Sexuell grenzverletzende Kinder â Praxisansätze und ihre ...
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<strong>Kinder</strong> zu der Einschätzung gelangen dürften, dass ihr Verhalten als normal<br />
zu bewerten sei.<br />
Zieht man allerdings das Konzept der Multifinalität in Betracht, so liegt<br />
die Auffassung nahe, dass lerntheoretisch begründete Dynamiken allein<br />
nicht geeignet sind, das Entstehen sexuell auffälligen Verhaltens von<br />
<strong>Kinder</strong>n zu erklären. Die Kombination von aversiven Lebensbedingungen<br />
(z.B. familiäre Gewalt) mit der Entwicklung einer affirmativen Einstellung<br />
zu diesen dysfunktionalen Umständen mag eine bedeutende Rolle spielen<br />
bei der Entstehung <strong>und</strong> Aufrechterhaltung unangemessenen sexuellen Verhaltens.<br />
Offen bleibt allerdings die beispielsweise die Frage, weshalb sich<br />
dieses Verhalten auf sexuelle Weise manifestiert, wenn sich die „Modelle“<br />
nicht sexuell inszenieren, sondern „nur“ gewalttätig, vernachlässigend oder<br />
emotional missbrauchend (Merrick et al., 2008). Gerade aufgr<strong>und</strong> der zahlreichen<br />
Bef<strong>und</strong>e, die dafür sprechen, dass sexuelles Ausagieren durchaus<br />
nicht nur als Folge einer sexuellen Viktimisierung verstanden werden kann,<br />
scheinen lerntheoretische Erklärungen nicht auszureichen, um ein umfassendes<br />
Verständnis solcher Verhaltensmanifestationen entwickeln zu<br />
können.<br />
5.2 Bindungstheoretische Erklärungen<br />
In der Literatur zu sexueller Devianz im Allgemeinen <strong>und</strong> sexuell<br />
problematischem Verhalten von <strong>Kinder</strong>n im Besonderen findet sich eine<br />
kaum zu überblickende Anzahl von Bezugnahmen auf bindungstheoretische<br />
Aspekte (Silovsky & Niec, 2002; Basile et al., 2009, Wieckowski et al.,<br />
1998). Dabei ist zu unterscheiden zwischen den zahlreichen Bef<strong>und</strong>en, die<br />
Bindungsprobleme als psychopathologische Korrelate identifizieren <strong>und</strong><br />
solchen Arbeiten, in denen die Entstehung <strong>und</strong> Aufrechterhaltung sexuell<br />
auffälligen Verhaltens bindungstheoretisch begründet wird. Auf der Basis<br />
dieser Forschungstätigkeiten wiederum wurden Ansätze entwickelt, die auf<br />
die Relevanz bindungstheoretischer Erwägung bei der Behandlung<br />
problematischen sexuellen Verhaltens rekurrieren (Friedrich, 2007).<br />
Bezüglich der ätiologischen Bedeutung von Bindungsproblemen ist die<br />
in der Literatur verwendete Terminologie nicht immer eindeutig. Zuweilen<br />
ist ganz allgemein von einer „schlechteren“ Bindung die Rede, die zwischen<br />
sexuell auffälligen <strong>Kinder</strong>n <strong>und</strong> <strong>ihre</strong>n Eltern besteht im Vergleich zu<br />
solchen <strong>Kinder</strong>n, die kein problematisches sexuelles Verhalten zeigen (z.B.<br />
Hall et al., 2002). Schuhrke & Arnold (2009) sehen ein mangelndes <strong>und</strong> <strong>und</strong>ifferenziertes<br />
Bindungsverhalten als eines der wichtigsten begleitenden<br />
Symptome sexuell auffälliger <strong>Kinder</strong> im stationären Jugendhilfekontext <strong>und</strong><br />
resümieren: „Bei den Bindungsstörungen besteht wohl der markanteste <strong>und</strong><br />
zahlenmäßig am meisten ins Gewicht fallende Unterschied zwischen den<br />
(sexuell auffälligen vs sexuell unauffälligen; Anm. P.M.) Gruppen“ (S. 200).<br />
Zu einem ähnlichen Ergebnis kam Wunsch (2010) bei der Erforschung<br />
psychopathologischer Begleiterscheinungen sexuell auffälliger <strong>Kinder</strong> beim<br />
Übergang vom Vorschul- zum Schulalter. Allein die Bindungsstörung er-<br />
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