Matthias Bauer: Liebe Deinen Replikanten wie Dich selbst
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Von Andreij Tarkowskij ist bekannt, dass er diese Kopplung von Erlebnis-<br />
intensität und Reflexivität vor allem durch die Verlangsamung der Zeit er-<br />
reichen wollte, die sowohl den Rhythmus seiner Bilder als auch das Tempo<br />
ihrer Wahrnehmung und Deutung bestimmt. Im Falle seiner SOLARIS-<br />
Verfilmung kommt noch hinzu, dass er ein Szenario entwerfen wollte, das<br />
sich deutlich von der Weltraum-Ästhetik unterscheidet, die in Stanley Kub-<br />
ricks Film 2001: A Space Odyssey (1968) vorherrscht. Tarkowskij erschien<br />
diese Ästhetik klinisch und steril, ahistorisch und posthuman. 39 Immerhin<br />
– das sei am Rande erwähnt, weil es für das Thema von der Subjektgene-<br />
se der künstlichen Intelligenz und von der Menschwerdung der Maschine<br />
nicht ganz unwichtig ist – gibt es in Kubricks überaus einflussreichem<br />
Science Fiction-Film den Super-Computer H.A.L., der <strong>wie</strong> eine Person a-<br />
giert, weil er über ein intentionales Bewusstsein, ein Gedächtnis und sogar<br />
eine Art von Gemüt zu verfügen scheint.<br />
Darauf ging Tarkowskij freilich nicht ein. Zudem reduzierte er, <strong>wie</strong> Lem<br />
befand, das Gedankenexperiment des Romans auf ein ödipales Familien-<br />
drama mit pantheistischer Moral, wobei Kelvin einen Läuterungsprozess<br />
absolviert, den man anhand der Anforderungen der Psychoanalyse inter-<br />
punktieren kann: Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten. Insgesamt zeich-<br />
net Tarkowskijs Film im Unterschied zu Kubricks stilbildender Zeitreise<br />
durch den Raum der Menschheitsgeschichte eine präzise Rückkopplung<br />
der Geschichte an die zeitgenössische Lebenswirklichkeit der Sowjetunion<br />
im Jahre 1971 aus, als der Film gedreht wurde. Ebenso charakteristisch<br />
sind die für Tarkowskij typischen Momente der Dilation – vor allem bei den<br />
langen, kontemplativen Landschaftsaufnahmen. Diese farbintensiven Außenaufnahmen<br />
und Naturbilder stehen nicht nur im offensichtlichen Gegensatz<br />
zur gräulichen Innenwelt an Bord des Raumschiffs. Vielmehr erfahren<br />
sie am Ende des Films eine merkwürdige Umcodierung, wenn sich<br />
die Kamera aus der Heimat-Landschaft des Astronauten in die Luft erhebt<br />
und das, was die Zuschauer bis dahin für den Mutterplaneten Erde halten<br />
mussten, als eine Insel im Ozean von Solaris erweist. Man kann in dieser<br />
Totalen sehr wohl die kongeniale Umsetzung der metaphysischen Pointe<br />
sehen, auf die auch Lems Roman zusteuert.<br />
„Bis dahin ist das Vertrauen der Zuschauer in verläßliche Realitätskategorien<br />
ohnehin stark erschüttert worden. Bald wird klar, daß alles, was in<br />
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