(Reuter 1997: 48f.; 57). <strong>Kirche</strong> gründet also in Gott <strong>und</strong> ist von ihm her konstituiert.<br />

Dies wird an ihren Attributen als einheitlich, erwählt, universal <strong>und</strong> bezeugend<br />

deutlich (vgl. Härle 2000: 290; Reuter 1997: 27), die geglaubt, aber in<br />

kirchlichen Handlungen nur bruchstückhaft entfaltet werden. Hieran wird bereits<br />

die Bezogenheit wie Differenz zu bzw. die Realität von <strong>Kirche</strong> als Handlungs-


3.1 <strong>Kirche</strong> in systematisch-theologischer Perspektive 81<br />

gemeinschaft der »Gemeinschaften der Christenheit« (Reuter 1997: 57) explizit,<br />

die Reuter ethisch begründet, also in Bezug auf ihr kollektives Handeln (vgl. Reuter<br />

1997: 57). Letzteres darf jedoch nicht missverstanden werden als ethisches<br />

Handeln, durch welche <strong>Kirche</strong> zu <strong>Kirche</strong> werden würde, schließlich ist sie <strong>Kirche</strong><br />

durch Gottes Gnade. Vielmehr ist dieses Handeln von <strong>Kirche</strong> als Teilhabe am Wesen<br />

<strong>und</strong> Handeln Gottes im Sinne der missio dei zu begreifen (vgl. Barth 1957:<br />

100ff.). In Bezug auf die notae ecclesiae, die in der CA VII als Wortverkündigung<br />

<strong>und</strong> Sakramentsverwaltung entfaltet werden, versteht Reuter das darstellende<br />

Handeln von <strong>Kirche</strong>. Für diese Arbeit ist das Verständnis <strong>und</strong> Verhältnis von Glaubens-<br />

<strong>und</strong> Handlungsgemeinschaft, also deren gleichzeitige Unterscheidung <strong>und</strong><br />

Bezogenheit, insofern von Bedeutung, als sich das organisationale wie interaktionale<br />

Selbstverständnis der <strong>Kirche</strong> in Kooperationsprozessen nicht in ihrem abstrakten<br />

Organisationsverständnis begründet, sondern im Glauben an den dreieinigen<br />

Gott <strong>und</strong> dessen Wirken <strong>und</strong> in den daraus folgenden theologischen<br />

Attributen. Dies macht ihrem Wesen nach das Ausstrecken nach Einheit (z. B. mit<br />

<strong>Diakonie</strong>), Heiligung (Teilhabe an Gottes Handeln), Katholizität (z. B. Öffnung<br />

über Ortskirche hinaus) <strong>und</strong> Apostolizität (Bezeugen des Evangeliums als Versöhnung<br />

im Gemeinwesen) als größeren Bezugsrahmen notwendig --- im Bewusstsein<br />

für die eigene Begrenztheit. Insofern sind die Zwecke von organisierter <strong>Kirche</strong><br />

durch ihre Kennzeichen vorgegeben <strong>und</strong> nicht entscheidbar, in jedem Fall aber zu<br />

kontextualisieren.<br />

Um das Verständnis der (darstellenden) Kennzeichen von <strong>Kirche</strong> für diese Arbeit<br />

zu vertiefen, ist es sinnvoll, den Ansatz Härles zur Bestimmung von <strong>Kirche</strong> in<br />

der Tradition der CA VII in den Blick zu nehmen. Er definiert <strong>Kirche</strong> als christliche<br />

Gemeinschaft der Glaubenden, als Leib Christi (vgl. Härle 2018: 573f.). Damit ist<br />

zunächst die Gesamtheit der Gemeinschaft der Christen gemeint. Neben der<br />

gr<strong>und</strong>legenden Definition der <strong>Kirche</strong> als Gemeinschaft der Glaubenden unterscheidet<br />

Härle in Anlehnung an Luther <strong>zwischen</strong> verborgener <strong>Kirche</strong>, als Gesamtheit<br />

aller, die glauben 39 , <strong>und</strong> sichtbarer <strong>Kirche</strong>, als »leibliche[r] Gemeinschaft (einschließlich<br />

aller institutionellen Rahmenbedingungen) von Menschen, die sich<br />

(jedenfalls äußerlich) zu Wortverkündigung <strong>und</strong> Sakramentsfeier halten <strong>und</strong> (jedenfalls<br />

äußerlich) zum Glauben bekennen« (Härle 2018: 578). Dies unterstreicht,<br />

dass <strong>Kirche</strong> <strong>und</strong> ihr Auftrag nicht aus ihrem (ethischen) Handeln, sondern ihrer<br />

Teilhabe am Wesen <strong>und</strong> der Sendung Gottes (missio dei) heraus zu verstehen sind.<br />

Dies ist schöpfungstheologisch analog zum liebevollen Wesen Gottes ebenso zutreffend<br />

wie christologisch durch die sich selbst entäußernde Liebe Gottes in der<br />

Sendung Jesu in die Welt <strong>und</strong> in der hieran anschließenden Sendung der <strong>Kirche</strong>.<br />

<strong>Kirche</strong> ist in die Welt gesandt in einem speziellen Auftrag, durch welchen sie den<br />

liebenden Gott in der Welt widerspiegelt (vgl. Wrogemann 2013: 128f.). Dieser<br />

Auftrag der <strong>Kirche</strong> besteht nach evangelischem Verständnis gr<strong>und</strong>legend in der<br />

<br />

39<br />

Sie werden deshalb als Teil der »verborgenen <strong>Kirche</strong>« bezeichnet, weil der Glaube eines<br />

Menschen an Gott nicht einfach von außen erkennbar ist, sondern letztlich von Gott als<br />

Glaube erkannt wird (vgl. Härle 2018: 575).


82<br />

3 <strong>Kirche</strong> als Kooperationspartnerin<br />

Verkündigung des Evangeliums <strong>und</strong> der Darreichung der Sakramente, wobei<br />

beide Elemente dieses Auftrags zugleich als Auferbauung an die <strong>Kirche</strong> selbst als<br />

auch zur Heilsvermittlung in <strong>und</strong> an die Welt gerichtet sind (vgl. Härle 2018: 582).<br />

Die Stärke von Härles Ansatz für diese Arbeit liegt darin, dass er zumindest zwei<br />

Perspektiven beinhaltet, die für den Kontext gemeinwesensdiakonischer <strong>Kooperationen</strong><br />

bedeutsam sind: zum einen den Gr<strong>und</strong>gedanken von <strong>Kirche</strong> als Gemeinschaft,<br />

der gr<strong>und</strong>legend für das kooperative Verhältnis von verfasster <strong>Kirche</strong> <strong>und</strong><br />

organisierter <strong>Diakonie</strong> ist, die gemeinsam an der Sendung Gottes teilhaben. Zum<br />

zweiten die klare Betonung der Zielrichtung dieser Sendung, in der sich <strong>Kirche</strong><br />

anderen zuwendet bzw. über sich selbst hinausreicht, etwa auch an das Gemeinwesen<br />

als Teil der Sendung in die Welt. Hieran schließt die Bonhoeffersche Formel<br />

der <strong>Kirche</strong> für andere <strong>und</strong> deren erweiternde Aktualisierung der <strong>Kirche</strong> mit anderen<br />

an (vgl. Eurich 2018c: 79). Auch wenn Härle selbst ein integrales Verständnis<br />

des Wortes Gottes als Selbstoffenbarung Gottes vertritt, das selbstredend diakonisches<br />

Handeln der <strong>Kirche</strong> beinhaltet (vgl. Härle 2018: 70f.), besteht bei seinem<br />

Ansatz durchaus die Gefahr einer verkürzten Deutung der CA VII in ihrer dualen<br />

Betonung von Verkündigung <strong>und</strong> Sakramentsdarreichung, durch die <strong>Kirche</strong>sein<br />

inhaltlich reduziert <strong>und</strong> diakonisches Handeln vernachlässigt wird. Um einer solchen<br />

Verkürzung entgegenzuwirken, betont Härle, dass der Auftrag zur Kommunikation<br />

der guten Botschaft zum einen als Bezeugung des liebevollen Handelns<br />

Gottes in der Welt <strong>und</strong> zum anderen als Teilhabe an demselben zugleich in Wort<br />

<strong>und</strong> Tat zu verstehen ist (vgl. Härle 2018: 75). In der Ergänzung bzw. der Wiederentdeckung<br />

dieses ursprünglichen, ganzheitlichen Verständnisses sollen an dieser<br />

Stelle die Perspektiven des wirksamen Handelns der <strong>Kirche</strong> <strong>und</strong> die neuere<br />

praktisch-theologische Formel der Kommunikation des Evangeliums ausgeführt<br />

werden.<br />

Wirksames Handeln der <strong>Kirche</strong><br />

Im Anschluss an Schleiermacher erweitert Reuter die Kennzeichen der Verkündigung<br />

<strong>und</strong> der Darreichung der Sakramente Taufe <strong>und</strong> Abendmahl, die er als darstellendes<br />

Handeln bezeichnet, um das wirksame Handeln von <strong>Kirche</strong> als Handlungsgemeinschaft<br />

(vgl. Reuter 1996: 33ff.; Reuter 1997: 58ff.; Schleiermacher<br />

1843: 45ff.). Dies ist in evangelischem Verständnis insofern zulässig, als sich<br />

»weitere notae ecclesia […] benennen [lassen, die] aber nicht für sich, sondern nur<br />

in bezug [sic] hierauf Gültigkeit beanspruchen« (Wenz 2001: 1018). Auf diesem<br />

Hintergr<strong>und</strong> führt Reuter im Blick auf das explizite Kennzeichen der Wortverkündigung<br />

die Initiierung von Bildungsprozessen unter dem besonderen Aspekt der<br />

Freiheit sowie hinsichtlich der Sakramente Taufe als Ausdruck der unverlierbaren<br />

Menschenwürde das Gerechtigkeitshandeln <strong>und</strong> hinsichtlich des Abendmahls die<br />

solidarische Hilfe als drei Kennzeichen des wirksamen Handelns von <strong>Kirche</strong> aus<br />

(vgl. Reuter 1997: 61f.). In Erweiterung zur CA werden damit weitere Dimension<br />

von kirchlicher Handlungsgemeinschaft sichtbar, die sich nicht nur, aber ausdrücklich<br />

auch auf diakonisches Handeln beziehen lassen. So ist auch Haas zu<br />

verstehen, wenn er vorschlägt, die notae ecclesia um die <strong>Diakonie</strong> zu erweitern


3.1 <strong>Kirche</strong> in systematisch-theologischer Perspektive 83<br />

(vgl. Haas 2004: 17) Nichtsdestotrotz bedarf auch dieser Ansatz der Erweiterung<br />

oder zumindest der kritischen Reflexion im Blick auf die Art <strong>und</strong> Weise dieses<br />

Handelns, schließlich liegt dem Wesen von <strong>Kirche</strong> als Teilhaberin am liebevollen<br />

Handeln Gottes ein partizipativ-dialogisches Moment inne.<br />

Kommunikation des Evangeliums<br />

Dies wird in der neueren, aber mittlerweile gr<strong>und</strong>sätzlich anerkannten Formel der<br />

Kommunikation des Evangeliums deutlich. 40<br />

Grethlein sieht die Kommunikation<br />

des Evangeliums in den (ersten) Sozialformen der ekklesia verortet (vgl. Grethlein<br />

2018: 31) <strong>und</strong> führt in diesem Zusammenhang drei kirchliche Kommunikationsmodi<br />

41 aus: »In der Nachfolge des Auftretens <strong>und</strong> Wirkens Jesu ist die Förderung<br />

der Kommunikation des Evangeliums in den Modi des Lehrens <strong>und</strong> Lernens, des<br />

gemeinschaftlichen Feierns <strong>und</strong> des Helfens zum Leben die gr<strong>und</strong>legende Aufgabe<br />

von <strong>Kirche</strong>« (Grethlein 2018: 41). 42<br />

Damit treten einerseits diakonische<br />

Merkmale von <strong>Kirche</strong> ebenso wie individuelle Glaubenskultur (vgl. Engemann<br />

2014: 16) ins Blickfeld, andererseits sind ihre dialogischen Dynamiken unverkennbar,<br />

sodass Engemann den Ansatz als »brauchbare Kurzformel für die gelingende,<br />

das Menschsein des Menschen fördernde religiöse Praxis des Christentums«<br />

(Engemann 2014: 16) bezeichnen kann. 43<br />

Als Inhalte des Evangeliums<br />

können in diesem Zusammenhang verschiedene Merkmale kooperativen, gemeinwesendiakonischen<br />

