24.01.2013 Aufrufe

Matthias Bauer: Liebe Deinen Replikanten wie Dich selbst

Matthias Bauer: Liebe Deinen Replikanten wie Dich selbst

Matthias Bauer: Liebe Deinen Replikanten wie Dich selbst

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>wie</strong> dort handelt es sich um die systematische Ausstattung eines Gehirns<br />

mit Leitmotiven aus einer vergangenen Epoche, um den zusammengesetzten<br />

‚Individuen‘ lebensgeschichtliche Tiefe zu verleihen, eine Art Vorgeschichte,<br />

die sie als vermutlich künstliche Wesen sonst entbehren müß-<br />

ten.“ 31<br />

Die Frage muss erlaubt sein, was uns Mediensubjekte, die wir tagtäglich<br />

einer vom Recycling lebenden Bewusstseinsindustrie unterworfen – also<br />

sub-jectum – sind, eigentlich noch vom Gemütszustand der <strong>Replikanten</strong><br />

mit ihren Gehirnimplantaten unterscheidet? Man kann diese Frage als<br />

Hinweis auf einen weit verbreiteten Irrtum verstehen – den Irrtum nämlich,<br />

dass die Bedeutung von Empfindungen davon abhängt, dass sie eine<br />

authentische Genese haben. Offenbar ist dies nicht der Fall. Zumindest im<br />

Kino ist die Inauthentizität dessen, was der Zuschauer wahrnimmt, die<br />

Bedingung der Möglichkeit, wahrhaftig etwas zu empfinden und dieser<br />

Empfindung einen Wert zuzuschreiben, der bloß deswegen, weil er fiktional<br />

oder imaginär entworfen und entfaltet wird, keineswegs illusorisch ist.<br />

In diesem Sinne ist der Film, ist vor allem das filmische Melodram, das<br />

Simulakrum einer Interaktion zwischen dem Subjekt, das sich imaginär<br />

konstituiert, und dem signifikanten Anderen, der seine Rolle nur spielen<br />

kann, indem er von einem unmittelbaren Objekt der Wahrnehmung in das<br />

dynamische Objekt einer Deutung verwandelt wird, die sich das beständige<br />

Hin und Her zwischen Projektion und Introjektion, Fremdreferenz und<br />

Selbstreferenz zunutze macht, das der szenografische Diskurs anstößt. So<br />

gesehen, ist das Melodram nicht einfach nur ein Genre, sondern eine Implikatur,<br />

die sich im Verlauf der psycho-semiotischen Aktivität des Zuschauers<br />

entfaltet. Im Unterschied zu einer Implikation, deren Auflösung<br />

eine logische und semantische Kompetenz erfordert, stellt die Implikatur<br />

ein pragmatisches Phänomen dar, das performativ entfaltet wird durch die<br />

Art und Weise, <strong>wie</strong> sich ein Subjekt zu Bezugsobjekten verhält, die im<br />

empathischen Feld mit zum Teil sehr hohen Affektbeträgen ausgestattet<br />

werden. Und eben darin, in der performativen Entfaltung, ist sowohl die<br />

soziale als auch die ethische Dimension des Melodramas angelegt.<br />

*<br />

31 Thomas Koebner: Herr und Knecht. Über künstliche Menschen im Film. In: Derselbe: Halbnah. Schriften zum<br />

Film. Zweite Folge. St. Augustin 1999, S. 75-91, Zitat S. 85.<br />

19

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!