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Marcel Proust Hommage von Andreas Isenschmid |Sigmund Freud ...

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Roman Der jungedeutsche AutorKristof Magnusson<br />

lässt drei Menschen da<strong>von</strong>erzählen, wie sie in eine<br />

Sackgasse geratensind<br />

Wenn dasLeben<br />

aufder Kippesteht<br />

KristofMagnusson: Daswar ich nicht.<br />

Antje Kunstmann, München 2010.<br />

288 Seiten, Fr.33.90.<br />

Von Simone <strong>von</strong> Büren<br />

Einer der Protagonisten im zweiten<br />

Roman <strong>von</strong> Kristof Magnusson tritt<br />

eines Abends auf seinen Balkon im 38.<br />

Stockwerk eines Chicagoer Hochhauses,<br />

barfuss und im T-Shirt bei minus 18 Grad<br />

Celsius. Ein Windstoss schlägt die Balkontür<br />

zu, und er befürchtet, sich soeben<br />

ausgesperrt zu haben und bei den schallisolierten<br />

Fenstern und dem dichten<br />

Verkehr <strong>von</strong> keiner Menschenseele<br />

gehört zu werden. So wenig braucht es,<br />

um in der Kälte zu stehen. In «Das war<br />

ich nicht» spielt Magnusson augenzwinkernd<br />

durch, was uns die aktuelle Wirtschaftskrise<br />

bitterernst gezeigt hat: wie<br />

schnell sich der American Dream im<br />

kapitalistischen System in sein Gegenteil<br />

verkehren und Millionäre zu Tellerwäschern<br />

machen kann.<br />

Magnusson, dessen Début «Zuhause»<br />

2006 mit dem Rauriser Literaturpreis<br />

ausgezeichnet wurde, lässt in seinem<br />

neuen Roman abwechselnd drei einsame<br />

Ich-Erzähler zu Wort kommen, die mit<br />

ihren bisherigen Lebensentwürfen in<br />

eine Sackgasse geraten sind. Jasper, ein<br />

junger deutscher Trader, setzt bei einer<br />

Bank in Chicago alles auf die Karte Karriere<br />

und geht «wie ferngesteuert»<br />

durchs Leben. Er opfert sich auf für ein<br />

Unternehmen, in dem sein Name «in<br />

eine Plastikhalterung geschoben und<br />

jederzeit austauschbar» ist. Die literarische<br />

Übersetzerin Meike trennt sich<br />

überstürzt <strong>von</strong> ihrem langjährigen Partner<br />

und vom gemeinsamen Kinder kriegenden<br />

und Ökoprodukte kaufenden<br />

Freundeskreis in Hamburg und zieht in<br />

ein baufälliges Haus auf dem Land. Und<br />

der sechzigjährige amerikanische Autor<br />

Henry LaMarck taucht unter, weil er seinen<br />

Jahrhundertroman über 9/11, der<br />

schon vor seinem Erscheinen für den<br />

Pulitzerpreis nominiert worden ist,<br />

nicht schreiben kann.<br />

Der 33-jährige Autor und Übersetzer<br />

aus dem Isländischen lässt seine drei<br />

Erzähler auf faszinierende Weise miteinander<br />

ins Geschäft kommen und einander<br />

abwechselnd zur «letzten Chance»<br />

werden in einer zunehmend dramatischen<br />

Geschichte, in der Geld eine<br />

wesentliche Rolle spielt: fehlendes,<br />

übermässiges und vor allem virtuelles.<br />

Auf packende Weise vermittelt Magnusson<br />

den Sog, der in den Finanz-Arenen<br />

entsteht und das Betrügen mit steigenden<br />

Beträgen abstrakter und einfacher<br />

werden lässt.<br />

Der auch als Dramatiker erfolgreiche<br />

Autor erweist sich erneut als sorgfältiger<br />

Architekt narrativer Zusammenhänge,<br />

forciert allerdings einige Stränge –<br />

etwa Henrys Bekanntschaft mit Elton<br />

John. Stellenweise schwächt er ausser-<br />

Kristof Magnusson<br />

beschreibt einsame<br />

Menschen in der<br />

Grossstadt, so einen<br />

deutschen Banker in<br />

Chicago.<br />

Roman Eine unaufgeregte<strong>Hommage</strong>andie tschechische Sportlegende Emil Zátopek<br />