Handelns von <strong>Kirche</strong> identifiziert werden: ein Menschenbild<br />

auf Basis der Rechtfertigung in Christus (das die Sünde voraussetzt), die Orientierung<br />

an Nächstenliebe <strong>und</strong> in der Folge der Dienst am Nächsten oder in eschatologischer<br />

Perspektive Ansätze der Gerechtigkeitsförderung. In ihrer Art <strong>und</strong><br />

Weise ist offene <strong>und</strong> interaktionale Kommunikation des Evangeliums demnach<br />

anschlussfähig an das sozialarbeiterisch-kooperative Prinzip der Partizipation, indem<br />

alle an der Kommunikation Teilhabenden nicht als Objekte kirchlichen<br />

<br />

40<br />

Engemann führt diesbezüglich die theologiekritische Komponente des Ansatzes der Kommunikation<br />

des Evangeliums aus, der einseitige kirchliche Konzepte hinterfragt (vgl. Engemann<br />

2014: 17). Dies schließt demnach auch eine Erweiterung klassischer ekklesiologischer<br />

Ansätze ein, wenn diese zu einseitigen Konzepten beitragen.<br />

41<br />

Diese drei Kommunikationsmodi führt Grethlein bereits in Praktische Theologie aus (vgl.<br />

Grethlein 2016: 324).<br />

42<br />

Entgegen reformatorischer Tradition nimmt Grethlein weniger Bezug auf die CA VII, sondern<br />

versteht vielmehr Teile des neutestamentlichen Zeugnisses --- neben den Evangelien<br />

<strong>und</strong> der Apostelgeschichte vor allem paulinische <strong>und</strong> deuteropaulinische Texte --- als primären<br />

Ausgangspunkt seiner ekklesiologischen bzw. kirchentheoretischen Argumentation<br />

(vgl. Grethlein 2018: 35).<br />

43<br />

In diesem Zusammenhang betonen Domsgen <strong>und</strong> Schröder den interdisziplinären Charakter<br />

des Ansatzes der Kommunikation des Evangeliums, der auch humanwissenschaftliche<br />

<strong>und</strong> empirische Perspektiven aufnimmt (vgl. Domsgen & Schröder 2014: 9). Wenngleich<br />

dies in systematisch-theologischer Betrachtung durchaus kritisch zu betrachten ist<br />

(vgl. Härle 2018: 24), wird zugleich die methodologische Anschlussfähigkeit an diakoniewissenschaftliche<br />

Diskurse deutlich (vgl. Eidt & Eurich 2016: 354; Härle 2018: 34).


84<br />

3 <strong>Kirche</strong> als Kooperationspartnerin<br />

Handelns, sondern als »Subjekte ihres Lebens <strong>und</strong> Glaubens« (Engemann 2014:<br />

17) begriffen werden. 44 Wenngleich Weyel in ihrem Beitrag ein verkürztes Verständnis<br />

von Mission zum Ausgangspunkt nimmt, behält sie Recht, wenn sie mit<br />

Kumlehn Kommunikation des Evangeliums als Auflösung der »einseitige[n] Orientierung<br />

[…] an binnenkirchlichen Religionsvollzügen« (Kumlehn 2001: 354)<br />

versteht (vgl. Weyel 2002: 250). <strong>Kirche</strong> ist demnach als Glaubensgemeinschaft im<br />

kommunikativen Handeln Gottes gegründet <strong>und</strong> bezieht sich als Handlungsgemeinschaft<br />

dialogisch <strong>und</strong> partizipativ auf die sie umgebenden Menschen. Entsprechend<br />

betont Grethlein die Kontextualität der Kommunikationsmodi je nach<br />

Gegenüber (vgl. Grethlein 2018: 40), die im Blick auf den Ansatz der Gemeinwesendiakonie<br />

zu betrachten ist (vgl. 6.2). Auf diesem Hintergr<strong>und</strong> ist Kommunikation<br />

des Evangeliums als »spezifisch evangelische Art <strong>und</strong> Weise des Umgangs<br />

mit Menschen« (Engemann 2014: 16) zu begreifen, die kirchliches Handeln in der<br />

Kontinuität ihres Ursprungs <strong>und</strong> Wesens sowie ihrer Attribute <strong>und</strong> Kennzeichen<br />

einerseits <strong>und</strong> in der Ausrichtung an ihren kontextuellen Anforderungen andererseits<br />

ernstnimmt. Dies ist insbesondere im Blick auf kooperative Verständnisse<br />

<strong>und</strong> gemeinwesendiakonisches Handeln von Bedeutung, da so eine ganzheitliche,<br />

dialogische <strong>und</strong> partizipative Perspektive auf <strong>Kirche</strong> als Organisation möglich<br />

wird.<br />

Diakonische Bestimmung von <strong>Kirche</strong><br />

Wie bereits oben aufgezeigt, sind diakonische Bestimmung <strong>und</strong> diakonisches Handeln<br />

auf das Wesen Gottes <strong>und</strong> das daraus folgende Wesen der <strong>Kirche</strong> zurückzuführen.<br />

Wie Gott Jesus in die Welt sendet, so sendet er die <strong>Kirche</strong>. 45 Dies ist insbesondere<br />

in Reuters Ausführungen zum wirksamen Handeln von <strong>Kirche</strong> <strong>und</strong> im<br />

praktisch-theologisch konnotierten Ansatz der Kommunikation des Evangeliums<br />

zu erkennen. 46 In dieser Widerspiegelung der Liebe Gottes (vgl. Wrogemann 2013:<br />

128f.), in der Teilhabe an seiner Sendung (vgl. diakoneo ktl.) <strong>und</strong> als Folge <strong>und</strong><br />

Prüfung der Echtheit der Heilsaneignung (Lk 19; Jak 3,14) wird diakonisches Handeln<br />

eines der äußerlichen Kennzeichen der ersten Gemeinden (vgl. Kessler 2011:<br />

31; Söding 2011: 48). Auch gegenwärtig zeigt sich die Diskussion über die diakonische<br />

Bestimmung an vielen Stellen. So erinnern kirchliche Denkschriften an die<br />

<br />

44<br />

Dabei wird unter dem Leitbegriff der Kommunikation des Evangeliums vertieft <strong>und</strong> insbesondere<br />

bei Grethlein systematisiert, was bereits von Lange expliziert wird, wenn er dialogische,<br />

partizipative <strong>und</strong> situativ-kontextuelle Aspekte kirchlichen Handelns betont<br />

(vgl. Lange 1976: 113; 117; Lange 1992: 101).<br />

45<br />

Eine Vertiefung des theologischen Verständnisses von <strong>Diakonie</strong> wird in Kapitel 4.1 vorgenommen.<br />

46<br />

Darüber hinaus lässt sich diakonisches Handeln aus den sogenannten vier Gr<strong>und</strong>vollzügen<br />

von <strong>Kirche</strong> martyria, leiturgia, diakonia <strong>und</strong> koinonia herleiten (vgl. Fichtmüller 2019:<br />

250). Dabei bedarf es allerdings auch der Auseinandersetzung mit entsprechender Kritik,<br />

wie sie Reuter äußert, wenn es sich mit den Problemen der Synthese der pastoraltheologischen<br />

<strong>und</strong> apostatstheologischen Herleitung dieser Typologie auseinandersetzt (vgl. Reuter<br />

1997: 58).


4 <strong>Diakonie</strong> als<br />

Kooperationspartnerin<br />

Im Anschluss an die gr<strong>und</strong>legenden Aspekte zu <strong>Kooperationen</strong> <strong>und</strong> zur Akteurin<br />

<strong>Kirche</strong> soll nun die Akteurin <strong>Diakonie</strong> fokussiert werden. Dabei geht es um eine<br />

theoretische Gr<strong>und</strong>legung hinsichtlich relevanter Aspekte der Zusammenarbeit.<br />

So werden insbesondere organisationale <strong>und</strong> interaktionale Aspekte von organisierter<br />

<strong>Diakonie</strong> fokussiert. Wesentlich ist dabei die theologische Auseinandersetzung<br />

mit <strong>Diakonie</strong>, die insbesondere durch eine soziologische Betrachtungsweise<br />

ergänzt wird. Wenngleich später eine gesonderte Betrachtung der Gemeinwesendiakonie<br />

vorgenommen wird, soll dieser Forschungskontext bereits mitgedacht<br />

werden. Ziel dieses Kapitels ist es, eine Gr<strong>und</strong>lage für die Vergleichbarkeit der<br />

Akteurin <strong>Diakonie</strong> mit der potentiellen Kooperationspartnerin <strong>Kirche</strong> zu schaffen.<br />

Um Gemeinsamkeiten, Unterschiede, mögliche Anschlussmöglichkeiten <strong>und</strong><br />

Mehrwerte der Zusammenarbeit aufzuzeigen, bedarf es dazu der Analyse relevanter<br />

Aspekte, Logiken <strong>und</strong> Formen organisierter <strong>Diakonie</strong>.<br />

Folglich ist dieses Kapitel analog zu Ausführungen zur Akteurin <strong>Kirche</strong> aufgebaut:<br />

Zunächst wird <strong>Diakonie</strong> in systematisch-theologischer Perspektive in den<br />

Blick genommen. Daran schließt eine Darstellung der organisierten <strong>Diakonie</strong> an,<br />

wobei insbesondere lokal verortete diakonische Einrichtungen betrachtet werden,<br />

die als Kooperationspartnerinnen mit <strong>Kirche</strong>ngemeinden in Frage kommen. Diese<br />

werden anschließend hinsichtlich organisationaler, institutioneller, interaktionaler<br />

<strong>und</strong> inszenatorischer Aspekte analysiert, wobei angesichts dessen, dass <strong>Diakonie</strong><br />

selbst als Teil von <strong>Kirche</strong> zu verstehen ist, kirchentheoretische Überlegungen<br />

als heuristisch-analytisches Konzept dienen. Auf die im aktuellen Diskurs<br />

äußerst relevante Perspektive der organisierten <strong>Diakonie</strong> als Hybrid folgt hinsichtlich<br />

der Bedeutung interaktionaler Aspekte von <strong>Kooperationen</strong> eine Auseinandersetzung<br />

mit beteiligtem diakonischen Personal. Es wird mit einer Bündelung der<br />

herausgearbeiteten Aspekte geschlossen, sodass im anschließenden Kapitel die<br />

Kooperierenden vergleichend gegenübergestellt werden können.


144<br />

4 <strong>Diakonie</strong> als Kooperationspartnerin<br />

4.1 <strong>Diakonie</strong> in systematisch-theologischer<br />

Perspektive<br />

Gr<strong>und</strong>legend für dieses Kapitel ist die Klärung des Begriffs <strong>Diakonie</strong>, worunter<br />

heutzutage gewöhnlich der Dienst am Menschen auf Gr<strong>und</strong>lage des christlichen<br />

Verständnisses der Nächstenliebe verstanden wird. Die tiefere Bedeutung des Begriffs<br />

<strong>Diakonie</strong> wird allerdings bereits aus dem griechischen Lexem diakoneo ktl<br />

deutlich, das im neutestamentlichen Zeugnis differenziert <strong>und</strong> in einer gewissen<br />

semantischen Breite, aber nach neueren Untersuchungen vor allem als Beauftragung<br />

<strong>und</strong> überwiegend im Kontext der Verkündigungstätigkeit <strong>und</strong> gemeindeleitender<br />

Aufgaben verwendet wird (vgl. Hentschel 2007: 434f.). 98 Das Verständnis<br />

von <strong>Diakonie</strong> geht als solidarisches, helfendes Handeln zum einen deutlich über<br />

das hinaus, was in neutestamentlichen Texten mit diesem Wortstamm beschrieben<br />

wird (Nächstenliebe im umfassenderen Sinne) --- dazu gehört eine große Breite<br />

an biblischen Vorstellungen, wie Gr<strong>und</strong>lagen der Armenfürsorge, Nächstenliebe<br />

<strong>und</strong> des Drängens auf Gerechtigkeit im Alten Testament (vgl. Kessler 2011: 27ff.)<br />

<strong>und</strong> im Neuen Testament (vgl. Södling 2011: 36ff.). Zum anderen wird die Wortgruppe<br />

diakonia im biblischen Kontext für Tätigkeiten verwendet, die mit heutigem<br />

diakonischem Handeln weniger zu tun haben. <strong>Diakonie</strong> ist somit zugleich<br />

mehr <strong>und</strong> weniger als die Bedeutungsinhalte des griechischen diakoneo ktl. Wenn<br />

also von <strong>Diakonie</strong> die Rede ist, ist ein äußerst vielfältiger Begriff mit verschiedenen,<br />

individuellen wie kollektiven, spontanen wie institutionalisierten Ausdrucksformen<br />

gemeint, mit dem gr<strong>und</strong>legend christlich motiviertes <strong>und</strong> beauftragtes Hilfehandeln<br />

bezeichnet wird (vgl. Eurich & Schmidt 2016: 7). Gr<strong>und</strong>sätzlicher<br />

