Industriemagazin Oktober/2008.
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MEINUNG<br />
Die Erschütterungen waren gewaltig. Binnen nur weniger<br />
Wochen wurde das Modell des Neoliberalismus so stark<br />
beschädigt, dass es wohl Jahrzehnte brauchen wird, bis der<br />
Glaube wiederhergestellt ist. Jener blinde Glaube an die Unfehlbarkeit<br />
der Märkte und die Überfl üssigkeit der Regulierung hat<br />
vielleicht auch ganz ausgedient.<br />
Soll die Finanzbranche in ein paar Jahren nicht wieder durch<br />
das Blut ihrer Opfer waten, wird der Staat wieder aufs Spielfeld<br />
müssen. Weil die Märkte nicht gleichzeitig die Schiedsrichter und<br />
sämtliche Spieler stellen können, bedarf es handlungsfähiger Regierungen<br />
– die eben nicht erst handeln, wenn der Schaden irreperable<br />
Ausmaße angenommen hat. Damit kein Missverständnis<br />
aufkommt: Die Verstaatlichung von Banken wie in den USA ist<br />
keine Lösung. Aber der Staat wird – und das in der gesamten westlichen<br />
Welt – weit selbstbewusster auftreten und gerade am Kapitalmarkt<br />
für verbindliche Spielregeln sorgen müssen. Dass jene<br />
Propagandisten, die den freien Finanzmarkt immer am lautesten<br />
anpriesen, jetzt am stillsten sind, ist dafür nur ein Beleg.<br />
„<br />
Stark und schlank<br />
HANS F. ZANGERL Wenn die Märkte versagen, wird ein starker Staat auf<br />
einmal wieder Teil der Lösung statt des Problems. Die Frage ist, wer ihn<br />
in Österreich regieren kann.<br />
So weit, so tragisch. Alles, was es hierzulande dazu braucht,<br />
wäre wieder einmal eine handlungsfähige Regierung. Die letzte hat<br />
– vielleicht in einer trunkenen Phase des Erkenntnisgewinns – die<br />
Legislaturperiode auf fünf Jahre erhöht. Das ist eine wohlwollende<br />
Maßnahme, um den Anteil an Arbeit in einer Regierungsperiode<br />
zu erhöhen und jenen an Wahlkampf zu senken. Faktisch wird sie<br />
ad absurdum geführt. Seit Bruno Kreisky (!) wurde nur von drei<br />
Bundesregierungen (2x unter Franz Vranitzky als Kanzler, einmal<br />
unter Wolfgang Schüssel) auch die vollen vier Jahre regiert. Ist die<br />
lange Dauer vielleicht kein Indikator für die Qualität der Regierungsarbeit<br />
– die Kürze zeigt zuverlässig das Versagen an.<br />
Einen Mangel an Arbeit für die neue Bundesregierung gibt es<br />
nicht. Das beginnt – um beim Thema Kapitalmarkt zu bleiben –<br />
bei der Aufstellung der Finanzmarktaufsicht. Das vorige Kabinett<br />
sah sich nicht einmal mehr zur dringendsten Krisenintervention<br />
in der Lage. Weil die FMA trotz „Reform“ aufs Zusehen statt aufs<br />
Aufsehen konzentriert ist, kann sie spekulative Leerverkäufe nicht<br />
selbst verbieten. Im Parlament fand sich keine Mehrheit mehr für<br />
eine entsprechende Gesetzesänderung – die muss nun bis zum<br />
Ende der Koalitionsverhandlungen warten. Ein Zustand, der den<br />
Börsenplatz zum Rummelplatz macht und eigentlich untragbar<br />
ist.<br />
Was einst hätte eine große Steuerreform werden sollen, ist<br />
notwendiger als je zuvor. Nur fehlt dazu zweierlei: das Geld und<br />
der Wille. Die nächste Koalition wird – egal wen auch immer sie<br />
entlasten möchte – sich ganz intensiv mit der Abgabenquote in<br />
diesem Land beschäftigen müssen. Weil diese Quote jenseits der<br />
40 Prozent (EU-Schnitt: 37 Prozent) liegt und sich kaum mehr<br />
steigern lässt, braucht es für jegliche Steuerreformen einen schlankeren<br />
Staat. Der kann auf Dauer nicht viel mehr ausgeben als er<br />
einnimmt, daher wird er sparen müssen, um umverteilen zu<br />
können. Auch wenn es im Wahlkampf nicht danach aussah: Mit<br />
der Grundtugend des Kaufmanns wird sich auch der nächste<br />
Finanzminister anfreunden müssen.<br />
Versäumnisse gibt es freilich nicht nur für den Finanzminister<br />
aufzuholen. Ist das Thema Forschung mittlerweile quer durch die<br />
Fraktionen von anerkannter Wichtigkeit, hat sich im Bildungssystem<br />
etwas aufgestaut, was an die Ställe des Augias erinnert.<br />
Ist die lange Dauer vielleicht kein Indikator für die Qualität der<br />
Regierungsarbeit – die Kürze zeigt zuverlässig das Versagen an.<br />
“<br />
Das Schulsystem ist bestenfalls von europäischem Mittelmaß, die<br />
Universitäten pfeifen aus den letzten Löchern und eine fl ächendeckende<br />
Kindergarten-Versorgung wirkt heute wie eine Sozialutopie.<br />
Hier liegen die großen Gestaltungsmöglichkeiten der<br />
Politik – und nicht in der Infl ationsbekämpfung.<br />
Schließlich – und das führt wieder zurück zum Versagen der<br />
Märkte – muss sich eine neue Bundesregierung des Wettbewerbs<br />
in manchen Branchen annehmen. Das beginnt beim Energiemarkt<br />
und endet im Lebensmittelhandel. Wie kann es sein, dass die<br />
Liberalisierung des Telekom-Marktes zu den europaweit niedrigsten<br />
Preisen führte, während dasselbe Modell beim Strommarkt völlig<br />
versagt? Wie konnte die verschlafene Wettbewerbsbehörde über<br />
Jahre hinweg zusehen, wie sich Rewe und Spar den gesamten<br />
Lebensmittelhandel untereinander aufteilen? Hier mit echten<br />
Kontrollen (Handel) und Rücknahme des politischen Einfl usses<br />
(Strom) den Wettbewerb zu stimulieren braucht nur eines – eine<br />
handlungsfähige Regierung.<br />
Egal, wer sich nun auf der Regierungsbank zusammenrauft:<br />
er (und sie) sollte es mit dem Willen tun, dort nicht nur fünf<br />
Jahre lang zu sitzen – sondern auch zu arbeiten. �<br />
10 10/<strong>Oktober</strong> 2008 INDUSTRIEMAGAZIN