FOTOS: ENNO FRIEDRICH Frisurenhaus Breu er 80 quadrat 06 / 2010 � kurzgeschichte Individuell gepfl egte Köpfe! Frisurenhaus Breuer · Auf dem Kauf 18 21335 Lüneburg · Tel. 04131 408308 Wir s<strong>in</strong>d <strong>für</strong> Sie da: Mo – Fr: 9.00 – 18.00 Uhr Do: 9.00 – 20.00 Uhr Jeder ersten Samstag im Monat: 9.00 – 12.00 Uhr EINE GESCHICHTE AUS DER SCHREIBWERKSTATT LÜNEBURGER AUTOREN UND AUTORINNEN „DIE WORTMÄLZER“ Der Silbermann VON ASTRID HORJEN-SCHRAY E<strong>in</strong> alter Mann geht durch den Wald, e<strong>in</strong>e Axt <strong>in</strong> der Hand. Er sucht e<strong>in</strong>en ganz bestimmten Stamm. Vor zehn Jahren hat er ihn schon geschält. Der Stamm muss jetzt durch und durch getrocknet se<strong>in</strong>. Es wird Nacht. Es wird Tag. Da fi ndet er ihn, trocken und silbern, auf e<strong>in</strong>er Anhöhe zwischen bemoosten Felsen. Die Sonne hoch am Himmel. Bis der Stamm krachend auf den Felsen stürzt, schlägt der Mann immer wieder oberhalb des Wurzelballens mit se<strong>in</strong>er Axt zu. Er hebt ihn an, hievt ihn auf se<strong>in</strong>e Schulter, w<strong>in</strong>kelt den rechten Arm um ihn und sagt: „So ist es gut. Jetzt geh’n wir heim. So ist es gut“. In der L<strong>in</strong>ken trägt er die Axt, noch glänzend vom Schliff. So geht er, ohne Rast, den ganzen Tag. Es wird Nacht. Am nächsten Morgen sieht er <strong>das</strong> Tal, wo se<strong>in</strong> Haus und se<strong>in</strong> Schuppen stehen. Mittags, die Sonne hat ihren höchsten Stand, kommt er heim, stellt den Stamm behutsam gegen die Schuppenwand, geht zum Brunnen mitten auf dem Hof und holt Wasser aus der Tiefe mit e<strong>in</strong>em verbeulten Eimer. Gierig taucht er se<strong>in</strong> Gesicht <strong>in</strong> <strong>das</strong> Nass, <strong>das</strong> nach Moos und Eisen schmeckt. Er setzt sich h<strong>in</strong>, lehnt sich gegen den Brunnen, Wasser tropft vom Haar auf‘s Hemd. Er schaut h<strong>in</strong>über zum Stamm und der Stamm betrachtet auch ihn. „So ist es gut“, sagt der ergraute Mann. „So ist es gut“, sagt er und nickt zum Baumstamm h<strong>in</strong>. Dieser erzählt ihm von den zehn Jahren, nackt, e<strong>in</strong>sam dem W<strong>in</strong>d und Wetter ausgesetzt. Und der Mann erzählt ihm von se<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>samkeit bis zu diesem Tag. Ausgeruht nimmt der Alte den Stamm <strong>in</strong> den Arm und geht mit ihm aus der Sonne <strong>in</strong> den Schuppen h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>. Dunkel, sehr dunkel ist es dort dr<strong>in</strong>nen. Durch e<strong>in</strong> mattes Fenster strömt schwaches Licht, <strong>das</strong> den Stamm <strong>in</strong> der Dämmerung erhellt. Der Mann holt se<strong>in</strong> Schnitzmesser, beg<strong>in</strong>nt leise murmelnd dem Holz e<strong>in</strong> Gesicht zu geben. Harzgeruch streicht durch den Raum. Splitter graben sich <strong>in</strong> die F<strong>in</strong>ger des Mannes. Nun unterhalten sie sich − der Stamm und der Mann. Drei Wochen und vier Tage unterhalten sie sich und freunden sich an. Die Sonne steht hoch am Himmel. Sie treten aus dem Schuppen, der Mann und der Stamm. Behutsam stellt der Alte se<strong>in</strong>en Freund gegen die Schuppenwand, setzt sich wieder am Brunnen h<strong>in</strong>. Lange schauen sie sich schweigend an, der Mann und der Mann im Stamm. Se<strong>in</strong> Mantel glänzt silbrig <strong>in</strong> der Sonne. E<strong>in</strong> Salamander huscht vom glatten Ste<strong>in</strong>. In der Ferne pfeift e<strong>in</strong> Zug. Der Tag vergeht. Das graue Haar des Alten glänzt silbrig im fl achen Sche<strong>in</strong> der Abendsonne. Sie schauen sich an, der Mann und der Mann im Stamm. Der Mann am Brunnen schließt die Augen, schläft e<strong>in</strong>. Der am Schuppen schaut zu und wacht. E<strong>in</strong>e Eule fl iegt über den Hof, setzt sich auf den First. Es wird Morgen. Es wird Tag. Hoch steht die Sonne am Himmel. E<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d kommt daher, fi ndet den Großvater am Brunnen im tie- fen Schlaf, sieht den Mann an der Schuppenwand, geht langsam ganz nah zu ihm h<strong>in</strong>, streichelt des Mannes Hand, drückt ihm <strong>das</strong> Ohr an die Brust, hört es leise, regelmäßig klopfen, läuft zur Mutter und ruft: „Mutter, der Silbermann dort am Schuppen − ich habe se<strong>in</strong> Herz klopfen hören!“
marunde � quadrat 06 / 2010 81 www.wolf-ruediger-marunde.de