Bezugsrahmen der <strong>Diakonie</strong> als Ausdruck des Wesens der <strong>Kirche</strong> ist der liebende<br />

Gott, dessen rettendes Handeln vor allem in der Inkarnation <strong>und</strong> im Heilshandeln<br />

Christi deutlich wird. Entsprechend ist diakonisches Handeln als Liebeshandeln<br />

zu verstehen, das aus der erfahrenen Liebe Gottes folgt. Gleichzeitig ist die Liebe<br />

Gottes als Ausgangpunkt des Schöpfungshandeln zu sehen, indem Gott als Schöpfer<br />

alle Menschen zum helfenden Dienst am Mitmenschen aufruft (vgl. Rüegger &<br />

Sigrist 2011: 124). Auf dem Hintergr<strong>und</strong> der tiefen Verankerung des <strong>Diakonie</strong>begriffs<br />

im deutschsprachigen Diskurs betonen Rüegger <strong>und</strong> Sigrist dabei, dass<br />

<br />

98<br />

Hentschel steht mit ihrer Untersuchung in einer Reihe neuerer Diskussionen zum Begriff<br />

der diakonia, die das verbreitete Verständnis als Dienst <strong>und</strong> Nächstenliebe infrage stellen<br />

(vgl. Collins 1990; Georgi 1964). Dabei stellt sie aus dem differenzierten Bedeutungsspektrum<br />

im griechischen Sprachgebrauch die Bedeutung der Botentätigkeit <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>ene<br />

situationsabhängige Beauftragung als Gr<strong>und</strong>bedeutung heraus, die sich im Neuen<br />

Testament insbesondere in den paulinischen Briefen aber auch im lukanischen Doppelwerk<br />

(hier häufig auch im Kontext des Tischdienstes) sowie weiteren neutestamentlichen Texten<br />

erkennen lässt. Insofern lässt sich das Verständnis von diakonia als karitatives Handeln<br />

weniger aus den griechischen oder neutestamentlichen Bef<strong>und</strong>en, sondern seiner weiteren<br />

Wirkungsgeschichte innerhalb der <strong>Kirche</strong> erklären (vgl. Hentschel 2007: 6ff.; 180ff.; 387ff.;<br />

433ff.). Dazu auch der Beitrag zu exegetischen Erkenntnissen zum Begriff <strong>Diakonie</strong> von<br />

Hauschildt (2008: 30ff.).


4.1 <strong>Diakonie</strong> in systematisch-theologischer Perspektive 145<br />

»deutlich <strong>zwischen</strong> dem neutestamentlichen Begriff [...] <strong>und</strong> der gesellschaftlichen<br />

Wirklichkeit heutiger <strong>Diakonie</strong> zu unterscheiden [ist]. Letztlich geht es nicht um<br />

den Begriff, sondern um die Sache, um die Phänomene sozialen Engagements, die<br />

wir meinen, wenn wir heute von <strong>Diakonie</strong> sprechen« (Rüegger & Sigrist 2011: 31).<br />

Auf diesem Hintergr<strong>und</strong> bedarf es einer Klärung des Verhältnisses von diakonischem<br />

Handeln <strong>und</strong> Sozialer Arbeit, schließlich lassen sich beide als Phänomene<br />

in der Regel nicht voneinander unterscheiden (vgl. Schäfer 2008: 83). Mit Horstmann<br />

ist auf diesem Hintergr<strong>und</strong> darauf zu verweisen, dass <strong>Diakonie</strong> auch als<br />

deutender Begriff verstanden werden kann, dass helfendes Handeln also (mitunter<br />

erst sek<strong>und</strong>är) durch theologische Deutung in Bezug auf das Liebeshandeln<br />

Gottes zu diakonischem Handeln zu begreifen ist (vgl. Horstmann 2011: 48). 99 So<br />

ist zur Klärung des dieser Arbeit zugr<strong>und</strong>eliegenden <strong>Diakonie</strong>verständnisses die<br />

Reflexion gesamtbiblischer Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> kirchengeschichtlicher Entwicklungen<br />

von Bedeutung ebenso wie die Reflexion diakonischen Handelns <strong>und</strong> Verständnisses<br />

in heutiger Zeit. 100<br />

Christologische <strong>und</strong> schöpfungstheologische Begründung<br />

Für den Kontext dieser Arbeit als Auseinandersetzung mit verschiedenen kooperativen<br />

Akteurinnen im diakonischen Handeln <strong>und</strong> deren Verhältnis zueinander<br />

stellt sich die Frage, wer diakonisch wirkt <strong>und</strong> wie sich dieses diakonische Wirken<br />

theologisch begründen lässt. Damit versteht sich diese Arbeit als in Auseinandersetzung<br />

mit dem gegenwärtigen diakoniewissenschaftlichen Diskurs stehend, in<br />

dem in den letzten Jahren die christologische insbesondere um eine schöpfungstheologische<br />

Perspektive ergänzt wurde <strong>und</strong> unterschiedliche Positionen im Gegen-<br />

<strong>und</strong> Miteinander diskutiert werden. 101 In dieser Arbeit wird dabei zunächst<br />

<br />

99<br />

Horstmann geht dabei auf die drei von Daiber angeführten Modelle zur Verhältnisbestimmung<br />

von <strong>Diakonie</strong> <strong>und</strong> Sozialer Arbeit ein: (1) <strong>Diakonie</strong> durch christliche Motivation, (2)<br />

diakonisches Handeln durch Verständnis als Nächstenliebe <strong>und</strong> (3) <strong>Diakonie</strong> durch theologische<br />

F<strong>und</strong>ierung der Gr<strong>und</strong>annahmen sozialer Arbeit (vgl. Daiber 2008: 104ff.).<br />

100<br />

In der <strong>Kirche</strong>ngeschichte kommt es auf dem Hintergr<strong>und</strong> gesellschaftlicher Herausforderungen<br />

<strong>und</strong> Umbrüche zu einer Entwicklung diakonischen Handelns (vgl. Kuhn 2011:<br />

79ff.; Lutterbach 2011: 58ff.). Eine wichtige Entwicklung zum Verständnis von <strong>Diakonie</strong> in<br />

dieser Arbeit ist die Entstehung konfessioneller Wohlfahrtsverbände im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert,<br />

auf die die <strong>Diakonie</strong> Deutschland als Nachfolgerin der Inneren Mission zurückgeht (vgl.<br />

Maurer 2011: 101ff.).<br />

101<br />

Während Bierlein, Lienhard oder Starnitzke mit christologischen Verständnissen argumentieren<br />

<strong>und</strong> auf diese Weise den christlichen <strong>und</strong> kirchlichen Charakter der <strong>Diakonie</strong><br />

hervorheben (vgl. Bierlein 2004: 64ff.; Lienhard 2006: 87ff.; Lienhard 2011: 194ff.; Starnitzke<br />

2014: 44), plädieren vor allem Pompey <strong>und</strong> Roß sowie Rüegger <strong>und</strong> Sigrist in schöpfungstheologischer<br />

Perspektive für eine Öffnung des diakonischen Verständnisses (anonyme<br />

<strong>Diakonie</strong>) oder sogar den Verzicht auf den Begriff der <strong>Diakonie</strong> zu Gunsten einer<br />

höheren gesellschaftlich-säkularisierten Anschlussfähigkeit (vgl. Pompey & Roß 1998: 228;<br />

Rüegger & Sigrist 2011: 146; Rüegger & Sigrist 2014: 66f.). Darüber hinaus sind selbstredend<br />

weitere theologische Positionen vertreten, im Kontext dieser Arbeit sind aber insbesondere<br />

die genannten Positionen relevant.


146<br />

4 <strong>Diakonie</strong> als Kooperationspartnerin<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich von einem schöpfungstheologischen Verständnis diakonischen<br />

Handelns in seiner dargelegten Bedeutung als helfendem, (pro-)sozialen <strong>und</strong> solidarischem<br />

Handeln zur Förderung von Gerechtigkeit ausgegangen. Ausgangspunkt<br />

sind dabei zwei systematisch-theologische Gr<strong>und</strong>prinzipien, nämlich das<br />

Gottes- <strong>und</strong> das Menschenbild. Ausgangspunkt ist der liebende Gott, also die Liebe<br />

selbst (vgl. Rüegger & Sigrist 2011: 122; 129), die sich in der eschatologischen<br />

Spannung des schon jetzt <strong>und</strong> noch nicht in barmherziger Zuwendung <strong>und</strong> dem<br />

Streben nach umfassender Gerechtigkeit <strong>und</strong> umfassendem Frieden äußert. Aus<br />

dem Wesen der Liebe heraus ist der Mensch als Geschöpf zu begreifen. Gr<strong>und</strong>legend<br />

für ein solches Menschenbild ist das Ineinander einer doppelten Ergänzungsbedürftigkeit,<br />

nämlich den Bedürfnissen, ergänzt zu werden (hilfebedürftig)<br />

<strong>und</strong> zu ergänzen (helfebedürftig). Folglich sind Menschen als Beziehungswesen<br />

zu verstehen <strong>und</strong> zwar im Gr<strong>und</strong>tenor der biblischen Schöpfungserzählungen in<br />

ausnahmsloser Anerkennung der Menschenwürde, also unabhängig von kulturellem<br />

oder religiösem Kontext (vgl. Glitzenhirn 2011: 241). Diakonisches Handeln<br />

als helfende <strong>und</strong> solidarische Menschenliebe mit dem Ausgangspunkt der Gottesliebe<br />

findet folglich im Beziehungsgeschehen ergänzungsbedürftiger <strong>und</strong> einander<br />

ergänzender Menschen statt. Alle Menschen sind in ihrer Hilfebedürftigkeit<br />

Empfangende von diakonischem Handeln (vgl. Eurich 2019: 30; Rüegger & Sigrist<br />

2011: 171). Ebenso sind alle Menschen befähigt <strong>und</strong> beauftragt zu diakonischem<br />

Handeln. Zweifelsohne ist eine solche schöpfungstheologische Perspektive ohne<br />

eine hamartiologische Ergänzung unzureichend. Es bedarf also der Anerkennung<br />

der Gebrochenheit menschlichen Seins <strong>und</strong> folglich menschlichen diakonischen<br />

Handelns als Widerspiegelung des liebevollen Wesens Gottes (Wrogemann 2013:<br />

128f.). Die Unfähigkeit zur Liebe ist demnach Ausdruck der Vertrauensstörung in<br />

der Beziehung <strong>zwischen</strong> Mensch <strong>und</strong> Gott, also dem Nichtanerkennen der Liebe<br />

als ultimativem Ausgangspunkt <strong>und</strong> Ziel. Trotz der partiellen Wahrnehmung individueller<br />

<strong>und</strong> struktureller Bedarfe nach Barmherzigkeit <strong>und</strong> Gerechtigkeit ist<br />

diakonisches Handeln aller Menschen stets gefährdet, das heißt es kann etwa zu<br />

Folgeproblemen oder neuen Abhängigkeiten führen. Folglich befindet sich diakonisches<br />

Handeln in der Spannung <strong>zwischen</strong> (1) der Begabung <strong>und</strong> Bestimmung<br />

aller Menschen zu diakonischem Handeln <strong>und</strong> (2) der Unfähigkeit aller Menschen,<br />

dieser Bestimmung in Gänze zu genügen, sodass sich diakonisches Handeln stets<br />

nur in Bruchstücken realisiert. Dies macht die Notwendigkeit <strong>und</strong> Betonung von<br />

sowie das Vertrauen auf Gottes Liebe als Ausgangspunkt deutlich (vgl. Hoburg<br />

2016: 133), die im Heilshandeln Christi kulminiert <strong>und</strong> eschatologisch vollendet<br />

wird. Der gerechtfertigte Mensch als simul iustus et peccator ist eingeschränkt befähigt<br />

zum Handeln aus Liebe in weiterhin sündhaften Strukturen, sodass<br />

menschliches diakonisches Handeln zwar gelingen kann (vgl. Albert 2014: 61),<br />

aber zugleich niemals Ausdruck vollkommener Liebe <strong>und</strong> Gerechtigkeit ist. In der<br />

Folge hat auch diakonisches Handeln stets mit ethischen Dilemmata <strong>und</strong> Folgeproblemen<br />

seines Wirkens zu kämpfen (vgl. Eurich 2016b: 21f.). So führt etwa<br />

fürsorgliches Handeln zu neuen Abhängigkeiten, während assistierender Co-Produktion<br />

ein überforderndes Moment innewohnt. Als Folge der soteriologischen


4.1 <strong>Diakonie</strong> in systematisch-theologischer Perspektive 147<br />

