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Marcel Proust Hommage von Andreas Isenschmid |Sigmund Freud ...

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steFan JÄggi / KeYstOne<br />

Krimi Der Roman des Schweizer Autors<br />

Linus Reichlin handelt <strong>von</strong> Schicksal und<br />

Vorsehung – und einem Verbrechen<br />

Der Ermittler<br />

als Täter<br />

Linus Reichlin: Der Assistent der Sterne.<br />

Galiani, Berlin 2009. 384 Seiten, Fr.34.50.<br />

Von Christine Brand<br />

Ein frühpensionierter Polizeiinspektor,<br />

der als Deutscher im belgischen Brügge<br />

lebt, sich mehr für Quantenphysik als für<br />

Verbrechen interessiert und trotzdem<br />

erneut zielsicher in ein solches hineinkatapultiert<br />

wird: Das ist Hannes Jensen,<br />

den der Schweizer Autor Linus Reichlin<br />

in seinem mit dem Deutschen Krimipreis<br />

ausgezeichneten Erstling «Die Sehnsucht<br />

der Atome» geschaffen hat und dessen<br />

Geschichte, die keine alltägliche ist, sich<br />

im neuen Roman «Der Assistent der<br />

Sterne» turbulent weiterdreht.<br />

Eigentlich ist Jensen, bei dem man<br />

sich zuerst überlegen muss, ob man ihn<br />

mag oder nicht, ein Realist. Mit Esoterik<br />

hat er nichts am Hut. Übersinnliches tut<br />

er als Unsinniges ab. Und an Schicksal<br />

glaubt er sowieso nicht. Bis er auf mitunter<br />

skurrile Art und Weise erfahren<br />

muss, dass nicht alles rational erklärbar<br />

und manches womöglich sogar vorhersehbar<br />

ist.<br />

So dreht sich die Geschichte um ein<br />

Verbrechen, das noch gar nicht geschehen<br />

ist und in dessen Mittelpunkt Jensen<br />

nicht als Ermittler, sondern als möglicher<br />

Täter stehen wird. Das prophezeit<br />

ihm zumindest ein afrikanischer Wahrsager,<br />

der ihm rät, sich <strong>von</strong> einer gewissen<br />

Vera Laechert fernzuhalten. Jensen,<br />

der die Frau nicht kennt, ignoriert den<br />

Rat, begibt sich auf einen obskuren Trip<br />

nach Island und lässt sich dort auf eine<br />

Nacht mit einer Unbekannten ein, die<br />

ihn in den Hals beisst. Nur mit Mühe<br />

kann Jensen die Wunde vor seiner<br />

schwangeren Geliebten zu Hause verstecken;<br />

ihrer Blindheit sei Dank. Doch<br />

die Bisswunde scheint die Vorhersage<br />

wahr werden zu lassen: Der künftige<br />

Mörder <strong>von</strong> Vera Laechert, besagt diese,<br />

trage ein Mal am Hals. Je vehementer<br />

sich Jensen gegen den Lauf der Dinge<br />

stemmt, desto unabwendbarer erscheint<br />

das prophezeite Drama.<br />

Der Autor Linus Reichlin foutiert sich<br />

um das klassische Krimi-Schema; er<br />

wagt den Spagat zwischen den Genres.<br />

Der verschlungene Plot droht dabei<br />

zuweilen abzuheben und wirkt<br />

manchmal etwas gar konstruiert.<br />

Doch die Wirrungen sind packend,<br />

die eigenartigen Charaktere wachsen<br />

einem dann doch ans<br />

Herz, Reichlins stimmige<br />

Sprache überzeugt, und<br />

er hält die Spannung bis<br />

zum Schluss hoch. Sein<br />

Roman über Schicksal<br />

und Vorsehung ist eine –<br />

gelungene – Gratwanderung.<br />

●<br />

Kurzkritiken Belletristik<br />

Michael Herzig: Die Stunde der Töchter.<br />

Kriminalroman. Grafit, Dortmund 2009.<br />

285Seiten, Fr.17.50.<br />

Johanna <strong>von</strong> Orléans kämpfte gegen die<br />

Engländer, die Zürcher Polizistin Johanna<br />

di Napoli bietet der Mafia die Stirn.<br />

Michael Herzig schickt seine aus dem<br />

Emmental stammende und der Regionalwache<br />

Aussersihl als Quotenfrau<br />

aufgedrückte di Napoli zum zweiten<br />

Mal in den Kampf gegen Verbrechen<br />

und Männerbündelei. Diesmal geht es<br />

um illegalen Kulturgüterhandel und um<br />

die Folgen väterlicher Vernachlässigung.<br />

Di Napoli, Enddreissigerin sowohl<br />

mit Bindungsängsten wie -sehnsüchten,<br />

bewährt sich erneut als Kampfweib<br />

erster Güte, das Herz auf dem<br />

