Tagungsbericht der VdS-Fachgruppe SPEKTROSKOPIE
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59 Cygni – Ein zweiter Be-Doppelstern mit heißem, kompaktem<br />
Begleiter<br />
Monika Maintz<br />
Zentrum für Astronomie <strong>der</strong> Universität Heidelberg, Landessternwarte, Königstuhl, 69117<br />
Heidelberg, www.lsw.uni-heidelberg.de<br />
1. Einführung<br />
B-Emissionslinien-Sterne o<strong>der</strong> kurz Be-Sterne sind<br />
Sterne vom Spektraltyp B, die den Leuchtkraftklassen<br />
III, IV o<strong>der</strong> V angehören und in <strong>der</strong>en Spektrum<br />
mindestens eine Wasserstoff-Linie in Emission<br />
zu sehen ist o<strong>der</strong> früher zu sehen war. Etwa 10 bis<br />
20 % aller B-Sterne <strong>der</strong> Milchstraße gehören zu<br />
dieser Gruppe. Die Emissionslinien entstehen in einer<br />
Gasscheibe, die den Be-Stern umgibt und die<br />
durch seine UV-Strahlung zum Leuchten angeregt<br />
wird. Be-Sterne rotieren extrem schnell. Ihre Rotationsgeschwindigkeiten<br />
liegen bei mindestens 70 %<br />
des Geschwindigkeitslimits, an dem sie aufgrund<br />
<strong>der</strong> Fliehkraft zerreißen würden. Noch ist nicht eindeutig<br />
geklärt, wie Be-Sterne entstehen und warum<br />
sie so schnell rotieren.<br />
Modellrechnungen für mittelschwere Sterne in engen<br />
Doppelsternsystemen zeigen, dass Masse und<br />
Drehimpuls von <strong>der</strong> Primär- auf die Sekundärkomponente<br />
überfließt, wenn diese sich zum Riesen<br />
entwickelt hat und ihre Roche-Grenze ausfüllt. Der<br />
Begleiter wird dadurch „aufgedreht“ und kann seine<br />
Rotationsgeschwindigkeit deutlich erhöhen. Die ursprüngliche<br />
Sekundärkomponente kann sich so zu<br />
einem schnell rotierenden Be-Stern entwickeln und<br />
zur neuen Primärkomponente des Doppelsternsystems<br />
werden.<br />
Etwa 5 bis 20 % (Van Bever & Vanbeveren, 1997)<br />
o<strong>der</strong> bis zu 50 % (Pols et al., 1991) aller Be-Sterne<br />
könnten auf diese Weise entstanden sein. Be-<br />
Doppelsterne wären demzufolge entwickelte enge<br />
Doppelsternsysteme, in denen <strong>der</strong> Massenübertrag<br />
bereits abgeschlossen ist. Der ursprüngliche Primärstern,<br />
<strong>der</strong> nun zum Begleiter geworden ist,<br />
müsste eines von drei möglichen Endstadien erreicht<br />
haben und entwe<strong>der</strong> ein Heliumstern (O-<br />
Unterzwerg; engl.: subdwarf O, kurz sdO), ein<br />
Weißer Zwerg (engl.: white dwarf, kurz WD) o<strong>der</strong><br />
ein Neutronenstern sein. Be-Doppelsterne, die als<br />
Sekundärkomponente einen Neutronenstern enthalten,<br />
bilden Be-Röntgendoppelsterne (engl.: Be/X-<br />
48<br />
ray binaries). Die meisten Be-Doppelsterne sollten<br />
Modellrechnungen zufolge einen Heliumstern<br />
(Be+sdO) o<strong>der</strong> einen Weißen Zwerg (Be+WD) enthalten<br />
(Tab. 1). Bisher waren aber nur ein Be+sdO-<br />
Doppelstern, Φ Persei (Poeckert, 1979; Štefl et al.,<br />
2000), kein einziger Be+WD-Doppelstern, aber etliche<br />
Be-Röntgendoppelsterne (Be/X-ray) bekannt.<br />
Dieses Missverhältnis lässt sich dadurch erklären,<br />
dass Be+sdO- bzw. Be+WD-Doppelsterne wegen<br />
<strong>der</strong> geringen Masse ihrer heißen, kompakten Begleiter<br />
nur schwer zu finden sind und bisher wohl<br />
einfach übersehen wurden. Be-<br />
Röntgendoppelsterne verraten sich dagegen durch<br />
ihre Röntgenstrahlung und sind selbst in großen<br />
Entfernungen aufzuspüren. Auch Be+WD-<br />
Doppelsterne sollten bestimmte Röntgenstrahlen<br />
aussenden und sich dadurch von Be+sdO-<br />
Doppelsternen unterscheiden.<br />
Im Folgenden wird gezeigt, dass 59 Cygni (Tarasov<br />
& Tuominen, 1987; Rivinius & Štefl, 2000; Harmanec<br />
et al., 2002) ein weiterer Be+sdO-<br />
Doppelstern ist und dass sich in seinem Spektrum<br />
kurzperiodische Linienprofilvariationen nachweisen<br />
lassen, mit <strong>der</strong>en Hilfe man an<strong>der</strong>e Be+sdO- bzw.<br />
Be+WD-Doppelsterne leichter identifizieren kann<br />
(Maintz, 2003).<br />
2. Der Be+sdO-Doppelstern 59 Cygni<br />
Für die Untersuchung von 59 Cygni (HD 200120,<br />
HR 8047; B1Ve, Slettebak, 1982; B1,5Vne, Chauville<br />
et al., 2001) standen über einhun<strong>der</strong>t Spektren<br />
zur Verfügung, die im Zeitraum von 1990 bis 2002<br />
aufgenommen wurden und zum größten Teil einen<br />
Spektralbereich von 3800 bis 8600 Ångström umfassen.<br />
Da <strong>der</strong> Be-Stern mit 450 km/s (Harmanec et<br />
al., 2002) extrem schnell rotiert, sind seine Absorptionslinien<br />
sehr breit und häufig ineinan<strong>der</strong> verschmiert.<br />
Außerdem ist die Emission im gesamten<br />
Spektrum so stark, dass fast alle Absorptionslinien<br />
zumindest eine geringe Emissionskomponente aufweisen.