Erfahrung des Geliebtseins in Gebrochenheit äußert sich diakonisches Handeln<br />

individual- <strong>und</strong> sozialethisch (vgl. Strohm 2000: 26ff.). Darin verkörpert sich ihr<br />

exemplarischer Charakter eschatologischer Hoffnung auf die Liebe als dem nahenden<br />

Ziel, die sich in der Rechtfertigung aller Menschen durch Gott <strong>und</strong> im Anteil<br />

an der Realisierung des Reiches Gottes durch alle verkörpert (vgl. Moltmann<br />

1989: 28ff.). Wenn <strong>Diakonie</strong> als helfendes Handeln aller Menschen dargelegt wird,<br />

stellt sich die Frage nach der besonderen Rolle der Christ*innen <strong>und</strong> der <strong>Kirche</strong>,<br />

die sich explizit auf die Rechtfertigung durch Gott <strong>und</strong> die Hoffnung auf Gottes<br />

Liebe <strong>und</strong> Gerechtigkeit beziehen, woraus von manchen eine spezielle christliche<br />

Ethik abgeleitet wird. Auf dem Hintergr<strong>und</strong> dieser Frage sind mit Verweis auf die<br />

drei Glaubensartikel schöpfungstheologische, christologische <strong>und</strong> ekklesiologische<br />

Begründungen untrennbar ineinander verwoben. Ihrem Wesen zufolge handeln<br />

Christ*innen als Individuen <strong>und</strong> <strong>Kirche</strong> als Gemeinschaft der sich auf Liebe<br />

Beziehenden <strong>und</strong> zu Liebe Berufenen notwendigerweise diakonisch.<br />

<strong>Diakonie</strong> als Wesen Gottes <strong>und</strong> als Lebens- <strong>und</strong> Wesensäußerung von<br />

<strong>Kirche</strong><br />

Weil <strong>Diakonie</strong> ein Wesensmerkmal Gottes <strong>und</strong> der missio dei ist, ist »<strong>Diakonie</strong> unbedingt<br />

[auch] eine Wesens- <strong>und</strong> Lebensäußerung der <strong>Kirche</strong>« (Dietz 2013a: 8),<br />

wie aus den systematisch-theologischen Ausführungen zu <strong>Kirche</strong> (vgl. 3.1) im<br />

Blick auf Härles ganzheitliches Verständnis der CA VII (vgl. Härle 2018: 594) sowie<br />

auf das wirksame Handeln der <strong>Kirche</strong> (Gerechtigkeitshandeln <strong>und</strong> solidarische<br />

Hilfe) <strong>und</strong> den Leitbegriff der Kommunikation des Evangeliums (Helfen zum<br />

Leben) deutlich wird (vgl. Grethlein 2016: 324; Reuter 1997: 58ff.). Auf diesem<br />

Hintergr<strong>und</strong> betrifft Christ*innen <strong>und</strong> <strong>Kirche</strong> die erneuerte diakonische Bestimmung<br />

(1) zu individuellem bzw. kollektivem konkreten Hilfehandeln ebenso wie<br />

(2) im exemplarischen Charakter als Vorbild für die gesamte Menschheit. Im daseinsbestimmenden<br />

Vertrauen auf die Liebe, die im Heilshandeln Christi sichtbar<br />

wurde, kann <strong>Kirche</strong> nicht anders als liebend, also diakonisch zu wirken, sodass<br />

Glaube als besondere Quelle für diakonisches Handeln zu begreifen ist. In der<br />

Folge dieses christologischen Verständnisses ist <strong>Diakonie</strong> auch ekklesiologisch<br />

als kirchliche Verwirklichung ihres eigenen Wesens als Anteil am Wesen Christi<br />

zu verstehen. Damit wird deutlich: <strong>Diakonie</strong> ist notwendiges, aber nicht exklusives<br />

Kennzeichen von <strong>Kirche</strong> (vgl. Kirchhoff 2016: 49). <strong>Kirche</strong> hat eine besondere<br />

Rolle in der exemplarischen <strong>und</strong> erneuerten Bestimmung zu diakonischem Handeln<br />

für, neben <strong>und</strong> mit anderen. Somit ist theologisch evident, dass <strong>Kirche</strong> nicht<br />

ohne diakonisches Handeln denkbar ist. Umgekehrt könnte schöpfungstheologisch<br />

argumentiert werden, dass diakonisches Handeln ohne direkten Bezug zur<br />

<strong>Kirche</strong> möglich sei. Weil <strong>Diakonie</strong> als Wesensmerkmal der <strong>Kirche</strong> allerdings als<br />

Ausdruck von Liebe <strong>und</strong> Ergänzungsbedürftigkeit zu verstehen ist, wird einerseits<br />

<strong>Kirche</strong> nach Beziehungen außerhalb ihrer selbst suchen, also im eigenen diakonischen<br />

Wirken das Miteinander suchen, das im Kontext dieser Arbeit insbesondere<br />

das Miteinander von organisierter <strong>Diakonie</strong>, Bewohner*innen <strong>und</strong> anderen Akteur*innen<br />

im Gemeinwesen umfasst. Auf der anderen Seite werden diakonische


148<br />

4 <strong>Diakonie</strong> als Kooperationspartnerin<br />

Akteur*innen außerhalb der <strong>Kirche</strong> nach Beziehungen zu anderen suchen, <strong>und</strong><br />

dabei ist es möglich, dass sie <strong>Kirche</strong> als potentielle Partnerin wahrnehmen --- zur<br />

Zusammenarbeit <strong>und</strong> um sie an ihr eigenes Wesen zu erinnern, wo dieses verdeckt<br />

ist. Diakonisches Handeln innerhalb wie außerhalb der <strong>Kirche</strong> ist demnach<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich kooperativ zu verstehen. Entsprechend ist <strong>Diakonie</strong> als Wesens<strong>und</strong><br />

Lebensäußerung der <strong>Kirche</strong> aus theologischer Sicht multiperspektivisch zu<br />

betrachten, wobei ein schöpfungstheologisches Verständnis der diakonischen Befähigung,<br />

Bestimmung <strong>und</strong> Ergänzungsbedürftigkeit aller Menschen <strong>und</strong> Organisationen<br />

unter der Berücksichtigung ihrer Erlösungsbedürftigkeit <strong>und</strong> folglich ihrer<br />

Bruchstückhaftigkeit als gr<strong>und</strong>legende Perspektive zu begreifen ist. Auf dieser<br />

Gr<strong>und</strong>lage fokussiert die christologische Perspektive die Ermöglichung <strong>und</strong> Erneuerung<br />

dieser diakonischen Bestimmung in der Beteiligung am Wesen der<br />

Liebe <strong>und</strong> der missio dei. Diese bezieht sich inklusiv auf alle Menschen, wird aber<br />

für Christ*innen <strong>und</strong> <strong>Kirche</strong> explizit <strong>und</strong> identitätsstiftend, jedoch nicht als<br />

proprium exclusivum, sondern als proprium inclusivum. 102 Diakonisches Handeln<br />

wird demnach zum christlichen Identitätsmarker im gemeinsamen Wirken mit<br />

Christus (Joh 15,1), der sich selbst anderen zuwendet, <strong>und</strong> für Christus (Mt.<br />

25,40), in der Identifikation mit Christus durch die (nicht im Sinne einer Werkgerechtigkeit<br />

zu verstehende) solidarische Zuwendung zum anderen. Es betont<br />

christologisch also zugleich stets auch die Öffnung zum anderen. Somit kann diakonisches<br />

Handeln vom Heilshandelns Christi seinem Wesen nach nur in der Inklusion<br />

anderer gedacht werden <strong>und</strong> stärkt zugleich die eigene christliche Identität,<br />

indem diakonisches Handeln nicht nur auf den Menschen, sondern auf Gott<br />

bezogen ist --- in der Einheit mit Christus <strong>und</strong> der Gotteserfahrung in der Zuwendung<br />

zur Liebe. Weil Christus sich mit anderen solidarisiert <strong>und</strong> ihr helfendes<br />

Handeln als vorbildhaft anführt (Lk 10), verbindet er explizit diakonisches Handeln<br />

der Christ*innen <strong>und</strong> implizit diakonisches Handeln von anderen <strong>und</strong> betont<br />

so deren gemeinsame Bestimmung bzw. deren geteiltes Ziel.<br />

Im Blick auf diese Arbeit liegt der Fokus auf organisierter <strong>Diakonie</strong> im Kontext<br />

bzw. im Miteinander mit verfasster <strong>Kirche</strong>, weshalb die Notwendigkeit der Betonung<br />

der christologischen Begründung in ihren kirchlichen Bezügen besteht. 103<br />

<br />

102<br />

Die Bestimmung zu diakonischem Handeln als barmherziges <strong>und</strong> auf Gerechtigkeit zielendes<br />

Handeln <strong>und</strong> als kirchliche Wesensäußerung schließt also die Teilhabe an diesem<br />

helfenden Handeln durch nicht-kirchliche oder sich nicht als christlich verstehende Akteur*innen<br />

mit ein (vgl. sichtbare <strong>und</strong> unsichtbare <strong>Kirche</strong>).<br />

103<br />

Gleichzeitig bedarf es der Anerkennung schöpfungstheologischer Aspekte in Bezug auf<br />

das Miteinander über den kirchlichen Kontext hinaus (Beteiligung Betroffener, Aktivierung<br />

von Bewohner*innen <strong>und</strong> Anschlussfähigkeit an außerkirchliche Akteur*innen) sowie hamartiologischer<br />

Aspekte unter Berücksichtigung der Herausforderungen, ethischen Dilemmata<br />

<strong>und</strong> des möglichen Scheiterns diakonischen Handelns <strong>und</strong> von <strong>Kooperationen</strong>. Damit<br />

geht es bei <strong>Kooperationen</strong> von verfasster <strong>Kirche</strong> <strong>und</strong> organisierter <strong>Diakonie</strong> im Wesentlichen<br />

um die Wahrnehmung christologisch begründeter Bestimmung der <strong>Kirche</strong> als gesandter<br />

Teilhaberin am Handeln Gottes. Diese wesentliche Begründung ist zugleich offen für die


5 Gemeinsamkeiten <strong>und</strong><br />

Unterschiede von <strong>Diakonie</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Kirche</strong><br />

Auf Basis der vorherigen Kapitel ist es nun möglich, beide Kooperationspartnerinnen<br />

miteinander zu vergleichen. Das Ziel ist es dabei, herauszufinden, inwieweit<br />

beide Akteurinnen in der Lage sind, gelingende <strong>Kooperationen</strong> zu entwickeln.<br />

Dazu können vorhandene Gemeinsamkeiten <strong>und</strong> geteilte Logiken als Anknüpfungspunkte<br />

<strong>und</strong> gemeinsames F<strong>und</strong>ament verstanden werden. Andererseits ist<br />

es wichtig, ob <strong>und</strong> wie Unterschiede überw<strong>und</strong>en oder bearbeitet werden können,<br />

da diese --- wo sie nicht zu wechselseitigen Ergänzungen beitragen --- potentiell zu<br />

kooperativem Scheitern führen können. Schließlich geht es auch darum, wie in<br />

der Zusammenarbeit neue Formen kirchlich-diakonischer Organisation <strong>und</strong> Interaktion<br />

entstehen. Entsprechend folgt dieses Kapitel im Aufbau den vorangegangenen,<br />

indem zunächst systematisch-theologische Aspekte vergleichend betrachtet<br />

werden. Nach einer Gegenüberstellung beider Akteurinnen in praktisch-theologischer<br />

<strong>und</strong> soziologischer Perspektive im Blick auf organisationale, institutionelle,<br />

interaktionale <strong>und</strong> inszenatorische Aspekte, werden die herausgearbeiteten Organisationstypen<br />

miteinander in Relation gesetzt. Anschließend werden hybride<br />

Verständnisse <strong>und</strong> das kirchliche <strong>und</strong> diakonische Personal gegenübergestellt. So<br />

kann zuletzt ein Zwischenfazit zum möglichen Gelingen kirchlich-diakonischer<br />

<strong>Kooperationen</strong> gezogen werden, das anschließend im Blick auf den Kontext der<br />

Gemeinwesendiakonie vertieft wird.<br />

5.1 Systematisch-theologische Schnittmengen<br />

<strong>zwischen</strong> <strong>Diakonie</strong> <strong>und</strong> <strong>Kirche</strong><br />

<strong>Kirche</strong> ist auf Gr<strong>und</strong>lage ihres Wesens <strong>und</strong> als Teilhaberin an der missio dei zu<br />

verstehen. Sie hat in systematisch-theologischer Perspektive eine ausdrücklich diakonische<br />

