Marcel Proust Hommage von Andreas Isenschmid |Sigmund Freud ...
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Belletristik<br />
Kriminalroman Die Amerikanerin Zoë Ferraris schreibt über das Grauen unter der Scharia<br />
VerschleierteVerbrechen<br />
ZoëFerraris: Totenverse. Ausdem<br />
Amerikanischen <strong>von</strong>UlrikeWasel und<br />
Klaus Timmermann. Pendo,München<br />
2009. 384 Seiten, Fr.32.90.<br />
Von Pia Horlacher<br />
Vor zwei Jahren stach ein aussergewöhnliches<br />
Début aus der Flut der Kriminalromane<br />
hervor: «Die letzte Sure» der<br />
jungen Amerikanerin Zoë Ferraris führte<br />
uns dorthin, «wo eine Frau zuerst tot<br />
sein muss, bis sich ein Mann mit ihrem<br />
Leben beschäftigen darf» – in die totale<br />
Geschlechter-Apartheid der islamischen<br />
Gesellschaft Saudiarabiens. Das Verbrechen,<br />
das der einsame Wüstenführer<br />
Nayir und die rebellische Gerichtsmedizinlaborantin<br />
Katya damals aufklären<br />
mussten, ist das gleiche, das auch im<br />
neuen Roman eigentlich offen vor ihnen<br />
liegt: die Versklavung der Frau unter der<br />
Scharia. Auch in «Totenverse» kleidet<br />
es Ferraris geschickt in den Plot eines<br />
Leichenfunds am Strand <strong>von</strong> Jidda: Der<br />
grausam entstellte weibliche Körper<br />
gibt umso grössere Rätsel auf, als in dieser<br />
«City of Veils» (Stadt der Schleier,<br />
so der amerikanische Originaltitel) fast<br />
alles die Tötung einer Frau motivieren<br />
kann. Und fast nichts eine mögliche<br />
Sühne.<br />
Frauen als Sexobjekte<br />
Dass hier die junge Dokumentaristin<br />
Leila liegt und nicht eine der andern<br />
weiblichen Figuren, mit denen Ferraris<br />
uns dieses unmenschliche System nüchtern<br />
vor Augen führt, ist blosser Zufall.<br />
PopArt Aufbeiden Seiten des Eisernen Vorhangs<br />
Flugzeuge, Panzer und Raketeninknalligen Farben<br />
und einfachen Formen: So hatRoy Lichtenstein zu<br />
Beginn der 1960er JahreComics aufgegriffenund zu<br />
Ikonen der PopArt gemacht. Noch einen Tick greller<br />
und drastischer überrascht dieselbe Bildlichkeit beim<br />
ehemaligen Erzfeind: Martin Roemershat das fröhliche<br />
Durcheinander <strong>von</strong>Kriegsgerät im ehemaligen<br />
Kinosaal eines verlassenen sowjetischen Militärstützpunkts<br />
im OstenDeutschlands gefunden. Der globale<br />
Siegeszugder PopArt manifestiertsich auf der anderenSeiteder<br />
Front. Solche Überraschungen sind es,<br />
die dieses Buch über die Überbleibsel des Kalten Kriegesbemerkenswert<br />
vielschichtig machen. Der 1962im<br />
niederländischen Oldehove geborene Fotograf reiste<br />
elf Jahrelang durch die Länder auf beiden Seiten des<br />
8 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 31. Januar 2010<br />
Eisernen Vorhangsund besuchteRaketenabschussbasen,<br />
Flugzeughangars, Panzer,Turnhallen, Bunker,<br />
Kasernen, Spitäler,Ausbildungs- und Gefängnisräume.<br />
Die Bilder,die Roemers<strong>von</strong> seinen Reisen mitgebracht<br />
hat, sind aber weit mehr als Dokumenteeiner<br />
zurückliegenden Epoche globaler Konfrontation in<br />
Europa.Der renommierte Fotograf zeigt vielmehr,wo<br />
sich Ängsteauf beiden Seiten berühren und ganz ähnliche<br />
Formen der Abwehr hervorbringen. In der Serie<br />
<strong>von</strong>Tunnels findet sein archäologischer Blick eine<br />
