familie&co 02/2024
Das Leben mit Kindern ist schön – und Familie ist das größte Abenteuer des Lebens! Keine andere Familienzeitschrift vermittelt eine so konsequente Botschaft wie FAMILIE&CO.
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familie&erziehung<br />
interview<br />
„Elternliebe<br />
verändert sich“<br />
Dr. Carola Bindt, Ärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie<br />
und -psychotherapie am Universitätsklinikum Eppendorf<br />
in Hamburg, zum Thema ungleiche Elternliebe<br />
familie&<strong>co</strong>: Ist es normal, dass man seine<br />
Kinder nicht immer gleich liebt?<br />
Dr. Carola Bindt: Grundsätzlich ja. Es kommt durchaus vor, dass<br />
man sich einem Kind zeitweise näher fühlt. Solange es sich dabei<br />
nur um Phasen handelt, die sich im besten Falle zwischen den<br />
Geschwistern abwechseln, ist das in der Regel aber kein Problem.<br />
Das wird es erst, wenn daraus eine systematische und andauernde<br />
Bevorzugung eines Kindes wird.<br />
Welche Faktoren beeinflussen die elterliche Liebe?<br />
Das hat oft mehr mit den Eltern als mit den Kindern zu tun. Man<br />
findet in seinen Kindern Eigenschaften und Charakterzüge wieder,<br />
die man mehr oder weniger schätzt. Auch der Zeitpunkt der<br />
Entstehung spielt häufig eine Rolle. Wenn das Kind in einer glücklichen<br />
Phase der Beziehung geboren wurde, haben die Eltern –<br />
zumindest unbewusst – vermutlich positivere Gefühle für dieses<br />
Kind als für eines, das in einer weniger glücklichen Phase gezeugt<br />
wurde.<br />
Was bedeutet es für ein Kind, wenn es spürt: Meine Eltern<br />
mögen meinen Bruder/meine Schwester mehr als mich?<br />
Es ist eine ständige Frustration und führt zu starken<br />
Selbstzweifeln.<br />
Wie fühlt sich das bevorzugte Kind?<br />
Es ist keineswegs unbedingt in der besseren Situation. Die Anerkennung<br />
und große Zuneigung der Eltern steigern zwar das<br />
Selbst bewusstsein, aber so ein Kind muss manchmal auch einen<br />
großen Erwartungsdruck aushalten. Es hat dann weniger Spielraum,<br />
sich zu entfalten. Unter Umständen entwickelt es auch ein<br />
unrealistisches Selbstbild, will stets dominieren, ist leicht kränkbar<br />
und kann Niederlagen schwerer verkraften.<br />
Wie fühlen sich die Eltern dabei?<br />
Viele Eltern leiden darunter, wenn sie merken, dass sie eines ihrer<br />
Kinder bevorzugen. Sie haben den Anspruch, alle gleich zu lieben.<br />
Aber das lässt sich eben nicht immer vollständig umsetzen.<br />
Elternliebe ist nichts Statisches, das von Geburt an da ist und immer<br />
unverändert bleibt.<br />
Wie können Eltern mit ungleicher Liebe am besten umgehen?<br />
Sie können ihre Gefühle reflektieren, dem ferneren Kind viel Aufmerksamkeit<br />
schenken und versuchen, es immer wieder in einem<br />
neuen Licht zu sehen. Ganz wichtig ist es, im Alltag Gerechtigkeit<br />
walten zu lassen und eine offene Bevorzugung zu vermeiden.<br />
Und wenn Eltern das Gefühl haben, mit der Situation gar nicht<br />
klarzukommen, sollten sie sich in einer Beratung Hilfe holen.<br />
herausbekommen, dass beide Parteien<br />
recht haben könnten. Denn im Lauf<br />
der Jahre summieren sich die Zuwendungen,<br />
welche die Kinder erhalten,<br />
nach ihrem Platz in der Geschwisterfolge.<br />
Das Ergebnis: Der „Kontostand“<br />
der Kinder wächst verschieden<br />
hoch an. Erstgeborene müssen die ersten<br />
Jahre nicht teilen. Güns tig wird die<br />
Bilanz auch für die Allerjüngsten, aber<br />
erst am Ende ihrer Jugendzeit: Wenn<br />
die älteren Geschwister aus dem Haus<br />
sind, profitieren sie von den ungeteilten<br />
Ressourcen im Elternhaus. Rein<br />
rechnerisch ergibt sich also ein Nachteil<br />
für mittlere Kinder.<br />
Ausgleichende Gerechtigkeit<br />
Aber können Eltern etwas tun, um die<br />
absolute Gerechtigkeit herzustellen?<br />
Nein, denn die kann es nicht geben.<br />
Nur ein Kind kann das Älteste sein,<br />
nur eines das Jüngs te. Aber zum Glück<br />
gibt es ja so etwas wie ausgleichende<br />
Gerechtigkeit. So müssen die Erstgeborenen<br />
das sogenannte Entthronungstrauma<br />
durchstehen, nicht mehr die<br />
Einzigen in Mamas und Papas Herzen<br />
zu sein, und von Stund an Zuwendung,<br />
Zeit und Zärtlichkeit mit einem<br />
schrumpeligen Wesen teilen, mit dem<br />
sich noch nicht mal viel anfangen lässt.<br />
Und der „Kleine“ zu sein, hat durchaus<br />
Vorteile: Die Eltern sind entspannter, erfahrener<br />
und geduldiger. Untersuchungen<br />
haben zwar ergeben, dass Eltern<br />
mit ihren zweitgeborenen Babys nicht<br />
mehr so viel sprechen wie mit dem<br />
ersten. Aber dafür quasseln die großen<br />
Brüder und Schwestern wie ein Wasserfall<br />
auf die Kleinen ein. Die Jüngeren<br />
profitieren aber nicht nur sprachlich<br />
von ihren älteren Geschwistern. Noch<br />
ein Grund, sie von Herzen zu lieben –<br />
auch wenn sie einem manchmal auf den<br />
Keks gehen. Aber so ist das nun mal<br />
unter Geschwistern!<br />
FOTOS: YUGORO, ROMRODINKA, SILIVONOCHKA: ISTOCK (3)<br />
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