Dimension, die Teil ihres Wesens <strong>und</strong> ihrer Bestimmung ist. Dies betrifft<br />

nicht nur die verborgene <strong>Kirche</strong>, sondern auch die sichtbare <strong>Kirche</strong>, ohne die<br />

die verborgene <strong>Kirche</strong> handlungsunfähig wäre --- etwa als evangelische <strong>Kirche</strong> in<br />

Deutschland, aber ebenso weitere Teile sich kontextuell realisierender <strong>Kirche</strong>. <strong>Diakonie</strong><br />

als helfendes, prosoziales Handeln ist als Antwort auf <strong>und</strong> Teilhabe am<br />

Wirken des liebenden Gottes zu verstehen. Sie realisiert sich kontextuell, etwa


194<br />

5 Gemeinsamkeiten <strong>und</strong> Unterschiede von <strong>Diakonie</strong> <strong>und</strong> <strong>Kirche</strong><br />

auch in organisierter <strong>Diakonie</strong> als Lebens- <strong>und</strong> Wesensäußerung von <strong>Kirche</strong> wie<br />

sie historisch gewachsen in Deutschland anzutreffen ist. Ein solches theologisches<br />

Selbstverständnis der Zusammengehörigkeit von <strong>Kirche</strong> <strong>und</strong> <strong>Diakonie</strong> als Teil der<br />

missio dei bildet die Gr<strong>und</strong>lage für das Miteinander von verfasster <strong>Kirche</strong> <strong>und</strong> organisierter<br />

<strong>Diakonie</strong>. Insofern sind gemeinsame <strong>Kooperationen</strong> sinnvoll <strong>und</strong> gefordert.<br />

Sie entsprechen dem gr<strong>und</strong>legenden Beziehungsgeschehen des theologischen<br />

Schöpfungsverständnisses im Sinne der in Jesus Christus offenbar<br />

gewordenen Bestimmung zum gemeinsamen, solidarischen <strong>und</strong> versöhnten Miteinander<br />

im Allgemeinen <strong>und</strong> dem kooperativen Miteinander der <strong>Kirche</strong> Jesu<br />

Christi als Leib mit vielen Gliedern, in dem verfasste <strong>Kirche</strong> <strong>und</strong> organisierte <strong>Diakonie</strong><br />

als unterschiedliche, aber zusammengehörige Teile einander bedürfen <strong>und</strong><br />

unterstützen. Neben dieser dezidiert christologischen Begründung des kirchlichdiakonischen<br />

Miteinanders, macht auch ein schöpfungstheologisches Verständnis<br />

deutlich, dass verfasste <strong>Kirche</strong> <strong>und</strong> organisierte <strong>Diakonie</strong> in ihrem kooperativen<br />

Handeln offen sind für die Zusammenarbeit mit anderen, die als Geschöpfe des<br />

liebenden Gottes ebenso zu helfendem, solidarischem Handeln beauftragt <strong>und</strong> in<br />

Anerkennung der Realität einer gefallenen Schöpfung bruchstückhaft befähigt<br />

sind.<br />

5.2 Verflechtungen <strong>und</strong> Abgrenzungen <strong>zwischen</strong><br />

<strong>Diakonie</strong> <strong>und</strong> <strong>Kirche</strong><br />

Bevor auf spezifische praktisch-theologische <strong>und</strong> soziologische Aspekte im Miteinander<br />

von diakonischen Einrichtungen <strong>und</strong> <strong>Kirche</strong>ngemeinden eingegangen<br />

wird, sollen zunächst gr<strong>und</strong>legende Verflechtungen <strong>und</strong> Abgrenzungen <strong>zwischen</strong><br />

organisierter <strong>Diakonie</strong> <strong>und</strong> verfasster <strong>Kirche</strong> dargelegt werden. Zunächst ist darauf<br />

hinzuweisen, dass beide nie eine äußere Einheit waren, ihr Verhältnis trotz<br />

verschiedener Gelegenheiten 151 als formal nicht geklärt zu begreifen ist <strong>und</strong> deutlich<br />

wird, dass organisierte <strong>Diakonie</strong> als eigenständiger Teil von <strong>Kirche</strong> zu verstehen<br />

ist (vgl. Fichtmüller 2019: 31; 214; Maaser 2013b: 42; Starnitzke 1996: 31).<br />

Dennoch ist zu erkennen, dass beide Akteurinnen auf mehrfache Weise <strong>und</strong> auf<br />

unterschiedlichen Ebenen miteinander verflochten sind: (1) Zunächst auf Ebene<br />

der Dachorganisation der evangelischen <strong>Kirche</strong> (EKD), die zugleich Dachorganisation<br />

des Wohlfahrtsverbandes <strong>Diakonie</strong> Deutschland als Teil des Evangelischen<br />

<br />

151<br />

Fichtmüller weist darauf hin, dass das Verhältnis <strong>zwischen</strong> verfasster <strong>Kirche</strong> <strong>und</strong> institutionalisierter<br />

<strong>Diakonie</strong> (respektive Innere Mission) zu verschiedenen Zeitpunkten hätte<br />

formal geregelt werden können: bei der Monbijoukonferenz (1856), am Ende des Kaiserreichs<br />

(1918), bei der Gründung des kirchlichen Hilfswerks (1945), bei der Verschmelzung<br />

von Innerer Mission <strong>und</strong> kirchlichem Hilfswerk (1957), zur Entstehung des Diakonischen<br />

Werks (1975) <strong>und</strong> mit dem Ende der DDR (1990). Dies sei aber nicht geschehen <strong>und</strong> führe<br />

auch gegenwärtig zu einem spannungsreichen <strong>und</strong> mit Erwartungen aufgeladenen Verhältnis<br />

(vgl. Fichtmüller 2019: 123f.; 214).


5.2 Verflechtungen <strong>und</strong> Abgrenzungen <strong>zwischen</strong> <strong>Diakonie</strong> <strong>und</strong> <strong>Kirche</strong> 195<br />

Werks für <strong>Diakonie</strong> <strong>und</strong> Entwicklung ist. (2) Auf Ebene der Landeskirchen, die in<br />

unterschiedlicher Weise mit organisierter <strong>Diakonie</strong> verb<strong>und</strong>en sind. 152<br />

(3) Auf<br />

mittlerer Ebene innerhalb der Landeskirchen (z. B. Propstei- <strong>und</strong> Dekanatsebene)<br />

153<br />

(4) Auch auf kirchengemeindlicher Ebene sind kirchlich-diakonische<br />

Verflechtungen vorhanden, wenngleich hier die strukturelle Trennung expliziter<br />

wird <strong>und</strong> Zusammenarbeit oder gegenseitige Kenntnis nicht selbstverständlich<br />

sind. 154 Neben organisationalen <strong>und</strong> rechtlichen Verbindungen sind auf allen genannten<br />

Ebenen immer wieder personale Verflechtungen vorhanden. 155 Insgesamt<br />

<br />

152<br />

Wenngleich die strukturellen Verbindungen <strong>zwischen</strong> verfasster <strong>Kirche</strong> <strong>und</strong> organisierter<br />

<strong>Diakonie</strong> auf landeskirchlicher Ebene divergieren, wird auch hier gr<strong>und</strong>sätzlich eine<br />

kirchlich-diakonische Verbindung als Gr<strong>und</strong>lage für <strong>Kooperationen</strong> deutlich. Neben Positionspapieren<br />

ist auf Ebene der Landeskirchen durch die Landessynoden als obersten Entscheidungsorganen<br />

die Möglichkeit strategischer Vorgaben gegeben, die in den letzten Jahren<br />

im Bereich der Gemeinwesendiakonie vermehrt durch die Bereitstellung <strong>und</strong><br />

Ausschreibung von Projektmitteln eingebracht wurden (vgl. EKHN 2015b; EKKW 2010;<br />

ELKB 2011). Durch entsprechende Fördermittel <strong>und</strong> spezifische Zuwendungskriterien, die<br />

<strong>Kooperationen</strong> <strong>zwischen</strong> antragstellenden <strong>Kirche</strong>ngemeinden innerhalb der Landeskirche<br />

<strong>und</strong> organisierter <strong>Diakonie</strong> einfordern, befördert die Ebene der Landeskirche gemeinwesendiakonisches<br />

Denken <strong>und</strong> Handeln sowie in diesem Zusammenhang das Gelingen der<br />

kirchlich-diakonischen Zusammenarbeit.<br />

153<br />

Je nach Landeskirche bestehen auf diesen mittleren Instanzen engere <strong>und</strong> losere Verbindungen<br />

<strong>zwischen</strong> verfasster <strong>Kirche</strong> <strong>und</strong> organisierter <strong>Diakonie</strong>, etwa in gemeinsamen Gremien,<br />

direkter organisatorischer Anbindung regionaler Diakonischer Werke oder ähnlichem.<br />

Folglich sind dadurch Rahmenbedingungen gegeben, die ein Gelingen von<br />

<strong>Kooperationen</strong> <strong>zwischen</strong> organisierter <strong>Diakonie</strong> <strong>und</strong> verfasster <strong>Kirche</strong> mehr oder weniger<br />

fördern.<br />

154<br />

Häufig führen Diakonische Werke die diakonische Bestimmung aus, ohne dass es Verbindungen<br />

zu örtlichen <strong>Kirche</strong>ngemeinden gibt. Selbst wo helfendes Handeln als Gemeinde-<br />

oder Gemeinwesendiakonie in der Ortsgemeinde vorhanden ist, fehlt zumeist die<br />

Zusammenarbeit mit organisierter <strong>Diakonie</strong>, obwohl diese sowohl ihrem Wesen nach als<br />

auch organisationsbezogen Teil verfasster <strong>Kirche</strong> ist (vgl. Eurich 2018a: 54; Fichtmüller<br />

2019: 118f.; König & Maschke 2012: 162). Entsprechend fordert Moltmann eine »Diakonisierung<br />

der Gemeinde« (Moltmann 1989: 38), sodass sich <strong>Kirche</strong>ngemeinden verändern<br />

hin zu einer solidarischen Form des Hilfehandelns im unmittelbaren Sozialraum (vgl. Hofmann<br />

2016c: 224; Steinkamp 2012: 1). Wenngleich dies eine Stärkung <strong>und</strong> Verlebendigung<br />

der diakonischen Dimension von <strong>Kirche</strong>ngemeinden <strong>und</strong> damit der lokalen <strong>und</strong> kontextuellen<br />

Inkarnation der Bestimmung von <strong>Kirche</strong> bedeutet, stellt Schmidt fest, dass diese angesichts<br />

der »Pluralität der Unterstützungsbedarfe nicht aus[reiche]« (Schmidt 2016: 253)<br />

<strong>und</strong> entsprechend der Ergänzung durch professionell-organisierte <strong>Diakonie</strong> bedarf. Folglich<br />

stellen sozialraumorientierte <strong>Kirche</strong>ngemeinden angesichts ihrer diakonischen Dimension<br />

zugleich auf Ergänzung angewiesene <strong>und</strong> Ergänzung bietende potentielle Partnerinnen für<br />

organisierte <strong>Diakonie</strong> dar, die sich entsprechend ihrem Wesen als <strong>Kirche</strong> mit anderen nicht<br />

allein diakonisch engagieren, sondern vernetzte <strong>und</strong> kooperative Zusammenarbeit anstreben<br />

(vgl. Schmidt 2016: 254).<br />

155<br />

Die Synoden setzen sich je nach Landeskirche in unterschiedlicher Anzahl <strong>und</strong> Verhältnissen<br />

zusammen <strong>und</strong> bestimmen Gesetzgebung <strong>und</strong> gesamtkirchliche Entscheidungen


196<br />

5 Gemeinsamkeiten <strong>und</strong> Unterschiede von <strong>Diakonie</strong> <strong>und</strong> <strong>Kirche</strong><br />

wird deutlich, dass verfasste <strong>Kirche</strong> <strong>und</strong> organisierte <strong>Diakonie</strong> überwiegend eigenständig,<br />

aber auf unterschiedlichen Ebenen miteinander verknüpft agieren. Es<br />

bestehen organisationale sowie rechtliche Verflechtungen, <strong>und</strong> weil beide Akteurinnen<br />

flächendeckend vertreten sind, bestehen verschiedene Berührungspunkte.<br />

Gleichzeitig ist anzuerkennen, dass entgegen einer eingeforderten kirchlichdiakonischen<br />

