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Marcel Proust Hommage von Andreas Isenschmid |Sigmund Freud ...

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Musik Zwei unterschiedliche Monografien widmen sich den beiden Rebellen<br />

der modernen Oper: Nikolaus Harnoncourt und Hans Werner Henze<br />

Grossmeisterder Klangwelt<br />

Johanna Fürstauer,Anna Mika: Oper<br />

sinnlich. Die Opernwelten des Nikolaus<br />

Harnoncourt. Residenz, St.Pölten 2009.<br />

400Seiten, Fr.49.50.<br />

Jens Rosteck: Hans Werner Henze.<br />

Rosen und Revolutionen. Propyläen,<br />

Berlin 2009. 576 Seiten, Fr.47.50.<br />

Von Corinne Holtz<br />

Sie gelten als Grossmeister und schreiben<br />

seit einem halben Jahrhundert<br />

Musik- und Zeitgeschichte: Nikolaus<br />

Harnoncourt, Dirigent und Musikforscher<br />

aus Graz, ist die zentrale Figur der<br />

Erneuerung der Aufführungspraxis nach<br />

1950; Hans Werner Henze, Komponist<br />

und Essayist aus Gütersloh, ist als Poet<br />

allein unter den Avantgardisten und<br />

steht seit 1957 unter dem Generalverdacht<br />

des Schöntöners. Die beiden<br />

trennt mehr als das, was sie generationsmässig<br />

verbindet, und doch eröffnen<br />

sich beim Lesen der zwei völlig unterschiedlich<br />

angelegten Bücher Gemeinsamkeiten:<br />

Beide blicken auf ein rebellisch<br />

verteidigtes Lebenswerk zurück,<br />

das polarisiert, und beide sind Publikumsmagneten,<br />

die nach wie vor für<br />

Gesprächsstoff sorgen.<br />

Die Oper: neu interpretiert<br />

Die Publizistinnen Johanna Fürstauer<br />

und Anna Mika greifen ein Thema kaum<br />

aufgearbeiteterInterpretationsgeschichte<br />

auf, indem sie Harnoncourts Erneuerung<br />

der Operninterpretation zum<br />

Thema machen. Dabei lassen sie in<br />

«Oper sinnlich» vor allem Dritte sprechen:<br />

Entlang den <strong>von</strong> Harnoncourt aufgeführten<br />

Opern <strong>von</strong> Monteverdi über<br />

Mozart bis Gershwin zitieren die Autorinnen<br />

Musiker, Sängerinnen, Intendanten<br />

und Journalisten, verzichten<br />

auf eigene Einordnungen, vermitteln<br />

aber musikhistorische Hintergründe der<br />

Werke. Der Monteverdi-Zyklus am<br />

Opernhaus Zürich etwa wird <strong>von</strong> aufgeschlossenen<br />

Musikern kommentiert, die<br />

dabei waren, als andere noch den Misserfolg<br />

fürchteten. Der Fagottist Erich<br />

Zimmermann berichtet <strong>von</strong> den Berührungsängsten<br />

der Orchestermusiker und<br />

erinnert sich an die Rekrutierung für<br />

Harnoncourts Pionierprojekt in der Zeit<br />

vor 1975. Wer ist bereit, ein sogenanntes<br />

Originalinstrument zur Hand zu nehmen<br />

und sich spieltechnisch damit vertraut<br />

zu machen? «Mein Name war ein<br />

halbes Jahr lang der einzige auf der Liste.<br />

Kollegen haben mich gefragt: Willst du<br />

wirklich Teil eines Misserfolgs werden?<br />

Stattdessen wurde ich Teil eines Riesenerfolgs!»<br />

Harnoncourt selbst, der mit «Ulisse»<br />

und «Poppea» <strong>von</strong> 2002 und 2005 ein<br />

weiteres Mal auf Monteverdi zurückgekommen<br />

ist, würdigt seine Mitstreiter<br />

<strong>von</strong> damals und spricht <strong>von</strong> den hochmotivierten<br />

