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magazin für das leben in lüneburg kostenlos juni - Quadrat

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EINE GESCHICHTE AUS DER SCHREIBWERKSTATT LÜNEBURGER AUTOREN<br />

UND AUTORINNEN „DIE WORTMÄLZER“<br />

Der Silbermann<br />

VON ASTRID HORJEN-SCHRAY<br />

E<strong>in</strong> alter Mann geht durch den Wald, e<strong>in</strong>e Axt <strong>in</strong> der Hand. Er sucht e<strong>in</strong>en ganz bestimmten Stamm.<br />

Vor zehn Jahren hat er ihn schon geschält. Der Stamm muss jetzt durch und durch getrocknet se<strong>in</strong>.<br />

Es wird Nacht. Es wird Tag.<br />

Da fi ndet er ihn, trocken und silbern, auf e<strong>in</strong>er Anhöhe zwischen bemoosten Felsen. Die Sonne hoch<br />

am Himmel. Bis der Stamm krachend auf den Felsen stürzt, schlägt der Mann immer wieder oberhalb<br />

des Wurzelballens mit se<strong>in</strong>er Axt zu. Er hebt ihn an, hievt ihn auf se<strong>in</strong>e Schulter, w<strong>in</strong>kelt den<br />

rechten Arm um ihn und sagt: „So ist es gut. Jetzt geh’n wir heim. So ist es gut“.<br />

In der L<strong>in</strong>ken trägt er die Axt, noch glänzend vom Schliff. So geht er, ohne Rast, den ganzen Tag.<br />

Es wird Nacht.<br />

Am nächsten Morgen sieht er <strong>das</strong> Tal, wo se<strong>in</strong> Haus und se<strong>in</strong> Schuppen stehen. Mittags, die Sonne<br />

hat ihren höchsten Stand, kommt er heim, stellt den Stamm behutsam gegen die Schuppenwand,<br />

geht zum Brunnen mitten auf dem Hof und holt Wasser aus der Tiefe mit e<strong>in</strong>em verbeulten Eimer.<br />

Gierig taucht er se<strong>in</strong> Gesicht <strong>in</strong> <strong>das</strong> Nass, <strong>das</strong> nach Moos und Eisen schmeckt. Er setzt sich h<strong>in</strong>,<br />

lehnt sich gegen den Brunnen, Wasser tropft vom Haar auf‘s Hemd. Er schaut h<strong>in</strong>über zum Stamm<br />

und der Stamm betrachtet auch ihn.<br />

„So ist es gut“, sagt der ergraute Mann. „So ist es gut“, sagt er und nickt zum Baumstamm h<strong>in</strong>.<br />

Dieser erzählt ihm von den zehn Jahren, nackt, e<strong>in</strong>sam dem W<strong>in</strong>d und Wetter ausgesetzt. Und der<br />

Mann erzählt ihm von se<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>samkeit bis zu diesem Tag.<br />

Ausgeruht nimmt der Alte den Stamm <strong>in</strong> den Arm und geht mit ihm aus der Sonne <strong>in</strong> den Schuppen<br />

h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>.<br />

Dunkel, sehr dunkel ist es dort dr<strong>in</strong>nen. Durch e<strong>in</strong> mattes Fenster strömt schwaches Licht, <strong>das</strong> den<br />

Stamm <strong>in</strong> der Dämmerung erhellt. Der Mann holt se<strong>in</strong> Schnitzmesser, beg<strong>in</strong>nt leise murmelnd dem<br />

Holz e<strong>in</strong> Gesicht zu geben. Harzgeruch streicht durch den Raum. Splitter graben sich <strong>in</strong> die F<strong>in</strong>ger<br />

des Mannes. Nun unterhalten sie sich − der Stamm und der Mann. Drei Wochen und vier Tage unterhalten<br />

sie sich und freunden sich an. Die Sonne steht hoch am Himmel. Sie treten aus dem<br />

Schuppen, der Mann und der Stamm. Behutsam stellt der Alte se<strong>in</strong>en Freund gegen die Schuppenwand,<br />

setzt sich wieder am Brunnen h<strong>in</strong>. Lange schauen sie sich schweigend an, der Mann und der<br />

Mann im Stamm. Se<strong>in</strong> Mantel glänzt silbrig <strong>in</strong> der Sonne. E<strong>in</strong> Salamander huscht vom glatten Ste<strong>in</strong>.<br />

In der Ferne pfeift e<strong>in</strong> Zug.<br />

Der Tag vergeht. Das graue Haar des Alten glänzt silbrig im fl achen Sche<strong>in</strong> der Abendsonne. Sie<br />

schauen sich an, der Mann und der Mann im Stamm. Der Mann am Brunnen schließt die Augen,<br />

schläft e<strong>in</strong>. Der am Schuppen schaut zu und wacht. E<strong>in</strong>e Eule fl iegt über den Hof, setzt sich auf<br />

den First.<br />

Es wird Morgen. Es wird Tag.<br />

Hoch steht die Sonne am Himmel. E<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d kommt daher, fi ndet den Großvater am Brunnen im tie-<br />

fen Schlaf, sieht den Mann an der Schuppenwand, geht langsam ganz nah zu ihm h<strong>in</strong>, streichelt<br />

des Mannes Hand, drückt ihm <strong>das</strong> Ohr an die Brust, hört es leise, regelmäßig klopfen, läuft zur<br />

Mutter und ruft: „Mutter, der Silbermann dort am Schuppen − ich habe se<strong>in</strong> Herz klopfen hören!“

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