09.01.2013 Aufrufe

Industriemagazin Oktober/2008.

Industriemagazin Oktober/2008.

Industriemagazin Oktober/2008.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

MEINUNG<br />

Die Erschütterungen waren gewaltig. Binnen nur weniger<br />

Wochen wurde das Modell des Neoliberalismus so stark<br />

beschädigt, dass es wohl Jahrzehnte brauchen wird, bis der<br />

Glaube wiederhergestellt ist. Jener blinde Glaube an die Unfehlbarkeit<br />

der Märkte und die Überfl üssigkeit der Regulierung hat<br />

vielleicht auch ganz ausgedient.<br />

Soll die Finanzbranche in ein paar Jahren nicht wieder durch<br />

das Blut ihrer Opfer waten, wird der Staat wieder aufs Spielfeld<br />

müssen. Weil die Märkte nicht gleichzeitig die Schiedsrichter und<br />

sämtliche Spieler stellen können, bedarf es handlungsfähiger Regierungen<br />

– die eben nicht erst handeln, wenn der Schaden irreperable<br />

Ausmaße angenommen hat. Damit kein Missverständnis<br />

aufkommt: Die Verstaatlichung von Banken wie in den USA ist<br />

keine Lösung. Aber der Staat wird – und das in der gesamten westlichen<br />

Welt – weit selbstbewusster auftreten und gerade am Kapitalmarkt<br />

für verbindliche Spielregeln sorgen müssen. Dass jene<br />

Propagandisten, die den freien Finanzmarkt immer am lautesten<br />

anpriesen, jetzt am stillsten sind, ist dafür nur ein Beleg.<br />

„<br />

Stark und schlank<br />

HANS F. ZANGERL Wenn die Märkte versagen, wird ein starker Staat auf<br />

einmal wieder Teil der Lösung statt des Problems. Die Frage ist, wer ihn<br />

in Österreich regieren kann.<br />

So weit, so tragisch. Alles, was es hierzulande dazu braucht,<br />

wäre wieder einmal eine handlungsfähige Regierung. Die letzte hat<br />

– vielleicht in einer trunkenen Phase des Erkenntnisgewinns – die<br />

Legislaturperiode auf fünf Jahre erhöht. Das ist eine wohlwollende<br />

Maßnahme, um den Anteil an Arbeit in einer Regierungsperiode<br />

zu erhöhen und jenen an Wahlkampf zu senken. Faktisch wird sie<br />

ad absurdum geführt. Seit Bruno Kreisky (!) wurde nur von drei<br />

Bundesregierungen (2x unter Franz Vranitzky als Kanzler, einmal<br />

unter Wolfgang Schüssel) auch die vollen vier Jahre regiert. Ist die<br />

lange Dauer vielleicht kein Indikator für die Qualität der Regierungsarbeit<br />

– die Kürze zeigt zuverlässig das Versagen an.<br />

Einen Mangel an Arbeit für die neue Bundesregierung gibt es<br />

nicht. Das beginnt – um beim Thema Kapitalmarkt zu bleiben –<br />

bei der Aufstellung der Finanzmarktaufsicht. Das vorige Kabinett<br />

sah sich nicht einmal mehr zur dringendsten Krisenintervention<br />

in der Lage. Weil die FMA trotz „Reform“ aufs Zusehen statt aufs<br />

Aufsehen konzentriert ist, kann sie spekulative Leerverkäufe nicht<br />

selbst verbieten. Im Parlament fand sich keine Mehrheit mehr für<br />

eine entsprechende Gesetzesänderung – die muss nun bis zum<br />

Ende der Koalitionsverhandlungen warten. Ein Zustand, der den<br />

Börsenplatz zum Rummelplatz macht und eigentlich untragbar<br />

ist.<br />

Was einst hätte eine große Steuerreform werden sollen, ist<br />

notwendiger als je zuvor. Nur fehlt dazu zweierlei: das Geld und<br />

der Wille. Die nächste Koalition wird – egal wen auch immer sie<br />

entlasten möchte – sich ganz intensiv mit der Abgabenquote in<br />

diesem Land beschäftigen müssen. Weil diese Quote jenseits der<br />

40 Prozent (EU-Schnitt: 37 Prozent) liegt und sich kaum mehr<br />

steigern lässt, braucht es für jegliche Steuerreformen einen schlankeren<br />

Staat. Der kann auf Dauer nicht viel mehr ausgeben als er<br />

einnimmt, daher wird er sparen müssen, um umverteilen zu<br />

können. Auch wenn es im Wahlkampf nicht danach aussah: Mit<br />

der Grundtugend des Kaufmanns wird sich auch der nächste<br />

Finanzminister anfreunden müssen.<br />

Versäumnisse gibt es freilich nicht nur für den Finanzminister<br />

aufzuholen. Ist das Thema Forschung mittlerweile quer durch die<br />

Fraktionen von anerkannter Wichtigkeit, hat sich im Bildungssystem<br />

etwas aufgestaut, was an die Ställe des Augias erinnert.<br />

Ist die lange Dauer vielleicht kein Indikator für die Qualität der<br />

Regierungsarbeit – die Kürze zeigt zuverlässig das Versagen an.<br />

“<br />

Das Schulsystem ist bestenfalls von europäischem Mittelmaß, die<br />

Universitäten pfeifen aus den letzten Löchern und eine fl ächendeckende<br />

Kindergarten-Versorgung wirkt heute wie eine Sozialutopie.<br />

Hier liegen die großen Gestaltungsmöglichkeiten der<br />

Politik – und nicht in der Infl ationsbekämpfung.<br />

Schließlich – und das führt wieder zurück zum Versagen der<br />

Märkte – muss sich eine neue Bundesregierung des Wettbewerbs<br />

in manchen Branchen annehmen. Das beginnt beim Energiemarkt<br />

und endet im Lebensmittelhandel. Wie kann es sein, dass die<br />

Liberalisierung des Telekom-Marktes zu den europaweit niedrigsten<br />

Preisen führte, während dasselbe Modell beim Strommarkt völlig<br />

versagt? Wie konnte die verschlafene Wettbewerbsbehörde über<br />

Jahre hinweg zusehen, wie sich Rewe und Spar den gesamten<br />

Lebensmittelhandel untereinander aufteilen? Hier mit echten<br />

Kontrollen (Handel) und Rücknahme des politischen Einfl usses<br />

(Strom) den Wettbewerb zu stimulieren braucht nur eines – eine<br />

handlungsfähige Regierung.<br />

Egal, wer sich nun auf der Regierungsbank zusammenrauft:<br />

er (und sie) sollte es mit dem Willen tun, dort nicht nur fünf<br />

Jahre lang zu sitzen – sondern auch zu arbeiten. �<br />

10 10/<strong>Oktober</strong> 2008 INDUSTRIEMAGAZIN

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!