Marcel Proust Hommage von Andreas Isenschmid |Sigmund Freud ...
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MichaeL hOrOwitz / anzenBerger<br />
andreJ reiser / BiLderBerg<br />
Abgeltungen. Geradezu erholsam zu<br />
lesen sind deshalb die Briefe, in welchen<br />
Unseld in die Rolle des Lektors schlüpft.<br />
Im Manuskript der Erzählung «Gehen»<br />
etwa moniert er gewisse typische Bernhardsche<br />
Superlativbildungen wie «vollkommendste<br />
Untätigkeit» und «epochemachendste<br />
Gedanken». Auch die zahlreichen<br />
Kursivierungen – die bald zu<br />
Bernhards Markenzeichen wurden – stören<br />
ihn empfindlich; den Autor kümmert<br />
es nicht. In einem Kommentar zum Bühnenstück<br />
«Immanuel Kant» formuliert<br />
Unseld seine Skepsis gegenüber dem<br />
Wort «Seeehe», plädiert dann aber doch<br />
dafür, die drei Es, gegen die diesbezügliche<br />
Regel im Duden, beizubehalten.<br />
Zweipersonendrama<br />
Immer wieder zu reden gaben Titelfragen.<br />
Zu Bernhards Vorschlag «Moser<br />
versucht es zum dritten Mal» äussert<br />
sich Unseld nicht; über den definitiven<br />
Titel – «Verstörung» – ist er «reichlich<br />
unglücklich». Die 1967 aufgelegte Prosa<br />
wurde <strong>von</strong> der Kritik gefeiert, der Absatz<br />
jedoch war so schlecht, dass Unseld<br />
noch ein Jahr nach Erscheinen auf das<br />
Titelproblem zurückkommen musste:<br />
«Es war uns sonnenklar, dass ein solcher<br />
Titel zunächst vom Sortiment abgelehnt<br />
würde und dann <strong>von</strong> den Leuten, die<br />
Bücher zu Geschenkzwecken kaufen.<br />
Diese Leute wollen eben keinen Titel,<br />
der ‹Verstörung› heisst. Wir alle wussten<br />
dies, aber Thomas Bernhard wies<br />
die Argumente seines Verlegers zurück,<br />
er wusste es besser, und nun haben wir<br />
die Quittung.»<br />
Der Briefwechsel liest sich in manchen<br />
Teilen als eigentliches Zweipersonendrama<br />
und dürfte nicht nur für Bernhard-Fans<br />
<strong>von</strong> Interesse sein. Ein grosses<br />
Lob gebührt den Herausgebern. Im<br />
weit ausgreifenden, auch zeitgeschichtlich<br />
wertvollen Kommentarteil breiten<br />
sie viel Hintergrundmaterial aus. Ausführlich<br />
zitiert werden Unselds private<br />
Rapporte seiner persönlichen Begegnungen<br />
mit dem Dichter. Ebenfalls in<br />
den Fussnoten findet sich Unselds Notiz<br />
über ein Mittagessen, bei dem sich Bernhard<br />
über seine zahlreichen Nachahmer<br />
beklagt und den Verleger drängt, Manuskripte,<br />
die eine allzu grosse Ähnlichkeit<br />
zu seinem eigenen Schreiben aufweisen<br />
würden, inskünftig nicht mehr zum<br />
Druck zu bringen und am besten gewissen<br />
Suhrkamp-Autoren «das Schreiben<br />
in dieser Form zu verbieten».<br />
Am geläufigen Bild des zutiefst einsamen<br />
Menschen Thomas Bernhard<br />
ändert die Publikation der Briefe wenig.<br />
Dagegen bietet der Band überaus aufschlussreiche<br />
Einblicke ins Buchgeschäft<br />
und in das Talent des Verlegers Siegfried<br />
Unseld, seinen Autor mit kluger Geldund<br />
Editionspolitik immer neu zur Ausnahmeleistung<br />
zu motivieren. Daraus<br />
erwuchs in gerade fünfundzwanzig Jahren<br />
jenes <strong>von</strong> hohem Witz geprägte<br />
brandschwarze Lebenswerk, das uns bis<br />
heute in seinen Bann zieht. ●<br />
Bruno Steiger lebt als Schriftsteller<br />
und Literaturkritiker in Zürich. Zuletzt<br />
erschien sein Essay-Band «Zwischen<br />
Unorten» (2009).<br />
31. Januar 2010 ❘NZZ am Sonntag ❘ 5