Chiffreder Bedrohung und ein Mahnmal für die Hoffnung<br />
auf Frieden. GerhardMack<br />
Martin Roemers: Relics of the Cold War.<br />
Hrsg.Nadine Barth. Hatje Cantz, Ostfildern 2009.<br />
144Seiten, 73 Farbabbildungen, Fr.59.–.<br />
Denn sie alle verstossen gegen die patriarchalischen<br />
Sittengesetze einer sexuellen<br />
Paranoia, die schon kleinste weibliche<br />
«Überschreitungen» mit gröbster<br />
Gewalt ahndet. Allein die sündige Gegenwart<br />
einer Frau, wahrgenommen einzig<br />
als Sexobjekt und Verführungssubjekt,<br />
rechtfertigt die Fesseln <strong>von</strong> Burka und<br />
obligatorischer männlicher Begleitung.<br />
Nicht einmal ihre Unterwäsche dürfen<br />
diese Frauen alleine einkaufen.<br />
Die tote Leila zum Beispiel war<br />
eigentlich nur Hilfskraft bei einem Fernsehsender,<br />
aber sie hatte journalistische<br />
Ambitionen und verfolgte ausgerechnet<br />
ein Filmprojekt über die heuchlerische<br />
Doppelmoral der islamischen Männergesellschaft.<br />
Ihre kleinwüchsige Freundin<br />
Faruha hingegen ist als verachteter<br />
Krüppel zu ewigem Hausarrest verdammt.<br />
Während Katya behaupten<br />
muss, verheiratet zu sein, um ihre Stelle<br />
nicht zu verlieren. Und Fahu, die Ehefrau<br />
<strong>von</strong> Katyas liberalem Chef Osama,<br />
gefährdet ihre Ehe und ihre Existenz,<br />
weil sie keine weiteren Kinder mehr<br />
möchte. Miriam, die Amerikanerin, die<br />
ihrem Mann widerwillig zu einem<br />
beruflichen Aufenthalt nach Saudiarabien<br />
gefolgt ist, konstatiert mit zunehmender<br />
Bestürzung, wie ihr in diesem<br />
riesigen Frauenkerker der rassistischen<br />
Verschleierung und Segregation jedes<br />
westliche Selbstbewusstsein abhanden<br />
kommt. Dass es ihrem Mann hier – bis<br />
zu seinem plötzlichen Verschwinden,<br />
dem zweiten Strang der Geschichte –<br />
verdächtig gut gefällt, verunsichert sie<br />
zusätzlich.<br />
Doppelter Spannungsbogen<br />
Doch Ferraris spielt nicht auf der<br />
Schwarz-Weiss-Klaviatur des umgedrehten<br />
Geschlechterhasses: Die Menschenwürde<br />
ist unteilbar, und wo sie für<br />
die eine Hälfte der Gesellschaft nicht<br />
gilt, wird die andere auf ihre Art zum<br />
Opfer des Systems werden. So sind die<br />
männlichen Protagonisten in «Totenverse»<br />
keine Pappkameraden eines fundamentalistischen<br />
Islams, sondern als<br />
differenziert herausgearbeitete Figuren<br />
indirekt seine überzeugendsten Kritiker.<br />
Der tiefreligiöse Nayir etwa leidet heftig<br />
unter seiner Sehnsucht nach Liebe<br />
und weiblicher Gesellschaft – besonders<br />
derjenigen <strong>von</strong> Katya. Die Frage, wie<br />
und ob die beiden trotz Begegnungsund<br />
Sprechverbot zusammenkommen<br />
können, gibt dem Roman einen Spannungsbogen<br />
über den klassischen Krimi-<br />
Thrill hinaus. Ebenso wie das Eheproblem<br />
des sonst weltoffenen Kommissars,<br />
der fast die Liebe seiner Frau verliert,<br />
weil die sich nicht getraut, ihm ihre<br />
unweiblichen Wünsche nach einem<br />
Beruf statt mehr Kindern zu gestehen.<br />
Ganz offensichtlich kennt Zoë Ferraris<br />
die Verhältnisse aus eigener Anschauung.<br />
Miriam dürfte ihre eigenen Erfahrungen<br />
als ehemalige Ehefrau eines<br />
Palästinensers in Jidda am deutlichsten<br />
spiegeln – und unseren ungläubigen<br />
Blick auf diese Welt des alltäglichen<br />
Grauens. ●