Einheit gr<strong>und</strong>legende Differenzen <strong>zwischen</strong> beiden Akteurinnen bestehen,<br />

die »schwerpunktmäßig in unterschiedlichen gesellschaftlichen Systemen<br />

verankert sind« (Fichtmüller 2019: 210). Somit können die als Anknüpfungspunkte<br />

für gemeinsame <strong>Kooperationen</strong> dargestellten Verflechtungen ebenso als<br />

problematisch verstanden werden, wenn daraus eine unangemessene Verortung<br />

<strong>und</strong> Abhängigkeit der organisierten <strong>Diakonie</strong> von verfasster <strong>Kirche</strong> abgeleitet<br />

wird (vgl. Fichtmüller 2019: 125; Starnitzke 2011: 52). Diese Unterschiedlichkeiten<br />

werden auch im Vergleich der vorherigen Kapitel deutlich. Neben den gr<strong>und</strong>legenden<br />

Systemdifferenzen ist dies auch in der Verschiedenheit vielfältiger <strong>und</strong><br />

kontextueller <strong>Kirche</strong>ngemeinden <strong>und</strong> diakonischer Einrichtungen in ihren lokalen<br />

<strong>und</strong> regionalen Verortungen zu erkennen. Einerseits ist die diakonische Dimension<br />

in <strong>Kirche</strong>ngemeinden oft nur eine Randerscheinung, andererseits ist organisierte<br />

<strong>Diakonie</strong> bestimmt durch Professionalisierung <strong>und</strong> Wachstum, sodass<br />

beide Akteurinnen unterschiedliche Funktionen innehaben. Entsprechend ist ihr<br />

Verhältnis durch Fremdheit <strong>und</strong> gegenseitige Unkenntnis mitbestimmt, die wie<br />

folgt beschrieben wird: »gute Meinung voneinander --- wenig Wissen <strong>und</strong> Zusammenarbeit«<br />

(König & Maschke 2012: 162). Es herrschen nicht nur gegenseitige<br />

Unkenntnis <strong>und</strong> seit langem Defizite an Begegnungen, sondern mitunter beiderseitige<br />

Enttäuschungen, Vorurteile <strong>und</strong> Konkurrenzen (vgl. Degen 1994: 11; Fichtmüller<br />

2019: 118). 156 Deutlich wird diese gegenseitige Entfremdung auch in Fichtmüllers<br />

Analyse landeskirchlicher <strong>Kirche</strong>nordnungen <strong>und</strong> Satzungen diakon-<br />

<br />

der jeweiligen Landeskirche. Somit schaffen sie auf oberster Ebene Voraussetzungen für<br />

gemeinwesendiakonische <strong>Kooperationen</strong>. Diese bedürfen jedoch auf den weiteren Ebenen<br />

der kontextuellen Ausgestaltung <strong>und</strong> letztlich der konkreten, lokalen Umsetzung. Da Entscheidungen<br />

der Landessynode in der Regel top-down kommuniziert werden, trägt das gemeinwesendiakonische<br />

Selbstverständnis des verantwortlichen Personals dazu bei, ob synodale<br />

Entscheidungen (befördernd) weitergetragen werden. So ist etwa in Bezug auf<br />

landeskirchliche Förderprojekte festzustellen, dass diese in einigen Propsteien bzw. <strong>Kirche</strong>nkreisen<br />

stärker realisiert werden, während in anderen keine Projektanträge gestellt<br />

werden. Hierbei spielt das verantwortliche Personal auf mittlerer Ebene eine entscheidende<br />

Rolle (vgl. Dietz u. a. 2019: 16; EKHN 2020a). Wird etwa eine Projektausschreibung auf<br />

Sprengelebene nicht (ausreichend) kommuniziert, besteht eine Kommunikationslücke, die<br />

kirchengemeindliche Bewerbungen erschwert.<br />

156<br />

Interessant ist dabei, dass die umfangreiche Studie Vernetzte <strong>Kirche</strong>ngemeinden zu den<br />

Interaktionen <strong>und</strong> Netzwerken in <strong>Kirche</strong>ngemeinden verschiedenste sozialräumliche Kooperationspartner*innen<br />

betrachtet (u. a. andere <strong>Kirche</strong>n, Sport- <strong>und</strong> Kulturvereine, soziale<br />

Initiativen <strong>und</strong> die örtliche Caritas), Kontakte zu organisierter <strong>Diakonie</strong> jedoch ebenso unerwähnt<br />

bleiben wie fehlende Kontakte zur organisierten <strong>Diakonie</strong> (vgl. Roleder & Weyel<br />

2019: 161). Dies verdeutlicht das kirchlich-diakonische Miteinander als blinden Fleck in<br />

Praxis <strong>und</strong> Forschung.


5.3 Vergleich in praktisch-theologischer <strong>und</strong> soziologischer Perspektive 197<br />

ischer Unternehmen (vgl. Fichtmüller 2019: 162ff.), aus dem das Fazit gezogen<br />

werden kann: <strong>Diakonie</strong> berücksichtigt <strong>Kirche</strong> wenig, <strong>Kirche</strong> berücksichtigt <strong>Diakonie</strong><br />

wenig. 157 Fichtmüller selbst resümiert, dass einerseits verfasste <strong>Kirche</strong> überwiegend<br />

eine einseitige Binnenperspektive einnimmt, die gegenwärtiger diakonischer<br />

Komplexität nicht gerecht wird (vgl. Fichtmüller 2019: 170) <strong>und</strong><br />

andererseits »<strong>Diakonie</strong> […] für ihren unternehmerischen Auftrag die <strong>Kirche</strong> nicht<br />

mehr [braucht, sodass] <strong>Diakonie</strong> <strong>und</strong> <strong>Kirche</strong> […] nur marginal eine Einheit [sind]«<br />

(Fichtmüller 2019: 180). Auf Seiten diakonischer Einrichtungen stellt er fest, dass<br />

mit zunehmender Umsatzgröße eine höhere Distanz zu verfasster <strong>Kirche</strong> besteht<br />

(vgl. Fichtmüller 2019: 179). Dies ist für potentielle <strong>Kooperationen</strong> <strong>zwischen</strong> <strong>Kirche</strong>ngemeinden<br />

<strong>und</strong> Unternehmensdiakonie zu berücksichtigen. Andererseits gehören<br />

beide in der öffentlichen Wahrnehmung zusammen (vgl. Dietz 2013: 9).<br />

Für kirchlich-diakonische <strong>Kooperationen</strong> ist somit bei wechselseitigen Verflechtungen<br />

die Eigenständigkeit organisierter <strong>Diakonie</strong> ernstzunehmen, sodass durch<br />

Gemeinsamkeiten gegenseitige Anschlussfähigkeit <strong>und</strong> zugleich durch ihre Unterschiede<br />

mögliche Abgrenzungen, aber auch Ergänzungen bestehen (vgl. Eurich<br />

2019: 38; Hildemann 2008). Diesbezüglich ist der abnehmende Einfluss diakonischer<br />

Spitzenverbände wahrzunehmen, die bisweilen als kirchlich-diakonische<br />

Schnittstelle fungierten (vgl. Maaser 2013b: 43), nun aber durch neue Ansätze des<br />

Miteinanders zu ergänzen sind (vgl. Eurich 2018a: 54). Verfasste <strong>Kirche</strong> <strong>und</strong> organisierte<br />

<strong>Diakonie</strong> sind demnach auf verschiedenen Ebenen zugleich zusammengehörig<br />

<strong>und</strong> different.<br />

5.3 Vergleich in praktisch-theologischer <strong>und</strong><br />

soziologischer Perspektive<br />

Es wurde deutlich, dass verfasste <strong>Kirche</strong> <strong>und</strong> organisierte <strong>Diakonie</strong> für sich als<br />

komplexe Akteurinnen zu verstehen sind. Folglich bedarf es an dieser Stelle eines<br />

Vergleichs beider Akteurinnen als Vertiefung dieser Gemeinsamkeiten <strong>und</strong> Unterschiede,<br />

die sich in der Komplexität verschiedener kirchlicher bzw. diakonischer<br />

Logiken <strong>und</strong> Dimensionen zeigt. Gemäß dem Ansatz bei Hermelink <strong>und</strong> der<br />

<br />

157<br />

Fichtmüller stellt unter der Frage nach <strong>Diakonie</strong> in den Verfassungen aller evangelischen<br />

Landeskirchen fest, dass in zwei Verfassungen keinerlei Erwähnung der <strong>Diakonie</strong><br />

vorkommt, gerade in lutherischen Landeskirchen <strong>Diakonie</strong> nur wenig erwähnt wird <strong>und</strong><br />

die Verantwortung für das Verhältnis zu organisierter <strong>Diakonie</strong> mehrheitlich auf Gemeindeebene<br />

angesiedelt ist. Nur in neueren Verfassungen fusionierter Landeskirchen ist <strong>Diakonie</strong><br />

wesentlich angeführt, was zumindest kirchlicherseits auf die zukunftsweisende Option<br />

kooperativer Gemeinwesendiakonie verweist. In der Analyse unternehmensdiakonischer<br />

Satzungen stellt er fest, dass die sieben größten diakonischen Unternehmen sich<br />

nicht mit dem Verhältnis zu verfasster <strong>Kirche</strong> befassen, während in den Satzungen der acht<br />

weiteren Unternehmen zumindest die kirchliche Nähe genannt wird (vgl. Fichtmüller<br />

2019: 164ff.; 174ff.).


198<br />

5 Gemeinsamkeiten <strong>und</strong> Unterschiede von <strong>Diakonie</strong> <strong>und</strong> <strong>Kirche</strong><br />

Fokussierung dieser Arbeit sollen <strong>Kirche</strong>ngemeinden <strong>und</strong> diakonische Einrichtungen<br />

nun als Organisationen, Institutionen, Interaktionen <strong>und</strong> Inszenierungen<br />

miteinander verglichen <strong>und</strong> anschließend die verschiedenen kirchlichen <strong>und</strong> diakonischen<br />

Organisationstypen aufeinander bezogen werden. Dabei steht im Hintergr<strong>und</strong><br />

die Annahme, dass kirchlich-diakonische <strong>Kooperationen</strong> selbst insbesondere<br />

über organisationale <strong>und</strong> interaktionale Aspekte verfügen <strong>und</strong> als neue<br />

kirchliche <strong>und</strong> diakonische Formen zu verstehen sind.<br />

5.3.1 Diakonische Einrichtungen <strong>und</strong> <strong>Kirche</strong>ngemeinden als<br />

Organisationen<br />

Zunächst sollen beide Akteurinnen als Organisationen miteinander verglichen<br />

werden. Weil sowohl diakonische Einrichtungen als auch <strong>Kirche</strong>ngemeinden in<br />

hohem Maße durch organisationale Aspekte, also durch entscheidungsbezogene,<br />

gestaltbare Strukturen gekennzeichnet sind (vgl. Dietz 2013: 10). Je ähnlicher sie<br />

sich sind bzw. je mehr Gemeinsamkeiten gef<strong>und</strong>en werden, umso eher werden<br />

<strong>Kooperationen</strong> gelingen (vgl. Schmidt 2016: 259).<br />

Im diakoniewissenschaftlichen Diskurs der vergangenen Jahre zum Verhältnis<br />

von organisierter <strong>Diakonie</strong> <strong>und</strong> verfasster <strong>Kirche</strong> werden vor allen Dingen deren<br />

Unterschiede deutlich, sodass Ruschke bereits Ende der 1990er Jahre schreiben<br />

kann: »<strong>Diakonie</strong> hat Organisationsformen entwickelt, die mit denen der<br />

<strong>Kirche</strong> nicht mehr ohne weiteres kompatibel sind« (Ruschke 1998: 75). Die zunehmende<br />

Professionalisierung diakonischer Unternehmen <strong>und</strong> deren organisationale<br />

Entwicklung zu Sozialunternehmen führt zur Verschärfung dieser Differenzen<br />

(vgl. Fichtmüller 2019: 218; Schleifenbaum 2021: 247). So stellt auch Eurich<br />

die unterschiedlichen Organisationslogiken von diakonischen Einrichtungen <strong>und</strong><br />

<strong>Kirche</strong>ngemeinden heraus, die ein gegenseitiges Verstehen <strong>und</strong> die Kompatibilität<br />

dieser unterschiedlichen Organisationen erschwert (vgl. Eurich 2018a: 54f.). Auf<br />

diesem Hintergr<strong>und</strong> ist mit Fichtmüller zu resümieren, dass eine »Verkirchlichung<br />

der <strong>Diakonie</strong> aufgr<strong>und</strong> der unterschiedlichen Systemlogiken keine Lösung<br />

[darstellt]« (Fichtmüller 2019: 153) <strong>und</strong> es somit neuer Formen eines auch organisationalen<br />

Miteinanders bedarf. 158 Mit Verweis auf gr<strong>und</strong>legende geteilte Werte<br />

<br />

158<br />

Dazu bereits vor Einführung des Pflegeversicherungsgesetzes 1995 <strong>und</strong> der damit einhergehenden<br />

