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Marcel Proust Hommage von Andreas Isenschmid |Sigmund Freud ...

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Sachbuch<br />

Familienbiografie Flott geschriebene Geschichte der<br />

unermesslich reichen, unglaublich exzentrischen und<br />

unbeschreiblich neurotischen Stahldynastie<br />

Die Wittgensteins<br />

Alexander Waugh: DasHaus Wittgenstein.<br />

Geschichteeiner ungewöhnlichen<br />

Familie. S. Fischer,Frankfurt 2009.<br />

448Seiten, Fr.42.90.<br />

Von Ina Boesch<br />

Das erste Wort des ältesten Sohnes soll<br />

«Ödipus» gewesen sein. Das ist zwar<br />

ungewöhnlich, einem Spross aus dieser<br />

Familie jedoch zuzutrauen. Bei den<br />

Wittgensteins war vieles ausserhalb der<br />

Norm: Sie waren unermesslich reich,<br />

unglaublich exzentrisch und unbeschreiblich<br />

neurotisch.<br />

Im Haus des Stahlmagnaten Karl Wittgenstein<br />

gab es zudem keine Ausnahmebegabung<br />

oder Einzelerscheinung, sondern<br />

nur Mehrfachausführungen. Drei<br />

Söhne nahmen sich das Leben, vier <strong>von</strong><br />

fünf Männern waren homosexuell, zwei<br />

der neun Kinder wurden berühmt: Ludwig<br />

Wittgenstein erlangte Weltruhm als<br />

Sprachphilosoph, Paul Wittgenstein ging<br />

als einarmiger Pianist in die Musikgeschichte<br />

ein. Von den Frauen eroberte<br />

sich Gretl Wittgenstein, <strong>von</strong> Gustav<br />

Klimt porträtiert und als Schönheit des<br />

Fin de Siècle gefeiert, einen Platz im<br />

kunsthistorischen Olymp.<br />

Eigentlich erstaunlich, dass diese<br />

Ansammlung <strong>von</strong> Begabung und Glanz<br />

in einer Familie nicht zu einer Flut <strong>von</strong><br />

Romanen und Filmen geführt hat. Nun<br />

hat sich der britische Musikkritiker und<br />

Publizist Alexander Waugh als einer der<br />

Ersten der üppigen Familiengeschichte<br />

angenommen. Selbst aus einer eher<br />

exzentrischen Familiendynastie stam-<br />

mend (der Grossvater war der überspannte<br />

und reaktionäre Romancier<br />

Evelyn Waugh; der Vater der berüchtigte<br />

Kolumnist Auberon Waugh), hat er<br />

zwar ein feines Gespür für die Neurosen<br />

und die Tragik im Hause Wittgenstein,<br />

doch ist er leider der Verführung durch<br />

den Glamour der vielen schillernden<br />

Leben erlegen. Diese haben seine ganze<br />

Aufmerksamkeit und nicht die Familie<br />

als umfassendes Gefüge, geschweige<br />

denn das historische, politische und<br />

wirtschaftliche Umfeld.<br />

Waugh scheute die Herausforderung,<br />

die bewegten Biografien mit der bewegten<br />

Zeit vom Fin de Siècle bis nach<br />

dem Zweiten Weltkrieg zu verbinden.<br />

So erfährt man beispielsweise kaum<br />

etwas über die Hintergründe des steilen<br />

Aufstieges Karl Wittgensteins vom Barmann<br />

in Amerika zum Eisenkönig in<br />

Österreich-Ungarn. Stattdessen konzentriert<br />

er sich auf einzelne Figuren,<br />

insbesondere auf den Pianisten Paul, der<br />

nach seinem Verlust des rechten Armes<br />

in den ersten Monaten des Ersten Weltkrieges<br />

mit eiserner und beeindruckender<br />

Disziplin sein ganzes Können auf<br />

die linke Hand verlegte. Ausgestattet<br />

mit einem immensen Reichtum, konnte<br />

er bei den berühmtesten Komponisten<br />

der damaligen Zeit wie Paul Hindemith,<br />

Sergei Prokofjew, Benjamin Britten oder<br />

Maurice Ravel Klavierwerke für die<br />

linke Hand bestellen. Doch Paul war<br />

kein Freund <strong>von</strong> neuen Tönen und hatte<br />

dezidierte Vorstellungen <strong>von</strong> einer<br />

Komposition, weshalb er häufig die Partituren<br />

umschrieb und sich mit beinahe<br />

allen Tonkünstlern anlegte.<br />

Literatur Goethe war – entgegen der Legende – durchaus empfänglich für Musik<br />

