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Marcel Proust Hommage von Andreas Isenschmid |Sigmund Freud ...

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Essay Thomas Manns «Betrachtungen eines Unpolitischen» liegen erstmals in einer umfassend<br />

kommentierten Ausgabe vor–und lesen sich nun ganz anders<br />

Schauspieler<br />

desDeutschtums<br />

Thomas Mann: Betrachtungen eines<br />

Unpolitischen. Hrsg. Hermann Kurzke.<br />

S. Fischer,Frankfurt a. M. 2009. 2Bände,<br />

645und 783 Seiten, Fr.133.–.<br />

Von Manfred Papst<br />

Mit diesem Buch hat Thomas Mann es<br />

seinen Gegnern leicht gemacht und seinen<br />

Freunden schwer. Die «Betrachtungen<br />

eines Unpolitischen» entstanden in<br />

den Weltkriegsjahren 1915 bis 1918 – die<br />

Arbeit am «Zauberberg» war unterbrochen<br />

– und wurden Ende September<br />

1918 publiziert, als sich der völlige<br />

Zusammenbruch des deutschen Kaiserreichs<br />

bereits abzeichnete. Thomas<br />

Mann wollte die Auslieferung des Werks<br />

noch stoppen, aber angesichts <strong>von</strong> 3000<br />

Vorbestellungen liess sein Verleger<br />

Samuel Fischer nicht mit sich reden.<br />

Das Werk erschien zum denkbar<br />

unglücklichsten Zeitpunkt.<br />

Die «Betrachtungen» sind ein widersprüchliches<br />

Konglomerat aus Zivilisationskritik<br />

und Kulturphilosophie. Sie<br />

verherrlichen den Krieg als inneres<br />

Erlebnis und reinigende Kraft. Sie polemisieren<br />

gegen genau jene Konzepte<br />

<strong>von</strong> Humanismus, Demokratie und<br />

Friedenspolitik, die Thomas Mann später<br />

so nachdrücklich vertreten sollte.<br />

Sie setzen deutsche Innerlichkeit und<br />

kernige Eigentlichkeit gegen französische<br />

Oberflächlichkeit, Verweichlichung<br />

und Dekadenz, auch gegen den<br />

kleinlichen Merkantilismus der Briten,<br />

sind aber frei <strong>von</strong> Antisemitismus. Sie<br />

wettern ohne Ende gegen den verächtlichen<br />

Typus des Zivilisationsliteraten<br />

und meinen am Ende doch nur den<br />

grossen Bruder Heinrich. Der steht<br />

freilich so wenig im Schützengraben<br />

wie Thomas Mann selbst. Was die beiden<br />

auf dem Papier ausfechten, ist nicht<br />

zuletzt ein Bruderzwist um die geistige<br />

Vorherrschaft.<br />

Verdrechselter Stil<br />

Thomas Manns Streitschrift ist <strong>von</strong><br />

einem deutschnationalen Patriotismus<br />

durchdrungen, der so anstössig wie unglaubhaft<br />

wirkt. Doch stehen in dem<br />

monströsen Buch auch viele kluge Sätze<br />

über Ironie und Musik, über Schopenhauer,<br />

Nietzsche und Wagner. Es ist<br />

glänzend geschrieben und doch so verkrampft<br />

wie kein anderes Werk dieses<br />

grossen Autors. Zudem merkt man ihm<br />

an, dass für Thomas Mann im Lauf des<br />

Schreibprozesses etliche seiner Überzeugungen<br />

– vor allem das Kriegspathos<br />

<strong>von</strong> 1914 – fragwürdig werden. Er ist<br />

also gezwungen, die Räder am fahrenden<br />

Zug zu wechseln, ohne dass es<br />

einer merkt. Das führt zu einem mäan-<br />

dernden, relativierenden, verdrechselten<br />

Stil.<br />

In all seinen Büchern ist Thomas<br />

Mann ein Spieler – ein Schau-, auch<br />

Taschenspieler, ein Gaukler, ein Artist.<br />

Er selbst hat immer wieder auf diesen<br />

Umstand hingewiesen. Unter der Oberfläche<br />

des grossbürgerlichen Glanzes,<br />

den er repräsentiert, bröckelt, bröselt,<br />

rieselt es. Das gilt es zu überspielen und<br />

gleichzeitig fühlbar zu machen. Solches<br />

leistet die Kunst der Ironie. Sie bringt<br />

Figuren wie Thomas Buddenbrook,<br />