Steigerung der betriebswirtschaftlichen Professionalisierung organisierter<br />

<strong>Diakonie</strong> Jäger (1993: 18) <strong>und</strong> Lindner (1994: 323), die die organisationale Divergenz von<br />

<strong>Diakonie</strong> <strong>und</strong> <strong>Kirche</strong> bzw. deren Unvergleichbarkeit betonen, <strong>und</strong> später Wohlfahrt (2007:<br />

170), der auf die Herausforderung verweist, diese unterschiedlichen Organisationen weiterhin<br />

parallel organisieren zu wollen. Lindner stellt die Grenzen der Kirchlichkeit der <strong>Diakonie</strong><br />

fest, indem er gegenwärtige unternehmerische <strong>Diakonie</strong> nicht mit der kirchlichen<br />

<strong>Diakonie</strong> identifiziert (vgl. Lindner 1994: 323). Damit weist er allerdings nicht nur auf die<br />

verschiedenen Systemlogiken hin, sondern stellt ein Selbstverständnis der Abhängigkeit<br />

der organisierten <strong>Diakonie</strong> von verfasster <strong>Kirche</strong> dar, das weder theologischen noch soziologischen<br />

Ansprüchen standhält <strong>und</strong> statt der Entwicklung eines neuen, kooperativen


6 Gemeinwesendiakonie<br />

Nachdem gr<strong>und</strong>legende Aspekte von <strong>Kooperationen</strong> sowie die beiden Akteurinnen<br />

verfasste <strong>Kirche</strong> <strong>und</strong> organisierte <strong>Diakonie</strong> für sich <strong>und</strong> in ihrem kooperativen<br />

Miteinander betrachtet wurden, nimmt dieses Kapitel das Gemeinwesen als konkretes<br />

Handlungsfeld kirchlich-diakonischen Zusammenarbeit <strong>und</strong> die Gemeinwesendiakonie<br />

als entsprechende Strategie dieses Handelns in den Blick. Dabei<br />

werden zunächst Gr<strong>und</strong>lagen der Gemeinwesendiakonie ausgeführt, bevor bedeutsame<br />

Aspekte hinsichtlich der Forschungsfrage akzentuiert werden. Dazu<br />

werden die Begriffe Sozialraum als Handlungsfeld <strong>und</strong> Sozialraumorientierung als<br />

Handlungskonzept in Sozialer Arbeit <strong>und</strong> <strong>Diakonie</strong> sowie Armutsbekämpfung als<br />

eines der zentralen Ziele gemeinwesendiakonischen Handelns näher betrachtet.<br />

An die Darstellung historischer Entwicklungen der Gemeinwesendiakonie schließen<br />

sozialarbeiterische wie theologische Begründungen der Gemeinwesendiakonie<br />

an. Diese nehmen in der Reflexion gemeinsamer gemeinwesendiakonischer<br />

Selbstverständnisse in diesen <strong>Kooperationen</strong> eine zentrale Rolle für die Untersuchung<br />

ein. Daraufhin werden Vernetzung <strong>und</strong> Kooperation als Kernelemente der<br />

Gemeinwesendiakonie näher betrachtet, wobei <strong>Kooperationen</strong> von <strong>und</strong> <strong>zwischen</strong><br />

diakonischen Einrichtungen <strong>und</strong> <strong>Kirche</strong>ngemeinden expliziert werden. Als wichtiger<br />

Aspekt sowohl der Gemeinwesendiakonie <strong>und</strong> diakonisch-kirchlicher Zusammenarbeit<br />

wird anschließend die Bedeutung einzelner Akteur*innen unter<br />

dem Aspekt des Entrepreneurship erläutert, bevor eine Bestandsaufnahme zu den<br />

aktuellen Bedingungen <strong>und</strong> Entwicklungen in der Gemeinwesendiakonie erfolgt.<br />

Das Kapitel schließt mit einem Fazit zu relevanten Aspekten für <strong>Kooperationen</strong><br />

von organisierter <strong>Diakonie</strong> <strong>und</strong> verfasster <strong>Kirche</strong> im Kontext der Gemeinwesendiakonie.<br />

6.1 Gr<strong>und</strong>lagen der Gemeinwesendiakonie<br />

In der Begriffsbestimmung von Horstmann <strong>und</strong> Neuhausen wird Gemeinwesendiakonie<br />

gr<strong>und</strong>legend als kirchlich-diakonische Verantwortung für die Stadt umrissen<br />

(vgl. Horstmann & Neuhausen 2010: 1) --- wenngleich dadurch wesentliche


234<br />

6 Gemeinwesendiakonie<br />

Merkmale <strong>und</strong> das gemeinsame Handeln von verfasster <strong>Kirche</strong> <strong>und</strong> organisierter<br />

<strong>Diakonie</strong> deutlich werden, bedarf es im Folgenden einer genaueren Definition. In<br />

Bezug auf organisierte <strong>Diakonie</strong> als gemeinwesendiakonische Akteurin bedeutet<br />

Gemeinwesendiakonie eine sozialräumliche Ausrichtung etablierter Arbeitsfelder,<br />

wohingegen Gemeinwesendiakonie im Blick auf <strong>Kirche</strong>ngemeinden eine an<br />

den Lebenslagen der Quartiersbewohner*innen (Mikroebene) <strong>und</strong> dem Gemeinwesen<br />

(Mesoebene) orientierte Weiterentwicklung der Gemeindediakonie darstellt.<br />

Dabei steht der Ansatz der Gemeinwesendiakonie in der Tradition des Arbeitsprinzips<br />

der Gemeinwesenarbeit (vgl. Boulet u. a. 1980) <strong>und</strong> des Ansatzes der<br />

Sozialraumorientierung. Folglich kann sie als gemeinsame Strategie von verfasster<br />

<strong>Kirche</strong> <strong>und</strong> organisierter <strong>Diakonie</strong> in Bezug auf das Gemeinwesen beschrieben<br />

werden (vgl. Zellfelder 2010: 71). Ein wesentliches Handlungsprinzip der Gemeinwesendiakonie<br />

ist die Vernetzung <strong>und</strong> Kooperation verschiedener Akteur*innen<br />

im Quartier mit dem Ziel gerechter Teilhabe (Armutsbekämpfung) <strong>und</strong> Entwicklung<br />

im Quartier (vgl. EKD 2007: 12; Rausch 2015: 51), wobei im Sinne zivilgesellschaftlicher<br />

Aktivierung stets die Perspektive der Bewohner*innen zu berücksichtigen<br />

ist, um umfassende Beteiligung <strong>und</strong> Teilhabe als Selbstbestimmung<br />

sowie kollektive Einbindung <strong>und</strong> Verantwortung zu gewährleisten, wie es etwa im<br />

Kontext von enabling community176 <strong>und</strong> caring community177 skizziert wird (vgl.<br />

Haas & Treber 2009: 3ff.; Klie 2013: 16ff.). Entsprechend kann Gemeinwesendiakonie<br />

definiert werden als gemeinsames strategisches, helfendes <strong>und</strong> gestaltendes<br />

Handeln von verfasster <strong>Kirche</strong> <strong>und</strong> organisierter <strong>Diakonie</strong> sowie weiteren<br />

Partner*innen im Gemeinwesen mit dem Ziel struktureller Veränderung zur Verbesserung<br />

der Lebensverhältnisse --- insbesondere der Teilhabe --- der Bewohner*innen.<br />

Als sozialräumliches Handeln ist Gemeinwesendiakonie kein zusätzliches<br />

Arbeitsfeld, sondern eine am Willen der Bewohner*innen <strong>und</strong> deren<br />

Aktivierung interessierte Erweiterung bestehender Handlungsbereiche, die sich<br />

an vorhandenen Ressourcen orientiert, zielgruppen- <strong>und</strong> bereichsübergreifend arbeitet<br />

<strong>und</strong> sich als vernetztes Agieren versteht. Für die beteiligten Akteur*innen<br />

bedeutet dies eine Veränderung gewohnter Handlungslogiken, in dessen Rahmen<br />

kirchlich-diakonische <strong>Kooperationen</strong> eine besondere Rolle einnehmen.<br />

<br />

176<br />

Wenngleich sich das Konzept der enabling community vorrangig auf den Kontext der<br />

Inklusion <strong>und</strong> die Rechte von Menschen mit Behinderung bezieht (vgl. UN 2018), sind hier<br />

gr<strong>und</strong>legende Aspekte der Perspektive der Bewohner*innen abgebildet, wie sie in der Gemeinwesendiakonie<br />

zu verwirklichen sind. Auf Gr<strong>und</strong>lage eines menschenrechtsbasierten<br />

Ansatzes werden Bedarfe wie Ressourcen aus der Sicht der Betroffenen <strong>und</strong> Bewohner*innen<br />

als Co-Produzierende einbezogen (vgl. Lob-Hüdepohl & Eurich 2019: 5).<br />

177<br />

Der Ansatz der caring community betont dabei insbesondere die gemeinsame, gesellschaftliche<br />

<strong>und</strong> gemeinwesenbezogene Verantwortungsübernahme --- insbesondere im<br />

Kontext älterer Menschen --- in der Entwicklung innovativer Formen des multiprofessionellen<br />

Miteinanders von Betroffenen, Bewohner*innen, Freiwilligen <strong>und</strong> Professionellen <strong>und</strong><br />

ist damit explizit anschlussfähig an gemeinwesendiakonisches Handeln (vgl. Klie 2013:<br />

19f.).


6.1 Gr<strong>und</strong>lagen der Gemeinwesendiakonie 235<br />

6.1.1 Gemeinwesenarbeit <strong>und</strong> Sozialraumorientierung<br />

Um den Begriff der Gemeinwesendiakonie näher zu umreißen, bedarf es der genaueren<br />

Betrachtung der genannten Aspekte, beginnend mit den Begriffen der<br />

Gemeinwesenarbeit, des Sozialraums <strong>und</strong> der Sozialraumorientierung. Zur Einordnung<br />

dieser Begriffe ist die Auseinandersetzung mit einem Fachdiskurs innerhalb<br />

der Sozialen Arbeit seit den 1960er Jahren sinnvoll, als die integrative Gemeinwesenarbeit<br />

durch Murray G. Ross als dritte Methode --- neben der<br />

Einzelfallhilfe <strong>und</strong> der Gruppenarbeit --- Eingang in den Soziale Arbeit in Nachkriegsdeutschland<br />

findet. In der Folge kommt es in der Politisierung der Gemeinwesenarbeit<br />

zunächst in den USA, später in Deutschland zu einer aggressiven Gemeinwesenarbeit,<br />

sodass der Begriff hauptsächlich für politische Stadtteilarbeit<br />

verwendet wird (vgl. Noack 1999: 16). Daraufhin folgt einerseits ein Rückgang der<br />

Gemeinwesenarbeit, andererseits findet der Begriff der Gemeinwesenarbeit nun<br />

als bereichsübergreifendes Arbeitsprinzip für alle Arbeitsfelder der Sozialen Arbeit<br />

(zweite, neuere Verwendungsweise in den 1980er Jahren) Eingang in den<br />

Fachdiskurs (vgl. Hinte 2010: 29). 178 In dieser neueren Verwendungsweise orientiert<br />

sich Gemeinwesenarbeit als Arbeitsprinzip maßgeblich an den von Oelschlägel<br />

formulierten handlungsleitenden Prinzipien der Gemeinwesenarbeit, von denen<br />

insbesondere die sozialräumliche Strategie zur Verbesserung der Lebensverhältnisse<br />

sowie die Betonung von Vernetzung <strong>und</strong> Kooperation für diese Arbeit<br />

von besonderer Bedeutung sind (vgl. Oelschlägel 2007: 30ff.). 179<br />

In den 1990er Jahren wurde mit dem Begriff der Sozialraumorientierung ein<br />

neuer Begriff eingeführt, wobei Sozialraumorientierung im Anschluss an das Arbeitsprinzip<br />

Gemeinwesenarbeit als Fachkonzept verstanden wird. Dabei wurden<br />

die Arbeitsprinzipien der Gemeinwesenarbeit übernommen <strong>und</strong> weiterentwickelt<br />

<strong>und</strong> lauten: (1) Wille der Menschen als Ausgangspunkt, (2) Vorrang von aktivierender<br />

vor betreuender Arbeit, (3) personale <strong>und</strong> sozialräumliche Ressourcenorientierung,<br />

(4) zielgruppen- <strong>und</strong> bereichsübergreifende Aktivitäten sowie (5) Vernetzung<br />

verschiedener Akteure (vgl. Hinte & Treeß 2014: 45). Insofern ist das<br />

Konzept der Sozialraumorientierung im Anschluss an die zwei Dimensionen des<br />

Begriffs Sozialraum (geografisch <strong>und</strong> lebensweltlich) auch auf dem Hintergr<strong>und</strong><br />

des Ansatzes der Lebensweltorientierung <strong>und</strong> als Ergebnis der Entwicklung der<br />

Gemeinwesenarbeit in den 1980er Jahren zu verstehen. Sozialraumorientierung<br />

realisiert sich somit in Abgrenzung zur älteren Gebrauchsweise der Gemeinwesenarbeit<br />

in verschiedenen Feldern der Sozialen Arbeit (vgl. Hinte 2010: 30).<br />

Bei der Auseinandersetzung mit dem Begriff der Gemeinwesendiakonie ist<br />

das gr<strong>und</strong>legende Verständnis der Entwicklung von Gemeinwesenarbeit <strong>und</strong><br />

<br />

178<br />

Wenn nicht anders gekennzeichnet, wird diese zweite Verwendungsweise der Gemeinwesenarbeit<br />

als Arbeitsprinzip in dieser Arbeit genutzt.<br />

179<br />

Als weitere handlungsleitende Prinzipien oder Kriterien der Gemeinwesenarbeit nennt<br />

Oelschlägel Lebensweltorientierung, Zielgruppenübergreifendes Handeln, Aktivierung,<br />

Ressourcenorientierung <strong>und</strong> -nutzung, politischen Anspruch sowie methodenübergreifende<br />

Arbeit <strong>und</strong> Interdisziplinarität (vgl. Oelschlägel 2007: 30ff.).