Erlöst im tönenden Seelenzauber<br />

NorbertMiller: Die ungeheureGewalt der<br />

Musik. Goethe und seine Komponisten.<br />

Hanser,München 2009. 447S., Fr.42.90.<br />

Von Manfred Koch<br />

War Goethe unmusikalisch? Einiges<br />

spricht dafür: Er brauchte lange, um<br />

Mozart zu würdigen, verkannte Beethoven<br />

und Schubert und rühmte mediokre<br />

Tonsetzer wie Carl Friedrich Zelter.<br />

Lange hielt sich deshalb die Legende,<br />

der Geheime Rat habe nur über eine<br />

kümmerliche Musikalität verfügt.<br />

Damit räumt Norbert Miller nun<br />

gründlich auf. Schon mit dem Titel seines<br />

Buchs unterstreicht der Berliner<br />

Komparatist Goethes Empfänglichkeit<br />

für den tönenden Seelenzauber. «Nun<br />

aber doch das eigentlich Wunderbarste!<br />

Die ungeheure Gewalt der Musik auf<br />

24 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 31. Januar 2010<br />

mich in diesen Tagen!», schreibt Goethe<br />

1823, in der Zeit seiner skandalösen Greisenliebe<br />

zu Ulrike <strong>von</strong> Levetzow, an Zelter.<br />

Die Stimme einer Berliner Sopranistin,<br />

das Spiel einer polnischen Pianistin,<br />

«ja sogar die öffentlichen Exhibitionen<br />

des hiesigen Jägerkorps falten mich auseinander,<br />

wie man eine geballte Faust<br />

freundlich flach lässt». Der verstörte,<br />

alte Mann erfährt Musik als Erlösung.<br />

Das ist freilich noch kein Beleg für<br />

Sachverstand. Doch Miller zeigt ausführlich,<br />

wie Goethe in der konkreten<br />

Zusammenarbeit mit Komponisten auch<br />

musiktheoretisch originelle Wege einschlug.<br />

Mit Philipp Christoph Kayser,<br />

der seine Singspiele vertonte (darunter<br />

«Scherz, List und Rache», für Miller ein<br />

«verkanntes Meisterwerk»), entwickelte<br />

er eine neue «Ästhetik des heiteren<br />

Musikdramas», mit Johann Friedrich<br />

Reichardt, dem Leibkomponisten der<br />

Gretl Wittgenstein, gemalt <strong>von</strong> Gustav Klimt, 1905.<br />

Diese Anekdoten sind zwar einschlägig<br />

bekannt, doch so detailliert und flott<br />

geschrieben war Pauls Schicksal noch<br />

nirgends zu lesen. Zu detailliert und an<br />

den einzelnen Personen orientiert präsentiert<br />

Waugh hingegen die bislang<br />

wenig bekannte Geschichte, wie sich die<br />

Nazis Pauls Vermögen anzueignen versuchten<br />

(indem sie die jüdische Herkunft<br />

der Familie nachwiesen). Dabei<br />

hätte der Autor gerade hier die Chance<br />

gehabt, einen Schwerpunkt zu setzen<br />

und Familiengeschichte mit Sozial- und<br />

Wirtschaftsgeschichte kongenial zu verbinden.<br />

●<br />

mittleren Lebensphase, reflektierte er<br />

das ideale Verhältnis <strong>von</strong> Vers und<br />

Melodie im Kunstlied.<br />

Zelter kam zuletzt eine Ausnahmestellung<br />

zu, weil er in einer langen<br />

Freundschaft weit mehr wurde als<br />

ein musikalischer Wegbegleiter. Da er<br />

über beträchtliches Schreibtalent verfügte,<br />

machte Goethe ihn, so Millers<br />

überraschender Befund, behutsam zum<br />

Co-Autor seines wichtigsten autobiografischen<br />

Alterswerks: des Goethe-Zelter-<br />

Briefwechsels! Und wie zum Dank<br />

schenkte Zelter ihm dafür ein musikalisches<br />

Verjüngungserlebnis. Er brachte<br />

seinen elfjährigen Schüler Felix Mendelssohn<br />

nach Weimar, dessen Klavierspiel<br />

der entzückte Goethe als «Schicksalszeichen»<br />

begriff: Über alle Lebensalter<br />

hinweg springt auch zwischen<br />

verschiedenen Künsten der geistige<br />

Funke verlässlich über. ●<br />

seeger press

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