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Matthias Bauer: Liebe Deinen Replikanten wie Dich selbst

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Menschen in sich zu haben.“ 20 Das aber bedeutet nicht nur, dass das Ge-<br />

hirn zur Wahrnehmung und inneren Abbildung anderer Menschen diesel-<br />

ben Programme einsetzt, mit denen es auch ein Bild von sich <strong>selbst</strong> mo-<br />

delliert. 21 Es bedeutet darüber hinaus, dass die Wahrnehmung und Reprä-<br />

sentation einer menschlichen Gestalt auf der Leinwand tatsächlich insofern<br />

der Herstellung eines <strong>Replikanten</strong> gleicht, als es dabei um die Identifikation<br />

mit dem dynamischen Objekt geht, das im empathischen Feld entsteht.<br />

Die spontanen Simulationen der Gefühlsregungen, die ein Schauspieler auf<br />

der Leinwand ausdrückt, werden im Rahmen der psycho-semiotischen Aktivität,<br />

die mit der Aktivität der Spiegelneuronen beginnt, zu einer vergleichsweise<br />

stabilen Repräsentation entwickelt, in der sich zwei Bilder<br />

von Personen ineinander spiegeln: das der eigenen Person und das einer<br />

Bezugsperson. In diesem Sinne ist der Replikant eine Allegorie der neuronalen<br />

Replikationen, die Menschen im Prozess der Identifikation mit einem<br />

signifikanten Anderen – sei es nun in der Realität oder in der Fiktion – erzeugen.<br />

Dabei ist die Simulation klar und deutlich von der Verhaltensimitation<br />

zu unterscheiden: Die ‚Spiegelneuronen‘ feuern, doch die eigene<br />

Bewegung wird inhibitiert. Gleichwohl findet in der Imagination offenbar<br />

statt, was George Herbert Mead auf die Formel „to take the role of the other“<br />

gebracht hat. 22 Der sentimentale Vorgang der Identifikation einer<br />

Zuschauerin oder eines Zuschauers mit Figuren <strong>wie</strong> Rachael Rosen oder<br />

Rick Deckard ist also kein Indiz von Naivität, sondern genau das, was man<br />

als die basale Interaktion bzw. als den immer <strong>wie</strong>der von neuem erforderlichen<br />

Akt der Konstitution einer humanen Gesellschaft bezeichnen könnte.<br />

Indem die Schlüsselszene von The Blade Runner diesen Vorgang modelliert<br />

und an das Bild vom Menschen in der Revolte koppelt, erhält der<br />

Film eine ethische Dimension, die über das empathische Feld hinausweist,<br />

das sich in seiner Wahrnehmung und Deutung bildet. Daher kann man mit<br />

Thomas Koebner über Scotts Film sagen:<br />

„Er definiert Menschlichkeit nicht traditionalistisch, etwa durch biologische<br />

Er[b]folge, Stammbaum, Familie – dies scheinen nur veraltete Vehikel<br />

bürgerlicher Selbstfindung aus verflossenen Tagen zu sein. Er definiert sie<br />

20 <strong>Bauer</strong>, S. 86.<br />

21 Vgl. <strong>Bauer</strong>, S. 165f.<br />

22 Vgl. George Herbert Mead: Geist, Identität und Gesellschaft aus der Sicht des Sozialbehaviorismus. Aus dem<br />

Amerikanischen von Ulf Pacher. Frankfurt am Main 1993. Dort heißt es auf S. 300 über die soziale Person:<br />

„Indem sie diese Rolle der anderen übernimmt, kann sie sich auf sich <strong>selbst</strong> besinnen und so ihren eigenen<br />

Kommunikationsprozeß lenken. Diese Übernahme der Rolle anderer [...] ist nicht nur zeitweilig von Bedeutung<br />

[...], sondern für die Entwicklung der kooperativen Gesellschaft wichtig.“ Siehe auch den Abschnitt ‚Über das<br />

Wesen des Mitgefühls‘, S. 346-350.<br />

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