236<br />

6 Gemeinwesendiakonie<br />

Sozialraumorientierung sowie deren Gemeinsamkeiten <strong>und</strong> Unterschiede bedeutsam.<br />

Während Sozialraumorientierung eher von der Person her zum Sozialraum<br />

denkt, geht Gemeinwesenarbeit gerade andersherum vom Sozialraum zur Person<br />

vor. In Bezug auf die Forschungsfrage dieser Arbeit bedarf das Handlungsprinzip<br />

der Vernetzung <strong>und</strong> Kooperation genauerer Betrachtung. Außerdem stellt sich die<br />

Frage nach dem politischen Anspruch sozialraumorientierten Handelns. Auch<br />

wenn Oelschlägel betont, dass Gemeinwesenarbeit immer politisch sei, so kann<br />

der Rückgang ihrer Politisierung in den 1980er Jahren <strong>und</strong> die aktuelle Herausforderung<br />

der Re-Politisierung nicht geleugnet werden (vgl. Oelschlägel 2011: 66).<br />

Diese Diskussion spielt gerade auch in kirchlich-diakonischen <strong>Kooperationen</strong> eine<br />

wichtige Rolle bei der Frage nach politischer Lobbyarbeit <strong>und</strong> sollte daher auch<br />

Eingang in die empirische Untersuchung finden.<br />

6.1.2 Armutsbekämpfung im Kontext von Gemeinwesendiakonie<br />

Häufig wird Gemeinwesendiakonie als Strategie der Armutsbekämpfung beschrieben<br />

(vgl. Benedict 2010: 55; EKD 2007: 12), gerade weil Armutsbekämpfung als<br />

Ermöglichung von gesellschaftlicher Teilhabe elementar für den Ansatz der Gemeinwesendiakonie<br />

ist. Demzufolge bedarf es der Klärung des Begriffs Armut, bevor<br />

die Bekämpfung von Armut fokussiert wird. Gr<strong>und</strong>sätzlich ist <strong>zwischen</strong> absoluter<br />

<strong>und</strong> relativer Armut zu unterscheiden. Während absolute Armut in<br />

Deutschland eine vergleichsweise untergeordnete Rolle spielt, 180 sind knapp 16 %<br />

der Bevölkerung in der BRD von relativer Armut betroffen (vgl. BMAS 2021: 46).<br />

Unter relativer Armut werden dabei die im Vergleich zum Reichtum einer Gesellschaft<br />

geringeren zur Verfügung stehenden Mittel einer Person verstanden, wobei<br />

neben materieller Versorgung auch kulturelle <strong>und</strong> soziale Bedürfnisse der Menschen<br />

einbezogen werden. 181<br />

Ebenso wie die Gründe für Armut (niedrige Löhne, persönliche Schicksale<br />

uvm.) sind die Folgen von Armut vielfältig. Gerade Altersarmut <strong>und</strong> die zunehmende<br />

Armut von Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen sowie Alleinerziehenden sind in diesem<br />

Zusammenhang von erhöhtem Interesse (vgl. Becker 2016: 241; Butterwegge<br />

2012: 87---92). Allerdings greift eine Reduzierung des Armutsbegriffs auf ökonomische<br />

Aspekte zu kurz. Armut umfasst mehr als den Mangel an finanziellen Mitteln<br />

oder materiellen Ressourcen. So ist mit Blick auf Bourdieus Unterscheidung<br />

<strong>zwischen</strong> ökonomischem, kulturellem <strong>und</strong> sozialem Kapital über materielle Armut<br />

hinaus zumindest <strong>zwischen</strong> kultureller (z. B. Bildungsarmut), sozialer (z. B.<br />

<br />

180<br />

Von absoluter Armut, nach der Definition der Weltbank, als der Verfügbarkeit von weniger<br />

als 1,90 US$ pro Tag <strong>und</strong> entsprechend mit existenziellem Leid einhergehend (vgl. UN<br />

2017: 16), ist in Deutschland etwa in Bezug auf Wohnungslosigkeit zu sprechen.<br />

181<br />

Entsprechend wurde in der EU ein Einkommen von weniger als 60 % des Einkommensmedians<br />

als Armutsrisikogrenze hin zu relativer Armut festgelegt. Relative Armut ist folglich<br />

relational zum Wohlstand einer Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit zu verstehen<br />

(vgl. Arbeitskreis Armutsforschung 2017: 151f.).


6.1 Gr<strong>und</strong>lagen der Gemeinwesendiakonie 237<br />

Vereinsamung) <strong>und</strong> spiritueller Armut (z. B. Hoffnungslosigkeit <strong>und</strong> geschwächtes<br />

Selbstkonzept) zu differenzieren (vgl. Eurich 2011: 14; Huster 2016: 201).<br />

Dementsprechend wird Armut mittlerweile häufig als Ausgrenzung, Ohnmacht<br />

<strong>und</strong> Mangel an Teilhabe am gesellschaftlichen Leben beschrieben (vgl. Arbeitsgruppe<br />

Armutsforschung 2017: 152; EKD 2006a: 16; Gütter & Hein 2016: 84).<br />

Folglich setzt Armutsbekämpfung nicht ausschließlich an finanziellen Aspekten<br />

an, sondern fokussiert in erster Linie die Verbesserung gesellschaftlicher Teilhabechancen<br />

--- sowohl individuell als auch strukturell. Hinsichtlich der Bekämpfung<br />

von Armut wird außerdem <strong>zwischen</strong> Armutsprävention, Armutslinderung<br />

<strong>und</strong> Armutsüberwindung unterschieden (vgl. Becker 2016: 250; Dietz 2015: 33).<br />

In Bezug auf das Konzept der Sozialraumorientierung sind in diesem Zusammenhang<br />

das Ziel der Verbesserung der Lebensbedingungen <strong>und</strong> die Prinzipien der<br />

Aktivierung <strong>und</strong> Ressourcenorientierung gr<strong>und</strong>legend für die Ermöglichung von<br />

Teilhabe. Im Anschluss an die diakonische Bestimmung von <strong>Kirche</strong> kann somit<br />

Teilhabeermöglichung als Auftrag für verfasste <strong>Kirche</strong> <strong>und</strong> organisierte <strong>Diakonie</strong><br />

gelten (vgl. EKD 2006a: 15), die sich im konkreten Kontext des Gemeinwesens<br />

realisiert. Folglich finden gemeinwesendiakonische Projektausschreibungen <strong>und</strong><br />

Strategieentwicklung immer wieder im kirchlichen Diskurs zu Armut <strong>und</strong> Teilhabe<br />

statt. Dementsprechend ist Armutsbekämpfung häufig als Zielorientierung<br />

in gemeinwesendiakonischen <strong>Kooperationen</strong> auszumachen. Diesbezüglich verfügen<br />

sowohl organisierte <strong>Diakonie</strong> als auch verfasste <strong>Kirche</strong> über spezifische Ressourcen,<br />

Potentiale aber auch Defizite. Außerdem bedarf es der Klärung hinsichtlich<br />

der jeweiligen Selbstverständnisse im Zusammenhang mit der Thematik der<br />

Armutsbekämpfung, die aufgr<strong>und</strong> der organisationalen Unterschiede in organisierter<br />

<strong>Diakonie</strong> <strong>und</strong> verfasster <strong>Kirche</strong> voneinander divergieren, wenngleich sich<br />

gr<strong>und</strong>sätzliche Gemeinsamkeiten finden lassen. 182<br />

<br />

182<br />

Zu struktureller Armutsbekämpfung gehört auch ein globaler Blick auf die Herausforderungen<br />

in liquider Moderne, die gegenwärtige <strong>und</strong> zukünftige Themen von Armut, Gerechtigkeit<br />

<strong>und</strong> Teilhabe betreffen (z. B. Klimawandel, nachhaltiges Wirtschaften). Gemeinwesendiakonie<br />

trägt dazu bei, innovative Aspekte des aktuellen Diskurses verschiedener<br />

Disziplinen lokal zu implementieren --- als exemplarischer Erprobungsraum in Form von<br />

Projekten <strong>und</strong> großflächig als strategische Ausrichtung. Dazu gehört etwa auch der Umgang<br />

mit nachhaltigen Rohstoffen im Bausektor (etwa bei der Schaffung sozialverträglichen<br />

Wohnraums) oder die Förderung des lokalen Bewusstseins für Lieferketten zur Bekämpfung<br />

moderner Formen von Sklaverei im Sinne des strukturellen Ineinanders von lokaler<br />

<strong>und</strong> globaler Ungerechtigkeit bzw. Armutsbekämpfung. Gerade in ländlichen Räumen stellt<br />

sich für verfasste <strong>Kirche</strong> als Landbesitzerin etwa die Frage nach ihrer Verantwortung für<br />

die Förderung nachhaltigen Lebensmittelanbaus. Dabei treten verfasste <strong>Kirche</strong> <strong>und</strong> organisierte<br />

<strong>Diakonie</strong> als Agentinnen für Gerechtigkeit <strong>und</strong> Schöpfungsverantwortung auf (vgl.<br />

ÖRK 1990: 16), die ihren Vertrauensvorschuss <strong>und</strong> ihre sozialräumlichen Interaktionen<br />

nutzen, um zukunftsfähige Quartiere als Teil lokaler, regionaler <strong>und</strong> globaler Zusammenhänge<br />

zu gestalten. Angesichts unterschiedlicher marktlicher, staatlicher <strong>und</strong> zivilgesellschaftlicher<br />

Stakeholder im Gemeinwesen wie in <strong>Kirche</strong>ngemeinden selbst, stellt dies eine


<strong>Daniel</strong> <strong>Wegner</strong>, Jahrgang 1987, studierte Interkulturelle Theologie<br />

an der University of South Africa (UNISA) in Pretoria<br />

<strong>und</strong> <strong>Diakonie</strong>wissenschaften an der Ruprecht-Karls-Universität<br />

in Heidelberg. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter an<br />

der Hochschule Hannover war er von 2017 bis 2022 an Forschungsprojekten<br />

zum Thema Gemeinwesendiakonie beteiligt.<br />

Seit 2022 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der<br />

CVJM Hochschule in Kassel.<br />

Der umfangreiche Anhang zu diesem Band ist auf der Homepage der<br />

Evangelischen Verlagsanstalt GmbH (www.eva-leipzig.de) abrufbar.<br />

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek<br />

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der<br />

Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten<br />

sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.<br />

© 2023 by Evangelische Verlagsanstalt GmbH · Leipzig<br />

Printed in Germany<br />

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.<br />

Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne<br />

Zustimmung des Verlags unzulässig <strong>und</strong> strafbar. Das gilt insbesondere für<br />

Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen <strong>und</strong> die Einspeicherung<br />

<strong>und</strong> Verarbeitung in elektronischen Systemen.<br />

Das Buch wurde auf alterungsbeständigem Papier gedruckt.<br />

Cover: Kai-Michael Gustmann, Leipzig<br />

Satz: <strong>Daniel</strong> <strong>Wegner</strong>, Marburg<br />

Druck <strong>und</strong> Binden: Hubert & Co, Göttingen<br />

ISBN 978-3-374-07402-0 // eISBN (PDF) 978-3-374-07403-7<br />

www.eva-leipzig.de

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