Titander Leichtathletik<br />

Jean Echenoz: Laufen.<br />

Ausdem Französischen <strong>von</strong>Hinrich<br />

Schmidt-Henkel. Berlin-Verlag,<br />

Berlin 2009. 126 Seiten, Fr.31.50.<br />

Von Sandra Leis<br />

Persönlichkeiten <strong>von</strong> Weltruhm elektrisieren<br />

ihn: In «Die grossen Blondinen»<br />

(2002) sind es Marlene Dietrich, Marilyn<br />

Monroe und Brigitte Bardot, in «Ravel»<br />

(2007) ist es Maurice Ravel. Jetzt setzt er<br />

in «Laufen» dem tschechischen Langstreckenläufer<br />

Emil Zátopek ein Denkmal.<br />

Sport, so gibt Jean Echenoz, der 62jährige<br />

französische Meister des dosierten<br />

Spannungsbogens, zu Protokoll, habe<br />

ihn zeitlebens nie interessiert. Trotzdem<br />

hat er sich festgebissen an Zátopek, zu<br />

dessen spektakulärsten Leistungen der<br />

dreifache Olympiasieg 1952 in Helsinki<br />

gehört: Innerhalb weniger Tage gewann<br />

er über 5000 und 10 000 Meter sowie im<br />

Marathon die Goldmedaille.<br />

Echenoz durchforstete mehrere tausendNummernderZeitschrift«L’Equipe»<br />

der Jahrgänge 1946 bis 1957 und schrieb<br />

dann einen kleinen hübschen Roman<br />

über diesen Volkshelden und tschechischen<br />

Exportschlager im Kalten Krieg,<br />

der stets «ein gewissenhafter Junge» war,<br />

naiv und politisch unbedarft. Emil ist 17<br />

Jahre alt, aus dem Sportmuffel wird einer,<br />

der fanatisch bis über die Schmerzgrenze<br />

hinaus trainiert und die Emil-Methode<br />

perfektioniert. Sein Stil ist alles andere<br />

als elegant, aber legendär: Er kämpft sich<br />

voran, «schwer, zerquält, gemartert,<br />

ruckartig. Er verhehlt nicht, wie grausam<br />

er sich müht.» «Die tschechische Lokomotive»,<br />

so lautet sein Spitzname.<br />

Während Echenoz in «Ravel» Stationen<br />

des Künstlerlebens detailreich und<br />

höchst einfühlsam zu Papier brachte,<br />

nimmt er sich in «Laufen» sehr zurück.<br />

dem seine Erzähler, wenn er in erklärenden<br />

Ausführungen zu Facebook oder<br />

zum Chicagoer Valentinstag-Massaker<br />

als pflichtbewusster Autor zu dominant<br />

wird oder vereinzelt Vergleiche und<br />

Metaphern überfrachtet. So beschreibt<br />

er die Frisur einer Verlegerin wirkungsvoll<br />

als «einbetoniertes Baiser» und<br />

malt dann aus, «wie sie in ihrem schwarzen<br />

Mercedes-Cabriolet den Lake Shore<br />

Drive entlangbrauste und kein einziges<br />

Haar auch nur ins Zittern kam». Oder er<br />

lässt Meike die Klappe eines amerikanischen<br />

Briefkastens öffnen, «vorsichtig<br />

wie die Tür eines Backofens, nachdem<br />

die Schaltuhr geklingelt hatte und die<br />

Tiefkühllasagne nach fünfzig Minuten<br />

endlich fertig war».<br />

Die Moral <strong>von</strong> der Geschicht: Drei<br />

Menschen wollen sich mit Karriere,<br />

Ruhm und aussergewöhnlichen Lebensentwürfen<br />

profilieren, geraten aus dem<br />

Konzept, verlieren Geld, ruinieren ihren<br />

Ruf und werden weit weg <strong>von</strong> den Forderungen<br />

der Leistungsgesellschaft mit<br />

ganz wenig glücklich.<br />

Das mag ein wenig banal sein, gegen<br />

Schluss auch klischiert, aber es zeigt mit<br />

Humor und Schwung, wie sich individuelle<br />

Lebensentwürfe und gesellschaftliche<br />

Systeme erschöpfen und nach<br />

einer Krise neu entwickeln können. In<br />

diesem Sinn macht der Text eine Aussage<br />

zu unserer Zeit weit über die vielen<br />

konkreten Verortungen hinaus, die er<br />

vornimmt. ●<br />

Wir erfahren nicht, was Zátopek denkt<br />

oder fühlt, Echenoz fokussiert auf die<br />

Wettkämpfe – im Stil des Slapsticks,<br />

lakonisch und komisch, doch nie verräterisch.<br />

Sein Held liegt ihm am Herzen,<br />

und als Emil «in kurzer Hose und ausgewaschener<br />

Trainingsjacke» nach dem<br />

Zweiten Weltkrieg als 24-Jähriger in<br />

Berlin die Weltbühne erobert, recken<br />

auch wir die Faust zum Triumph.<br />

Zwei historische Daten prägen das<br />

Leben <strong>von</strong> Zátopek: die Besetzung seiner<br />

Heimat 1939 durch die Deutschen<br />

und der Prager Frühling 1968, dem der<br />

Einmarsch der Russen ein brutales Ende<br />

setzt. Emil Zátopek, der «aufrichtig an<br />

die Tugenden des Sozialismus glaubt»,<br />

kämpft für eine freiheitliche Tschechoslowakei.<br />

Die Folgen sind fatal, Echenoz<br />

hakt sie auf dreieinhalb Seiten ab und<br />

verabschiedet seinen Helden mit dem<br />

Satz: «Ich habe es gewiss nicht anders<br />

verdient.» ●<br />

31. Januar 2010 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 7<br />

Brian MurphY / aLaMY

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