Gustav Aschenbach und den Prinzen<br />

Klaus Heinrich hervor, die das Weiche,<br />

Flutende, auf Rausch, Entgrenzung, seliges<br />

Versinken Bedachte in sich selbst<br />

überwinden, indem sie sich eine Verfassung<br />

geben und eine Ordnung etablieren,<br />

die ihnen doch zutiefst suspekt ist.<br />

Aber ist Thomas Mann auch in den<br />

«Betrachtungen» ironisch? Bei rechtem<br />

Bedenken: ja. Er wirft sich in einer Weise<br />

in Positur, die jedem wachen Leser auffallen<br />

muss. Der notorisch Überemp-<br />

Thomas Mann<br />

(sitzend) mit seinem<br />

Bruder Heinrich<br />

Mann, um 1900 in<br />

München.<br />

thOMas Mann archiv / KeYstOne<br />

findliche, nicht zufällig wegen Nervosität<br />

und Magenschwäche Ausgemusterte<br />

spielt den strammen Patrioten. Was geht<br />

da vor?<br />

Rettung ins Grossbürgertum<br />

Der deutsche Germanist Hermann Kurzke,<br />

dem wir die nach wie vor beste<br />

Gesamtdarstellung <strong>von</strong> Thomas Manns<br />

Leben und Werk verdanken («Thomas<br />

Mann. Das Leben als Kunstwerk», 1999),<br />

lädt uns mit seiner neuen, umfassend<br />

kommentierten Edition der «Betrachtungen»<br />

ein, Thomas Manns Schmerzensbuch<br />

neu und anders als bisher zu<br />

lesen. Er versteht den Text als Rollenspiel<br />

– und als das «dunkle Zentrum» im<br />

Werk, «das alle Anziehungen und<br />

Abstossungen organisiert». Thomas<br />

Mann, so Kurzke sinngemäss, zwängt<br />

sich in das Korsett einer Überzeugung,<br />

gerade weil ihm der innere Halt fehlt. Er<br />

ist gar kein Gesinnungstäter, sondern<br />

bloss ein «Schauspieler des Deutschtums»<br />

– einer, der sich vor den eigenen<br />

Abgründen (Homosexualität, Bohème,<br />

verbummelte Jugend) in ein geordnetes<br />

Leben (grossbürgerliche Heirat, Familie,<br />

eiserne Arbeitsdisziplin) rettet. Doch im<br />

Grunde weiss Thomas Mann – das ist<br />

Kurzkes Überzeugung – um seine Unfähigkeit<br />

zum Vordenker des Patriotismus.<br />

Wenn es mit Volk und Vaterland so<br />

einfach bestellt wäre, müsste er seine<br />

Haltung nicht auf sechshundert Seiten<br />

gewunden erklären. Und deshalb<br />

betreibt er auch hier ein raffiniertes<br />

Spiel mit fremden Texten, mit Zitaten,<br />

die meist nicht kenntlich gemacht sind.<br />

Kurzke legt en détail dar, dass Aberhunderte<br />

<strong>von</strong> Passagen der «Betrachtungen»<br />

aus verschiedensten Quellen<br />

stammen, aus Zeitungen, Zeitschriften,<br />

Büchern, und dass Thomas Mann sich<br />

hier einmal mehr in der «Kunst des<br />

höheren Abschreibens» übt, dass er collagiert,<br />

arrangiert, Kulissen aufbaut:<br />

Nicht weniger als 4000 Zitate <strong>von</strong> rund<br />

400 verschiedenen Personen weist der<br />

Germanist in dem Buch nach.<br />

Man muss Hermann Kurzke, der sich<br />

seit seiner Dissertation ein Forscherleben<br />

lang mit den «Betrachtungen»<br />

beschäftigt hat, nicht in allen Punkten<br />

folgen. Seine Lektüre des Werks als<br />

eines biografischen Irrgartens birgt die<br />

Gefahr, dass die objektive politische<br />

Dimension der Kampfschrift verharmlost<br />

wird. Doch welche Schlüsse der<br />

Leser selbst auch ziehen mag – nie hat<br />

ihm dabei ein so sorgsam edierter und<br />

akribisch kommentierter Text zur Verfügung<br />

gestanden, nie hat er so genau<br />

nachvollziehen können, auf welch verschlungenen<br />

und schmerzlichen Wegen<br />

Thomas Mann schliesslich doch noch<br />

zum urbanen Demokraten wurde. ●<br />

31. Januar 2010 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 9

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