Sexuell grenzverletzende Kinder â Praxisansätze und ihre ...
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Missbrauch durch Erwachsene/Jugendliche.<br />
Das Ausmaß der Symptombelastung im Zeitraum bis 1-2 Jahre nach dem<br />
sexuellen Missbrauch war bei beiden Gruppen gleich. (Hauptsächlich genannte<br />
Symptome: Unruhe, Scham, Schuldgefühle, Angst vor dem<br />
Täter).<br />
Klinisch relevante Spätfolgen werden von den Personen, die von Jugendlichen/Erwachsenen<br />
sexuell missbraucht wurden, in signifikant höherem<br />
Ausmaß berichtet.<br />
Das Problem, dass in dieser Untersuchung unter der Kategorie der<br />
sexuellen Übergriffe unter <strong>Kinder</strong>n auch harmlose „Doktorspiele“ mit erfasst<br />
worden sein könnten, scheint angesichts der gef<strong>und</strong>enen Daten nicht<br />
erheblich. <strong>Sexuell</strong>e Übergriffe, die von <strong>Kinder</strong>n begangen wurden, werden<br />
von den Opfern (zumindest in der retrospektiven Betrachtung) als genauso<br />
schwerwiegend <strong>und</strong> belastend eingeschätzt wie sexueller Missbrauch durch<br />
Erwachsene. Haugaard & Tilly (1988) fanden demgegenüber, dass sexuelle<br />
Interaktionen mit <strong>Kinder</strong>n nur unter bestimmten Bedingungen zu ähnlich<br />
starken Belastungen führen wie sexueller Missbrauch durch Erwachsene.<br />
Dies sei vor allem dann der Fall, wenn das übergriffige Kind ein hohes Maß<br />
an Zwang anwendet, wenn es sich um gleichgeschlechtliche Interaktionen<br />
handelt <strong>und</strong> wenn diese von <strong>Kinder</strong>n initiiert werden, die nicht mit dem betroffenen<br />
Kind befre<strong>und</strong>et sind. Im Gegensatz dazu steht der weiter oben<br />
berichtete Bef<strong>und</strong> von Lamb & Coakley (1993), wonach gegengeschlechtliche<br />
sexuelle Aktivitäten als negativer bewertet wurden.<br />
Nach Sperry & Gilbert (2005) besteht in Bezug auf die Kurzzeitfolgen<br />
kein Unterschied zwischen sexueller Gewalt, die von Erwachsenen einerseits<br />
<strong>und</strong> von <strong>Kinder</strong>n andererseits ausgeübt wurde. Diese Ergebnisse<br />
liefern einen wichtigen Beitrag zur Bewertung des Problems sexueller<br />
Grenzverletzungen durch <strong>Kinder</strong>, zumal in einer Stichprobe aus Studierenden<br />
nicht damit zu rechnen ist, dass hier besonders schädigende Formen<br />
der sexuellen Gewalt überrepräsentiert sind. Allein in Bezug auf die berichteten<br />
Langzeitfolgen gibt es Unterschiede zwischen den beiden Opfergruppen.<br />
Eine Erklärung dafür könnte sein, dass sexueller Missbrauch<br />
durch Erwachsene signifikant häufiger im familiären Rahmen stattfand,<br />
wodurch eine spezielle Risikokonstellation für die Entwicklung psychopathologischer<br />
Langzeitfolgen in dieser Gruppe stärker repräsentiert war<br />
<strong>und</strong> eine Konf<strong>und</strong>ierung der Variablen wahrscheinlich erscheint. Auch<br />
wenn es sich um keine repräsentative Untersuchung handelt, so liefert sie<br />
einen Hinweis darauf, dass sexuelle Übergriffe durch <strong>Kinder</strong> zumindest<br />
nicht seltener vorkommen als sexueller Missbrauch durch Erwachsene.<br />
Das hier beschriebene Ausmaß an Folgen für die geschädigten <strong>Kinder</strong><br />
legt eine Sichtweise nahe, die neben der Sorge um das sexuell auffällige<br />
Kind <strong>und</strong> prognostischen Einschätzungen in Bezug auf die Entwicklung<br />
einer möglichen Sexualdevianz auch gegenwarts- <strong>und</strong> opferorientierte<br />
Dimensionen mit berücksichtigt. Weitere Forschungsaktivitäten zu den<br />
Folgen auf Seiten der betroffenen <strong>Kinder</strong> wären wünschenswert, um Vergleichsdaten<br />
zu den Ergebnissen von Sperry & Gilbert (2005) zu generieren.