Sexuell grenzverletzende Kinder â Praxisansätze und ihre ...
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weitern. Eine detaillierte Auswertung der Daten legte aber ein anderes Bild<br />
nahe: Das Ausmaß der Zeit, das <strong>Kinder</strong> in der Tagesbetreuung verbringen,<br />
ist nicht korreliert mit den CSBI-Items, die sexuelles Wissen oder sexuelles<br />
Interesse erfassen, sondern die stärkste Korrelation besteht mit selbststimulierendem<br />
Verhalten <strong>und</strong> sexuellen Verhaltensweisen, die auf einen<br />
problematischen Umgang mit Grenzen verweisen. Positive Korrelationen<br />
wurden überdies gef<strong>und</strong>en zu voyeuristischem Verhalten <strong>und</strong> Exhibitionismus.<br />
Auch wenn diese Bef<strong>und</strong>e mit Vorsicht interpretiert werden müssen,<br />
so führen sie doch zu Überlegungen, wonach die Intimität des häuslichen<br />
Kontexts einen wichtigen Beitrag zum Erlernen von Schamgrenzen, zur<br />
Internalisierung gemeinschaftlicher Regeln <strong>und</strong> zu einer verbesserten<br />
Regulation sexueller Impulse leistet. Weitere Überlegungen führen zur<br />
Frage, inwieweit sich vor allem im Kleinkindalter in einem unterschiedlichen<br />
Ausmaß an Tagesbetreuung unterschiedliche Bedingungen zur Entwicklung<br />
sicherer Bindungen widerspiegeln.<br />
7.3 Geschwisterinzest<br />
„Ich bitte Sie, verweilen Sie noch einen Moment bei der besonderen<br />
Häufigkeit sexueller Beziehungen im Kindesalter gerade zwischen Geschwistern<br />
<strong>und</strong> Vettern infolge der Gelegenheit zu häufigem Beisammensein.“<br />
Abgesehen von diesem Appell Freuds (1896, zit. n. Masson, 1995, S.<br />
62) lässt ein Überblick über Forschungsarbeiten zu <strong>Kinder</strong>n mit sexuellen<br />
Verhaltensproblemen den Eindruck einer Vernebelung des Problems des<br />
Geschwisterinzests entstehen. Zwar gibt es zahlreiche Hinweise zu Alters-<br />
<strong>und</strong> Geschlechterverteilung der Opfer, aber es wird nur selten differenziert,<br />
in welchem Ausmaß es sich bei den Opfern sexuell übergriffiger <strong>Kinder</strong> um<br />
Geschwister handelt. Wenig ist auch bekannt darüber, worin sich die<br />
Dynamik des Geschwisterinzests von außerfamiliären sexuellen Übergriffen<br />
unterscheidet.<br />
Klees (2008), die deutliche Forschungslücken im Bereich des Geschwisterinzests<br />
identifiziert, berichtet auf der Basis einer Übersicht über<br />
die US-amerikanische Literatur, dass 2-17% der in den jeweiligen Stichproben<br />
befragten Erwachsenen retrospektiv sexuelle Aktivitäten mit Geschwistern<br />
in <strong>ihre</strong>r Kindheit angaben. Wie Klees zeigt, scheinen gerade<br />
sexuelle Kontakte zwischen Geschwistern besonders anfällig für<br />
Bagatellisierungen (im Sinne „normaler Doktorspiele“) zu sein. Dies ist<br />
einer der Gründe, weshalb das tatsächliche Ausmaß sexueller Grenzüberschreitungen<br />
im Geschwisterkontext vermutlich stark unterschätzt wird.<br />
Auch Araji (1997) kommt zu der Einschätzung, dass Geschwisterinzest ein<br />
weit verbreitetes Phänomen ist. Begründet wird dies unter anderem damit,<br />
dass (1) ein hoher Anteil von <strong>Kinder</strong>n (zunächst) in der Familie sexuelle<br />
Gewalt erfährt <strong>und</strong> (2) für diese <strong>Kinder</strong> häufig die eigenen Geschwister die<br />
„naheliegendsten“ Ziele <strong>ihre</strong>s eigenen sexuellen Ausagierens sind, zumal<br />
auch die Geschwister ebenfalls häufig von innerfamiliärem sexuellen Missbrauch<br />
betroffen sind (Hall et al., 2002).<br />
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