rechten Fleck. Der 44-jährige Herzig,<br />

hauptberuflich Leiter des Geschäftsbereichs<br />

Sucht und Drogen der Stadt<br />

Zürich, hat die verschiedenen Erzählstränge<br />

und den Spannungsbogen sicher<br />

in der Hand. So könnte man sich den<br />

geplanten Neustart eines schweizerischen<br />

«Tatorts» vorstellen.<br />

Regula Freuler<br />

Juan Carlos Onetti: Der Schacht. Für<br />

diese Nacht. Niemandsland. Suhrkamp,<br />

Frankfurt a.M. 2009. 611 Seiten, Fr.54.90.<br />

Der Uruguayer Erzähler Juan Carlos<br />

Onetti (1909–1994) zählt mit dem Argentinier<br />

Jorge Luis Borges zu den Begründern<br />

der modernen lateinamerikanischen<br />

Literatur. Im Rahmen der hoch<br />

zu lobenden fünfbändigen Werkausgabe,<br />

die der Suhrkamp-Verlag ihm widmet,<br />

sind nun die ersten drei Bücher des<br />

an Conrad, Céline und Faulkner geschulten<br />

Romanciers erschienen: der so ungestüme<br />

wie knappe Erstling «Der<br />

Schacht» (1939), der Grossstadtroman<br />

«Niemandsland» (1941) und der Bürgerkriegsroman<br />

«Für diese Nacht». Letzterer<br />

erzählt aufs Packendste <strong>von</strong> einem<br />

Mann, der in einer eingekesselten<br />

Hafenstadt vor seinen Gegnern durch<br />

die Nacht flieht. Onetti, der zur Zeit der<br />

Entstehung dieser Texte als Journalist<br />

für eine politische Zeitschrift sowie als<br />

Redaktor für die Nachrichtenagentur<br />

Reuters in Montevideo arbeitete, zeigt<br />

sich schon hier als so genuiner wie<br />

formbewusster Autor.<br />

Manfred Papst<br />

Eudora Welty: Ein Vorhang aus Grün.<br />

Erzählungen. Kein &Aber,Zürich 2009.<br />

368 Seiten, Fr 34.50.<br />

Geboren 1909 in Jackson, Mississippi,<br />

gestorben 2001 in Jackson, Mississippi.<br />

Doch so wie andere die Welt bereisen<br />

und nichts zu erzählen haben, wusste<br />

(die durchaus weitgereiste) Eudora<br />

Welty aus ihrer Heimat in den Südstaaten<br />

und seinen Bewohnern die<br />

Welt (und innere Welten) zu ersinnen.<br />

Sie war Vorbild für literarische Grössen<br />

wie Truman Capote und Richard<br />

Ford, gewann 1973 den Pulitzerpreis<br />

und fotografierte. Ihre Kurzgeschichtensammlung<br />

«A Curtain of Green»<br />

erschien erstmals 1941 auf Englisch, die<br />

letzten beiden Texte in dieser Ausgabe<br />

liest man aber nun zum ersten Mal auf<br />

Deutsch. Allesamt sind es wundersam<br />

poetische Geschichten, die <strong>von</strong> Beobachtungsleidenschaft<br />

zeugen. Schön,<br />

dass der Verlag sie wieder greifbar<br />

macht; schade, dass er die Gelegenheit<br />

zu einer ausführlicheren Biografie verpasst.<br />

Regula Freuler<br />

Lioba Happel: Land ohne Land. Gedichte.<br />

Edition Pudelundpinscher,Unterschächen<br />

2009. 83 Seiten, Fr.28.–.<br />

Lioba Happels Werk ist schmal. 1989<br />

machte die 1957 im fränkischen Aschaffenburg<br />

geborene Autorin bei Suhrkamp<br />

mit dem Gedichtband «Grüne Nachmittage»<br />

auf sich aufmerksam, 1991 folgte<br />

die Erzählung «Ein Hut wie Saturn».<br />

Doch nach einem weiteren Gedichtband,<br />

«Der Schlaf überm Eis» (Schöffling,<br />

1995) wurde es schon wieder still um die<br />

begabte, eigenwillige Autorin, die inzwischen<br />

hauptsächlich in Lausanne lebt.<br />

Fast fünfzehn Jahre sollten verstreichen<br />

bis zu ihrem neuen Gedichtband, «Land<br />

ohne Land». Der Ton ist indes unverkennbar<br />

der gleiche geblieben: Romantische<br />

Phantasien treffen auf Alltagsszenen,<br />

stark rhythmisierte Langgedichte<br />

wechseln ab mit enigmatischen Versund<br />

Gedankensplittern. Im Schlaf und in<br />

Tagträumen steigen Erinnerungen auf,<br />

deuten sich Glück und Liebesleid an.<br />

Keine leichte Lektüre, aber eine auf<br />

inspirierende Weise irritierende und<br />

ergiebige.<br />

Manfred Papst<br />

31. Januar 2010 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 11

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