«Freiwilligen», die ihre<br />

Nikolaus Harnoncourt<br />

dirigiert in Wien das<br />

Neujahrskonzert<br />

2001 der Wiener<br />

Philharmoniker.<br />

«Freizeit geopfert» haben. Zwischen<br />

den Zeilen erfährt die Leserin, dass das<br />

spieltechnische Niveau <strong>von</strong> damals aus<br />

nachvollziehbaren Gründen schlechter<br />

war als heute, was Harnoncourt jedoch<br />

als «unfair» zu sagen betrachtet. Diese<br />

Darstellungsweise durchzieht das Buch,<br />

in dem verschiedene Textsorten (Essay,<br />

Reportage, Quellentext) aneinandergereiht<br />

sind – das ist einerseits abwechslungsreich,<br />

anderseits vermisst man eine<br />

Handschrift und kritische Fragestellungen.<br />

Dass Harnoncourt nur ausserhalb<br />

etablierter Institutionen sich selbst bleiben<br />

konnte und was hinter der erbitterten<br />

Gegnerschaft <strong>von</strong> Harnoncourts<br />

Ästhetik steckt – solche Beobachtungen<br />

sucht man vergebens. Hingegen werden<br />

Seitenhiebe auf das «Regietheater» ausgeteilt,<br />

dessen ungenannte Regisseure<br />

sich angeblich über die Musik erheben.<br />

Spannend wird es immer dann, wenn<br />

Harnoncourt selbst spricht – etwa im<br />

Plädoyer für Mozarts 1980 noch unterschätzten<br />

«Idomeneo» – oder schreibt.<br />

Ganz anders geht der Musik- und<br />

Literaturwissenschafter Jens Rosteck<br />

vor, der die erste grosse Biografie über<br />

Hans Werner Henze verfasst hat. Er feiert<br />

den zu «Jähzorn» und «ausgewachsenen<br />

Tobsuchtsanfällen» neigenden<br />

Knaben Hans als die «massstabsetzende»<br />

linke Persönlichkeit der Bundesrepublik<br />

Deutschland, der als «Tonschöpfer»<br />

mindestens «ebenso bedeutend»<br />

sei «wie seine inzwischen verstorbenen<br />

Generationsgefährten Karlheinz Stockhausen<br />

und Mauricio Kagel». Rosteck<br />

spricht vom ewigen «Rebell der zweiten<br />

Jahrhunderthälfte» und spart nicht mit<br />

Lob für den Aussenseiter, der sich künstlerisch<br />

und persönlich stets exponiert<br />

und Ausgrenzung nicht allein als bekennender<br />

Homosexueller erfahren hat. Die<br />

Wurzeln dieser Verletzung vermutet die<br />

Leserin im Verrat durch den Vater, der<br />

sich vom linksliberalen Volksschullehrer<br />

zum überzeugten Nationalsozialisten<br />

wandelte.<br />

Ins Gespräch gebracht<br />

Die Schilderung dieser traumatisierenden<br />

Kindheit gehört zu den stärksten<br />

Passagen der Biografie, die sich stellenweise<br />

wie ein Thriller liest und vom Erzähltalent<br />

des sprachmächtigen Autors<br />

zeugt. Die Musik Henzes allerdings<br />

kommt zu kurz, deren Darstellung<br />

beschränkt sich weitgehend auf Werktitel<br />

und auf Skandale wie jenen an den<br />

Donaueschinger Musiktagen 1957, als<br />

Boulez, Nono und Stockhausen den Saal<br />

verlassen, während Henzes «Nachtstücke<br />

und Arien» auf Gedichte <strong>von</strong> Ingeborg<br />

Bachmann erklingen. Der Herausforderung,<br />

die musikalische Ästhetik<br />

Henzes und deren Position in der<br />

Moderne nachvollziehbar zu beschreiben,<br />

hat sich der Autor nicht gestellt.<br />

Hingegen hat er die Fülle <strong>von</strong> Quellenmaterial<br />

zu nutzen gewusst und akribische<br />

Genauigkeit bei dessen Auswertung<br />

walten lassen. Wirklich Neues<br />

erfährt man über Henze kaum, und die<br />

Empathie des Autors schlägt gelegentlich<br />

ins Pathos um, aber: Rosteck dürfte<br />

es zweifellos gelingen, Henze ins Gespräch<br />

zu bringen. ●<br />

31. Januar 2010 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 21<br />

MarcO BOrggreve / LaiF

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