Matthias Bauer: Liebe Deinen Replikanten wie Dich selbst
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chael weiß, dass ihr die Erinnerungen einer fremden Person implantiert<br />
worden sind, doch nun, bei der Erfahrung, Klavier spielen zu können, ent-<br />
deckt sie ihre Fähigkeit, unter Verwendung dieser Reminiszenzen echte<br />
Gefühle zum Ausdruck bringen und wecken zu können. Was in diesem Au-<br />
genblick, da Rachael aus dem Bannkreis ihrer Programmierung heraus<br />
tritt, mit Deckard geschieht, hat Fabienne Liptay in einer luziden Bespre-<br />
chung des Films als Wendepunkt der Geschichte markiert. Deckard, so<br />
schreibt sie, „erkennt, dass alles so wahr ist, <strong>wie</strong> man es empfindet.<br />
Schließlich ist es dann auch unbedeutend, ob Rach[a]els Kindheitserinnerungen<br />
an Klavierstunden ihre eigenen sind oder die einer anderen Per-<br />
son.“ 9<br />
Worauf es ankommt, ist nun zum einen die Erfahrung, dass die Affektenlehre<br />
des Kinos nicht nur eine kognitive und ethische Bedeutung, sondern<br />
in den Filmen, um die es hier geht, auch eine anthropologische Pointe hat.<br />
Zum anderen gilt es, die spezifische Funktion herauszuarbeiten, die dem<br />
Melodrama in seiner Rolle als sub plot zukommt.<br />
*<br />
Dass zahlreiche Filme, die man einem anderen Genre zurechnet – etwa<br />
dem Western oder dem film noir – melodramatische Züge aufweisen, ist<br />
gewiss keine neue Erkenntnis. Man muss nur an Raoul Walsh Pursued von<br />
1947 oder Roman Polanskys Chinatown von 1974 denken, um zu erkennen,<br />
<strong>wie</strong> gerne das Melodram als sub plot genutzt wird, um die Figuren<br />
und Konflikte, die auf der Ebene des action-reichen main plots nicht vertieft<br />
werden können, zu profilieren. Die schicksalhafte, vom Scheitern bedrohte<br />
<strong>Liebe</strong> erscheint dabei vor allem als ein Medium der Figuren- und<br />
Konfliktentwicklung, damit aber auch der Themenentfaltung. Die spezifische<br />
Leistung des filmischen Melodrams – ob nun als sub plot oder main<br />
plot – besteht somit, abstrakt formuliert, darin, Kognition und Emotion in<br />
ein Verhältnis der Ko-Evolution zu versetzen. Konkret zeigt sich das an der<br />
allmählichen Bildung dessen, was man Problembewusstsein nennt. Ohne<br />
die emotionale Teilnahme am Schicksal der Figuren würde man als Zuschauer<br />
nicht so leicht eine analytische Einstellung zu den Konflikten entwickeln,<br />
in die sie verstrickt sind. Ohne diese analytische Einstellung <strong>wie</strong>derum,<br />
bei der es immer auch um die Antizipation oder Reflexion kontin-<br />
9<br />
Fabienne Liptay: Der Blade Runner. In: Filmgenres Science Fiction, hrsg. v. Thomas Koebner. Stuttgart 2003,<br />
S. 376-387; Zitat S. 384.<br />
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